Predigt am , zum Sonnengesang von Franziskus

Transkript

1 Predigt am , zum Sonnengesang von Franziskus Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und die Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen. mit allen deinen Geschöpfen, zumal dem Herrn, Bruder Sonne, er ist der Tag, und du spendest uns das Licht durch ihn. Und schön ist er und strahlend in großem Glanz, dein Sinnbild, o Höchster. durch Schwester Mond und die Sterne; am Himmel hast du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön. 1

2 durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst. durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch. durch Bruder Feuer, durch das du die Nacht erleuchtest; und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark. durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns ernährt und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt 2

3 und bunte Blumen und Kräuter. durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden. durch unsere Schwester, den leiblichen Tod; ihm kann kein Mensch lebend entrinnen. Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben. Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. Lobt und preist meinen Herrn und sagt ihm Dank und dient ihm mit großer Demut. 3

4 Liebe Gemeinde, Der Lobpreis Gottes und der Lobpreis der Schöpfung, der Natur waren für Franziskus ein und dieselbe Sache. Er konnte nicht die Schöpfung preisen und das tat er ja, wie kein anderer ohne gleichzeitig den Schöpfer zu preisen. Über Jahrhunderte hat dieser Lobpreis die Menschen in seinen Bann gezogen. Niemand war es gegeben das Schöpfungs- und Gotteslob eindrücklicher zu formulieren. Dieser gewaltige Eindruck bleibt bei jedem haften, der sich intensiv mit diesem Lobpreis beschäftigt und seine Worte auf sich wirken lässt. Das ist schon erstaunlich und bewundernswert für uns heutige Menschen. Wir können vielleicht noch die Schöpfung preisen, besonders angesichts ihrer Bedrohung, die durch 4

5 die Diskussion um den Klimawandel wieder einmal ins Bewusstsein gerückt wird. Und wir hoffen, dass die Schöpfung die permanenten Angriffe des Menschen einigermaßen glimpflich übersteht. Doch von der Hochschätzung der Natur bis zum Lobpreis Gottes ist es für uns ein weiter Weg, ein viel weiterer, als für Franz. Aber wieso war es für Franziskus einfacher, Gott zu preisen? Hatte er so ein ungetrübtes glückseliges Leben? Wir wissen, das Gegenteil war der Fall. Sein Leben als Bettelmönch und Ordensgründer war sehr viel schwerer als unser Leben heute. Die äußerlichen Lebensumstände waren miserabel und die Anfeindungen aus Kirche und Gesellschaft waren riesig. 5

6 Und doch beginnt er seinen Sonnengesang mit dem Lobpreis Gottes, als sei es das Selbstverständlichste und Naheliegendste. Aber eben weil unser Leben keine andauernde Glückseligkeit ist, sondern ein beständiges Auf und Ab, drängt sich das Gotteslob geradezu auf. Der Lobpreis Gottes, gerade wenn er keinen unmittelbaren Anlass in unserer gegenwärtigen Befindlichkeit hat, der Lobpreis Gottes, so erleben wir bei Franziskus, ist die Therapie für unsere negativen Lebenserfahrungen. Gott loben, so zeigt uns Franziskus, ist die natürliche Haltung des Menschen vor Gott. Gott allein ist groß. Menschen wachsen zu ihrer wirklichen Größe, wenn sie nicht sich selbst vergöttern, sondern Gott Gott sein lassen. 6

7 Gott loben ist ein Gebet und eine Therapie. Es lässt uns Menschen das sein und zu dem werden, was wir wirklich sind: Geschöpfe und Geliebte Gottes. In den ersten Strophen des Sonnengesanges werden Sonne, Mond und Gestirne aufgerufen, Gott zu loben. Die Schöpfung lebt in Polaritäten: Sonne und Mond, Tag und Nacht, Mann und Frau, Freude und Schmerz, wach sein und schlafen, geboren werden und sterben. Franziskus weiß um diese Polarität. Sie zieht sich durch den ganzen Sonnengesang. Franziskus kennt nicht nur das Licht, er kennt auch das Dunkel. Auch dieses, ja sogar Schmerzen und Tod, werden zum Lob Gottes aufgerufen. Bevor Franziskus den Sonnengesang schrieb, hatte er eine Zeit äußerster Prüfung durchlebt. Er war gezeichnet von einer schweren Augenkrankheit, und jeder Sonnenstrahl tat ihm weh; er durchlitt Depressionen und Schuldgefühle. Allem zum Trotz 7

8 lobte er Gott. In der Anbetung Gottes wuchs seine Seele über sich selbst und ihren Schmerz hinaus, sie wurde frei und erfuhr eine tiefe Freude. Weil er beides kannte, Sonne und Mond, Tag und Nacht, Licht und Dunkel, weil er beides annahm und für beides Gott lobte, fand er aus der Schwermut heraus zum inneren Frieden. Kaum etwas ist schwerer zu ertragen, als die Abwesenheit von Frieden, als der Unfrieden. Dabei muss man nicht gleich an Krieg denken, der schlimmsten Form des Unfriedens. In vielen Regionen der Welt ist das allerdings die tägliche schreckliche Realität. Unfrieden ist aber auch in anderen Formen belastend. Unfrieden in Beziehungen, Unfrieden in der Familie, Unfrieden im sozialen Gefüge der Gesellschaft, Unfrieden bei der Arbeit. 8

9 Es schmerzt Franziskus sehr, als er hört, dass in seinem geliebten Assisi die beiden Ranghöchsten wie Streithähne miteinander zanken: Bischof Guido mit dem Bürgermeister Oportulo. Um was es genau ging, wissen wir nicht; wahrscheinlich um Besitzrechte und Zuständigkeiten, wie so oft in italienischen Stadtstaaten. Jedenfalls sah Franziskus das höchste Gut in Gefahr: den Frieden. Da ersann er eine Strategie, wie sie für ihn, den Spielmann Gottes, typisch ist:»für uns als Knechte ist es eine Schande«, sagte er zu den Brüdern, die ihn pflegten und die seine Worte und sein gesamtes Eingreifen überliefern,»dass Bischof und Bürgermeister sich so hassen, ohne dass jemand zwischen ihnen vermittelt.«aus diesem Anlass fügte er seinem Sonnengesang die Strophe über den Frieden bei. Dann sandte er zwei Brüder zum Bürgermeister und zwei andere zum Bischof: sie sollten ihnen in seinem Namen den Sonnengesang mit der neuen Strophe vorsingen und sie zur Versöhnung einladen. Dem 9

10 Gefährtenbericht zufolge war der Erfolg überwältigend: die beiden Autoritäten gingen aufeinander zu, bekannten ihre Schuld und vergaben einander. Die Strophe, in der Franziskus den Tod seine Schwester nennt, klingt fremd. Und doch ist sie konsequent. Franziskus ist in seinem Loblied auf die Schöpfung so bodenständig, dass er den Tod nicht auslässt. Andererseits wird gerade in dieser Strophe die eigentliche Bestimmung und Würde der Schöpfung bewusst. Der Tod ist nicht der freie Fall ins Nichts, sondern die Tür zu einer neuen Existenzweise. Das Vertrauen auf Gott lässt Franziskus sicher sein: auch der Tod kann nicht im letzten Sinn tödlich sein, kann nicht vernichten. Auch der Tod kann nichts anderes als zu Gott führen. 10

11 So wird aus dem Erzfeind eine Schwester oder ein Bruder. Der Sonnengesang, dieser mittelalterliche Text, beinhaltet viele Schätze, die es lohnt, zu heben, auch heute noch. Er enthält die Aufforderung zum Lobpreis Gottes und der Schöpfung, zeigt Wege auf zur Friedensstiftung und zu nüchternem angstfreien Umgang mit dem Tod. Daneben sind noch viele weitere Schätze aus dem starken mystischen Glauben des hl. Franziskus von Assisi zu entdecken. 11