Als ich einmal das Fenster vom Großen Wagen öffnete
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- Inge Kraus
- vor 7 Jahren
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2 MONSUN THEATER
3 Als ich einmal das Fenster vom Großen Wagen öffnete Jochen Schramm Eine Reise durch die Weiten des Universums ist eine spannende Angelegenheit. Die Reise des Lichts mit einer Geschwindigkeit von knapp km pro Sekunde erreicht in etwa einer Sekunde den Mond, in knapp 8 Minuten die Sonne und nach einem Tag hat man das Sonnensystem hinter sich gelassen. Zum nächsten Stern sind es immerhin schon locker 4 Jahre. Zum Zentrum unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, sind es aber gigantische Jahre bis unser Licht dort einschlägt und bis das Licht am anderen Ende aus der Milchstraße herauskommt braucht es noch einmal Jahre. Die Andromeda-Galaxie, unsere Nachbargalaxie mit der wir eine kleine Galaxiengruppe bilden, ist nur eben mal zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernt und so lange müssten wir mit der Geschwindigkeit des Lichts reisen, bis unsere Taschenlampe dort gesehen werden kann. Das ganze sichtbare Universum erstreckt sich von uns in alle Richtungen über 13,5 Milliarden Lichtjahre. Was dahinter kommt rast so schnell davon, dass das Licht uns nicht mehr erreichen kann. Meine Gedanken jedoch sind - zack - schon da. Und problemlos bin ich dahinter. Im Reich der Philosophie oder besser, der Phantasie. Ich kann mir vorstellen mit jeder Art Raumfahrzeug an jeden beliebigen Ort vorzustoßen und das Sichtbare mit den galaktischen Welten meines Denkapparates zu verknüpfen. Fiktion und Wirklichkeit durchmischt sich. Ist Wirklichkeit wirklich wirklich? Oder Fiktion nicht doch real? Als Kind las mir meine Mutter den kleinen Hävelmann von Theodor Storm vor und ich konnte mich scheinbar unendlich amüsieren, wenn der Hävelmann in seinem Bettchen dem Mond über das Gesicht fuhr. Noch mal! Noch mal! Und als kleiner Junge bewunderte ich ein dickes Buch über die Natur des Universums. Mit Bildern vom riesigen 5m-Teleskop auf dem Mount Palomar, von der gigantischen Andromeda Nebel und von schrägen Astronomen, die nachts mit solchen Apparaten den Himmel durchforsteten. Das konnte ich mir gut vorstellen.
4 Später, als ich selber vor eben solchen Teleskopen saß, kam mir der Kleine Hävelmann immer wieder in Erinnerung. Das astrophysikalische Messprogramm war eine Sache, wenn dann aber im Sommer auf den Höhen der Sierra Nevada in Andalusien Nachts um halb Zwei bei lauen Temperaturen ein leichter Nebel über den Berg zog und der wilde Thymian in der weiten Umgebung um die Teleskope durch die geöffnete Kuppelöffnung zog und im Kassettenrekorder die Lieblingsmusik lief, dann rauschten die Gedanken in ungeahnte Weiten. Dann zog man im Reisebett mitten hinein in die Galaxien und Quasare und oft auch einmal darüber hinaus, quer durch das dicke Gesicht des lachenden Urknalls. Die Unendlichkeit, das Nichts, das Alles. Die Zeit, der Raum, die Dimensionen. Die Wirklichkeit. Die Unwirklichkeit. Die Reise der Gedanken kennt keine Grenzen. Eine Reise zum Großen Wagen, oder mit dem Großen Wagen zum Großen Wagen kann auch eine Gedankenreise in die Mythologie der Sternbilder sein. Für mich eine Erinnerung an Philosophie und Wissenschaftshistorie. Bewusst reisen wir zum Großen Wagen und nicht zu den Sternbildern der Ekliptik, um nicht in der Belanglosigkeit der Astrologie zu versanden. Der Große Wagen war das erste Sternbild, welches ich bewusst kennen gelernt hatte. Meine Mutter zeigte es mir irgendwann einmal in einer sternklaren Nacht kurz bevor der Sputnik seine erste Reise durch den Nachthimmel machte. Die Milchstraße lernte ich als helles Band am Himmel kennen und wunderte mich darüber, dass die Deichsel beim kleinen Wagen falsch herum gebogen war. Das Reiterlein oder Augenprüfer war als kleiner Begleiter des mittleren Deichselsterns im Großen Wagen mühelos erkennbar. War es weil die Luft damals klarer war oder ich als kleiner Junge bessere Augen hatte? Egal, der Große Wagen faszinierte mich immer und mit ihm der nahe Polarstern, um den sich alles dreht. Im späteren astronomischen Berufsleben wechselte ich 1988 in die Arbeitsgruppe des Norwegers Sjur Refsdal, dessen Berechnungen zum
5 Gravitationslinseneffekt zu dieser Zeit erhebliche Aufregung verursachte, hatte man doch erwartet, dass all seine Berechnungen rein theoretischer Natur bleiben würden. Ein halbes Jahr zuvor jedoch war die erste reale Linse entdeckt worden: Der Doppelquasar. Und wo wurde er gefunden? Nahe am Hinterrad des Großen Wagen. Ha! Da war er wieder, der Große Wagen. Wissenschaft am Großen Wagen. Da wird einem Bewusst, Wissenschaft ist Flickwerk. Bruchstück an Bruchstück fügt sich irgendwann zu einem einigermaßen schlüssigem Bild. Gelegentlich muss umgestellt werden, bis es dann passt. Daher auch dieses Postkartenflickwerk. Allein machen sie keinen Sinn. Erst in der Gesamtheit fügt es sich zu einer Einheit. Und die Erklärung dazu ist ebenso stükkig. Zusammen ergeben sie diesen Text. Und die Gravitationslinse im Zentrum macht wieder Sinn. Dann wünschen wir uns dann mal Gute Reise!
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