Medienkonferenz Mittwoch, 29. Oktober 2008 10.00 Uhr, Rest. Rathausgarten, Aarau Heiner Studer Präsident EVP Schweiz Bedeutung Flexibilität, Gründe gegen einen Aufschub Susanne Hochuli Grossrätin Grüne Argumente der Bauernschaft Kathrin Nadler Grossrätin SP, Sekretärin alv Argumente Lehrkräfte, Auswirkung APK Kurt Emmengger Grossrat SP, Regiosekretär Unia Austritt aus dem Erwerbsleben in Würde Urs Hofmann Nationalrat, Präsident AGB Zur Sicherheit von AHV und Pensionskassen
Co-Präsidium Aarg. Komitee Thomas Amsler (Regionalsekretär Syna Aargau) Reto Bleisch (Präsident Gewerkschaft Kommunikation) Max Chopard-Acklin (Grossrat, SP Aargau) Kurt Emmenegger (Grossrat, Regionalsekretär Unia Aargau) Claudio Eckmann (Bauunternehmer) Otto Fischer (Pensionierte SEV) Sämy Göbelbecker (Grossrätin, Avenir Social Aargau) Urs Hofmann (Nationalrat, Präsident Aarg. Gewerkschaftsbund AGB) Susanne Hochuli (Grossrätin, Biobäuerin, Grüne Aargau) Marcel Huggenberger (Inhaber Humar und Partner AG) Urs Kaufmann (Sekretär Aarg. Lehrerinnen- und Lehrerverband alv) Katharina Kerr (Grossrätin, Präsidentin KASPV / vpod Aargau) Andri Koch (Präsident Juso Aargau) Maria Künzle-Huber (Bankpersonalverband Aargau) Walter P. Meier (Präsident Vereinigung Aarg. Angestelltenverbände VAA) Geri Müller (Nationalrat, Präsident SBK AG/SO) Kurt Nussbaumer (SEV Sektionen Aargau) Peter Rymann (comedia Aargau) Heiner Studer (Präsident EVP Schweiz, ehem. Nationalrat) Josef Winter (Präsident CSP Aargau)
Flexibilisierung erträgt keinen Aufschub Von Heiner Studer, Präsident EVP Schweiz, alt Nationalrat, Vizeammann Die Delegiertenversammlung der Evangelischen Volkspartei (EVP) der Schweiz empfiehlt mit 73 zu 17 Stimmen sehr deutlich, der Volksinitiative Für ein flexibles Rentenalter zuzustimmen. Bei der Beratung der 11. AHV-Revision setzten wir damaligen EVP-Nationalräte uns für eine sozial abgefederte Flexibilisierung des AHV-Alters aktiv ein. Nachdem das Parlament dieses Anliegen schliesslich kippte, engagierten wir uns für ein Nein zu jener unzeitgemässen Vorlage. Das Nein des Volkes im Mai 2004 war so zu interpretieren, dass weitherum die Auffassung besteht, dass eine echte Flexibilisierung gefordert ist. Ein EVP-Vorstoss, eingereicht durch den Sprechenden, schlug ein sinnvolles Modell für eine Flexibilisierung vor. Diese Motion wurde, in ein Postulat umgewandelt, zur ernsthaften Prüfung an den Bundesrat überwiesen Bei der Neuauflage der 11. AHV-Revision fehlte es nicht an sinnvollen Vorschlägen, die Flexibilisierung zu erreichen. Auch die Bereitschaft der Initianten, ihr Begehren zugunsten einer tragfähigen Kompromisslösung zurückzuziehen, war eine klare Bereitschaft zugunsten einer breit abgestützten Vorlage. Leider gab es für keine Variante eine parlamentarische Mehrheit. Damit wird der Volkswille nicht erfüllt. In der jetzigen Situation haben Volk und Stände über die vorliegende Volksinitiative zu entscheiden. Das klare Abstimmungsverhältnis zeigt, dass die Delegierten der EVP der Flexibilisierung Priorität einräumen. Über die finanziellen Auswirkungen kann keine abschliessende Antwort gegeben werden. Es hängt sehr davon an, wer wirklich vor Erreichung des 65. Altersjahres Rentnerin oder Rentner werden will. Die AHV-Initiative fordert nicht zum früheren Ausstieg aus der beruflichen Tätigkeit auf. Sie will vielmehr den individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmenden Rechnung tragen. Das macht Sinn.
Flexibles Rentenalter für Bäuerinnen und Bauern Von Susanne Hochuli, Grossrätin, Biobäuerin Ich möchte einige Argumente aus Sicht der Bäuerinnen und Bauern darlegen. Um es vorweg zu nehmen: Redet man im Moment davon, dass bei Annahme der Initiative diejenigen Personen ab 62 Jahren eine ungekürzte AHV-Rente beziehen können, die weniger als Fr. 9'180 monatlich verdienen, ist diese Zahl aus Sicht der Bauern wie aus auch Sicht anderer Berufe mit grosser körperlicher Belastung sehr hoch. Solche Löhne oder Einkommen sind für diese Berufe sehr unrealistisch. Trotz dieses Stolpersteins für die Initiative möchte ich die wichtigsten Punkte nennen, die für ein Ja sprechen. Wenn Menschen aus der Landwirtschaft sich heute früher pensionieren lassen, weil sie körperlich die Leistung nicht mehr erbringen können, haben sie wie andere auch, je nach Einkommen, Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Um EL zu bekommen, gehört man aber bereits zu den Einkommensschwächsten und EL sichern die Existenz weiterhin auf einem tiefen Niveau. Sie können mir glauben, dass es für viele Menschen, die ein Leben lang gekrüppelt haben, nicht einfach ist, EL zu beantragen. Man fühlt sich erniedrigt, seines Wertes beraubt, kommt sich schon fast als Sozialbezüger vor etwas, das sich viele Menschen nicht vorstellen können: alt werden und nicht davon leben können, was man doch mühsam erarbeitet hat Für Bäuerinnen und Bauern bietet die Volksinitiative AHV ab 62 die Möglichkeit, den Landwirtschaftsbetrieb drei Jahre früher an die nächste Generation weiter zu geben. Das dient Alt und Jung. Neue Ideen, Investitionen, Anpassungen an Tierschutz, Umstellen auf Bio etc, wichtige Entscheide über die Zukunft können rechtzeitig getroffen werden. Der Entscheid, früher ins AHV-Alter überzutreten ist und bleibt freiwillig. Aber in manchen Fällen ist die Möglichkeit, AHV ab 62 beziehen zu können, hoch willkommen. Auf Bauernhöfen, wo die abtretende Generation mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Oder dort, wo man sich vom schnellen Wandel der wirtschaftlichen Umfeldes überfordert fühlt. Schon heute gehören Bäuerinnen und Bauern bei den Selbständigen zu der Berufsgruppe, die am häufigsten in irgendeiner Form nach einer vorzeitigen Lösung suchen muss, weil die strenge Arbeit kaum mehr zu bewältigen ist. Mit AHV ab 62 und der Bundesregelung würde das Verfahren einfacher. Medizinische Abklärungen und bürokratische Umwege bleiben erspart. In der Landwirtschaft ist oft von Strukturwandel die Rede. Mit forciertem Strukturwandel hat die Initiative AHV ab 62 nichts zu tun. Das flexible Rentenalter bietet eine soziale Lösung an, wenn die Bewirtschaftung des Bauernhofes nur ein Durchhalten ist. Die Kosten für AHV ab 62 können in der Landwirtschaft durch Verzicht auf viel teurere Betriebsaufgabeentschädigungen gespart werden.
Gründe für ein flexibles AHV-Rentenalter bei Lehrberufen Von Kathrin Nadler, Grossrätin / Pädagogische Sekretärin alv Der Lehrberuf gehört in die Gruppe der belastenden Berufe. Heute weist die Statistik eine überdurchschnittlich hohe Burnout-Rate aus. Zu viele Lehrpersonen müssen aus gesundheitlichen Gründen früher aus dem Schuldienst austreten. Mit der Heraufsetzung des Pensionsalters von 63 auf 65 Jahre bei der Revision der Pensionskasse apk hat die Möglichkeit, früher in den Ruhestand zu treten, markant verschlechtert. Der alv wünscht sich eine spezifische Anschlussvereinbarung mit der apk, die Initiative würde helfen, dieses Ansinnen zu unterstützen, da die Branchenlösung finanziell entlastet würde. Die Flexibilisierung ist daher gerade für die Lehrpersonen wichtig und notwendig. In den kommenden Jahren werden wir überdurchschnittlich viele ältere Lehrpersonen in den Aargauer Schulen haben. Die Belastung wird durch die Umsetzung der Bildungsreform sicher nicht kleiner. Gerade ältere Lehrpersonen müssen so die Möglichkeit haben, ihren Rückzug aus dem Schuldienst flexibel gestalten zu können. Sowohl die Lehrpersonen selber aber auch die Schule als Ganzes profitieren davon, wenn flexible Lösungen für die Personalsituation bestehen. Immer wieder in Diskussion ist die Feminisierung des Lehrberufes. Gerade für die Frauen ist die Flexibilität enorm wichtig, sollen sie überhaupt über eine frühere Pensionierung nachdenken können. Frauen haben oftmals eine ungenügende Absicherung über die 2. Säule, mit der Initiative könnte hier für Frauen eine kleine Möglichkeit geschaffen werden, früher in den Ruhestand zu treten. Die vorgeschlagene Lösung ermöglicht zudem eine Teilpensionierung, das heisst, es ist möglich teilweise zu arbeiten. Gerade im Lehrberuf ist dies eine gute Möglichkeit, eine Pensionierung in Etappen zu realisieren.
Für einen würdigen Ausstieg aus dem Arbeitsleben für alle Ja zu einem sozialen flexiblen AHV-Alter Von Kurt Emmenegger, Grossrat / Regiosekretär Unia Aargau Mehr als zwei Drittel der Menschen in der Schweiz wünschen sich ein flexibles AHV-Alter. (Und Bundesrat und Parlament haben dies schon seit bald 20 Jahren versprochen, aber nicht eingelöst.) Das hat auch die Privatassekuranz gemerkt und wirbt offensiv für teure Frühpensionierungslösungen ( Ich möchte mich pensionieren lassen, solange ich noch jung bin ). Die Frühpensionierungsquote ist denn auch zwischen 1996 und 2007 von 16 auf 20 Prozent gestiegen. Aber Frühpensionierung ist heute ein Privileg von gut ausgebildeten Männern mit hohen Löhnen und generösen Pensionskassenrenten. Zur Illustration hier ein paar ausgewählte Frühpensionierungsquoten: 51 % bei Banken und Versicherungen, 43 % bei Verkehr und Nachrichtenübermittlung, aber nur 22% im Gewerbe, 22% im Gesundheits- und Sozialwesen, 14% im Detailhandel und Gastgewerbe. Sie beträgt beim Kader 33%, aber nur 22% bei Mitarbeitenden ohne Kaderfunktion. Bei den Selbständigerwerbenden beträgt sie gerade mal 6%. Es ist offensichtlich, Arbeitnehmende und Selbständigerwerbende mit kleinen und mittleren Einkommen, die am dringendsten auf eine Frühpensionierung angewiesen sind, kommen heute zu kurz. Wer nicht mehr mithalten kann, meistens aus gesundheitlichen Gründen, oder gegen seinen Willen aus der Arbeitswelt ausgeschlossen wird und keine Stelle mehr findet, fällt heute oft zwischen Stuhl und Bank. 50 64 Jährige, die ihre Stelle verloren haben, sind besonders oft langzeitarbeitslos. Wer über 55 findet heute noch eine Stelle? So beschäftigen McDonalds, Orange, Sunrise gerade mal 2 bis 5 % Arbeitnehmende, die älter als 50 Jahre sind. Bei den Hirslanden-Spitälern, Kuoni, Roche und Swisslife sind es 16 Prozent. Eigentlich müssten es 25 Prozent über 50 Jährige sein. Schwere und belastbare Arbeit ist beileibe nicht nur das Los von Bauarbeitern. Auch andere Berufsgruppen leiden darunter: Die Arbeit von Pflegefachleuten ist körperlich und seelisch sehr belastend. Eine individuelle Frühpensionierung können sich gerade die vielen Frauen, die in der Pflege arbeiten, kaum leisten: Teilzeitarbeit wegen Familienarbeit, darum kleine Pensionskassenrenten weitere Abstriche liegen nicht drin.
Das gleiche gilt in Verkauf und Gastgewerbe. Auch viele Selbständigerwerbende sind im Alter mit gesundheitlichen und anderen Problemen konfrontiert. Eine zweite Säule haben sie oft nicht. Abstriche an der AHV-Rente sind nicht verkraftbar. Hier schafft die Initiative für ein flexibles AHV-Alter Abhilfe: Weil die AHV-Rente nicht gekürzt wird, können auch diese Arbeitnehmende und Selbständige mit kleinen und mittleren Einkommen ab 62 in Rente gehen. Die Initiative ermöglicht so für diese Arbeitnehmende und Selbständigerwerbende einen würdigen Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Die Initiative ist eine moderne, gerechte und günstige Antwort auf ein drängendes gesellschaftliches Problem und löst grosse soziale, gesundheitliche oder Arbeitsmarktprobleme vieler älterer Arbeitnehmenden und Selbständigerwerbenden.
Die AHV als Hauptsäule der Sozialen Sicherheit von Urs Hofmann, Nationalrat/Präsident AGB, Aarau Die Schweizerische Bundesverfassung legt fest, dass die Alters- und Hinterlassenenvorsorge auf drei Säulen zu beruhen hat, nämlich auf der AHV, der beruflichen Vorsorge und der Selbstvorsorge (Art. 111 BV). Gleichzeitig wird festgehalten, dass die Renten der AHV den Existenzbedarf angemessen zu decken haben (Art. 112 Abs. 2 lit. b BV). Der AHV kommt damit die Funktion einer dauerhaften und sicheren finanziellen Grundversorgung im Alter zu. Sie ist die Hauptsäule der sozialen Sicherheit. Während Jahren wurde, vorab von Vertretern von Versicherungen und Banken, der Eindruck erweckt, einzig die 2. Säule, d.h. die Pensionskassen mit dem Kapitaldeckungsverfahren garantiere sichere Renten. Dort spare jeder für sich selbst und habe sein Rentenkapital 'auf sicher'. Dies im Gegensatz zur AHV, wo aufgrund der demographischen Entwicklung und der Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes keine Gewähr für künftige Rentenauszahlungen bestehe. Schon das Platzen der Internetblase Anfang des neuen Jahrtausends wie auch die heutige Finanzund Bankenkrise zeigen, dass die Sicherheit und die Höhe der Renten der 2. Säule weit mehr als diejenigen der AHV, wo ein rasches Handeln der Politik möglich ist, von der wirtschaftlichen Entwicklung, der Teuerung und der Stabilität des Finanzsystems abhängig sind. 'Gespartes Geld' kann aufgrund der Börsenentwicklung sowie schwerer Wirtschaftskrisen rascher als man gemeinhin denkt 'verschwinden'. Demgegenüber stellt das Umlageverfahren der AHV sicher, dass die Rentnerinnen und Rentner 1 zu 1 in den Genuss der von der aktiven Generation finanzierten Rentenleistungen kommen. Spekulationsverluste, Hyperinflation und Wertzerfall von Aktien und Immobilien treffen die AHV einzig im Bereich des Ausgleichsfonds. Gerade weil in der AHV weit weniger Geld 'verloren gehen kann, ist diese Form der Altersvorsorge besser steuerbar und muss auch weiterhin im Zentrum der kollektiven Altersvorsorge stehen. Am 30. November 2008 geht es zwar nicht um die Sicherstellung der bisherigen Leistungen der AHV. Mit einem Ja zu einem flexiblen AHV-Alter auch für kleinere und mittlere Einkommen haben die Stimmberechtigten jedoch die Möglichkeit, die zentrale Bedeutung unserer AHV zu unterstreichen und breiten Bevölkerungskreisen die Chance zu geben, zusammen mit ihrer privaten Selbstvorsorge und den Leistungen der 2. Säule autonom über den Zeitpunkt ihrer Pensionierung entscheiden zu können. Die Initiative 'JA zu einem flexiblen AHV-Alter' schafft Handlungsspielräume für alle und nicht nur für diejenigen, die für ihren vorzeitigen Altersrücktritts auf die AHV gar nicht angewiesen sind.