Walser. Lesebuch. Geschichten über ein selbstbewusstes Bergvolk. Ausgewählt und zusammengestellt von Ulrich Nachbaur.

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1 Walser Lesebuch Geschichten über ein selbstbewusstes Bergvolk. Ausgewählt und zusammengestellt von Ulrich Nachbaur.

2 Titelbild (Ausschnitt) Die Heimat widmete Unseren Walsern 1925 ein Sonderheft. Die Titelseite gestaltete der Schrunser Künstler Hans Bertle. 1. Auflage, Dezember 2013 Copyright by unartproduktion, 6850 Dornbirn, Wallenmahd 23 bzw. bei den jeweiligen AutorInnen/Verlagen Druck: Bucher Druck Verlag Netzwerk, Hohenems Gestaltung: Werner Wohlgenannt, Dornbirn ISBN:

3 Abstimmungsergebnisse im April 1938 In Österreich und im Altreich fanden am 10. April 1938 von den Nationalsozialisten inszenierte Volksabstimmungen statt, um dem gewaltsamen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich einen pseudodemokratischen Anstrich zu geben. Die Abstimmungen wurden mit ebenso grotesken Wahlen zum Großdeutschen Reichstag verknüpft. Auf den Stimmzetteln stand die Frage: Bist Du mit der am 13. März vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler? Im Gau Vorarlberg stimmten nur 96,7 Prozent der Stimmberechtigten mit Ja, betrug der Anteil der Ja-Stimmen an den abgegeben gültigen Stimmen nur 98,1 Prozent. Das war das schlechteste Landesergebnis in Österreich. Über diese Schmach konnten die Jubelberichte im Vorarlberger Tagblatt nicht hinwegtäuschen. Von den Gemeinden, die sich heute als Walsergemeinden verstehen, lagen Fontanella und Damüls markant unter dem Durchschnitt, die anderen deutlich darüber. In Sonn- Das Gemeindehaus in Lech, das Alte Schulhaus, konnte 1937 bezogen werden. 2013/14 wird es für ein Haus des Kindes generalsaniert. Die Gerüstplane zeigt das Wandbild, das der Tiroler Freskenmaler Sepp Ringel 1940 schuf. Ringel war zu jener Zeit gefragter Künstler und stattete im selben Stil u. a. den Gemeinschaftsraum im neuen Gauhaus in Innsbruck aus. Die Gemeindeführung entschied sich gegen nationalsozialistische Motive und für den Gründungsmythos: Erbauung von Lech durch die Walser Allerdings lassen archäologische Befunde wohl den Schluss zu, dass die Walser bei ihrer Ankunft bereits eine stattliche Kirche antrafen. 281

4 tag klang der Abstimmungstag mit einem Fackelzug aus, wie das Tagblatt pathetisch berichtete: Ringsherum die hochragenden Berge, von denen die nicht enden wollenden Rufe der Walser auf unseren lieber Führer Adolf Hitler in tausendfachem Echo widerhallten. Brand, Dünserberg, Warth und Lech zählten mit durchwegs 100 Prozent zur absoluten Spitze. (Thüringerberg hieß damals Blumenegg ). Vor Weihnachten zelebrierte die NSDAP das Bekenntnis zu Volk, Reich und Führer nochmals mit der feierlichen Überreichung von Abstimmungsurkunden durch die NSDAP-Kreisleiter. Die Ortsgruppenleiter, Ortsgruppenstäbe und Bürgermeister der Gemeinden Dalaas, Klösterle, Lech und Warth wurden für den 18. Dezember 1938 in die Bahnhofsrestauration in Langen am Arlberg bestellt. Für die Parteigenossen aus Lech fiel die Bescherung jedoch enttäuschend aus. Die Lecher Urkunde mag Kreisleiter Hammerbacher, der in Oberlech das Hotel Goldener Berg besaß, auch persönlich gekränkt haben. Zuerst wohl fernmündlich, jedenfalls aber schriftlich wandte er sich im Dienstweg an die Gauleitung des NSDAP-Gaus Tirol Vorarlberg in Innsbruck. Er ersuchte darum, sich in Wien um die Richtigstellung der Abstimmungsurkunde der Gemeinde Lech zu bemühen: Bei der Übergabe der Abstimmungsurkunde an die Gemeinde Lech stellt diese zur Verwunderung fest, dass als Abstimmungsergebnis 99,27 % genannt ist, während in Lech tatsächlich alle 100 %ig mit ja gestimmt hätten. Es ist allerdings richtig, dass bei den Wintersportgästen, die sich zur Zeit der Wahl in Zürs und Lech aufhielten, 2 Reichsdeutsche mit nein gestimmt haben. Es kann aber nicht der Sinn der Abstimmungsurkunde sein, die Gemeinde Lech mit diesen 2 Neinstimmen von Wintersportgästen zu belasten und ich bitte Sie daher nochmals an die Kanzlei des Gauleiters Bürckel die Bitte zu richten, dass die Abstimmungsurkunde für die Gemeinde Lech neu ausgefertigt wird und nicht nur die Wahlbeteiligung sondern auch das Abstimmungsergebnis mit 100% eingesetzt wird. Da ich am Abstimmungstag selbst in der Gemeinde Lech anwesend war und die Ergebnisse geprüft hatte, so stehen die Angaben des Ortsgruppenleiters und des Bürgermeisters ausser allem Zweifel. 282

5 Nachdem die Gemeinde Lech sich nationalsozialistisch hervorragend geführt hat, wäre es eine Benachteiligung derselben, wenn sie hinter andere, weniger nationalsozialistisch eingestellte Orte zurückgestellt würde. Ergebnisse der österreichischen Abstimmung Gemeinde Stimmberechtigte Ja Nein Ungültig Beteiligung Ja /Stimmberechtigte Ja /gültige Stimmen Damüls ,1 93,0 96,7 Mittelberg ,9 97,0 99,5 Schröcken ,0 97,4 99,3 Warth ,0 100,0 100,0 Dünserberg ,0 100,0 100,0 Laterns ,7 99,4 99,7 Blons ,5 99,5 100,0 Blumenegg ,0 99,0 99,0 Brand ,0 100,00 100,0 Bürserberg ,0 99,6 99,6 Fontanella ,2 93,2 95,9 St. Gerold ,6 98,6 100,0 Lech ,0 100,0 100,0 Raggal ,8 97,2 99,3 Sonntag ,0 95,7 97,6 Silbertal ,1 98,1 100,0 Vorarlberg ,6 96,7 98,1 Ergebnisse reichsdeutscher Ortsstimmkommissionen Gemeinde Stimmberechtigte Ja Nein Ungültig Beteiligung Ja /Stimmberechtigte Ja /gültige Stimmen Damüls ,0 100,0 100,0 Mittelberg ,8 98,6 99,3 Schröcken ,0 100,0 100,0 Warth ,0 100,0 100,0 Lech ,0 98,1 98,7 Für reichsdeutsche Stimmberechtigte waren besondere Ortsstimmkommissionen eingerichtet worden. Ihre Stimmen wurden für die reichsdeutsche Abstimmung erfasst. Für sie waren weiße oder gelbli- 283

6 che Stimmzettel vorgesehen, für Österreicher grüne, für Soldaten blaue. Die reichsdeutschen Wähler in der Gemeinde Lech einschließlich Zürs waren eingeladen, ihre Stimmen im Gemeindehaus abzugeben. Tatsächlich stimmten zwei der Gäste mit Nein. Das Votum der Reichsdeutschen hatte aber auf das Ergebnis der österreichischen Abstimmung keinen Einfluss. Auch in Damüls, Warth und Schröcken wurden Ortsstimmkommissionen für Reichsdeutsche eingerichtet, in Mittelberg gleich fünf. In Mittelberg waren mehr Reichsdeutsche stimmberechtigt als Österreicher, und das waren nicht nur Gäste. Von stimmberechtigten Reichsdeutschen benötigten 457 keinen Stimmschein (Wahlkarten), hatten also einen Wohnsitz in der Gemeinde. In den Gemeindeergebnissen zur österreichischen Abstimmung sind in geringem Umfang auch auswärtige Österreicher enthalten, die mit Stimmscheinen legitimiert waren. Für Warth konnte das Tagblatt eine doppelte Jubelmeldung verbreiten: Nicht nur die Einheimischen, auch die Reichsdeutschen hätten einstimmig für den Führer gestimmt. Glaublich 50 Wintergäste hätten trotz stürmischen Winterwetters den Weg von Hochkrumbach nach Warth nicht gescheut. Am 9. Jänner 1939 leitete die Kanzlei des Gauleiters Hammerbachers Antrag befürwortend an den zuständigen Abteilungsleiter des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich in Wien weiter. Am 13. Jänner 1939 teilte der mit, dass an der Lecher Abstimmungsurkunde leider nichts geändert werden könne. Ulrich Nachbaur Quellen: Vorarlberger Landesarchiv: AVLReg II-1057/1939; Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik: ZNsZ RK Materie 4510/1, fol ; Vorarlberger Tagblatt , , , ,