Fertigungstechnik für Wirtschaftsingenieure

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1 Reinhard Koether, Wolfgang Rau Fertigungstechnik für Wirtschaftsingenieure ISBN-10: ISBN-13: Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter sowie im Buchhandel

2 Steigerung von Flexibilität und Produktivität 10.2 Verku rzung der Hauptzeit Die Gestaltung der Fertigungsprozesse mit minimaler Hauptzeit ist die klassische Kernaufgabe der Fertigungstechnik. Der technische Fortschritt bei Schneidstoffen wird z. B. durch höhere wirtschaftliche Schnittgeschwindigkeiten dargestellt, die kürzere Hauptzeiten ermöglichen. Maßnahmen zur Verkürzung der Hauptzeit sind: Klassische Optimierung durch Verfahrensauswahl (z. B. Vorbearbeitung durch Schmieden oder Vorbearbeitung durch Spanen aus dem Vollen), Wahl der Verfahrensparameter, z. B. maximale Schnittleistung (vgl. Kap. 4.1), Auswahl der Werkzeuge (z. B. Fräserdurchmesser); Formwerkzeuge (Bild 10.3), Mehrere Werkzeuge gleichzeitig im Eingriff, Regelsysteme, Adaptive Control zur Maximierung der Schnittleistung, zur Minimierung von Fertigungstoleranzen (Minimierung von Geometriefehlern). Beispiele für Formwerkzeuge sind: Drehen: Formdrehmeißel Bohren: Stufenbohrer Blechbearbeitung: Feinschneiden anstatt CNC-Stanzzentrum Umformen: Gesenkschmieden anstatt Freiformschmieden Beispiele für Bearbeitungen, bei denen mehrere Werkzeuge gleichzeitig im Eingriff sind: Mehrspindelbohrkopf, Mehrschlittendrehmaschine (Bild 10.4). Regelsysteme zur Maximierung der Schnittleistung können die Prozessparameter so regeln, dass die Belastungen unter einem Grenzwert bleiben. Normalerweise werden die Prozessparameter eher vorsichtig gewählt, weil bei der Berechnung nicht alle Einflüsse berücksichtigt werden. Bei der Berechnung der Schnittkraft werden z. B. Verschleiß, Schmierung oder Unregelmäßigkeiten im Werkstoff nicht berücksichtigt, obwohl sie Einfluss auf die Schnittkraft haben. Mit einem Regelsystem kann der Vorschub so angepasst werden, dass die Schnittkraft maximiert wird, aber unter einem Grenzwert bleibt. Die Zeitersparnis beim Schruppen beträgt ca. 20 bis 30%. Der dazu notwendige Schnittkraftaufnehmer wird auch als Sensor eingesetzt, um Werkzeugbruch zu erkennen (vgl. Kap. 10.6).

3 10.2 Verkürzung der Hauptzeit 353 Bild 10.3: Formwerkzeuge verhelfen Folgeverbundwerkzeugen zu hoher Mengenleistung (Schuler Pfleghar Werkzeugsysteme) Bild 10.4: Bearbeitungsraum einer Mehrschlittendrehmaschine, an der Hauptspindel sind zwei Werkzeuge gleichzeitig im Eingriff; zusätzlich wird an der Gegenspindel (oben) ein weiteres Werkstück bearbeitet (INDEX)

4 Steigerung von Flexibilität und Produktivität Zum Einsatz von Regelsystemen zur Minimierung der Fertigungstoleranz muss das Werkstück während der Bearbeitung vermessen werden. Der Regler beeinflusst dann z. B. die Schnitttiefe, um den Werkzeugverschleiß auszugleichen. Die automatische Verschleißkorrektur vieler CNC-Steuerungen ist kein Regelsystem, sondern korrigiert den verschleißbedingten Schneidenversatz zeitgesteuert ohne Geometriemessung Verku rzung der Nebenzeit Durch die großen Erfolge bei der Verkürzung der Hauptzeit werden die Nebenzeitanteile in der Maschinenbelegungszeit relativ höher. Maßnahmen zur Automatisierung der Nebentätigkeiten verkürzen nicht nur die Nebenzeiten, sondern sind Voraussetzungen für längere Maschinenlaufzeiten ohne Werkereingriff. Sie erlauben damit Mehrmaschinenbedienung und steigern so die Produktivität. Nebenzeiten fallen während der Bearbeitung jedes Werkstücks an, vorwiegend für Werkzeugwechsel, z. B. von spanenden Werkzeugen, Werkstückwechsel. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, die Nebenzeitanteile der Hauptnutzungszeit t e zu verkürzen: Nebentätigkeiten während der Hauptzeit ausführen (hauptzeitparallel), Nebenzeiten direkt verkürzen Verku rzung der Werkstückwechselzeit Beim Fräsen ermöglichen Spannstationen außerhalb des Bearbeitungsraums, die wesentlichen Tätigkeiten zum Werkstückwechsel hauptzeitparallel auszuführen. Einrichtungen dazu sind: Pendelbearbeitung: Der Aufspanntisch hat Platz für zwei Werkstücke, die Frässpindel bearbeitet ein Werkstück, während das andere gespannt wird. Nach der Bearbeitung führt die Spindel zum anderen Werkstück zur Bearbeitung. Die Fräsmaschine kann auch große Werkstücke bearbeiten, dann allerdings ohne hauptzeitparallele Werkstückwechsel (Bild 10.5). Drehtisch: Anstelle eines Aufspanntisches ist ein Drehtisch mit zwei Spannplätzen an die Fräsmaschine montiert. Wie bei der Pendelbearbeitung kann ein Werkstück gespannt werden, während ein anderes bearbeitet wird. Zum Werkstückwechsel dreht der Drehtisch um 180 (Bild 10.6). Spannpalette: Die Werkstücke werden auf Spannpaletten unabhängig von der Maschine an eigens gestalteten Spannplätzen gespannt. Die vorbereiteten Paletten werden in einem Regal oder einem Umlaufspeicher gepuffert und zur Maschine transportiert. Die Palette hat maschinenseitig eine Standardbefestigung, sodass sie schnell und genau im Bearbeitungsraum befestigt werden kann. Der Palettenwechsel selbst läuft automatisch ab. Durch Spannpaletten lassen sich auch mehrere Werkstücke vorbereiten, so dass damit längere bedienerlose Bearbeitungszeiten möglich werden (z. B. Pausendurchlauf oder bedienerlose Nachtschicht).

5 10.3 Verkürzung der Nebenzeit 355 Bild 10.5: Maschinen zur Pendelbearbeitung haben zwei Bearbeitungsräume, die auch verbunden werden können, um lange Werkstücke zu bearbeiten (Deckel Maho) Bild 10.7: Bearbeitungszentrum mit Drehtisch (Hermle)

6 Steigerung von Flexibilität und Produktivität Maßnahmen zur direkten Beschleunigung des Werkstückwechsels sind: Automatischer Werkstückwechsel Abschneiden der Werkstücke aus einem positionierten Rohteil (z. B. Drehen oder Fräsen von der Stange (Bild 10.7), Blechbearbeitung mit Folgeverbundwerkzeug, Blechteile aus einer Blechtafel ausschneiden), Werkstückwechsel mit Greifer am Revolver oder Roboter (Bild 10.8) Werkstückwechsel durch bewegliche Spindel (vgl. Bild 7.47) Verkürzung der Positionierung (Lagebestimmung) durch Anschläge, Aufnahme- und Spannvorrichtungen (ggf. aus Vorrichtungsbaukasten) Verkürzung und Vereinfachung der Befestigung Spannvorrichtung mit zentraler Betätigung (ein Befehl spannt mehrere Spannzylinder), z. B. hydraulische Betätigung, Schnellspanner, z. B. Kniehebelspanner Verku rzung der Werkzeugwechselzeit Werkzeugwechsel kann Rüsttätigkeit oder Nebentätigkeit sein. Rüsten entsteht einmal pro Fertigungsauftrag, z. B. beim Wechseln von Presswerkzeugen oder Vermessen von spanenden Werkzeugen. Nebenzeiten für Werkzeugwechsel entstehen dagegen bei jedem Werkstück, z. B. beim Wechseln eines Fräsers. Besonders beim Fräsen und Bohren werden viele verschiedene Werkzeuge gebraucht, um die Hauptzeiten zu minimieren. Je größer der Fräser desto kürzer die Hauptzeit: desto kürzer der Bearbeitungsweg, desto größer ist die Vorschubgeschwindigkeit bei gleichem Vorschub pro Zahn, weil der Fräser eine größere Anzahl Schneiden tragen kann. Um die Nebenzeit für den Werkzeugwechsel zu messen, geben Maschinenhersteller häufig die Span-zu-Span-Zeit an, die Zeit, die für die Eilgangbewegungen und den Werkzeugwechsel benötigt wird, bis das nächste Werkzeug wieder Späne abtrennt. Häufige Lösungen zum automatischen Werkzeugwechsel an Fräsmaschinen sind: Werkzeugwechsel durch bewegliche Frässpindel: Einsatz bis ca. 30 Werkzeuge, wenig Aufwand für Werkzeughandhabung: Linear-Magazin (häufig kombiniert mit Pendelbearbeitung), Teller-Magazin; Werkzeugwechsel durch Doppelgreifer, Werkzeugbereitstellung im Kettenmagazin: Einsatz bis ca. 200 Werkzeuge möglich, schnelle Doppelgreifer beschleunigen den Werkzeugwechsel (Bild 10.9); Werkzeugwechsel durch Portalroboter, Werkzeugbereitstellung auf Werkzeugpalette: Durch Palette unbegrenzte Anzahl von Werkzeugen, einfache Bereitstellung der Werkzeuge an der Maschine, Portalroboter erfordert aber zusätzlichen Aufwand. Linear- und Tellermagazine werden auch in CNC-Stanzmaschinen verwendet.

7 10.3 Verkürzung der Nebenzeit 357 Bild 10.7: Drehbearbeitung von der Stange vereinfacht den Werkstückwechsel (TRAUB Drehmaschinen) Bild 10.8: Die Vertikaldrehmaschine wechselt die Werkstücke mit Greifern an beiden Werkzeugrevolvern (EMAG) Bild 10.9: Werkzeugwechselsystem für Fräswerkzeuge: Kettenmagazin mit Doppelgreifer (Alzmetall)