Sprechzettel - es gilt das gesprochene Wort - Sitzung Bundesrat am 14. Dezember 2012 Redeentwurf für Herrn Ministerpräsident Stanislaw Tillich Antrag des Bundesrates für ein Verbot der NPD Anreden Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in Artikel 21 Absatz 2 die Möglichkeit des Verbotes einer Partei bewusst geregelt. Mit den Prinzipien einer Demokratie ist es nicht vereinbar, Parteien
2 mit Mehrheitsentscheidung eines Parlaments zu verbieten. Deshalb sind die Hürden zu Recht hoch. Und deshalb entscheidet über das Verbot einer Partei das Bundesverfassungsgericht. Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich am 6. Dezember auf einen Antrag des Bundesrates zum Verbot der NPD verständigt. Grundlage der Entscheidung war die Materialsammlung der Innenminister. Aus Sicht der Länder ist damit nun zweifelsfrei belegt, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Ihr Tun zielt aktiv-kämpferisch darauf ab, unsere freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beseitigen.
3 Im Klartext: Die NPD will unsere staatliche Ordnung umkehren. Der Freistaat Sachsen hält deshalb ein NPD-Verbot für notwendig und geboten. Meine Damen und Herren! Im Jahr 2003 ist das erste Verbotsverfahren an rein formalen Gründen gescheitert. Das damalige Verfahrenshindernis können wir bei einem neuen Anlauf vermeiden. Alle Länder haben die V-Leute aus den Führungsstrukturen der NPD abgezogen.
4 Die Innenminister stützen sich in ihrer aktuellen Bewertung auf Material aus offen zugänglichen Quellen. Dazu gehören insbesondere das Parteiprogramm und Äußerungen bei öffentlichen Veranstaltungen. Und die reichen völlig, wie ich an einem Beispiel zeigen will: Seit 2004 sitzt die NPD im Sächsischen Landtag. Kurz vor meiner Reise als sächsischer Ministerpräsident nach Israel hat die NPD im Sommer 2010 im Landtag eine Debatte beantragt.
5 Das Thema allein war schon unsäglich: "Keine Zusammenarbeit mit Schurkenstaaten sächsisch-israelische Partnerschaft beenden." Die dann folgende Debatte war schlimmer als alle Befürchtungen: Der Fraktionsvorsitzende der NPD und heutige Bundesvorsitzende hat eine antisemitische Hetzrede gehalten, die in Ton und Inhalt erschreckend an finsterste Tage deutscher Geschichte anknüpfte. Auch durch Abdrehen des Mikrofons war diese Hassrede nicht zu stoppen. Erst als der Landtagspräsident Polizeikräfte zur Unterstützung
6 herbeigerufen hatte, konnte der Eklat beendet werden. Derartige Auftritte fügen unserem Ansehen in der Welt immensen außenpolitischen Schaden zu. Nicht nur bei diesem Auftritt, hat die NPD in Sachsen immer wieder deutlich gemacht, dass sie Nahtlos an nationalsozialistisches Gedankengut anknüpft. Und noch eines: Wenn die NPD in einem Parlament vertreten ist, nutzt sie ihre Abgeordnetenmandate schamlos als Schutzmantel, um nationalistische Propaganda zu verbreiten.
7 Sie hat darüber hinaus finanzielle und logistische Ressourcen, mit denen sie auch die Arbeit einer gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene in Sachsen zumindest befördern kann. Diese Kreise haben es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, in einigen Regionen Menschen mit anderer Weltanschauung und Kultur gezielt zu bedrohen und einzuschüchtern. Meine Damen und Herren:
8 Es gibt Hinweise auf ein Zusammenwirken gewalttätiger Rechtsextremisten in sogenannten Kameradschaften mit der NPD. Ich meine: Es kann und darf nicht sein, dass wir eine gewaltbereite Szene auch noch indirekt aus Steuermitteln unterstützen. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern haben eine umfassende Materialsammlung zur NPD erstellt. Die materiellen Voraussetzungen für ein NPD- Verbotsverfahren können mit dem Bericht der Innenminister wie folgt begründet werden: 1. Die NPD ist verfassungsfeindlich,
9 weil sie offen rassistisch und fremdenfeindlich ist; weil sie unverhohlen den Parteienstaat abschaffen will. 2. Die NPD hat eine aktiv-kämpferische und aggressive Grundhaltung, weil es ihr nicht um parlamentarische Teilhabe geht, sondern um die Abschaffung des Parlamentarismus; weil parlamentarische Beteiligung für die NPD allenfalls Mittel zum Zweck ist. 3. Die NPD steht gewaltbereiten Strukturen nahe. Das zeigt sich
10 in ihrem Schulterschluss mit Neonazis, die unsere Demokratie sowohl auf der Straße als auch in den Parlamenten bekämpfen wollen. Das zeigt deutlich: Es ist das Ziel der NPD, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu überwinden. Damit wird die Verfassungsfeindlichkeit der NPD belegt. Die materiellen Voraussetzungen für ein NPD- Verbotsverfahren können mit dem Bericht der Innenminister hinreichend begründet werden. Es bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit eines Parteiverbots insbesondere vor dem
11 Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Nach gängiger Auffassung unserer Juristen kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht kassieren. Und ich bin mir ganz sicher, dass unser Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung die Europäische Menschenrechtskonvention sowieso heranziehen wird! Also: Meines Erachtens ist das Bundesverfassungsgericht hier der Maßstab.
12 Meine sehr geehrten Damen und Herren: Jeder neue Schritt braucht Mut. Wir haben diesen Mut! Und ja, wir gehen ein Risiko ein. Aber dieses Risiko müssen wir aber in Kauf nehmen. Schlimmer als ein eventuelles Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht wäre aber, diesen Schritt gar nicht erst zu gehen. In der aktuellen Ausgabe des Spiegel äußert der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer: wenn man begründen kann, dass das vorliegende Material für ein Verbot reicht, dann muss man es machen sonst riskiert man, dass dieses Schwert mit der Zeit einrostet.
13 Ich sehe es deshalb als unsere Verpflichtung an, jetzt für ein Verbotsverfahren einzustehen. Die Kritiker eines Verbotsantrags meinen, die NPD sei politisch bedeutungslos geworden. Dabei verkennen sie, dass insbesondere das Parteienprivileg wirksame Maßnahmen gegen die Volksverhetzung und menschenverachtende Ideologie nahezu unmöglich macht. Meine Damen und Herren: Das klingt abstrakt. Ist es aber nicht. Ein Beispiel: Wie sollen die Lehrer den Kindern und Jugendlichen in den Schulen unser demokratisches Denken vermitteln, wenn in
14 unmittelbarer Nachbarschaft die NPD ihre rassistische und antisemitische Ideologie verbreiten darf? Oder ein anderes Beispiel: Wir haben jedes Jahr am 13. Februar, am Jahrestag der Bombardierung von Dresden im zweiten Weltkrieg die gleiche Situation. Die NPD und andere Rechtsextremisten versuchen diesen Tag stillen Gedenkens für ihre Zwecke zu vereinnahmen und melden Demonstrationen an. Meine Damen und Herren: Ich will als Ministerpräsident nicht mehr erklären müssen,
15 warum Verbote von NPD-Demonstrationen auf Grund des Parteienprivilegs vor Gericht kaum eine Chance haben; und warum Polizisten diese Demonstrationen von erklärten Verfassungsfeinden schützen müssen. Noch einmal: Unser Grundgesetz ist und bleibt erster Maßstab und Verpflichtung für unser Handeln: Gemäß Art. 21 Absatz 2 Grundgesetz sind Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.
16 Wenn die NPD nicht unter Art. 21 GG zu subsumieren ist, weiß ich nicht, worauf diese Vorschrift jemals angewendet werden soll. Die Innenministerien haben ordentlich gearbeitet. Wir haben geprüft und uns von der Qualität überzeugt. Schon 2003 waren die Länder von einem Verbotsverfahren überzeugt. Heute ist der Antrag besser vorbereitet. Jetzt ist nicht die Zeit zum Zaudern oder Zögern. Die NPD hat mit ihrer Menschen verachtenden Ideologie bereits mehr als genug Schaden über unser Land und seine Bürger gebracht.
17 Angestachelt durch die Ideologie der NPD ist schon viel zu viel unerträgliches Unrecht verübt worden. Es wird Zeit, dass wir diesen widerlichen Umtrieben ein Ende bereiten. Niemand soll glauben: mit dem Verbot der NPD wäre der Rechtsextremismus in Deutschland abgeschafft. Das menschenverachtende Gedankegut von Rechtsextremisten lässt sich nicht verbieten. Wir müssen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegentreten.
18 Nur dann können wir die falschen Argumente und demokratiefeindlichen Einstellungen der NPD und ihrer Anhänger entlarven und bekämpfen. Es muss uns allen in Kopf und Herz klar sein: Die stumpfen Botschaften der Neonazis nehmen wir nicht hin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Es reicht im wahrsten Sinne des Wortes. Lassen Sie uns den ersten Schritt gehen, und die NPD dahin zu befördern, wo sie hingehört ins politisch Nichts. Das geht nur mit dem vor Ihnen liegenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht, die NPD zu verbieten. Ich bin erleichtert, dass wir als Länder im Bundesrat heute diesen Antrag beschließen.
19 Danke für Ihre Aufmerksamkeit.