Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels. sexueller Ausbeutung. Helfferich Kavemann Rabe. Eine qualitative Opferbefragung

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1 Zum Inhalt: Eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung der Strafverfolgung der Delikte des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung nach 232 StGB ist die Förderung der Aussagebereitschaft von Opfern. Diese Aussage eines Opfers in Ermittlungs- und Strafverfahren ist voraussetzungsvoll, aber über die Einflussfaktoren sowie die biografischen Voraussetzungen und Prozesse, die einer solchen Aussage vorgelagert sind, ist wenig bekannt. Das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut an der Ev. Hochschule Freiburg führte 2008 bis 2009 im Auftrag des Bundeskriminalamtes eine qualitativ-biografische Befragung von 53 Opfern von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung durch. Sowohl Opfer, die in einem Strafverfahren gegen die TäterInnen ausgesagt hatten, als auch Opfer, die nicht aussagebereit waren und die keinen Kontakt zur Polizei hatten, wurden mit einem Leitfaden interviewt. In der Studie konnte die subjektive Bedeutung von Einflussfaktoren wie u. a. Täterstrategien, polizeiliches Handeln, Migrationsbedingungen und Beratung herausgearbeitet werden und die Aussagebereitschaft in ihrer biografischen Entstehung ebenso wie in ihrer Verankerung in der Interaktion Täter Polizei Opfer rekonstruiert werden. Der Heterogenität der Zielgruppe bezogen auf die Ausbeutungssituation, Migrationsziel, Aufenthaltsstatus, Verfahrensverlauf, Einstellung zu Prostitution etc. wurde Rechnung getragen, indem bei den Auswertungen mehrfach nach Untergruppen (z. B. nach rechtmäßigem Aufenthaltsstatus oder nach Ausbeutungskontexten) differenziert wurde. Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung Helfferich Kavemann Rabe Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung Eine qualitative Opferbefragung ISBN:

2 Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung

3 Polizei + Forschung Bd. 41 Herausgegeben vom Bundeskriminalamt (BKA) Kriminalistisches Institut Beirat: Prof. Dr. Johannes Buchmann Direktor des Center for Advanced Security Research Darmstadt Wolfgang Gatzke Direktor des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Manfred Hennecke Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen Waldemar Kindler Landespolizeipräsident im Bayerischen Staatsministerium des Innern Klaus Neidhardt Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei Prof. Dr. Peter Wetzels Professur für Kriminologie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg

4 Helfferich Kavemann Rabe Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung Eine qualitative Opferbefragung

5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Alle Publikationen der BKA-Reihe Polizei + Forschung (ausgenommen VS-NfD-eingestufte Bände) sind im Internet im PDF-Format unter (Kriminalwissenschaften/Kriminalistisches Institut) eingestellt. Prof. Dr. Cornelia Helfferich Prof. Dr. Barbara Kavemann Ass. jur. Heike Rabe unter Mitarbeit von: M. A. Margit Wagner Rainer Wagner M. A. Heiko Hofmann (alle SOFFI F.) Projektleitung im BKA: Claudia Toll Gerhard Flach Kriminalistisches Institut KI 14 Forschungs- und Beratungsstelle für Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität Alle Rechte vorbehalten 2010 Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Köln. Luchterhand eine Marke von Wolters Kluwer Deutschland. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Satzoffizin Hümmer, Waldbüttelbrunn Druck: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem und chlorfreiem Papier

6 Vorwort Das Bundeskriminalamt hat in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Forschungseinrichtungen vielfältige Anstrengungen unternommen, um eine Verbesserung der Situation von Menschenhandelsopfern zu erreichen. Menschenhandel gehçrt zu den verabscheuungswürdigsten Straftaten überhaupt, da die Täter gezielt die Hilflosigkeit der Opfer ausnutzen und deren Menschenwürde, Freiheit und kçrperliche Unversehrtheit verletzen. Durch oftmals massive physische und psychische Gewalt werden die Opfer gefügig gemacht ein Faktum, das eine besondere staatliche und gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber den Betroffenen begründet. Innerhalb der deutschen Polizei ist Menschenhandel ein zunehmend priorisierter Deliktsbereich. Auch das Bundeskriminalamt hat seine Ermittlungskapazitäten in diesem Bereich vor einigen Jahren erhçht. Neben der Strafverfolgung bezieht dieses kriminalpolizeiliche Engagement auch verstärkte Forschung mit ein. Ziel ist es, durch eine praxisorientierte Forschung den Kenntnisstand der Polizei zu verbessern und diesen Wissenszuwachs für die konkrete Ermittlungstätigkeit zu nutzen. So verçffentlichte das Bundeskriminalamt 2006 die vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und der Wiesbadener Kriminologischen Zentralstelle durchgeführte Studie Straftatbestand Menschenhandel. Eines der wesentlichen Ergebnisse dieser Studie war die Feststellung, dass dem sogenannten Personalbeweis in solchen Strafverfahren ein bedeutender Stellenwert zukommt. Ohne die Mitwirkung der Opfer ist eine erfolgreiche Strafverfolgung von Menschenhandel nahezu aussichtslos. Sie sind jedoch oftmals traumatisiert und eingeschüchtert und daher nicht willens oder in der Lage, mit den Strafverfolgungsbehçrden zu kooperieren. Erfahrungswerte belegen, dass es meist nur stabilisierten und motivierten Opfern gelingt, sich ihren Peinigern im Prozess zu stellen und ihre Leidensgeschichte glaubhaft zu vermitteln. Die Bedeutung des Personalbeweises hat das Bundeskriminalamt in der hier vorgelegten Studie einer vertieften Betrachtung unterzogen. Forschungsleitend war dabei die Frage, welche Faktoren die Kooperations- und Aussagebereitschaft sexuell ausgebeuteter Frauen maßgeblich beeinflussen. Das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut Freiburg (SoFFI F) wurde mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt, die vor allem in einer umfangreichen Opferbefragung besteht. Das FrauenForschungsInstitut kommt in der Studie unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Einstellungen der Opfer gegenüber der deutschen Polizei vielfach durch falsche Informationen und Misstrauen geprägt sind, ohne dass die Betroffenen unbedingt tatsächlich negative Erfahrungen gemacht haben. Die Täter schüchtern die Opfer bewusst ein, beispielsweise, indem sie eine heimliche Zusammenarbeit mit der Polizei vortäuschen. V

7 Diese Vorspiegelung falscher Tatsachen erleichtert es den Tätern, die betroffenen Frauen unter Kontrolle zu halten. Eine weitere wichtige Erkenntnis im Hinblick auf die Aussagebereitschaft der Opfer war, dass die Frauen aufgrund der Drohungen der Täter sich vielfach weigern, eine Aussage zu machen. Auch die eigene Einstellung der Opfer zur Prostitution ist entscheidend. Stehen die Betroffenen Prostitution grundsätzlich ablehnend gegenüber, sind sie eher in der Lage sich von den Tätern zu distanzieren und zu einer Aussage bereit. Die erzwungene Ausübung von Prostitution ist in solchen Fällen eine besonders gravierende psychische Belastung. Polizeiliche Maßnahmen zur Erkenntnisgewinnung in diesem Phänomenbereich müssen dort anknüpfen, wo Anhaltspunkte für die Androhung bzw. Ausübung von Gewalt gegenüber Prostituierten vorliegen. Die geschilderten Bedrohungsund Einschüchterungsstrategien der Täter finden sich überall beispielsweise in Bordellbetrieben. Zudem kçnnen auch alltäglich erscheinende Fälle von häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit Zwangsprostituierung stehen; vielfach ist eine solche Gewaltanwendung bereits Teil der sexuellen Ausbeutung. Aber auch individuelle Verhaltensweisen der ermittelnden Polizeibeamten wurden in der Untersuchung analysiert. So ist ein respektvoller Umgang mit Opfern von Menschenhandel nicht nur eine selbstverständliche Geste menschlicher Anerkennung, sondern entspricht auch dem Eigeninteresse der Polizei, die Aussagebereitschaft der Opfer zu steigern und so Informationen über die Täter zu erlangen. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse der Studie eine Vielzahl bereits vorhandener Vermutungen hinsichtlich der Gründe, die die Aussagebereitschaft von Opfern von Menschenhandel gegenüber der Polizei oftmals einschränken. Entscheidend ist, dass die Erkenntnisse durch Gespräche mit den Betroffenen selbst gewonnen wurden. Unsere Aufgabe ist nun, die Bedürfnisse der Betroffenen ernst zu nehmen und in der Ermittlungspraxis jene Bedingungen zu verbessern, die die Aussagebereitschaft konkret fçrdern. Die vorliegende Untersuchung leistet somit einen weiteren wichtigen Beitrag, um diesem, die Menschenwürde in einem besonders erschreckenden Maß verletzenden Phänomen noch effizienter zu begegnen. Jçrg Ziercke VI

8 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung Datenbasis, Fragestellungen und Aufbau des Berichts Forschungsdesign und Ergebnisse der Untersuchung im Überblick Das Forschungsdesign im Überblick Die Bedeutung einzelner Determinanten der Aussagebereitschaft Polizeiliche Handlungsmçglichkeiten Determinanten in komplexeren Konstellationen: Relation von Druck seitens der Täter/innen und Druck seitens der Polizei Determinanten in komplexeren Konstellationen: Viktimisierungsprozesse und Opferdeklaration Determinanten in komplexeren Konstellationen: Überwindung von Aussagebarrieren in spezifischen Fallkontexten Bedeutung von Beratung für die Aussagebereitschaft Methodisches Vorgehen Das Erhebungsvorgehen Der Zugang zu den Interviewpartnerinnen Die Interviewdurchführung Auswertungsvorgehen Stichprobenbeschreibung und Verallgemeinerbarkeit Beschreibung der Stichprobe Selektionseffekte und Einschränkungen der Verallgemeinerbarkeit Die fallübergreifende Bedeutung einzelner Determinanten der Aussagebereitschaft Einleitung Gesetzliche Bestimmungen mit Relevanz für die Aussagebereitschaft Übersicht über die Determinanten der Aussagebereitschaft Täterstrategien Unterschiedlichkeit der Täterstrategien Bedrohung Einsatz von Gewalt Freiheitsberaubung, Kontrolle Binden, verliebt machen, beeindrucken VII

9 4.4.6 Pass wegnehmen, falschen Pass aushändigen Zwischenfazit Schutz und Sicherheit Schutz und Sicherheit für die eigene Person und Angehçrige Zwischenfazit Migrationsmotive und -ziele Migrationsmotive Migrationsziele Rückkehrwunsch Mit Migration verbundene Diskriminierungserfahrungen Zwischenfazit Rechtlicher Status Bedeutung eines nicht legalen Aufenthalts Zwischenfazit Einstellung zur Prostitution Einstellungen zu Prostitution zwischen Ablehnung und Akzeptanz Zwischenfazit Bild der Polizei in Deutschland und im Herkunftsland Ein negatives Bild der Polizei als Aussagebarriere Zwischenfazit Migrationsbedingte Barrieren Sprachlosigkeit und Unkenntnis Eingeschränkte Fluchtmçglichkeiten Zwischenfazit Zusammenfassende Bewertung Polizeiliche Handlungsmçglichkeiten im Zusammenhang mit Aussagebereitschaft und Aussage Einleitung Systematik der Zugänge zur Polizei und zur Aussage(-bereitschaft) Polizeikontakt und Aussagebereitschaft fallen zusammen (Zugangsweg A) Nach Polizeikontakt Ambivalenzphase bezogen auf die Aussage (Zugangsweg B) Keine Bereitschaft zum Kontakt zur Polizei (ZugangswegC) Fehlgeschlagene Zugänge (Sondergruppe Zugangsweg S) Polizeiliche Handlungsstrategien Vorannahmen über die Polizei Polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld von Vernehmung und Aussage: Kontrollsituationen und bedrohliche Konfrontationen VIII

10 5.3.3 Polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld von Vernehmung und Aussage: Regelmäßige Kontakte der Polizei Polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld von Vernehmung und Aussage: Freiheitsentziehende Maßnahmen Die polizeiliche Vernehmung Zusammenfassende Bewertung Auswirkungen verschiedener Konstellationen von Druck Täter/ Polizei/Frauen Statusgruppe I 1 a Irregulärer Aufenthaltsstatus, kein selbst initiierter Polizeikontakt, hoher Druck von Täterseite und Polizei Statusgruppe I 1 b Irregulärer Aufenthaltsstatus, kein selbst initiierter Polizeikontakt, niedriger Druck von Täterseite und hoher Druck seitens der Polizei Statusgruppe I: Eigene Interessen der Frauen und die Perspektiven einer Zeugin Statusgruppe l 2 Irregulärer Aufenthaltsstatus, selbst initiierter Polizeikontakt Statusgruppe L Rechtmäßiger Aufenthaltsstatus Bereitschaft zur Aussage im Kontext des Viktimisierungsprozesses und der Opferdeklaration Einleitung Vorgehen bei der Auswertung und das Interview selbst als Opferdeklaration Selbst- und Fremdwahrnehmung bzw. -deklaration Arten und Bezugspunkte von Opferwahrnehmung und Opferdeklaration Prozesse von Viktimisierung und Bewältigung Verlaufsmuster 1: Opfer Verlaufsmuster 2: Arrangement Verlaufsmuster 3: Empçrung Verlaufsmuster 4: Abwesende Opferwahrnehmung Verlaufsmuster 5: Durchgehende biographische Opferwahrnehmung Mischformen Bedeutung der Überwindung von Barrieren für die Aussagebereitschaft Unterschiedliche Arten von Barrieren Bedeutung der Intervention und Opferdeklaration durch Dritte für die Überwindung von Barrieren Viktimisierung durch andere Zusammenfassende Bewertung IX

11 7 Kontextspezifische Aussagebarrieren und ihre Überwindung Einleitung Gruppierung der Fallkontexte und Vorausschau der Ergebnisse zur Überwindung der kontextspezifischen Aussagebarrieren Aussagebereitschaft bei Einbindung in übermächtige Tätersysteme (Voodoo, organisierte Kriminalität) Aussagebereitschaft bei Einschüchterung durch magische Praktiken Aussagebereitschaft nach Einschüchterung im Kontext organisierter Kriminalität Aussagebereitschaft und Lçsung aus intimer Beziehung zum Täter Aussagebereitschaft bei bestehender oder beendeter, positiv gedeuteter Liebesbeziehung zum Täter Aussagebereitschaft nach einer Zuspitzung von Gewalt und Lçsung aus einer Liebesbeziehung Aussagebereitschaft bei unterstütztem Ausstieg, insbesondere mit einem neuen Partner Aussagebereitschaft nach einem Ausstieg mit Unterstützung eines neuen Partners: Gruppe Aussagebereitschaft nach einem Ausstieg mit Unterstützung eines neuen Partners: Gruppe Aussagebereitschaft nach spontaner Flucht Fälle ohne Kontrastierung: Individualbiografische Besonderheiten Traumatisierung führt zu Abschottung Erzwungene Prostitution und Ablçsungskonflikte Psychische Stçrung, Alkoholmissbrauch und Deutung der Welt als unverlässlich Zusammenfassende Bewertung Bedeutung von Beratung für die Aussagebereitschaft Einleitung Zugangswege der Frauen zu Fachberatungsstellen Zeitpunkt des Kontakts mit der Fachberatungsstelle Zugang zur Fachberatungsstelle vor einer Vernehmung bzw. Aussage bei der Polizei Vermittlung an die Fachberatungsstelle durch die Polizei nach einer Aussage Zugang zur Fachberatungsstelle nach einer Veränderung der Lebenssituation ohne vorherige Vernehmung Zusammenfassende Bewertung Kooperation Polizei und Beratung Bedeutung der Beratung für den Verlauf des Gerichtsverfahrens Beratungsinhalte und Beratungsbedarf Beratungsinhalte X

12 8.6.2 Beratung als Gegenwelt zur bisherigen Lebenssituation Beratungsaufgaben angesichts heterogener Bedarfe Fehlpassung von Beratungsangebot und Unterstützungsbedarf Die Figur der Beraterin Die Vertrauensperson Die Kämpferin Die Mutter Beratung als Determinante der Aussagebereitschaft Zusammenfassende Bewertung Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen Determinanten der Aussagebereitschaft Viktimisierungs- und Bewältigungsprozesse Bedeutung von Beratung für die Aussagebereitschaft Polizeiliche Handlungsmçglichkeiten Handlungsempfehlung für Intervention und Prävention Literatur Anhang Spezielle rekonstruktiv-hermeneutische Verfahren: Verlaufsanalyse, Agency- und Positioning-Analyse Übersicht: Merkmale der Fallverläufe Summary Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Stichwortverzeichnis Autorenangaben XI

13

14 1 Einleitung Das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut Freiburg 1 führte im Auftrag des Bundeskriminalamtes in der Zeit von Februar 2008 bis April 2009 das Forschungsprojekt Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung (Opferbefragung) durch, dessen Ergebnisse in diesem Band vorgestellt werden. Ziel des Forschungsprojektes war es, die Determinanten der Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung in ihrer Bedeutung für polizeiliches Handeln, aber auch polizeiliches Handeln selbst als Determinante der Aussagebereitschaft aus der subjektiven Sicht der Opfer zu rekonstruieren. Mit einer qualitativen Befragung von 53 Opfern von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß 232 StGB stellt die Studie eine breit angelegte Opferbefragung dar. Hintergrund des Erkenntnisinteresses sind die laut Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamts schwankenden Verfahrenszahlen im Deliktsbereich Menschenhandel in Deutschland. Dies deutet darauf hin, dass polizeiliche Maßnahmen zur Opfererkennung, die für die Einleitung von Ermittlungsverfahren eine wesentliche Rolle spielen, dieser Entwicklung angepasst werden müssen. Eine verbesserte Opfererkennung ist eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung der Strafverfolgung der Delikte des Menschenhandels. Dafür sind Erkenntnisse relevant, welche Determinanten in welchen Kontexten die Opferdeklaration und die Aussagebereitschaft beeinflussen. Erkenntnisse hierzu kçnnen sowohl aus den Berichten derjenigen gewonnen werden, die sich als Opfer deklariert und den Prozess von Aussage und Gerichtsverfahren durchlaufen haben, als auch aus Erzählungen derjenigen, die sich bis zum Zeitpunkt des Interviews anders entschieden haben. Die Untersuchung ist als eine qualitative Opferbefragung angelegt. Während bisherige Opferbefragungen (Baurmann/Schädler 1999; Voß 2001; Balß u.a. 2001; Schädler 2002) sich auf den Umgang mit Opfern von Straftaten konzentrieren, ohne die Aussagebereitschaft der Opfer in den Blickpunkt zu rücken, geht die hier vorgelegte Studie explizit der Frage nach, welche Motivation Opfer von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung haben, bei der Polizei als Zeuginnen auszusagen, was sie beeinflusst, dies nicht zu tun. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem polizeilichen Handeln und seinen Auswirkungen auf die Aussagebereitschaft und der subjektiven Motivation der Frauen, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. 1 Das Institut SoFFI F. ist Teil des Forschungs- und Innovationsverbundes FIVE e.v. an der Ev. Hochschule Freiburg. 1

15 Die dem Vorhaben zu Grunde liegende strafrechtliche Definition von Menschenhandel basiert auf dem Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, 2 insbesondere des Frauen- und des Kinderhandels, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermoprotokoll) sowie auf dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels. 3 Diese internationalen Vorgaben wurden im Februar 2005 mit dem Inkrafttreten des 37. Strafrechtsänderungsgesetzes in der nationalen Gesetzgebung umgesetzt. Hierzu wurden die Straftatbestände 180 b und 181 StGB (Menschenhandel und schwerer Menschenhandel) neu gefasst und in den achtzehnten Abschnitt Straftaten gegen die persçnliche Freiheit des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches überführt. Seitdem unterscheidet das Strafgesetzbuch zwischen Menschenhandel zum Zwecke der sexueller Ausbeutung ( 232 StGB) und Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft ( 233 StGB). Die vorliegende Untersuchung bezieht sich ausschließlich auf 232 StGB. Der Forschungsprozess beinhaltete eine besondere Herausforderung, was die Gewinnung von Interviewpartnerinnen insbesondere von solchen, die nicht bei der Polizei ausgesagt hatten anging. Auch trug die kontinuierlich und intensiv gepflegte Kooperation mit den Beratungsstellen insofern Früchte, als schwer erreichbare Frauen, die auch sonst keinen Polizeikontakt gehabt hatten bzw. keine Aussage gemacht hatten, für ein Interview vermittelt werden konnten. Anspruchsvoll war auch die Komplexität und Heterogenität der Fallgeschichten, die es kaum gestattete, Aussagen für die gesamte Gruppe aller Opfer von Menschenhandel zu verallgemeinern, sondern die immer wieder neue Strukturierungen und Eingrenzungen von Teilgruppen mit spezifischen Viktimisierungsprozessen verlangte. Entsprechend musste ein breites Spektrum qualitativer Auswertungsstrategien eingesetzt und das Vorgehen auf die spezifische Fragestellung zugeschnitten werden. Die kurze Projektlaufzeit von insgesamt einem Jahr für die Hauptphase muss manche Auswertungswünsche offen lassen, deren Erfüllung mit dem qualitativen Material mçglich wäre. Mitarbeiterinnen in dem Projekt waren Prof. Dr. Barbara Kavemann, Ass. jur. Heike Rabe und Margit Wagner M.A., Rainer Wagner betreute das Sekretariat, Heiko Hoffmann M.A. arbeitete in der Interviewauswertung mit, die Leitung oblag Prof. Dr. Cornelia Helfferich. Wir bedanken uns an dieser Stelle beim Bundeskriminalamt für die vorzügliche Betreuung des Projektes, bei den Fachberatungsstellen gegen Frauen-Menschenhandel und dem KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.v.) für ihre hilfreiche Kooperation und ihre Bereitschaft, Arbeit und Zeit dafür men_and_women/l33137_de.htm 2

16 zu opfern, bei den Interviewerinnen und Übersetzerinnen und insbesondere bei den Frauen, die zu einem Interview bereit waren. 1.1 Datenbasis, Fragestellungen und Aufbau des Berichts Die übergeordnete Fragestellung lautete: Welche Determinanten beeinflussen die Aussagebereitschaft der Opfer des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung (bei der Polizei bzw. bei Fachberatungsstellen) i.s. von Risiko- und Erfolgsfaktoren für die Aussagebereitschaft? Analysiert werden sollten diese Determinanten in ihrer Bedeutung für polizeiliches Handeln. Das polizeiliche Handeln selbst stellt ebenfalls eine solche Determinante dar, deren Wirksamkeit erkundet werden sollte. Eine weitere Frage galt der Rekonstruktion von Viktimisierungsprozessen und der Entstehung von Opferwahrnehmung und Opferdeklaration als Voraussetzungen für die Aussagebereitschaft. Gewünscht wurden zudem Schlussfolgerungen für das polizeiliche Handeln. Da das Erkenntnisinteresse der subjektiven Sicht der Opfer von Menschenhandel in ihrer Vielfalt und Komplexität galt, wurde die Studie als qualitative Interviewstudie konzipiert. Es wurden 54 Interviews durchgeführt; 53 davon konnten in die Auswertung einbezogen werden. Die Stichprobe setzte sich aus drei Quotierungsgruppen 4 zusammen: Opfer, die als Zeuginnen aussagten, Opfer, die der Polizei bekannt waren, jedoch nicht ausgesagt haben/keine Aussagebereitschaft hatten, Opfer, die nicht bei der Polizei bekannt und nicht zur Anzeige/Aussage bereit waren. Die Ausgangsfragestellung, die oben skizziert wurde, ließ sich nicht mit einem einzigen Zugang beantworten. Zwar gibt es in vielen Interviews wiederkehrende Determinanten der Aussagebereitschaft, aber erstens variieren die spezifischen Konstellationen von Determinanten von Fall zu Fall, zweitens wurden sehr unterschiedliche polizeiliche Strategien berichtet und drittens konnte die Aussagebereitschaft nicht aus diesen Bestimmungsmomenten eindeutig vorhergesagt werden: Immer wieder zeigten Fälle, dass unter ähnlichen Bedingungen einmal eine Aussage erfolgte und einmal nicht. Gegenstand der Analyse ist ein hochkomplexes Ursachengefüge, bei dem die identifizierten Determinanten der Aussagebereitschaft immer wieder auf eine neue Weise in einem Verhältnis zu Viktimisierungsprozessen und polizeilichen Handlungsmçglichkeiten standen Kommissar Zufall gar nicht miteinbezogen. Würde es sich um ein standardi- 4 Die Gruppen wurden als Quotierungsgruppen bezeichnet, weil ursprünglich geplant war, alle drei Gruppen quotiert mit der gleichen Grçße in die Stichprobe aufzunehmen. Eine solche Quotierung war trotz aller entsprechend steuernden Selektionen nicht mçglich (s.o. und Kapitel 2.4). Zur genaueren Operationalisierung von Polizeikontakten s. Kapitel

17 siertes Verfahren handeln, wäre das Problem so zu formulieren: Es liegt eine Vielzahl von relevanten Einflussgrçßen vor, die aber untereinander dependent sind, die nur in wechselnden Konstellationen mit anderen Variablen einen messbaren Einfluss haben und zugleich Ursache und Wirkung sein kçnnen, während für sich allein genommen die Aufklärung der Varianz durch eine einzige Variable gering bleibt. Eine besondere Herausforderung also bestand darin, die Determinanten der Aussagebereitschaft nicht nur jeweils einzeln als für die Aussagebereitschaft fçrderlich oder hinderlich aufzulisten, sondern darüber hinaus die Logik des Wirkzusammenhangs der Determinanten in spezifischen Viktimisierungsprozessen (prozessuale Perspektive) und in spezifischen Akteurskonstellationen (feldbezogene Perspektive) aufzuzeigen, diese Determinanten also komplexer zu kontextualisieren. Einige Determinanten sind bereits in der Diskussion, wie z.b. der aufenthaltsrechtliche Status, an dem sich Zugriffsmçglichkeiten der Polizei festmachen, Täterstrategien, die Angst vor der Polizei machen, das Ausmaß an Gewalt und Einschüchterung, fehlende Sprachkenntnisse und Orientierungsmçglichkeiten. Zu beantworten war aber die Frage, wie die Determinanten in der zeitlichen und räumlichen Dimension zusammenwirken und wie das polizeiliche Handeln vor diesem Hintergrund seine Wirkung entfaltet. Die Stärke qualitativer Verfahren, Vielfalt abzubilden und die Komplexität der Daten spät im Forschungsprozess zu reduzieren, führte dazu, dass die Forschungsfragen und die methodischen Zugänge immer wieder neu geprüft wurden, um angemessene Auswertungsstrategien zu entwickeln und bezogen auf verallgemeinerbare Aussagen zu ertragreichen Befunden zu kommen. Die späte Reduktion der Komplexität schafft mehr Präzision und lässt auf einer hochkomplexen Ebene Zusammenhänge erkennbar werden. Aufbau des Bandes Der Ergebnisband gliedert sich den multiplen Zugängen entsprechend nach methodologischen Vorbemerkungen in Kapitel 2 und der Stichprobenbeschreibung in Kapitel 3 in fünf Kapitel (Kapitel 4 bis 8), in denen Ergebnisse zu spezifischen Akzentuierungen der Forschungsfrage vorgestellt werden, die mit unterschiedlichen methodischen Zugängen erarbeitet wurden. 5 Trotz der Querverweise haben die Zugänge eine gewisse Eigenständigkeit und kçnnen unabhängig voneinander gelesen werden. Die Kapitel enden jeweils nicht mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, sondern mit einer Bewertung. Die Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Kapitel ist als Übersicht in Kapitel 1.2 vorangestellt. 5 Eine Übersicht über die unterschiedlichen methodischen Zugänge zur Beantwortung der Forschungsfragen in den einzelnen Kapiteln findet sich in Kapitel

18 Forschungsfrage: Welche Einflussfaktoren beeinflussen die Aussagebereitschaft? Kapitel 4 beantwortet diese Frage auf einer grundsätzlichen Ebene. Die relevanten Determinanten, die die Aussagebereitschaft der Interviewpartnerinnen für oder gegen eine Aussage bei der Polizei beeinflussen, wurden aufgelistet und jeweils aus dem Interviewmaterial heraus die Bedeutung rekonstruiert. In die inhaltsanalytische Auswertung, bei der bereits in der Fachdiskussion bekannte Determinanten als Kategorien gesetzt und neue Kategorien aus dem Material gebildet wurden, gingen alle Interviews ein. Beim Vorgehen wurde differenziert im Sinne einer Unterscheidung, welche Determinanten für den Einzelfall und dann in der Gesamtschau einen starken Einfluss und welche eher einen zusätzlichen Effekt haben. Forschungsfrage: Welche Rolle spielt welche Form des polizeilichen Handelns in welchen Kontexten und wie kann es die Aussagebereitschaft fçrdern oder mindern? Kapitel 5 stellt das polizeiliche Handeln in den Mittelpunkt. Nicht für alle Opfer des Menschenhandels sind polizeiliche Strategien in gleichem Maß und in der gleichen Weise relevant, insbesondere wird ausführlicher auf die Situation der Frauen ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus eingegangen (u.a. wegen der aufenthaltsrechtlichen Regelungen, die spezielle Ansatzpunkte für polizeiliches Handeln bieten). Zunächst wurden einzelne Formen des polizeilichen Handelns in ihrer Bedeutung rekonstruiert; in einem weiteren Schritt wurden diese Maßnahmen eingebettet in ein Feld, das durch die drei Akteure Opfer Polizei Tätersystem aufgespannt wird. An den drei Eckpunkten wird jeweils ein (unterschiedlich großer) Druck für oder gegen eine Aussage aufgebaut; die Aussagebereitschaft soll als Resultante dieser Relationen zwischen den Akteuren verstanden werden. Forschungsfrage: Welche Viktimisierungsprozesse mit Wendepunkten der Opferwahrnehmung und Opferdeklaration lassen sich beschreiben? In Kapitel 6 wird eine prozessuale Perspektive eingenommen: Typische Muster von Viktimisierungsprozessen wurden aus den chronologisch-biografischen Verläufen mit speziellen qualitativen Auswertungsstrategien herausgearbeitet. Zugrunde gelegt wurden alle Interviews mit Frauen, die ausgesagt haben. Zentrale Fragen sind: Zu welchem Zeitpunkt des Viktimisierungsprozesses nahmen die Interviewpartnerinnen ihren Opferstatus wahr? Welche Bedeutung hatte die Opferdeklaration für ihre Aussagebereitschaft? In welchen Fällen wurden die Interviewpartnerinnen von der Polizei nicht als Opfer wahrgenommen? Wie wirkte sich das auf die Aussagebereitschaft aus? Welche Wendepunkte sind im Viktimisierungsprozess erkennbar, an denen sich eine Bereitschaft entwickelte, sich gegen die Täter/ innen zu stellen, und mçglicherweise Aussagebereitschaft entstand? Forschungsfrage: Welche Fallkontexte erzeugen typischerweise Viktimisierungsprozesse, bei denen nicht oder nur schwer ausgesagt wird, und wie kçnnen in diesen Kontexten Aussagebarrieren überwunden werden? In Kapitel 7 wurden die Aussagebarrieren in den Mittelpunkt gestellt und zunächst alle Interviews ohne 5

19 Aussage als Ausgangspunkt genommen, um die Frage zu beantworten. Die Interviews ließen sich fünf Kontexten zuordnen, die durch spezifische Konstellationen von Determinanten und damit spezifische Mçglichkeiten, sich aus dem Tätersystem zu lçsen als Voraussetzung für eine Aussagemçglichkeit gekennzeichnet waren. In einer Kontrastierung mit ähnlichen Fällen, die zur Aussage führten, wurden die kontextspezifischen Unterschiede zwischen Frauen, die ausgesagt haben, und denen, die nicht ausgesagt haben, diskutiert. Forschungsfrage: Welche Rolle spielt Beratung? Kapitel 8 stellt die Ergebnisse zur Bedeutung der Arbeit der Fachberatungsstellen dar. Zugrunde gelegt wurden alle Interviews. Schwerpunkte waren die Zugangswege zur Beratung, die Bedeutung des Zeitpunktes der Beratung vor oder nach dem Polizeikontakt sowie die Kooperation von Polizei und Beratung und der subjektive Blick auf die Beratung und die Beraterin. Forschungsfrage: Welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Prävention und Intervention ziehen? Die Antworten in den einzelnen Kapiteln führen in Kapitel 9 zu Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen bezogen auf polizeiliches Handeln und darüber hinaus bezogen auf allgemeine Maßnahmen effektiver Präventions- und Interventionsansätze zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung gemäß 232 StGB. Zur Terminologie Der Begriff Determinante wird verwendet, obwohl er aus der standardisierten Forschung kommt. Mit Determinante ist hier ebenfalls eine Einflussgrçße gemeint, aber anders als in der standardisierten Forschung gilt es, diese Einflussgrçße in der Vielfalt ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung zu erfassen und ihre Bedeutung für den Fallverlauf im Zusammenwirken mit anderen Einflussgrçßen zu rekonstruieren. Zur Verwendung des Begriffs Täter/innen ist anzumerken, dass die Interviewpartnerinnen den Begriff nicht verwendeten; sie sprachen von Zuhältern, der Chefin u.a. Der von den Befragten verwendete Begriff wird dann aufgegriffen, wenn es um die Perspektive der Interviewpartnerinnen geht, ansonsten wird aus Sicht der Forschung von Tätern/innen gesprochen. 6

20 1.2 Forschungsdesign und Ergebnisse der Untersuchung im Überblick Das Forschungsdesign im Überblick Ziel: Rekonstruktion der Determinanten der Aussagebereitschaft mit einer qualitativen Interviewerhebung Grundgesamtheit: Stichprobe: Opfer von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung N=53, nicht repräsentativ, aber basierend auf einer kontrastierenden Stichprobenkonstruktion, um eine breite Vielfalt systematisch abzubilden n=37 Opfer, die als Zeuginnen aussagten (Kooperation mit der Polizei/Bereitschaft zur Zeugenaussage besteht), n=11 Opfer, die der Polizei bekannt waren, jedoch nicht aussagten/keine Aussagebereitschaft hatten (Kontakt zur Polizei besteht/bestand, jedoch keine Aussage erfolgt), n=5 Opfer, die nicht bei der Polizei bekannt sind und nicht zur Anzeige/Aussage bereit waren (kein Kontakt zur Polizei vorhanden und gewünscht/keine Aussagebereitschaft) Alter: zwischen 21 und 41 Jahren, Herkunft: aus 19 Ländern, heterogene Zusammensetzung bezogen auf Lebenssituation und Kontext des Menschenhandels Stichprobenzugang: Überwiegend Vermittlung über Fachberatungsstellen aus 11 Bundesländern Dolmetschen/Übersetzung: 23 Interviews in deutscher Sprache (davon fünf mit deutschen Staatsbürgerinnen), 22 Interviews gedolmetscht und acht in Fremdsprachen (davon drei in der jeweiligen Muttersprache, vier in russischer und eines in englischer Sprache) Erhebungsverfahren: Teilnarratives Leitfadeninterview, zusätzliche Erfassung von Sozialdaten in einem standardisierten Fragebogen, zusätzliche Informationen der Beraterinnen 7

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