Predigt ü ber Jesaja 35,3-10 am 2. Advent in Benningen

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1 Predigt ü ber Jesaja 35,3-10 am 2. Advent in Benningen von Pfarrer z. A. Martin Weigl Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen; sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. (Antoine de Staint-Exupéry) Ich weiß nicht, liebe Gemeinde, was in ihnen die Sehnsucht weckt, ob es eine Stadt ist, eine Region, ein Land, vielleicht auch ein bestimmtes Essen, ein Freundeskreis oder ein ganz bestimmter Mensch. Sehnsucht glimmt in jeder und jedem von uns. Mit dem heutigen Predigttext will Gott in uns die Sehnsucht wecken, die Sehnsucht nach seinem Wiederkommen in diese Welt, nach dem 2. Advent. Denn das ist das Thema am 2. Advent, dass sich der Blick von dem Warten auf die Krippe, vom 1. Advent, hebt zur 2. Ankunft Jesu am Ende aller Tage. Ich lese aus dem Propheten Jesaja im 35. Kapitel: Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen:»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird

2 dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jes 35, 3-10) Liebe Gemeinde, das ist die Große Zukunftsansage Gottes. Orte, Szenarien, die unsere Sehnsucht wecken wollen, unsere Sehnsucht nach einer besseren, einer heilen Welt. Zugleich sind das Orte, die wir uns so nicht vorstellen können, Utopien, des Friedens im wahrsten Sinne des Wortes. U-Topie das heißt wörtlich kein Ort. Und ich muss ehrlich zugeben, ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei uns einmal so zugehen wird. Und damit meine ich nicht, dass ich es mir nicht vorstellen kann, weil die Utopie als Platz die Wüste hat und wir gerade eher im Schnee versinken. Aber dieser umfassende Friede in der Wüste der fällt mir schwer zu glauben. Vielmehr sehe ich die Wüste. Wüste ist nicht immer ein Fotomotiv für traumhaft schöne Bildkalender, sondern ein trostloser und mitunter gefährlicher Ort. Solche Wüsten wachsen draußen wie drinnen. Befinde ich mich auf meiner Lebensreise augenblicklich in einer Wüste? Einem Ort, der wüst und leer ist? Manchmal wird man mit den inneren Wüsten nicht alleine fertig, rennt an gegen Hartgewordenes und Unfruchtbares an. Sehnt sich nach Regen, der die Wüsten in fruchtbares, blühendes Land verwandelt.

3 Ich gestehe: In mir ist es mitunter auch wüst und leer. Alle Jahre wieder werden fromme Vorsätze aufgestellt und verpuffen alsbald wieder: Dürre Wüsten in mir kann ich nicht auf Befehl in fruchtbares Land verwandeln. Zur Besinnung auf das Wesentliche kann ich mich nicht zwingen. Gerade deshalb brauche ich Sehnsuchtsbilder, brauche ich die Sehnsucht und die Bestätigung, dass es die Weite gibt, den Zuspruch, dass ich sehen werde, wo ich blind bin, dass ich Wege auf Wegen springen kann wie ein junger Hirsch, auf denen ich Lahme, dass ich hören werde, auf den Ohren, auf denen ich bisher taub bin. Aber auch äußere Wüsten kommen mir in den Sinn, Not, Gewalt und Armut rings um den Globus und auch bei uns hier in Benningen. Ohne Visionen verwildert ein Volk, heißt es in den Sprüchen Salomos (29,18). Deshalb trommelt uns Gott heute nicht zusammen, damit wir Holz sammeln für ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, und Aufgaben verteilen, sondern er will in uns die Sehnsucht wecken, damit wir in der besinnlichen Zeit zur Besinnung kommen. Zur Besinnung kommen für unsere inneren wie äußeren Wüsten. Darum ist es gut, dass mir Gottes Wort heute nicht noch zusätzlich die Schweißtropfen auf die Stirn treibt. Gottes Wort spricht von einem geschenkten Ort. Gestaltungswille und Gestaltungskraft sind wichtige Gottesgaben; aber ich kann Gottes Kommen nicht herbeizwingen. ER sorgt für das Kommen der dieser Utopie und bahnt sich unerwartet und ungefragt Zugänge zu mir, auch in meine Wüsten. Nicht umsonst erzählt das Alte Testament von einem Gott, der das Volk Israel in der Wüste begleitet und führt, raus aus der Wüste, hinein in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.

4 Wir Christen geben dieser Vision einen Namen: Jesus Christus. Advent ist Zeit, sich bereitzuhalten für eine große Ankunft, für sein Entgegenkommen. Und darum heißt es heute nicht: Baut! Sondern: Seht! Entdeckt etwas Neues! Tut eure Augen auf für Gottes Werk! Lenkt euren Blick nach vorne, nach oben! Ruft einander zu: Habt Augen für IHN. Dort, unser Gott! Mitten unter uns! Kann ich, dir, Gott, solche Hoffnungsbilder glauben? Die blühende Wüste? Werde ich sie wahrnehmen, die Wende? Den, der die Tür aufschließt in das Paradies? Halte ich Gottes sanfte Annäherung noch für möglich? Und die wichtigste Frage zum Schluss, will ich das überhaupt. Habe ich mich nicht vielleicht ganz gut eingerichtet darin, dass Schakale in der Steppe sind und nicht Gras und Rohr und Schilf, weil ich selbst auf der Lauer liege. Möchte ich nur die Erlösten auf dem Weg gehen sehen und nicht auch Löwen und reißende Tier, weil ich selbst den Löwen in mir kenne? Und vor allem sehne ich die große Sehnsucht Gottes wirklich herbei, wenn es heißt: Gott kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen?

5 Ich meine, dies ist wirklich bedenkenswert, will ich überhaupt, dass so ein Rache-Gott kommt, nicht dass er auch an mir Rache nimmt, denn ich hab sicher auch nicht alles richtig und gut gottgewollt getan in meinem bisherigen Leben. Beides schließt sich nicht aus, und keine Angst, ich versuche keine Schreckensbilder auszumalen, weil es nichts zum Fürchten gibt. Wenn Gott zur Rache kommt, schreibt Jesaja, dann um uns zu helfen. Gottes Rache bezieht sich nicht auf uns Menschen, sondern auf die Zustände, die nicht in Ordnung sind. Gottes Rache gilt nicht uns, sondern unseren Verstrickungen in menschenunwürdige Zustände. Deshalb geht es nicht um Strafe, deshalb sagte ich, das ist so ein Hoffnungstext, der Sehnsucht weckt nach der großen Weite, nach dem weiten Meer der Liebe Gottes, weil ich mich nicht ständig fragen muss, Bin s ich?. Sondern Gott schildert uns seine Vision für ein heilvolles Leben. Es kommt von Gott, aber das heißt nicht, dass wir bis dahin Däumchen drehen müssen. Wir dürfen auch jetzt schon dem entgegenstreben, auch wenn wir wissen, vollendet wird diese Vision nicht von Menschen, sondern von Gott. Darauf warten wir auch im Advent, besonders am 2. Advent: Nicht nur auf Jesus als kleines Kind in der Krippe, sondern auch auf Jesus, der wiederkommen wird, damit sich Wüsten in blühende Landschaften verwandeln. Hier auf Erden ist es eine Utopie, hat keinen Ort, seinen Ort hat sie durch Gott. Amen.