Der Wiener braucht kan Pass : Chansons der anderen Hauptstadt.

Transkript

1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Der Wiener braucht kan Pass : Chansons der anderen Hauptstadt. Von Gesine Heinrich Sendung: Samstag, 23. April Uhr Redaktion: Martin Roth Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2

2 2 SWR2 Musikstunde mit Gesine Heinrich Der Wiener braucht kan Pass : Chansons der anderen Hauptstadt. André Heller, Kritische Gesamtausgabe: Wienlied 1 Wienlied. Der pragmatische Fantast und poetische Universalist André Heller, der alles zur Kunst zu erheben vermag, von circensisch inszenierten Verdauungswinden bis hin zum Fußball. Wir hören ihn später nochmal. Das nächste Lied stammt von Gerhard Bronner. Inspiriert hat ihn dazu wie so oft - seine unmittelbare Umgebung: Ein befreundeter Journalist erzählt ihm, dass der Sohn eines hohen Politikers mit seinem Sportwagen einen Mann totgefahren habe, dass er, der Journalist, jedoch von höchster Stelle strengste Weisung erhalten habe, darüber in den Zeitungen Stillschweigen zu bewahren. Am selben Abend besucht Bronner die Eden-Bar, den Nobeltreff der Wiener Schickeria und sieht zufällig eben jenen Politikersohn, der einen Mann überfahren hat, im Gespräch mit Freunden. Dieses Gespräch fällt in seiner Phantasie dann so aus: Die Qualtinger-Songs: Der Papa wird s schon richten Der Papa wird s schon richten. Helmut Qualtinger, begleitet von Kurt Werner und Band. Die Nummer saß. Im Nu sprach es sich herum, welche Politikersöhne da besungen wurden. Den Söhnen passierte natürlich nichts, aber die Herren Papas wurden kurz darauf in den wohlverdienten Ruhestand gesetzt. Soviel zum Thema, ob Kabarett das Leben verändern kann.der Wiener ist Philosoph. Er fragt und imaginiert. Und hört vor dem Tod nicht damit auf. Georg Kreisler: Wien ohne Wiener Der 2011 verstorbene große Georg Kreisler war das. Wien ohne Wiener entstand Da hatte sich Kreisler schon lange von Gerhard Bronner getrennt, mit dem er ab 1955 sein musikalisches Wesen in der Marietta-Bar getrieben hatte. Den schwarzen Humor teilt Kreisler mit seinem Kollegen Gerhard Rühm. Gerhard Rühm war Mitglied der Wiener Gruppe, die sich Anfang der 50er Jahre zusammengefunden hatte, um dem Bildungsbürger sein allzu gemütliches Sofa zu entreißen traf sich die Gruppe zu ihrem ersten literarischen cabaret. Man wollte die Rollen umkehren: das Publikum sollte zur Schauspieltruppe werden und man selber zum Zuschauer. Man, das waren neben Gerhard Rühm: Konrad Bayer, Friedrich Achleitner und Oswald Wiener. Literarisch nannte man sein cabaret, um wie Wiener es formuliert potentiellen Besuchern ein Gefühl von

3 3 Qualtinger zu geben, der zu dieser Zeit großen Erfolg mit seinem Brettl vor m Kopf hatte, um es andererseits aber gerade von Qualtingers Crew zu distanzieren, die man als mäßig originelle Truppe zur Unterhaltung eines mäßig anspruchsvollen Publikums betrachtete. Die Wiener Gruppe ließ sich auf der Bühne Wein servieren, las Zeitung, spielte Schach. Zwischendurch kam es zu Publikumsbeschimpfungen. Und um das Publikum trotzdem irgendwie bei der Stange zu halten, wurden zwischendrin, gewissermaßen als eine Art Zugeständnis, Chansons von Gerhard Rühm vorgetragen: Gerhard Rühm: wenn männer zerbrechen Wenn ein berühmter Wiener Theatermann Jacques Brel singt, klingt das so: Michael Heltau singt Brel: Joe (Jacky) Michael Heltau im Jahr 1975 mit Jacques Brels Jacky, in der deutschen Übertragung von Werner Schneyder. Wolfgang Ambros, Es lebe der Zentralfriedhof: Es lebe der Zentralfriedhof 1 blendet aus, ab 5 00 drüber (Intro 0 59) Wolfgang Ambros Es lebe der Zentralfriedhof - damit schafften die Erfinder des Watzmann-Rusticals Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz 1975 den endgültigen Durchbruch. Inspiriert war das Lied durch das Plakat 100 Jahre Zentralfriedhof vor dessen Haupttor in Wien. Die Österreicher wissen ihn eben zu feiern, den Tod begann der aus der Steiermark gebürtige Schauspieler Ludwig Hirsch seine Karriere als Liedermacher mit satirischen und schwarzhumorigen Texten. Dem Sender Ö3 war Hirschs 1997 veröffentlichtes Lied Komm, großer schwarzer Vogel zu morbide. Er verbot eine Ausstrahlung nach 22 Uhr aus Angst, dass Hörer Selbstmord begehen könnten. Ludwig Hirsch: Komm, großer schwarzer Vogel 6'33 Ludwig Hirsch beging 2011 mit 65 Jahren Selbstmord, indem er sich aus dem 2. Stock eines Wiener Krankenhauses stürzte. Allerdings nicht aus Todessehnsucht. Er war an Lungenkrebs erkrankt. Die Burgschauspielerin und Autorin Erika Pluhar fing das Singen während ihrer Ehe mit André Heller an und schrieb sehr bald auch eigene Lieder. Zusammen mit dem Komponisten und Bandleader Klaus Trabitsch brachte sie das Album Lieder vom Himmel und der Erde heraus:

4 4 Erika Pluhar: Schaut s euch die Leut an Erika Pluhar, Schaut s euch die Leut an. Populäre jüdische Künstler aus Wien: Betja Milskaja & Hermann Leopoldi: Alois 2 2'40 Alois - Betja Milskaja und der Wiener Komponist und Pianist Hermann Leopoldi sangen ein Chanson von Hans Haller. Musik von eben diesem Leopoldi, der nicht nur ungeheuer komisch war, sondern auch zehn Instrumente beherrschte. Berühmt in den 1920er Jahren waren auch die Auftritte mit seinem Bruder Ferdinand im Ronacher (heute Musical-Spielstätte), Seilerstätte 9, wo sie auf zwei Klavieren simultan spielten. Dem Kabarettisten Josef Hader, geboren 1962 in Oberösterreich, gelang der Durchbruch in seiner kreativen Laufbahn mit dem gemeinsam mit seinem Kollegen Alfred Dorfer produzierten Film «Indien». Eine Art Road-Movie mit der typisch österreichischen Mischung aus Komik, Groteske und Melodram. Sein Programm Privat wurde zum meistgesehenen österreichischen Kabarettprogramm im deutschsprachigen Raum. Wir hören ein Lied daraus - Da Wind, Hader sch-wienerische Variante des Theo Mackeben/ Michael Freytag- Lied Und über uns der Himmel, das Hans Albers 1947 in dem gleichnamigen Film sang: Josef Hader, Privat: Da Wind ausbl. Josef Hader. Seine schauspielerischen Qualitäten hat er zudem in Filmen des Krimiautors Wolf Haas gezeigt, die auch über Österreichs Grenzen hinaus in Deutschland und Frankreich erfolgreich waren. Nur fünf Jahre jünger ist Haders Kollege Alf Poier, und wirkt doch wie eine ganz andere Generation. Bevor Poier 1995 zum erstenmal eine Kleinkunstbühne betrat, hatte er bereits ein sehr buntes Berufsleben hinter sich, nachzulesen auf seiner eindrucksvollen Homepage, die Poiers Spieltrieb unverblümt wäre das falsche Wort zur Geltung bringt. Innerhalb von acht Jahren betätigte sich Poier unter anderem als: Nachtwächter, Kellner, Tanzmusiker, Büroangestellter, Rußputzer, Empfangsdame, Trommelstudent, Journalist, Kabelzieher, Langstreckenläufer im Nationalteam, Zeitsoldat und Waggonentleerer. Der mehrfache Kleinkunstpreisträger vertrat 2003 Österreich beim Eurovision Song Contest und erreichte mit dem Lied Weil der Mensch zählt, einer Parodie auf das Popgeschäft immerhin einen sechsten Platz. Conchita Wurst mag er so gar nicht, weshalb ihr gemeinsamer Manger jetzt auch nicht mehr Alf managt. Poiers Sprach-Bildwitzserien - dadaistische

5 5 Strichzeichnungen - waren kürzlich sogar in einer Ausstellung im Kunstforum Wien zu sehen. Poier findet immer einen Weg. Alf Poier, Himmel, Arsch & Gartenzwerg: S Leben Hans Moser hatte seinen künstlerischen Durchbruch in der Rolle des Dienstmannes begegnete er Max Reinhardt, unter dem er am Wiener Theater in der Josefstadt zum Charakterdarsteller aufstieg. Eine glanzvolle, internationale Karriere begann. Der Wiener schafft es eben überall hin. Und natürlich braucht er nicht mal einen Pass, wenn er an der Himmelspforte steht. Jedenfalls Texter Hans Hauenstein, Autor von über 300 Wiener Liedern, die unter anderem von Robert Stolz vertont wurden, und Komponist Karl Föderl zufolge: Hans Moser: Der Wiener braucht kan Pass II/14 2'24 Hans Moser. Zum Schluss hören wir noch einmal André Heller. Er hat nämlich mal verdammt viele schöne Lieder gemacht hat. Dieses heißt Abschied. Bis zum nächsten Mal sagt Gesine Heinrich. André Heller: Abschied I/20 3'26