Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Transkript

1 Predigt am Sonntag Judica (25. März 2012) in St. Salvator, Gera. Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. 1. MARSCHRHYTHMUS Liebe Gemeinde; Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt! Dies ist eins der wenigen Lieder des Evangelischen Gesangbuches im Marschrhythmus. Und wir werden es gleich singen. Es stammt aus der pietistischen Bewegung. August Herrmann Franke hat es in Halle komponiert, mitten im Aufbruch, Schulen und Waisenhäuser bauend, Gemeinden reformierend. In Halle ist ein ganzes Viertel entstanden, das heute mit dem Sammelbegriff der Franke schen Stiftungen genannt wird. Heute ist dort u.a. die Bundeskulturstiftung untergebracht. Auch deswegen war ich schon dort. Nun aufwärts froh den Blick gewandt Und vorwärts fest den Schritt!, möchte man auch den Israeliten zurufen, deren Atem in der Wüste kurz geworden ist. Aber würde das helfen? Kurzatmig Luther übersetzt das Wort mit verdrossen, was den Sinn ganz gut trifft. Kurzatmig, das ist der Zustand, wenn man ungeduldig geworden ist, eigentlich nicht mehr kann, wie nach dem Treppensteigen oder in den Bergen beim Anstieg kurz vor dem Gipfel. Kurzatmig heißt, ich kann nichts mehr einstecken, es reicht, eigentlich ist kurzatmig so ähnlich wie dünnhäutig. Und wenn man dünnhäutig ist, wird plötzlich alles zum Problem, auch die Sachen, die vorher leicht von der Hand gingen. So dünnhäutig waren die Israeliten geworden, als sie lange, eben zu lange durch die Wüste gewandert waren. Es ist gar nicht mal das Wüstenwandern selbst, es ist das zu lange Wüstenwandern. Hören Sie selbst, unser Predigttext steht im vierten Buch Mose (Dt 21, 5-9): Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege

2 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. 2. STRAFE UND TATFOLGEN Es ist doch seltsam, dass Gott hier straft, statt zu helfen. An anderen Stellen der Wüstenwanderung Hört er die Not des Volkes und hilft ihnen heraus. Wasser aus dem Felsen, Brot und Wachtelfleisch vom Himmel. Warum straft er hier? Mir fällt auf, dass die sogenannten Strafen Gottes oft wirken, als seine sie nur die Folgen der eigenen Taten. Was passiert mit denen, die kurzatmig geworden sind? Sie verwickeln sich in eigene Probleme. Überall lauern plötzlich Schlangen im Grase, wo eben noch Grillen zirpten und Blumen wuchsen. Plötzlich wird jede einfache Sache, die man organisieren will, zum Problem. In den Falten und Ritzen der Dinge, die man zu tun hat, verbergen sich Zecken und Ungeziefer, das man nie bemerkt hat Der Blick geht gleichsam nach unten. Statt den Weg zu sehen, den man zu gehen hat, sieht man lauter Fallen und Schlaufen, die den Fuß einfangen wollen. Man kann sozusagen gar nicht mehr den Blick heben, weil man sonst gebissen würde, gefangen würde, stolpern müsste. Sie meinen, ich psychologisiere, lese unsere heutige Alltagsprobleme in die Bibel hinein? Das mag sein.

3 Aber Luther hat es schon genauso gemacht: 3. LUTHER UND DIE GEWISSENSSCHLANGEN In einer Passionspredigt von 1521, auch am Sonntag Judica übertragt Luther unsere Geschichte genau wie ich ins Psychische. Er stellt Bezüge dazu her, wie wir versuchen, unser Heil zu erwirken. Die Schlangen im Lager sind bei Luther die Gewissensschlangen. Wenn wir versuchen, uns ihrer zu erwehren, verschlimmern wir nur unsere Not. Originaltext Luther (WA 9, 659, 17ff.): Je mehr du dich reißest und schlägst mit dem Gewissen, je ärger du es machst. Wir spüren Luthers großes Problem zur Oder besser: vor der Zeit der Reformation. Was musste man nicht alles tun, um selig zu werden. Womit kann man zufrieden sein und was müsste man sich vorwerfen. Blickt man nur genau genug, kann man eigentlich mit nichts und niemand zufrieden sein. Alles ist unvollkommen, alles, was wir tun! Nichts kann vor dem Blick Gottes bestehen! Es findet nimmer kein Fried, wer sich selber helfen will., predigt Luther. Mit anderen Worten: Wer ohne Gott vor Gott bestehen will, hat keine Chance. Wer ohne Gott seinen eigenen Gedanken unterworfen ist, findet kein Ende. Der ist kurzatmig wie die Kinder Israels in der Wüste. Und es dauert nicht lange, dann beißen ihn die Schlangen. Er kommt nicht vom Fleck. 4. SCHLANGEN Warum sind es eigentlich Schlangen: Der Schrecken ihrer Erscheinung (Hiddensee) Ihre Ambivalenz (Gift und Medizin) zeigt der Äskulapstab. Auch Mose, der eine eherne Schlange macht, macht das Bild des Unheils zur Medizin. Später wird im Tempel so ein Schlangenstab aufbewahrt, König Hiskia tilgt ihn bei einer Tempelreform und wird dafür belobigt. Das war ein Verstoß gegen das Bilderverbot. 5.CHRISTUS Das Neue Testament verstößt dann gegen dieses Bilderverbot. Es nimmt die Schlange wieder auf, als Vorbild für Christus. Das sagt Jesus selbst im Johannesevangelium. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. (Johannes 3, 14f.) In der Reformation galt die Schlange als Evangelium. In den Gesetz und Evangelium-Typologien versuchte die Reformation ein Bild zu finden für das, was Luther entdeckt hatte. Ein geteiltes bild, dass theologie illustrierte: Links die Dinge, die gegen uns sprechen: Tod und Teufel hetzten den alten Adam, Christus als Weltenrichter, der Sündenfall.

4 Rechts der gerettete Sünden unter dem Kreuz, der Auferstandene und eben die Schlange als einzige alttestamentliche Geschichte, die auf der Seite des Evangeliums war bzw. sein konnte. Auf dem Weimarer Cranach-Altar dann sind die Zelte der Israeliten, die ihnen Schutz in der Wüste bieten, offensichtlich mitteldeutsche Landsknechtzelte, auch eine drastische Aktualisierung. Der schmalkaldische Krieg war noch in frischer Erinnerung, seine Auswirkungen auf die Gegenwart des Malers waren damals noch lebhaft zu spüren. Johann Friedrich war gefangen gesetzt worden, sein Hofmaler Cranach folgte ihm schließlich ins Augsburger Exil. Nach der Freilassung wechselte der Hof des kleiner gewordenen Fürstentums nach Weimar. Hier wurde der Altar konzipiert und vollendet. Das war 1555, das Jahr, in dem auch der Augsburger Religionsfriede geschlossen wurde. Der Altar ist also in einer Nachkriegszeit gemalt - vor dem Friedensschluss. Und so haben wir Grund anzunehmen, dass das Heerlager Züge der eigenen schrecklichen Not enthält. Das Hochblicken zu Schlange stellt in dieser Situation die Rettung dar. 5. DIE PROTESTANTISCHE URSITUATION Dass Luther und Cranachdiese Typologie liebten liegt auch daran, dass sie eine Ursituation des protestantischen Glaubens ist. Als Kind stellte ich mir immer vor, die Information, dass der Blick auf die Schlange rettet, wird im Lager der Israeliten schlagartig verbreitet und zack sind alle wieder gesund. Jetzt stelle ich mir vor, dass es durchaus einen Handlungsspielraum für die Menschen im Lager gab. Entweder man versucht, den Schlangen zu entkommen, verlässt sich auf bestimmte Schutzzauber, Steine, die Schlangen abwehren,

5 Pflanzenextrakte, die Bisse heilen, unfehlbare Zeltabdichtungen oder eben man gibt die eigene Sicherheit aus der Hand. Man versucht nicht abzuwehren, sondern blickt hoch - mit leerer Hand. Aufgabe aller eigenen Hilfsstrategien. Das zeigt das Bild des Zeltlagers drastisch: Es gibt ein zu spät. Es liegen Menschen am Boden, die ein Schlangenbiss getötet hat. Anderen wird geholfen, indem sie vertrauensvoll aufblicken, ein Mann kommt aus dem Zelt und hat die Hände so gefaltet wie Cranach neben dem Kreuz. Auch Kinder werden mit zur erhöhten Schlange genommen, eins läuft vertrauensvoll hinzu und hat die Händchen gefaltet.

6 Das ist die protestantische Ur-Erkenntnis: Die wichtigste Tat im Leben ist kein Tun, sondern ein Lassen. So couragiert wir das eigene Leben in die Hand nehmen können, so klar müssen wir bei der Beurteilung dieses Lebens, die Initiative aus der Hand geben. Das gilt für die Frage des Heils ebenso wie für die Frage der Lebensführung. Wahrscheinlich hängt beides zusammen. Wer so viel leisten will, dass man ihm Anerkennung leisten muss, der kommt nie an ein Ende, der bleibt immer in der Anstrengung, im Stress, wie das Schlüsselwort heute heißt, der kommt nie zur Ruhe, wird eben kurzatmig. Diese Art von Ruhe können wir nicht selbst machen. Keine Anstrengung wird sie erreichen. Also schauen Sie besser von ihren Werken hoch. Lassen Sie sich Ruhe geben! Und dann erst: Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt! Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre euere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen