SHIMANO DURA ACE Di2. Härtefall: TOUR-Tester Robert Kühnen im Dauerregen auf dem Formel-1-Kurs im japanischen Suzuka TOUR

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1 Härtefall: TOUR-Tester Robert Kühnen im Dauerregen auf dem Formel-1-Kurs im japanischen Suzuka 20

2 Probefahrt in die Zukunft Shimanos Elektro-Schaltung Dura-Ace Di2 läutet eine Zeitenwende ein. Elektronik und Software sollen zukünftig bei der Rennradtechnik eine wichtige Rolle spielen. Auf der Formel-1-Rennstrecke von Suzuka in Japan konnten wir erste Fahreindrücke sammeln Robert Kühnen Andrew McGovern Es herrscht Michael-Schumacher-Wetter in Suzuka. In Bächen fließt das Wasser über die Rennstrecke, auf welcher der Kerpener mit sechs Erfolgen Rekordsieger in der Formel-1 ist. Besser könnte das Wetter gar nicht sein, um Shimanos Dura-Ace Di2 beim ersten Test gleich richtig auf den Zahn zu fühlen. Schließlich waren es unter anderem Dichtigkeitsprobleme, die der allerers ten elektronischen Rennradschaltung von Mavic (1993 vorgestellt) den Garaus machten. Raus geht es aus der Boxengasse, rauf auf die Strecke. Formel-1-Boliden haben im Rennen am Ende der abfallenden Startgeraden mehr als 300 Stundenkilometer drauf. Mit dem Rennrad kommt man wegen des sanften Gefälles kaum auf Tempo 60. Dann die erste Kurve, überhöht, großer Radius, leicht ansteigend. Dritter Gang für einen Rennwagen, Tempo 145. Am Rennrad mit Elektro- Schaltung ein leichter Tipp mit dem Zeigefinger auf die Schalttaste am Bremsgriff und die Kette wandert zackig auf ein größeres Ritzel. Der erforderliche Hebelweg ist minimal, die Position der Schalter entspricht der Schaltlogik der mechanischen Shimano-Griffe. Dann steigt die Piste durch eine Kurvenkombination hindurch weiter an. Mit ein paar Tipps auf die vordere Schalttaste wandert die Kette weiter nach innen geschmeidig, schnell, präzise, wobei der Motor vernehmlich surrt. Der Umwerfer ein klasse Typ Schnell wird klar: Der Umwerfer ist der eigentliche Star des Komponenten-Ensembles. Er schaltet mit bislang nicht gekannter Präzision und dank eines eigenen Prozessors auch mit programmierter Intelligenz: Wechselt man vom kleinsten auf das größte Ritzel (und umgekehrt) durch, korrigiert der Umwerfer seine Stellung sebsttätig zweimal nach. Der Käfig kann so enger gehalten werden als bei der mechanischen Version der Gruppe, was Schaltgeschwindigkeit und -präzision steigert. Trotzdem schleift hier nie etwas. Klasse! Außerdem schaltet der Umwerfer mit der Kraft des Elektromotors immer gleich schnell und energisch. So oft wir vorne auch schalten, nie rappelt es, die Kette wird immer zuverlässig eingefangen und aufs große Blatt gehoben. Auch hier hilft der Chip dem Umwerfer, gezielt zu überschalten und sich zurückzustellen, nachdem die Kette auf dem großen Blatt gelandet ist. In die andere Richtung dient die Korrektur dazu, das Abwerfen der Kette nach innen aufs Tretlager zu verhindern. Der Umwerfer schaltet zunächst nur so weit, bis die Kette das große Blatt verlässt und rückt erst nach erfolgtem Schaltschritt ein Stück nach innen, um das Schleifen der Kette am Kettenkäfig zu verhindern. Elektro-Evolution Die elektronischen Komponenten umfassen die Bremsschaltgriffe, Umwerfer, das hintere Schaltwerk sowie Batterie und Kabelbaum mit der Kontrolleinheit. Alle anderen Komponenten entsprechen denen der mechanischen Dura-Ace Die Preise der Elektro-Komponenten werden laut Shimano-Marketing-Direktor Masahiko Jimbo voraussichtlich rund 50 Prozent über denen der mechanischen 7900-Serie liegen. Nächstes Frühjahr soll die Gruppe um den neuen Flightdeck -Computer ergänzt werden; der übernimmt dann möglicherweise einige der Aufgaben, die heute die kleine Kontroll einheit erfüllt, die den Haupt- Kabelbaum mit den Bremsgriffen verbindet: Anzeige der Batteriekapazität, Rücksetzen des Systems und Justage Die Dura-Ace Di2 ist die erste vollständige elektronische Schaltgruppe fürs Rennrad. Schaltung, Umwerfer und Schaltbremsgriffe ergänzen die mechanische Dura- Ace 7900, die wahlweise als elektronische oder mechanische Gruppe erhältlich sein wird. Bei der ersten Testfahrt erwies sich die Di2 als äußerst präzise und wasserdicht. Der Umwerfer schaltet mit bisher nicht gekannter Präzision. Die Griffe erfordern allerdings Eingewöhnung. Anfangs verwechselt man die Schalttasten leicht TOUR 21

3 Überragend: Der vordere Umwerfer ist das technische Highlight der Gruppe, der kleine aber ausdauernde Akku versteckt sich unterhalb des Flaschenhalters der Schaltung. Auch Spielereien wie das Umprogrammieren der Schalttasten sollen dann möglich sein. Die E- Schaltung soll, Batterie inklusive, nur 56 Gramm schwerer sein als die mechanische Dura-Ace. Die Wurzeln von Shimanos elektronischer Schaltung gehen auf das Trekkingrad zurück. Ohne die Vorarbeit, die Shimano da bereits geleistet hat, wäre es nach Darstellung von Marketingmann Jimbo nicht möglich gewesen, innerhalb von drei Jahren zur Serienreife zu kommen. Ers ter Schritt war die bereits 1997 vorgestellte Viergangautomatik Auto D, gefolgt von den Edelgruppen Nexave C910 (2001) sowie der Cyber Nexus (2003). Mit der Einführung der Di2 gibt sich Shimano selbstbewusst, Jimbo sieht die Fahrradbranche am Scheideweg und vergleicht die bevorstehenden Umwälzungen mit denen im Fotomarkt (Wegfall des analogen Films) sowie der Telekommunikation (Siegeszugs des Handys mit ständiger Erweiterung des Funktionsumfangs). Ähnlich: Die Di2-Schalter sind exakt so angeordnet wie bei der mechanischen Dura-Ace; die Unterscheidung der Hebel mit den Fingern erfordert allerdings eine längere Eingewöhnungszeit Die Schaltung intelligent Zukünftig, so Jimbo, werden Fahrradkomponenten den Sportler in der Kommunikation unterstützen, beim Navigieren helfen (GPS) und die Informationen an der Schnittstelle von Mensch und Maschine darstellen. Im ersten Schritt, mit dem Verkauf des neuen Flightdecks, sollen das noch recht konventionelle Dinge sein, die viele moderne Radcomputer beherrschen, wie Pulsaufzeichnung und Höhenmessung. Aber schon zum Ende des nächsten Jahres soll ein Powermeter zur Watt-Leistungsmessung folgen. Und das wäre ein echter Donnerschlag für die Branche, auf den Insider schon lange warten. 22

4 Zurück zu den schon vorhandenen Teilen. Die Griffkörper sind schlanker als die der Dura-Ace-7900-Serie, da im Griffkörper keine Mechanik untergebracht werden muss und sie sind dadurch natürlich auch leichter (254 Gramm laut Shimano). Auch die Front ist jetzt weniger zerklüftet als bei der Geblieben ist die flachere Oberseite des Griffs. Die Griffform vereint damit nun die besten Aspekte der bisherigen und neuen Dura-Ace und liegt sehr gut in der Hand. Die Griffweite ist einstellbar, in die Gummi-Höcker können die Schalter des Flightdeck- Computers integriert werden. Schaltung und Umwerfer sind etwas bulliger als ihre mechanischen Pendants und mit 222 Gramm und 122 Gramm (Angaben von Shimano) auch etwas schwerer. Zum Justieren der Schaltung aktiviert man an der Kontrolleinheit vorne den Einstellmodus, dann lässt sich das Schaltwerk mit den Schalttasten in Mikroschritten bewegen. Passt die Position, speichert man die Einstellung ab und wechselt wieder in den Fahr-Modus. Die Justage des Schaltwerks ist auch während der Fahrt möglich. Der Akku ausdauernd Eine interne Kupplung schützt das hintere Schaltwerk zudem vor Überlast im Falle eines Sturzes. Simuliert man eine derartige Überlast von Hand, springt die Kette, Schalten ist nicht mehr möglich. Die Kette landet dann auf dem kleinsten Ritzel, und man muss in den Reset- Modus des Schaltwerks. Dazu muss die Taste an der Kontrolleinheit vorne fünf Sekunden gedrückt werden. Das Schaltwerk schaltet dann automatisch einmal das ganze Paket durch und stoppt unter dem größten Ritzel. Danach ist die Schaltung wieder einsatzbereit. Schalten lassen sich die Gänge hinten nur einzeln. Allerdings ist es durch mehrfaches Drücken der Taster möglich, schnell hintereinander mehrere Gänge zu schalten, auch alle zehn am Stück. Einen Gang vorzuwählen ist ebenfalls im Stand möglich, allerdings kracht es dann beim Losfahren, wenn das Schaltwerk schnell unter dem Ritzelpaket durchschwenkt. Die Schaltgeschwindigkeit entspricht etwa der mechanischen Gruppe. Da den Elektro-Komponenten aber menschliches Zögern fremd ist, sitzen die Gänge besonders sicher. Die Entwicklungsvorgabe des Shimano-Präsidenten Yozo Shimano für die Di2, der an erster Stelle eine bessere Schaltfunktion nennt, wurde damit erreicht. Geringes Gewicht kommt für den Chef der Komponentenschmiede erst an zweiter Stelle: Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Profis und unseren normalen Kunden. Zuverlässigkeit und Sicherheit sind wichtiger als minimales Gewicht. Wir verbessern die Funktion und machen die Teile dann so leicht wie möglich, damit sie noch sicher sind. Der 7,4-Volt-Lithium - Ionen-Akku wiegt laut Shimano 69 Gramm und wird an den Flaschenhalterbohrungen befestigt. Er ähnelt einer Camcorderbatterie und soll bis Kilometer Fahrt ohne Nachladen ermöglichen. Wie viele Schaltschritte damit möglich sein werden, verrät Shimano nicht. Klar ist, dass der Umwerfer mehr Energie benötigt als das hintere Schaltwerk, denn er schaltet gegen eine kräftige Feder. Die Reichweite hängt also von der Fahrweise ab. Die Erfahrungen der Rennfahrer vom Team Gerolsteiner mit den Prototypen legen nahe, dass Shimanos Kilometer- Angaben realistisch sein könnten. Dort wurden die Akkus Erst der Anfang Braucht man unbedingt eine elektronische Schaltung? Nein. Aber Spaß bereitet sie dennoch. Die erste vollständige Elektro-Schaltgruppe fürs Rennrad macht schon in der ersten Version einen sehr gelungenen und weit entwickelten Eindruck. Zeitfahrer werden sehr bald nicht mehr mit antiquierten Bowdenzügen schalten wollen, sondern bequem auf elektrische Schalter drücken, die frei am Rad platziert werden können. Das wird auch bei Mountainbikern Bedürfnisse wecken, denn sie haben viel größere Probleme mit reibenden Zügen als Rennradfahrer. Vor allem aber eröffnet die Integration von Elektronik und Software völlig neue Funktionen, von denen uns die Dura-Ace Di2 zum jetzigen Zeitpunkt nur eine erste Ahnung gibt. Dipl.-Ing. Robert Kühnen GARMIN Edge 705 Das erste Navi fürs Fahrrad! Mit On- und Off-Road Navigation und hellem Farbdisplay für detaillierte Kartendarstellung. Mit Höhenmesser, drahtloser Pulsmessung und PC-Schnittstelle zur Routenerstellung. Der virtuelle Trainingspartner für überall. HÄLT SIE AUF DEM RICHTIGEN WEG. UND DEM OPTIMALEN PULS.

5 kaputte Kabel dann geht nichts mehr. Weder Schaltwerk noch vorderer Umwerfer lassen sich von Hand bedienen, es funkioniert nur noch der aufliegende Gang. Informativ: Kontrolle für Ladezustand, Schaltungsjustage und Reset-Funktion während der Tour de France auch erst nach mehreren Etappen geladen. 500 Lade zyklen garantiert Shimano, wobei die Akkus nach 300 Ladezyklen noch rund 60 Prozent ihrer Kapazität im Neuzustand haben sollen. Die Kontrolleinheit am Lenker zeigt die Batteriekapazität in 25-Prozent-Schritten an. Wenn der Strom allerdings mal ausbleibt ganz gleich ob durch leere Batterien oder Der Mensch verwechselt die Schalter Nach einer Stunde Vollwaschgang im strömenden Regen auf dem Formel-1-Kurs von Suzuka ist klar, dass Nässe kein Thema ist für die Dura-Ace Di2 jedenfalls nicht, wenn die Dichtungen neu sind. Die Schaltfunktion ist beeindruckend präzise. Ganz besonders der clevere Umwerfer macht richtig Freude. Alles super also? Nicht ganz. Im Zuge der einstündigen Testfahrt auf der Rennstrecke gelang es nicht, sich an eine intuitive Bedienung der Schalttasten zu gewöhnen obwohl die Tastenbelegung der Bedienlogik der mechanischen Griffe entspricht. Das liegt daran, dass vor allem die vordere Schalttaste ziemlich klein ausgefallen ist und sich nicht genügend vom dahinter liegenden Schalter abhebt. Die andere Oberflächenstruktur des vorderen Schalters ist gut gemeint, reicht aber nicht aus, um im Fahren klar erfühlt zu werden jedenfalls nicht innerhalb der kurzen zur Verfügung stehenden Testzeit. Die Schalter liegen zu dicht beieinander und geben wenig Feedback über die erfolgreiche Betätigung. Mit langen Handschuhen wird die Handhabung problematisch sein, ganz besonders mit dick gefütterten Winterhandschuhen. Dennoch: Schalten wird immer einfacher. Bedienkraft und Schaltwege der Di2 sind minimiert, die Komponenten denken mit, der Fahrer kann sich ganz aufs Fahren konzentrieren. In Zukunft operiert die Elektronik eventuell noch sehr viel selbstständiger, wie der für die Di2 verantwortliche Produktmanager Takao Harada verrät: Auf Einstieger-Niveau, bei der die Sora-Gruppe in Frage kommt, können wir uns gut vorstellen, die Gänge in Zukunft automatisch zu schalten, denn Einsteiger haben nach wie vor große Probleme, Umwerfer und hintere Schaltung intuitiv zu bedienen.» Die Di2 muss auch bei Paris-Roubaix funktionieren«tour: Was waren die größten Probleme bei der Entwicklung der DA Di2? HARADA: Vibrationen und Feuchtigkeit. Unser Anspruch war, dass die Di2 auch auf dem Pflaster von Paris- Roubaix funktionieren muss. Dieses Ziel haben wir erreicht. Warum lehnen Sie das Bedienkonzept so dicht Takao Harada, Produktmanager der Dura-Ace Di2, über die Entwicklung und Zukunft der elektronischen Schaltung an das der mechanischen Gruppe an? Wir haben verschiedene Prototypen gebaut und mit Profis getestet. Wir haben uns dann für das gleiche Bedienlayout entschieden, weil es unter extremen Bedingungen am besten funktionierte und einen intuitiven Umstieg ermöglicht. In Zukunft wird es sicherlich auch andere Lösungen geben. Wird es möglich sein, später noch weitere Schalter anzuschließen, zum Beispiel am Oberlenker? Ja, die Griffe sind dafür entsprechend vorbereitet. Wann kommt die Zeitfahr-Ausführung der Schalter in Serie, die bei der Tour de France als Prototyp zu sehen war? Im April 2009, zusammen mit dem Flightdeck-Computer. Sind die Elektromotoren in den Schaltwerken Spezial anfertigungen? Das sind leicht modifizierte Motoren eines Spezialanbieters, die zugleich kraftvoll, aber auch sehr schnell sind. Besonders die Geschwindigkeit war uns wichtig. Planen Sie, günstigere Gruppen und Mountainbike-Komponenten ebenfalls zu elektrifizieren? Mit der Di2 haben wir jetzt eine technische Lösung auf höchstem Niveau, und damit stehen uns natürlich für die Zukunft alle Richtungen offen. Interview: Robert Kühnen 24