Predigt für den Sonntag Sexagesimae ( ), Bartholomäus, über Ex 4, 24 Verfasser: Wolfgang Froben
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1 1 Predigt für den Sonntag Sexagesimae ( ), Bartholomäus, über Ex 4, 24 Verfasser: Wolfgang Froben Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. Liebe Gemeinde, biblische Geschichte, noch nicht Religion, hieß das entsprechende Unterrichtsfach in meiner Grundschulzeit, ich besuchte eine evangelische Volksschule in einem kleinen Ruhrgebietsstädtchen. Und vielleicht lese ich immer noch so gerne in der Bibel, weil ich mich erinnere, mit wie großer kindlicher Spannung und Aufgeregtheit ich zuhörte, wenn unsere Lehrerin die alten Vätergeschichten erzählte. Favoriten waren die Geschichten von Joseph und seinen Brüdern und die von Moses und dem Volk Israel. Moses: Das ist die Kinder und Erwachsene anrührende Geschichte von dem Baby im Papyruskörbchen, das wegen des grausamen Kindermords Pharaos ausgesetzt wird, aber schließlich am ägyptischen Hof aufwachsen kann. Und wie er sich dann zu seinen hebräischen Geschwistern bekennt, aber gleich so heftig, dass er einen ägyptischen Aufseher erschlägt. Die Flucht nach Midian, zu einem fremden Volk, seine Heirat, die Arbeit als Hirte in der Wüste. Dort erscheint ihm der brennende Dornbusch, Gott, der ihn berufen will, sein Volk aus Ägypten herauszuführen in ein Land, wo Milch und Honig fließen. Gott will seinen Bund mit dem Volk Israel erfüllen. Moses aber sträubt sich nach Kräften: Er könne nicht gut reden, überhaupt werde man ihm seine Sendung nicht abnehmen. Gott gerät in Zorn. Aber schließlich bricht er auf, um vom Pharao zu fordern: Lass mein Volk ziehen. Zugeben muss ich, dass ich mich als kleiner Junge gefreut habe, wie es den bösen Ägyptern mit dem bösen Pharao bei den zehn Plagen so richtig schlecht ging. Wasser zu Blut, Frösche, Mücken, Stechfliegen, Viehpest, Geschwüre, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, Tod der Erstgeburt: heute kommt es mir, ja, dunkel vor. Dann darf das Volk gehen, wird aber verfolgt, das Schilfmeerwunder, und bevor es jetzt für vierzig Jahre in die Wüste geht, halte ich hier mit der biblischen Geschichte inne, der Moses-Erzählung. Nur eins noch: Am Ende hält Gott sein Versprechen, hält seinen Bund mit dem Volk Israel. Darum sagte Herr Duffner auch am Anfang, dass wir unseren Gottesdienst halten im Namen des Gottes, der Bund und Treue hält.
2 Mitten drin in dieser Moses-Erzählung steht nun der Satz, den ich für den heutigen Beitrag zur Predigtreihe Die dunklen Seiten Gottes ausgewählt habe. Auf Gottes Geheiß hat Moses mit Frau und Sohn gerade den Schwiegervater verlassen, ist auf dem Weg nach Ägypten, auf seinem schweren Weg zu Pharao. Da heißt es (Ex 4, 24): Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Sie haben richtig gehört: Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Das kam in der biblischen Geschichte für Grundschüler nicht vor. Dieser Bibelvers wird nie als Losung ausgesucht, kein Kirchenlied nimmt ihn auf, über ihn wird sonst nicht gepredigt: Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Dieser Satz fordert uns heraus. Das geht ja gar nicht. Das kann nicht der Gott sein, den wir meinen, wenn wir sagen: im Namen des Gottes, der Bund und Treue hält. Das ist eine Provokation in unserer Bibel, die man nicht überlesen kann. Provozierend war das auch für manche Theologen, die sich intensiv mit diesem Bibelvers auseinandergesetzt haben: Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Da gibt es zunächst mal die, die sagen: Den Satz streichen wir. Er passt nicht, er stammt aus einer Zeit, als die Wüstenvölker noch an Dämonen glaubten und ist irgendwie aus Versehen nicht aus einer älteren Geschichte herausgestrichen worden. Dagegen spricht: egal, wo es herkommt, es steht da nicht aus Versehen. Natürlich haben die, die die Thora aufgeschrieben haben, aus verschiedenen mündlichen und schriftlichen Quellen, alten Gottes-Erzählungen, geschöpft, haben ausgelassen und ergänzt. Aber sie haben es sehr überlegt getan, um der Nachwelt, um uns zu sagen: Das ist die Geschichte von Gott und seinem Volk. Die Bibel ist kein Buffet, an dem wir uns das Leckerste aussuchen können und das wegschmeißen, was uns nicht schmeckt. Man muss schon von allem probieren. Also: Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Das bleibt drin. Zweiter Versuch, damit umzugehen: In den folgenden Versen, die eng zu unserem gehören, geht es auf etwas rätselhafte Weise um die Beschneidung. Sie ist nach dem Buch Genesis, Kapitel 17, für alle männlichen Nachkommen Abrahams als Zeichen ihres Bundes mit Gott verbindlich. Nun sagen einige Ausleger unseres Bibelverses: Gott ist noch ein bisschen böse mit Moses, weil er seinen Ältesten noch nicht hatte beschneiden lassen. Wahrscheinlich wollte sein nicht-jüdischer Schwiegervater
3 das nicht, bei dem er ja schließlich wohnte und angestellt war. Tatsächlich wird das Kind dann eilends in dieser Nacht von seiner Mutter beschnitten, und am nächsten Morgen heißt es von Gott Da ließ er von ihm ab. - Aber auch diese Möglichkeit, mit der Bibelstelle umzugehen, gefällt mir nicht. Gott sucht sich diesen Moses für eine Riesenaufgabe aus, offenbar schon von Geburt an. Mit viel Aufwand, Wundern und Überredung macht er ihn zu seinem Werkzeug. Und dann will er ihn auf halbem Wege nach Ägypten töten, töten, weil er im Ausland einem Brauch seines Volkes nicht nachkam? Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Todesstrafe bei Regelverletzung? Oder doch lieber die Bibelstelle auslassen? Vielleicht müssen wir zur Erklärung nach anderen dunklen Geschichten unserer Bibel suchen. Vorne in der Bibel, im Buch Genesis, steht schon so eine, die von Kain und Abel. Die meisten denken jetzt an das furchtbare Verbrechen, den Brudermord. Was aber war der Grund für die furchtbare Tat? Beide Brüder opfern dem Herrn. Auch Kain ist nämlich fromm. Und der Herr sah auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer sah er nicht. 1 Warum eigentlich nicht? Ist Gott hier nicht himmelschreiend ungerecht? - Gott handelt willkürlich. Und auch, wenn wir um einen gnädigen Gott bitten, schließen wir mit dieser Wortwahl gnädig - das Willkürliche mit ein. Ich zitiere einfach mal Wikipedia: Der Begriff der Gnade impliziert, dass jemand kein Recht auf Gnade hat. Der Gnadenherr kann willkürlich und ohne Angabe von Gründen über das Gnadengesuch entscheiden. 2 Wer gnädig ist, kann auch ungnädig sein. Gott ist gnädig, aber er straft auch nach seinem Gefallen. Das ist kein Heileheile-Gänschen-Gott. Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Gott ist gnädig. Aber als gnädiger Gott handelt er auch willkürlich. Ist das die Erklärung? Kann er, wenn er schlecht drauf ist, seinem Moses auch schon mal nach dem Leben trachten? Nein, auch die Erklärung Tja, Gott ist eben willkürlich, kann so nicht stehen bleiben. Pastor Kuhlmann hat in dieser Predigtreihe am Beispiel des kleinen Aaron, der nur 14 Jahre alt wird, gefragt: Darf es in der Welt, auf die Gott blickt, so zugehen? Wie leben wir damit, dass Unschuldige grausam sterben, wie es Jesus selbst am Beispiel der von einem einstürzenden Turm Erschlagenen berichtet? Er hat uns gezeigt, dass 1 Gen 4, 4b 5a 2 ( )
4 Gott auch Unglück, Leid, Tod und Unrecht mit seiner Treue trägt. Nur: Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Hier trägt Gott Moses ja nicht; er tritt ihm entgegen. Vielleicht liegt eine Lösung darin: Moses hat ja offenbar kein Problem damit. Er geht keineswegs geschwächt aus dieser Nacht hervor. Er hat einen starken Auftritt beim Pharao. Er fordert, das Volk Israel ziehen zu lassen. Moses bleibt stark, obwohl das zunächst überhaupt nicht erfolgreich ist. Auch das Volk fällt wieder von ihm ab. Aber der steht das durch. Moses ist ganz stark trotz der Nacht in der Wüste. Er weiß, auch nach der furchtbaren Nacht, er hat einen Gott, der Bund und Treue hält. Mit Gottes Hilfe und durch viele Gefahren und Wirrnisse gelangt das Volk zu dem Land, in dem Milch und Honig fließen. Immer unter dem Schutz Gottes. Und was sollte dann der Angriff auf Moses Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten.? Ich glaube, wir dürfen das erste Testament der Bibel, nicht als philosophischtheologische Abhandlung über das Wesen Gottes auffassen, sondern als einen Erfahrungsbericht darüber. Würden wir nämlich Tagebuch führen über unsere Erfahrungen mit Gott, käme auch ein sehr widersprüchliches Bild zustande. An vielen Tagen hätten wir vieles in Begeisterung zu schreiben. Alles, wo für wir dankbar sind. Wir tragen es ein, immer wenn wir von einem treuen Gott getragen werden. An manchen Tagen würden wir vielleicht nur einen Strich in dieses Gottes-Tagebuch setzen. Und manchmal, ja manchmal auch: Ich hatte einen fürchterlichen Kampf mit Gott. Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. - Die Nacht ist die Zeit, in der wir Angst haben. Das ist nicht nur in der Wüste auf der Reise zum bösen Pharao so, das ist auch in unseren zu hell erleuchteten Städten so. Wir schalten ja die vielen Lichter nur an, weil wir Angst vor der Finsternis haben. Und natürlich ist die Nacht ein übertragbares Bild. Die Nacht ist die Einsamkeit, die Nacht der Moment, in dem wir aus einem Rausch, gleich welcher Art, ernüchtert erwachen, die Nacht ist der Moment, da unsere Schuld nach uns greift oder auch neue Herausforderungen uns bedrücken. Oft hilft ein Gebet. Aber, tja, die Erfahrung werden manche im Nachtlager auch gemacht haben, da tritt uns dieser Gott, von dem wir sagen, dass er Bund und Treue hält, auch mitunter entgegen, als wenn er uns töten wollte.
5 Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Moses ist unterwegs. Da ist man unsicherer als da, wo man zu Hause ist oder, wie Moses in Midian, willkommener Gast. Unterwegs sein, das ist auch im übertragenen Sinn zu verstehen, das ist, wenn eine wichtige Lebenssituation sich ändert. Wenn eine Ehe oder Partnerschaft zerbricht, weil die Liebe gegangen ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt, wenn man von einer eigenen schweren Krankheit erfährt, dann ist man unterwegs, weil einem alle Sicherheit unter den Füßen weggezogen wird, Oder auch in einer positiven Situation. Die Chefin hat gesagt: Ich bin so zufrieden mit Ihnen und Sie können noch mehr. Ich übertrage Ihnen das neue Projekt. Sie sind jetzt verantwortlich, auch für andere. Da ist man plötzlich unterwegs, und dann kommt die Nacht. Und wie gut ist dann die Erfahrung, wenn ein Gebet aufrichtet. Aber oft stürzt alles so über einem zusammen, dass dann einem Gott als Feind wie ein böser Dämon erscheinen kann, der einem nach dem Leben trachtet. Oder ist es gar nicht Gott, der uns entgegentritt, sondern nur die eigene Schwäche, Angst und Schuld? Schwäche, Angst und Schuld, die der gütige Gott einbezieht, wenn er uns dennoch akzeptiert, wenn er uns trägt? So hat Pastor Quant Jakobs Kampf am Fluss Jabbok gedeutet. Gottes dunkle Seiten oder die eigenen? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Mich tröstet eher der Gedanke, dass es nicht nur meine blöde Schwäche, Angst und Schuld sind, sondern es auch Gott gefallen kann, mir entgegenzutreten, mich aufs Äußerste herauszufordern. Unterwegs aber, im Nachtlager, trat ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Auf jede Nacht folgt der Morgen. Da lässt Gott von Moses ab, und der ist gestärkt. Der Gott, der Bund und Treue hält, führt ihn zum Pharao und er führt schließlich sein Volk aus der Knechtschaft. Auf ihn dürfen wir auch nach durchkämpfter Nacht hoffen, jeden Morgen neu Natürlich werden so die Aussagen über Gott widersprüchlich, paradox und sie passen in kein Lehrgebäude. Aber sie entsprechen den Erfahrungen der Menschen der Bibel und auch vieler Menschen heute. Auch der Dichter Manfred Hausmann hat sie gemacht, mit dessen Gedicht Verzweifelt und getrost die Predigt enden soll. Hausmanns Bücher waren Mitte des 20. Jahrhunderts recht verbreitet, viele Ältere werden ihn kennen. Neben seinem Schriftsteller-Beruf war er reformierter Ältestenprediger.
6 6 Nicht einer kann von den Erschaffnen allen, nicht einer, Gottes je versichert sein. Nur wenn sie immer wieder aus ihm fallen, dann fallen sie in ihn hinein. 160 Denn die ihn haben, haben ihn mitnichten, den fürchterlich geheimnisvollen Geist. Doch die ihn tief in sich zugrunde richten, sie sind es, die er an sich reißt. Die Qualen, die allnächtlichen, verbürgen, 165 daß er den Abgrund ihrer Seelen mißt. Und reißt sie an sich, um sie zu erwürgen Mit einem Tod, der Leben ist. Amen
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