Predigt zu Sach. 2,5-9 zum Beginn der Ökumenischen Bibelwoche 2016 am von Johannes Brakensiek
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- Lilli Schumacher
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1 Predigt zu Sach. 2,5-9 zum Beginn der Ökumenischen Bibelwoche 2016 am von Johannes Brakensiek Auf wie viel können wir als Christen und als Kirche eigentlich verzichten? In einer Reportage des ZDF vom Katholikentag in Regensburg 2014 fragt der Journalist: Was wäre eigentlich, wenn die kath. Kirche sich [ ] nicht hinter dem Papst und ihren Ämtern und Gebäuden verstecken könnte? Wenn sie das alles einmal weglassen könnte? i Ich denke, ich kann das hier zu Beginn der ökumenischen Bibelwoche zitieren. Denn einerseits würde der Papst mit seiner Forderung nach einer armen Kirche vielleicht ganz ähnlich fragen. Und wenn wir den Papst beiseite lassen, gilt das andererseits für unsere evangelische Kirche ja genauso. Wie viel von unseren Ämtern, wie viel von der Verwaltung und den Gebäuden können wir weglassen? Die Frage stellt sich für die Zukunft schon aus finanziellen Gründen den Kirchengemeinden in beiden Konfessionen immer mehr. Und die Frage nach dem, was man weglassen kann, ist im Umkehrschluss auch die Frage danach, was unbedingt bleiben muss, was eigentlich wesentlich ist für unseren Glauben. In der ökumenischen Bibelwoche beschäftigen wir uns dieses Jahr mit dem Propheten Sacharja. In dem heutigen Predigttext geht es darum, dass der Prophet Sacharja mit erst einigen Wenigen aus dem langen Exil in Babylon zurückgekehrt ist. Das war etwa 520 v. Chr. Sie finden die Stadt Jerusalem und den Tempel zerstört und relativ verlassen vor. Für die Judäer ist klar: Um diese Stadt als Hauptstadt wieder aufzurichten, müssen zuerst die Mauer und natürlich der Tempel wieder aufgebaut werden. Doch in der Vision, die der Prophet Sacharja für seine Landsleute hat, spricht er ausgerechnet davon, die Stadtmauer wegzulassen. Ich lese aus Sach 2,5-9: 1 2
2 5 Als ich noch einmal aufblickte, sah ich einen Mann mit einer Messschnur in der Hand. 6»Wohin gehst du?«, fragte ich. Er antwortete mir:»ich will Jerusalem ausmessen und feststellen, wie breit und lang es werden soll.«7 Da trat der Engel vor, der mit mir geredet hatte, und ein zweiter Engel ging ihm entgegen 8 und sagte zu ihm:»geh schnell und sag dem jungen Mann dort drüben: `Wegen der vielen Menschen und Tiere wird man in Jerusalem wohnen wie auf dem offenen Land. 9 Doch ich selbst werde eine Mauer aus Feuer um Jerusalem bilden, spricht der Herr. Und ich werde die Stadt mit meiner Herrlichkeit erfüllen! «(Neues Leben Übersetzung) Wie viel kann die Stadt fassen? Keine Mauer, offene Grenzen? Das sind angesichts der aktuellen politischen Lage sicher sehr brisante Fragen. Doch ich möchte hier im Gottesdienst keine politische Rede halten. Ich möchte die Situation des Sacharja etwas mehr auf unsere kirchliche und persönliche Position zuspitzen. Und ich denke, daraus ergeben sich weitere, auch gesellschaftliche Konsequenzen. Zurück zu Sacharja: Keine Mauer? Das bedeutete: Keinen Schutz vor umherziehenden Banden, keine Befestigung im Kriegsfall, keinen Schutz der Herden vor Raubtieren. Die Tiere lebten ja mit in der Stadt, sie versorgten die Menschen mit dem Lebensnotwendigen. Keine Mauer? Das bedeutete, weiterhin in der offenen Fremde, ohne Schutzraum, ohne Identitätsgrenze zu leben. Der Prophet Sacharja mutet den Judäern und vielleicht auch uns heute eine ganze Menge zu: Was er eigentlich in dieser Vision sagt, ist: Nicht nur die Grenzmauern der Stadt und unseres Landes sind verzichtbar. Nein, auch die Mauern, die unserem Leben persönlich Schutz und Identität geben, auch die brauchen wir nicht. Die Mauern unserer Kirchen, die Mauern unserer Eigenheime und Wohnungen, auch darauf sollen wir verzichten können. Wenn wir daran denken, wie viel uns unsere Rückzugsorte, der Schutz unserer privaten Welt wert sind, was uns Recht und Ordnung bedeuten, dann haben wir vielleicht eine Ahnung davon, wie ungeheuerlich diese Vision für die Landsleute des Sacharja gewesen 3 4
3 sein muss. Doch Sacharja hat zwei Begründung für die Forderungen in seiner Vision, die ich hier ausführen möchte. 1. Es lohnt sich nicht, die Stadt Jerusalem auszumessen und eine Mauer um sie herum zu errichten, denn die Mauer wird die Fülle dieser Stadt doch nicht fassen können. Sacharja hatte als Vision, als Ziel, dass Jerusalem wieder so bewohnt sein würde, dass die zuvor gebauten Stadtmauern einfach nicht mehr reichen. Was für eine Vision! Was sich in der Bundesrepublik Deutschland gerade andeutet, das war für Sacharja vielleicht erst einmal ähnlich unrealistisch wie für uns in der Kirche heute. Dass die Mauern unserer Kirchen nicht mehr groß genug sind, ist bei den großen Kirchen hier in Werden doch eher selten der Fall. Doch ich denke, dieses Bild gilt auch in einem übertragenen Sinn. Es gibt einen Reichtum, den Mauern nicht fassen können. Wir haben in unserem Glauben und in der Begegnung mit anderen, auch mit fremden Menschen einen Reichtum, der sich nicht mit Steinen, nicht mit Geld und Verwaltungsstrukturen abbilden lässt. Um das zu erfassen, kann es helfen, genau diesen materiellen Reichtum einmal hinter sich zu lassen. Es war eine zur ökumenischen Bibelwoche passende Entdeckung für mich, dass diesen Gedanken ein römisch-katholischer Arbeiterpriester aus Berlin- Kreuzberg ganz praktisch umgesetzt hat. Mit seiner offenen Wohngemeinschaft bietet Christian Herwartz sog. Straßenexerzitien an. Geistliche Übungen, bei denen es darum geht, Gottes Spuren im Alltag zu entdecken. Und zwar in einem anderen Umfeld als gewohnt, in der Fremde, auf den Straßen der Stadt. Dabei verlassen die Menschen ihre Häuser, ihre vertrauten Gemäuer und gehen nach draußen. Und wie es schon Jesus seinen Jüngern sagte (Lk 9,3), nehmen die Übenden nichts mit auf den Weg und bleiben den ganzen Tag lang im fremden Umfeld der Stadt und der Straßen, um Gott und bei anderen neuen Reichtum zu entdecken. Einer der so Übenden schreibt: 5 6
4 Mir ging es einmal so, dass mir am Tag, als ich ohne Geld losgegangen bin, eine bettelnde Frau ihre Hände entgegenhielt und um eine Gabe bat. Ich schaute sie an und sie sah mir direkt ins Gesicht. Ich sagte beschämt: Ich habe nichts. Und sie antwortete mit strahlenden Augen: Ich weiß! Das ging mir durch Mark und Bein. Ich habe nichts, ich [bin ein] Habenichts! Das traf mich in einer Situation, in der ich vieles im Leben loslassen musste. Ich bin mir durch diese Frau meiner Armut und meiner Bedürftigkeit, meines Angewiesenseins bewusst geworden und dass ich mich dafür nicht schämen muss. Die Frau ist mir in einem Augenblick zur Begleiterin geworden, in der mir Gott etwas mitgeteilt hat, eine Wahrheit in meinem Leben. ii Ich fänd es spannend, das selbst auszuprobieren und zu erfahren: Die schützenden Mauern der Wohnung und den äußeren Reichtum hinter sich lassen. Und dann den Reichtum von anderen entdecken und sich selbst bereichern lassen. Ich denke, das ist eine Aufgabe, nicht nur für unser Land, sondern auch für die Kirchen, auch für mich persönlich. Auch der Journalist, den ich Eingangs zitierte, hat auf dem Katholikentag an diesen Straßenexerzitien teilgenommen und diese Erfahrung gemacht. Vielleicht können wir tatsächlich vieles loslassen und dafür bei Anderen, bei Fremden neue Reichtümer entdecken. Ich denke, dass dazu auch die ökumenische Bibelwoche Gelegenheit bietet. Glaubensschätze, auch bei anderen, neu zu entdecken. Einen großen Glaubensschatz formuliert Sacharja in seiner Vision. 2. Die Stadt Jerusalem braucht keine Mauer aus Stein, denn Gott selbst ist ihre Firewall. Der Begriff Firewall stammt aus dem Computerbereich. So eine Firewall wird in einem Netzwerk von Computern installiert und schützt sie. Das besondere daran: Diese Firewall ist kein Gerät, keine aus Steinen oder Elektronik gebaute Mauer, sondern eine Software. Sie ist ein intelligenter Filter, der an einem zentralen Punkt ausgeführt wird und der genau weiß, welche Informationen in das Netz hinein gelangen dürfen und welche nicht. So können Hackerangriffe und unberechtigte Zugriffe abgewehrt werden. Gott selbst ist in Jerusalem 7 8
5 gegenwärtig und bildet eine schützende Mauer aus Feuer, eine Firewall um die Stadt. Das Feuer, es ist außerdem ein Zeichen der Gegenwart Gottes. So stellt sich Gott dem Mose in einem brennenden Dornbusch im Feuer vor (Ex 3,2) und er begleitet das Volk Israel bei seiner Wüstenwanderung nachts in einer Feuersäule (Ex 13,21). Auf Gottes Schutz vertrauen. Auf seine Fürsorge bauen. Darauf vertrauen, das er hier und bei uns ist. Das ist der Reichtum, die Herrlichkeit, so steht es im Text (vgl. auch Ex 24,15-18), in unserer Mitte. Ich glaube, nur, wer auf diese Weise einen inneren Reichtum, eine Schutz- und Identitätsmauer hat, kann so offen sein, wie es Jerusalem sein soll. Der kann so offen in die Fremde gehen, mit anderen in Kontakt treten, wie es die Menschen bei den Straßenexerzitien machen. Es ist ja die Erfahrung, die wir gerade in unserer Gesellschaft machen, dass diejenigen, die Angst um das Eigene haben, auch Angst vor dem Fremden haben. Für wen das Eigene sicher ist, wer seine Identität kennt, der kann auch offen gegenüber Anderen sein. Wer den Gott in unserer Mitte kennt, wer Gott kennt, der unsere Firewall und unser Schutz ist, der braucht vor Verlusten zumindest weniger Angst haben. Vielleicht ist, was Angst macht, am Ende halb so wild?, fragt der Journalist aus der erwähnten Fernsehreportage. Für Sacharja kann Jerusalem durch den Schutz Gottes eine offene Stadt sein. Und um die Frage vom Anfang wieder aufzugreifen: Auf wie viel können wir verzichten? Was können wir als Kirchen weglassen? Ich kann Ihnen das nicht einfach beantworten, erst recht nicht für andere Konfessionen. Aber ich denke, wir können uns zusammen auf einen Weg in Richtung einer Antwort machen. Weil wir durch Gottes Schutz und Gegenwart offen sein können. Offen füreinander, für Andere und für Gottes Gegenwart. Amen. 9 10
6 i ii ZDF Dokumentation: Das Franziskus-Experiment. Spurensuche auf dem Katholikentag in Regensburg. URL: spurensuche-auf-dem-katholikentag-in-regensburg-papst-armut html (abgerufen am ). Maria Jans-Wenstrup und Klaus Kleffner: Exerzitien am anderen Ort: Straßenexerzitien als geistliche Erfahrung durch fremde Orte. URL: (abgerufen am ; zuvor publiziert in: Lebendige Seelsorge, 2013 (68) September Heft 3, S ).
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