Stellungnahme des Berufsverbands der Bremer Frauenärzte zur steigenden Kaiserschnittrate in der Geburtshilfe



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Transkript:

Stellungnahme des Berufsverbands der Bremer Frauenärzte zur steigenden Kaiserschnittrate in der Geburtshilfe Bremen, 21.11.2005 Ein Gespenst geht um in Deutschland: Und wie durch ganz Europa, zieht es auch durch Bremen: Die durchschnittliche Häufigkeit der Kaiserschnitte auf 100 normale Geburten ist in den letzten 15 Jahren um mehr als das Doppelte gestiegen. Lagen die Kaiserschnitte 1990 noch bei ca. 12%, so betragen sie im Jahr 2005 ca. 25%! Die Begründung für einen Kaiserschnitt liegt in der Vermeidung von absehbaren Gefahren für Mutter und/oder Kind. Ein Blick auf die mütterliche und kindliche Morbiditäts- und Mortalitätsrate seit 1945 zeigt, dass die großen Verbesserungen in Deutschland in den ersten 40 Jahren stattfanden. In den letzten zwei Jahrzehnten sind nur noch geringe Verbesserungen der insgesamt im internationalen Vergleich sehr guten geburtshilflichen Ergebnisse festzustellen. Die Kaiserschnittrate ist allerdings durch alle Jahrzehnte hindurch kontinuierlich weiter angestiegen. Schwangerschaft und Geburt sind große Ereignisse im Leben von Frauen und Paaren. Dementsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die diesem Erlebnis zuteil wird. Schwangere informieren sich heute weniger in ihrer Familie und ihrem direkten sozialen Umfeld, sondern bei den sog. "Professionellen", den Hebammen, Geburtsvorbereiterinnen und Ärzten. Aber auch die allgemeine Öffentlichkeit in Form von Zeitungen, Internet, Fernsehen etc. hat einen immer größeren Einfluss auf das Schwangerschafts- und Geburtserleben der Einzelnen. Es gibt so etwas wie eine "öffentliche Meinung", wie Schwangerschaft und Geburt in unserer Gesellschaft in ihrem Verlauf beurteilt werden. Das Geburtserleben z.b. kann beschrieben werden zwischen Schmerz und Erfahrung großer körperlicher Kompetenz; zwischen Scham und Stolz; zwischen Angst und Vertrauen; zwischen Risikobetonung und Naturvertrauen. Diese öffentliche Meinung unterliegt stark gesamtgesellschaftlichen Einflüssen. Wir Bremer Gynäkologinnen und Gynäkologen in Praxis und Klinik sind wichtige Begleiter der Frauen in Schwangerschaft und Geburt. Im Bewusstsein unserer Verantwortung halten wir es daher für notwendig, den Ursachen für die veränderte Situation in der Geburtshilfe nachzugehen und diese auch öffentlich zu diskutieren. Als ersten Schritt dahin legen wir diesen Artikel vor, in dem wir uns mit einzelnen aus Literatur und Patientengesprächen entgegengebrachten Fragen und Behauptungen zur Erhöhung der Kaiserschnittfrequenz auseinandersetzen und unsere Meinung als Bremer Berufsverband dazu wiedergeben. 1. Frage Ist die Kaiserschnittrate so angestiegen, weil die Ärztinnen und Ärzte in Schwangerschaft und Geburtshilfe immer mehr die Kompetenz an sich gerissen haben? Der ärztliche Einfluss auf Schwangerschaft und Geburtshilfe hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Die Geburtshilfe verzeichnet für diesen Entwicklungsabschnitt zwar eine Zunahme der Risikofaktoren in der Schwangerschaft, aber auch ein deutliches Absinken der Mortalität und Morbidität bei Mutter und Kind, vor allem in den ersten Jahrzehnten nach 1945. Die Kaiserschnittrate steigt allerdings auch nach 1990 kontinuierlich weiter an, also in 1

einer Zeit, in der die Hebammen deutlich mehr an Einfluss in Schwangerschafts- und Geburtshilfe gewannen: Seitdem gibt es in Bremen z.b. hebammengeführte Kreißsäle und Geburtshäuser, es gibt Hebammenbegleitung in die Krankenhäuser, es gibt die zunehmende kooperative Betreuung der Schwangeren durch Ärztinnen und Ärzte und Hebammen. Ganz offensichtlich lässt sich der Wandel der Geburtshilfe also nicht einfach auf einen einzelnen Berufszweig zurückführen, sondern spiegelt immer auch gesamtgesellschaftliche Sichtweisen des Gesundheitswesens wider. Der Berufsverband geht grundsätzlich davon aus, dass alle in der Geburtshilfe tätigen Berufszweige als oberstes Interesse eine fachlich und menschlich gute, und das heißt für uns eine die Natur unterstützende Geburtshilfe leisten wollen und sich dabei gegenseitig behilflich sind - auch mit eventueller Kritik. Unterstellungen und Schuldzuweisungen sind dabei einer gemeinsamen Arbeit abträglich. 2. Frage Ist die Kaiserschnittrate so angestiegen, weil die Ärztinnen und Ärzte die Geburtshilfe nach ihren Freizeitbedürfnissen regeln? Sind Kaiserschnitte vor 22Uhr und vor dem Wochenende gehäuft? Ein Blick in die Geburtsbücher der Bremer Kliniken zeigt, dass die Kaiserschnittzahlen über den Tag verteilt und auch an den Wochenenden nahezu gleich bleibend sind. Die Häufung der Kaiserschnitte in den Morgenstunden der Wochentage liegt an den primär geplanten Kaiserschnitten z.b. bei Beckenendlage, Zwillingen, HIV-Infektionen etc. 3. Frage Führen die durch den technischen Fortschritt deutlich vervielfachten Überwachungsmöglichkeiten von Mutter und Kind zu einer erhöhten Kaiserschnittrate? Neben das CTG ist in der Geburtshilfe zunehmend die Bestimmung des kindlichen ph-wertes getreten, die differenziertere vorgeburtliche Ultraschall-Diagnostik sowie der Placenta-flow-Messung. Je mehr dadurch Risiken erkannt werden, umso häufiger wird die Entscheidung getroffen, sie zu vermeiden und nicht vertrauensvoll zuzuwarten. Die Geburtshilfe hat immer mehr die Aufgabe übernommen, nicht nur Gefahr für Mutter und Kind abzuwehren, sondern schon im Vorfeld das drohende Risiko zu vermeiden. Dabei spielt sicher auch der Druck der Justiz eine große Rolle: Die Prozesskosten und Schadensersatzsummen bei geburtshilflichen Streitfällen sind in den letzten Jahrzehnten sprunghaft angestiegen. Und es gibt keine einzige Verurteilung in Deutschland, die dem Geburtshelfer einen überflüssigen Kaiserschnitt vorwirft, sondern nur Verurteilungen wegen nicht durchgeführten Kaiserschnitts! Wie stark der Druck auf Geburtshelfer ist, Risiken frühzeitig zu erkennen und ggfs. durch Kaiserschnitt zu vermeiden, lässt sich auch ablesen an den gerade in den letzten 15 Jahren immens gestiegenen Haftpflichtprämien für Geburtshelfer. In Bremen z B liegt die Berufshaftpflicht für Internisten bei ca. 3000 /Jahr, die der Chirurgen bei 18 000. Die Haftpflicht der Geburtshelfer lag 1990 bei ca. 6000 und ist inzwischen angestiegen auf mehr als 20 000 im Jahr 2005! In den USA ist eine Versicherung, die das berufliche Geburtshilferisiko abdeckt, nur noch bei wenigen Versicherungen möglich. 2

4. Frage Sind an dem wachsenden Druck auf die Geburtshelfer nicht nur die zunehmenden technischen Möglichkeiten beteiligt, sondern auch die werdenden Eltern selbst? In Deutschland ist die Tendenz zu immer weniger Kindern, die dann die Träger aller Hoffnungen sind, unübersehbar. Die Erwartung, eine perfekte Geburt zu erleben, wird durch die Einmaligkeit des Ereignisses immer größer. Hinzu kommt das zunehmende gesellschaftliche Sicherheits- und Machbarkeitsdenken. Es zeigt sich auch im Schwangerschafts- und Geburtserleben. Krass ausgedrückt besteht der Anspruch an die Medizin, ein gesundes, perfekt ausgestattetes Kind am Termin zu garantieren. Geburt wird nicht als Schicksal erlebt, sondern als ein technischer Vorgang, dessen Perfektion durch professionelle Helfer erreicht wird. Lieber die Risiken zu hoch einschätzen und Natur durch Technik ersetzen, als einen "Schaden am Endprodukt" erleben müssen! Eine weitere Folge dieses Sicherheitsdenkens wird sich auf die Dauer auch darin bemerkbar machen, dass die Geburtshelfer immer weniger Erfahrungen sammeln können in der Betreuung von Risikogeburten wie z.b. bei Beckenendlage oder Zwillingsschwangerschaft. Diese abnehmende geburtshilfliche Erfahrung wird dann wiederum die primäre Entscheidung zu einem Kaiserschnitt bei Eltern und Geburtshelfern verstärken. 5. Frage Steigert das zunehmende Durchschnittsalter der Frauen bei der ersten Geburt das Kaiserschnittrisiko? Diese Frage ist eindeutig zu bejahen. In Bremen ist die Zahl der Erstgebärenden über 35 Jahren von ca. 10 % im Jahr 1990 auf mehr als 20% im Jahr 2005 angestiegen. Bestimmte Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen nehmen mit steigendem Erstgeburtsalter eindeutig zu und fließen mit ein in eine Entscheidung zum Kaiserschnitt. 6. Frage Führt die moderne Medizin und insbesondere die Reproduktionsmedizin zu vermehrten Risikoschwangerschaften, die dann eine erhöhte Kaiserschnittrate zur Folge haben? Die Fortschritte in IVF und ICSI, und die damit einhergehend Zunahme der Mehrlingsschwangerschaften erhöhen die Kaiserschnittrate. Die Fruchtbarkeit von Frauen mit chronischen Erkrankungen, wie z.b. Diabetes mellitus, Herz- und Nierenerkrankungen oder Hepatitisinfizierter steigern ebenfalls die Kaiserschnittrate. Als weiterer Faktor ist noch das gestiegene durchschnittliche Geburtsgewicht der Neugeborenen zu nennen. 7. Frage Die Morbidität und Mortalität durch Kaiserschnittentbindungen hat durch chirurgische Fortschritte deutlich abgenommen. Ist der Kaiserschnitt einfach der bessere Geburtsweg? 3

Insgesamt hat uns die Abnahme der Gefährlichkeit des Kaiserschnitts die Diskussion um den "Kaiserschnitt auf Wunsch" beschert und damit sicher auch die Kaiserschnittrate gesteigert. Allerdings ist die Häufigkeit dieses Wunsches deutlich geringer als die umfangreiche Diskussion darüber vermuten lässt: In der Literatur angegebene Raten schwanken zwischen 3,8 und über 40%. Nach eigenen Erfahrungen der Kliniken und Praxen in Bremen liegt die Rate der ohne medizinische Indikation gewünschten Kaiserschnitte bei ca. 2-3%. Die Frauenärztinnen und Frauenärzte Bremens raten allgemein von einem primären Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation ab. Sicher hat die Gefährdung der Frau und des Kindes bei einem Kaiserschnitt durch die Fortschritte der modernen Medizin erheblich abgenommen. Trotzdem ist nach einem Kaiserschnitt mit deutlich mehr Schmerzen als nach einer natürlichen Geburt zu rechnen. Daran ändert auch die Methode nach Misgav-Ladach nichts, dem sog. sanften Kaiserschnitt. Die Entlastung des Beckenbodens durch den Kaiserschnitt ist nur bedingt richtig. Der Beckenboden wird nicht nur durch die vaginale Geburt, sondern hauptsächlich durch die neunmonatige Tragzeit des Kindes belastet. Ob generell Schmerzen zum Geburtserlebnis dazugehören oder nicht, ist eine ideologische Frage. Auch die Periduralanästhesie (PDA) bedeutet einen Eingriff und eine zusätzliche Belastung für die Mutter und das Kind. Ob der Kaiserschnitt als gesündester Geburtsweg für ein Kind einzuschätzen ist, ist bisher nicht untersucht worden. Es gibt keine vergleichenden Langzeitstudien über die Entwicklung von Kaiserschnitt- und Spontangeburtskindern. Uns verwundert allgemein, dass das von vielen Frauen nach einer natürlichen Entbindung geschilderte große, fast rauschhafte Glücksgefühl durch die mit der Kraft des eigenen Körpers bewirkte Geburt eines Kindes eine so leise öffentliche Stimme hat. Wie laut tönen dagegen die Berichte der vielen prominenten Frauen, die einen geplanten Kaiserschnitt vornehmen lassen. Wir halten den sog. "Wunschkaiserschnitt" nur in wenigen Einzelfällen für sinnvoll (z. B. bei unbeherrschbaren Geburtsängste oder sexuellen Traumatisierung). Dazu kann allerdings auch der Fall gehören, dass wir mit unseren Argumenten für eine natürliche Geburt die Frau/das Paar nicht überzeugen können. Eine Geburtshilfe gegen den ausdrücklichen Willen der Schwangeren halten wir für falsch und einem guten Geburtsverlauf abträglich. Dementsprechend lehnen wir auch Forderungen nach Selbstzahlung eines Wunschkaiserschnitts ab. Unsere Aufgabe als Geburtshelfer ist es, der Frau in Schwangerschaft und Geburt beizustehen und unser Fachwissen für einen guten Geburtsverlauf einzusetzen. Wenn wir die Schwangere von der Richtigkeit unserer Geburtsvorstellung nicht überzeugen können, bleibt unsere Aufgabe als Begleiter trotzdem bestehen und soll nicht zur Rolle des Strafenden werden. Zusammenfassung Die Steigerung der Kaiserschnittrate in den letzten Jahren ist auffällig. Die Geburtshilfe spiegelt hier die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wider: Der Weg geht von der Abwehr realer Gefahr hin zur Risikominimierung, im Gesundheitswesen vom Kampf gegen individuelle Krankheiten hin zur flächendeckenden Vorsorge und Vermeidung von Krankheiten. Alle an der Geburtshilfe Beteiligten unterliegen diesem Trend, tragen aber auch durch ihr Verhalten zu seiner Verstärkung bei. Eine gemeinsame Reflexion über die Konsequenzen dieser Entwicklung ist dringend erforderlich. 4

Dr. med. F. Davidsmeyer (niedergelassener Frauenarzt) Prof. Dr. med. C. Frantzen (Frauenklinik St. Joseph Stift) D. Jungkamp (niedergelassene Frauenärztin) Dr. med. E. Holthaus-Hesse (niedergelassene Frauenärztin) Dr. med. C. König (niedergelassene Frauenärztin) Prof. Dr, med. W. Küpker (Frauenklinik TKH Nord) Dr. med. A. Neumann (Oberarzt Frauenklinik ZKH Bremen LDW) Prof. Dr. med. H. Öney (Frauenklinik ZKH Links der Weser) Dr. med. P. Schütte (niedergelassener Frauenarzt, Berufsverband der Frauenärzte) Prof. Dr. med. E.H. Schmidt (Frauenklinik Ev. Diakonissenanstalt) Prof. Dr. med. W. Schröder (Frauenklinik ZKH Mitte) M. Schubert-.Stadler (niedergelassene Frauenärztin) H. Schweigart (niedergelassene Frauenärztin) Dr. med. A. Umlandt (niedergelassener Frauenarzt) Dr. med. J.-P. Weymar (niedergelassener Frauenarzt, Berufsverband der Frauenärzte) 5