Die Passion des Erlösers nach dem Evangelisten Matthäus

Transkript

1 Die Passion des Erlösers nach dem Evangelisten Matthäus Christian Hambsch, Dipl.-Theol., selbst ehemaliger Domspatz und seit vielen Jahren hauptberuflicher Präfekt und Chortheologe, hat anlässlich der Aufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach im Jahr 2006 deren Botschaft in einem Dialog mit dem Sopranisten Maximilian Franz vor dem Chor der Regensburger Domspatzen vorgetragen C: Mit der genialen Musik der Matthäuspassion von Bach stehen wir nun im Schatten des Kreuzes und blicken empor zum Licht der Welt. M: Ja, aber eine Frage lässt mich beim Singen einfach nicht los: Warum? - Warum hat Gott das alles getan? C: Um deine Frage zu beantworten, sollten wir ganz vorne anfangen! M: Wo vorne? C: Bei der Erschaffung der Welt, denn schon hier zeigt sich, dass Gott seine Liebe uns schenken wollte. M: Weil Gott uns liebt - das ist dann die Antwort auf die Frage, warum unser Universum entstand. C: Und Er wollte, dass auch wir lieben können. Schau: Kannst du dich an den Namen Gottes erinnern? M: Den Moses erfahren hat? C: Genau, Jahwe der Gottesname versichert uns, dass der Schöpfer der Welt der ist, der für uns da ist. M: Ich glaube, dass vielen Menschen das gar nicht richtig bewusst ist. C: Um uns Menschen aus unseren Ängsten und Unsicherheiten zu befreien, geschah genau deshalb das unfassbare Geheimnis von Weihnachten! M: Gott wird Mensch?! Ich glaube, dass auch das viele nicht wirklich begriffen haben. C: Siehst du, du fragst nach dem warum - all das hätte Gott doch schon nicht tun müssen. M: Aber Er wollte es tun. C: Für uns! Aber Seine Liebe endet nicht. Und so sind wir im mächtigen Eingangschor unserer Passion. Als Jesus einmal gefragt wurde, warum seine Jünger nicht fasten, sagte er, dass die Hochzeitsgäste nicht trauern könnten, solang der Bräutigam noch bei ihnen ist; es aber Tage kommen werden, da der Bräutigam ihnen genommen ist, dann werden sie fasten. M: Dann ist der Bräutigam von dem wir singen Jesus und die Töchter, die klagen sollen, sind wir?

2 C: Richtig, die Schönste der Frauen aus dem Hohelied 6,1 wurde mit der Tochter Zion, dem erwählten Volk Gottes gleichgesetzt. Durch Christus sind wir nun alle eingeladen, Ihn zu suchen. M: Aber wir singen ja, dass wir den Bräutigam sehen sollen wie ein Lamm? C: Ja, denn der Sohn Gottes stirbt an dem Tag, an dem die Paschalämmer geschlachtet werden. M: Die Lämmer, die an die Befreiung der Israeliten durch Gott aus Ägypten erinnern? C: Richtig, und das ist wirklich kaum zu begreifen, denn wie heißt es im Eingangschor: sehet, fasset die Geduld wie viel Geduld hat Gott mit uns: Alle unsere Opfer, alles was wir Gott geben können ist nur Staub und Schatten vor seiner Herrlichkeit; aber wieder ist es Jesus, der unser Versagen in unsere Stärke verwandelt: Da Er sich selbst gab, erwies Er uns Seine Liebe bis zur Vollendung. M: So weit geht Seine Liebe zu uns? C: Wie sagt Jesus: ich bin der gute Hirte, der sein Leben hingibt für seine Schafe! Ja, Er gibt sein Leben, damit wir wirklich glücklich leben können. M: Dann wurde Christus, der gute Hirt, für uns sogar selbst ein Lamm. C: Das wahre Paschalamm - ja. Und so sind wir schon mitten im Letzten Abendmahl. Bei diesem Mahl Jesu mit Seinen Jüngern nimmt Er Seine freiwillige Selbsthingabe nimmt vorweg, wenn Er uns zusagt: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Jesus stiftet einen Neuen Bund! Das hat auch Bach mit der Hilfe von Zahlensymbolik vertont, denn nach protestantischer Zählung hat das Alte Testament 39 Bücher und das Neue Testament 27. Das Jesuswort Das ist mein Blut des Neuen Testaments wird nun im 27. Takt eines Rezitativs gesungen, das insgesamt 39 Takte umfasst. M: Das ist ja cool; kommt das öfter vor? C: Ja, noch ein Beispiel: Die Frage der Jünger, Wo willst du, dass wir dir bereiten das Osterlamm hat ganze 11 Takte, eben die 11 Jünger ohne Judas. Nicht nur das Letzte Abendmahl, sondern das gesamte Leben Jesu wird von Matthäus oft im Blick auf das Alte Testament gesehen und so erinnert Matthäus auf dem Weg zum Ölberg an ein Wort des Propheten Sacharja 13,7: Schlag den Hirten, dann werden die Schafe sich zerstreuen. Tatsächlich wurde Jesus von Petrus verleugnet und von den Jünger bei seiner Kreuzigung allein gelassen. M: Dann wird erst bei der Auferstehung Gott wieder selbst seine Schafe zusammensammeln. C: Mit dem Choral Ich will hier bei dir stehen übernehmen wir die Rolle der Jünger: Jetzt ist es an uns, zu Jesus zu stehen. M: Jesus sagt auf dem Ölberg zu seinen Jüngern auch, dass Seine Seele betrübt ist, bis in den Tod;

3 C: und wieder werden wir im Choral Was ist die Ursach aller solcher Plagen an deine erste Frage erinnert: wir sind wieder beim warum. M: Vielleicht, weil Gott uns beweist, dass seine Liebe sogar bis in den Tod geht - wäre es nicht leichter, einfach das Leid abzuschaffen? C: Einfacher ja, aber was ist dann? Leid entsteht oft aus Freiheit, die Gott uns und seiner Schöpfung geschenkt hat, damit wir und die Welt keine Marionetten sein müssen. Durch dieses Geschenk aber liegt es in unserer Freiheit dem Leid in unserer Welt keine Chance zu geben; und Gott hilft uns dabei mit seiner Gnade mehr als wir oft zu spüren bereit sind. M: Um uns im Leid zu trösten, leidet Christus für uns. C: Und nicht vergessen: Die Wurzel vieler Sünden ist unser falscher Stolz, denn dadurch entstehen Neid, Eifersucht, Hass, Enttäuschung und Wut und zuletzt wieder Leid. Christus hat uns aber in seiner Passion einen großartigen Weg gezeigt: Der Sohn Gottes beugt sich zu uns nieder. Er, der wahrhaft Größte erniedrigte sich, damit wir Kleine seine Liebe spüren und weitergeben können. Wie sagt Jesus: Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. M: So zeigt uns ja Christus mit seinem Leben und Sterben wie wir zu anderen Menschen sein könnten?! Dann müssten wir uns aber oft ganz anders verhalten! C: Beginnen wir doch einfach bei uns selber, denn unsere Welt braucht die sich verschenkende Liebe mehr als je zuvor. M: Stimmt, scheinbar zählt kaum noch Mitgefühl, sondern nur noch Geld und Macht und unsere Schöpfung zerstören wir auch. C: Nun betet am Ölberg Jesus zu seinem Vater, dass der Kelch, wenn es möglich wäre, an ihm vorüberginge, aber der Wille des himmlischen Vaters geschehen möge. Im sich anschließenden Choral was mein Gott will, das gescheh allzeit greifen wir dieses Gebet auf, denn wer Gott vertraut, fest auf ihn baut, den will er nicht verlassen. Wie sagt Jesus in Mt 28,20: ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt! M: Und jetzt gleich wird Jesus gefangen genommen. C: Bach lässt den 1. Teil der Matthäuspassion mit dem beeindruckenden Choral O Mensch bewein dein Sünde groß enden, der uns nochmals aufweckt, damit wir begreifen, dass der Sohn Gottes Mensch wurde für uns... M: für uns er hier geboren ward! C: und in unserem Leid und Tod nicht das Ende ist, sondern das Leben uns verwandelt gegeben werden wird... M: den Toten er das Leben gab!

4 C: und das obwohl wir Menschen doch so schwach sind! Schau, während des Verhörs Jesu vor dem Hohen Rat verleugnete Petrus seinen Meister. M: Gott baut auf uns, trotz unserer Schwächen. C: In dem Choral Bin ich gleich von dir gewichen singen wir das Motiv der Güte Gottes: Ich verleugne nicht die Schuld; aber deine Gnad und Huld ist viel größer als die Sünde. M: Und unsere menschliche Schwäche zeigt sich auch während der Verhandlung vor Pilatus, denn bei der Wahl zwischen Barabbas und Jesus wird sich sogar für Barabbas entschieden. C: Der Name Barabbas, von Bach in schrillen Dissonanzen vertont, bedeutet übrigens Sohn des Vaters: Abba so hat Jesus seinen himmlischen Vater immer angesprochen; auch beim Ölberggebet. Die Masse entscheidet sich also lieber für einen wirklichen Verbrecher als für den wahren Sohn des himmlischen Vaters. M: Kaum zu glauben, dass die Ankläger die Kreuzigung Jesu fordern! C: Wir sind wieder bei unserem warum! Wie antwortet doch der folgende Choral so treffend: Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe. M: Der gute Hirte leidet als wahres Paschalamm für uns?! So viel schenkte uns Gott, nur damit auch wir schenken können? C: Auf die Frage von Pilatus, warum denn Jesus gekreuzigt werden soll, bietet uns Bach ein Rezitativ, welches das Wirken Christi in Erinnerung ruft: Er hat uns allen wohlgetan, den Blinden gab er das Gesicht, die Lahmen macht` er gehend und die Sopranistin wird enden mit den beinahe ironisch anmutenden Worten sonst hat mein Jesus nichts getan. M: Und die Arie, die sich jetzt anschließt erinnert wieder an die Antwort auf die Frage nach dem warum : aus Liebe will mein Heiland sterben. C: Für uns! Besser wie dies Bach hier gelingt, kann man unsere Erlösung durch Christus nicht auf den Punkt bringen. M: Aber ich verstehe nicht wie man so grausam sein Blut komme über uns und unsre Kinder schreien kann. C: Matthäus schreibt sein Evangelium nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.chr. Diese Zerstörung wurde als Folge der Ablehnung Jesu verstanden. Aber Bach sah auch etwas, das viel weiter reicht: Das Blut des Erlösers soll wie ein Segen über uns alle und unsere Kinder kommen. M: Auch die furchtbare Geißelung will ich mir nicht wirklich vorstellen. C: Pro nobis für uns! Immer wenn wir uns im Leid sehen müssen, wissen wir, dass Christus für uns gelitten hat. Schau die Dornenkrone an! Der König der Könige steht vor den Menschen verhöhnt. Nun tröstet Er uns in unseren Verspottungen.

5 M: So groß ist die göttliche Liebe? C: Größer als uns oft bewusst ist. Der uns vertraute Choral O Haupt voll Blut und Wunden schildert uns aber auch, wie groß unsere menschliche Grausamkeit sein kann: Er, der Liebe schenkte, wird mit Dornen beschenkt und bleibt dennoch der Erhabene! M: Die Menschen haben seine Liebe aber nicht verstanden, sondern ihn gekreuzigt. C: Wenn auch unser Herz durch verletzende Worte oder Taten durchbohrt wird, dann können wir durch die Nägel mit denen Christus durchbohrt wurde, neue Hoffnung finden... M: da eben nicht alles verloren ist... C: und wir müssen vermeiden anderen Nägel in ihre Seele zu schlagen, denn wie sagt Jesus... M: was ihr anderen getan habt, habt ihr mir getan. C: Aber wie schwer uns Menschen es fällt, anderen Gutes und nicht Übles anzutun, zeigt ja auch der bedenkenswerte Satz im Rezitativ der Kreuzigungsszene: Der Schöpfer Himmels und der Erden soll Erd und Luft entzogen werden. Aber die Barmherzigkeit des Schöpfers ist zu unserem Glück bedingungslos! Sehet, Jesus hat die Hand, uns zu fassen, ausgespannt so besingt die folgende Arie das rettende Kreuz; unsere Suche nach dem wohin in unserem Leben gelangt dort ans Ziel. M: Nur, wieso schreit Jesus Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? C: Jesus intoniert damit die ersten Worte des Psalms 22 und stirbt damit mit einem Gebetsruf auf seinen Lippen. Hier erscheint wiederum unser warum, denn dieser Psalm sieht im tiefstem Leid das sichere Vertrauen auf Gott. Das wohl letzte historische Wort Jesu ermahnt uns also, niemals in unserem Leben den Blick von Gott abzuwenden. M: Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir... C: wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein. M: Dann wird die Auferstehung entgültig zeigen, dass Gott uns rettet. C: Wenn wir am Ende sind, wird der Schöpfer uns erneut an der Hand packen und aus der Tiefe reißen! M: Unfassbar, dass Christus sogar für uns in die Finsternis des Todes hinabstieg - aber das Grab ist also nicht das Ende... C: sondern über dem Grab steht schon die Sonne der Auferstehung. Der Ostermorgen ist nicht mehr fern! M: Gott hat uns vergeben! Dann liegt es jetzt an uns, einander ebenso zu vergeben!

6 C: Nun, im Singen und Hören der Matthäuspassion stehen wir eben im Schatten des Kreuzes und blicken empor zu Ihm, der die Auferstehung und das Leben ist. M: Ja nur hat sich meine Frage warum Gott das alles getan hat in ein Staunen verwandelt: In ein Staunen über Seine grenzenlose Liebe.