Zahnärztliche Versorgung bei Menschen mit Behinderung Impulsreferat Fachtagung Patientenversorgung am 21./22. Februar 2011 in Berlin
Begrüßung Guten Tag meine Damen und Herren, zunächst bedanke ich mich für die Einladung zur heutigen Veranstaltung mein Name ist Margit Hudelmaier ich bin die 1. Vorsitzende des Bundesverbandes Contergangeschädigter e.v. gerne nutze ich die Gelegenheit als Betroffene zum Thema Zahnärztliche Versorgung bei Menschen mit Behinderung zu referieren meine Problemdarstellungen orientieren sich an einer Conterganschädigung; können aber jederzeit auf andere Behindertengruppen übertragen werden.
Ausgangslage Am 01. Oktober 1957 brachte das Pharmaunternehmen Grünenthal aus Stolberg das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan rezeptfrei in den Handel. Von 1958 bis 1962 kamen in Deutschland etwa 5000 behinderte Kinder zur Welt, oft mit verkürzten und veränderten Gliedmaßen. Der in Contergan enthaltene Wirkstoff Thalidomid hatte den Wachstumsprozess der Kinder im Mutterleib im frühen Stadium der Schwangerschaft gestört.
Zahnpflege Anspruch der Medizin Eine einwandfreie Mundhygiene kann nur durch eine genaue und gründliche Pflege von Zähnen und Zahnfleisch erreicht werden. Zähneputzen ist der erste und wichtigste Schritt im Kampf gegen schädliche Bakterien. Doch die Zahnbürste erreicht nur ein Viertel des Mundes. Deshalb: Nach dem Zähneputzen eine Mundspülung benutzen. Zur optimalen Mundpflege gehört außerdem Zahnzwischenraumpflege (z.b. mit Zahnseide), um auch den Zahnbelag aus den Zahnzwischenräumen zu entfernen. Auch die beste häusliche Mundpflege ersetzt nicht den regelmäßigen Besuch beim Zahnarzt inklusive einer professionellen Zahnreinigung. Bei der professionellen Zahnreinigung werden harte und weiche Beläge, Zahnstein und Verfärbungen auf den Zahnoberflächen in den Zahnzwischenräumen und in den Zahnfleischtaschen gründlich entfernt.
Tatsächliche Situation der Menschen mit Behinderung am Beispiel der Conterganschädigung
Aufbauend auf diesen Fotos soll das Thema dezidierter dargestellt werden. Zahnpflege: Contergangeschädigte sind aufgrund der verkürzten oberen Extremitäten, ihrer deformierten Hände und verkürzten Finger nicht in der Lage, ihre Zähne nach wissenschaftlichen Vorgaben zu pflegen. Hilfspersonen sind ebenfalls nicht in der Lage dies zu übernehmen. Folge: All diese Umstände führen bekannter Weise zu Erkrankungen (z.b. Parodonditis) Vorbeugende Maßnahmen: Professionelle Zahnreinigungen Leistungskatalog: 2 x jährlich Conterganspezifischer Bedarf: 6 x jährlich
Einsatz der Zähne zur Alltagsbewältigung Contergangeschädigte wurden von Kindheit darauf trainiert, fehlende Gliedmaßen bzw. mangelnde Fähigkeiten zu kompensieren: So dienen bei Betroffenen die Zähne nicht nur als Kaufunktion, sondern übernehmen regelmäßig Greiffunktionen z.b. zum Öffnen von Flaschen zum Drehen von Türschlüsseln zum Transportieren von schweren Taschen Fazit: Die Zähne contergangeschädigter Menschen sind von Kindheit an Extremsituationen ausgesetzt, was zwischenzeitlich kostenintensive Behandlungen, wie z.b. Zahnersatz zur Folge hat.
Zahnersatz Festsitzender Zahnersatz Grundsätzlich ist bei kleinen Lücken und festen Pfeilern eine Brücke fast immer möglich. Herausnehmbarer Zahnersatz Bei sehr großen Lücken kann allerdings in der Regel nur herausnehmbarer Zahnersatz als Alternative zu Implantaten eingesetzt werden, da eine Brückenkonstruktion zu einer Überlastung der weit auseinander liegenden Zahnpfeiler führen würde. Zum herausnehmbaren Zahnersatz gehören sowohl ganz einfache prothetische Versorgung wie z.b. Klammerteilprothese oder Vollprothese aus Kunststoff als auch aufwändigere Teilprothesen. Implantat Implantate sind der hochwertigste Zahnersatz und werden meines Wissens nur mit einem Festbetrag der Kassen bezuschusst.
Fazit Zahnersatz Gesundheitliches Risiko, z.b. nach Beschleifen der Zähne für Kronen können Zähne absterben. eingeschränkte Kaufähigkeit bei nicht gelungener Ästethik und Lautbildung enorme psychische Belastung der Patienten eingeschränkte Lebensqualität
Fazit für contergangeschädigte Menschen contergangeschädigte Menschen sind bei der Wahl des Zahnersatzes eingeschränkt eine teilprothetische Versorgung ist für Contergangeschädigte weitgehend unmöglich, da für die Betroffenen nicht zu händeln die notwendige Hilfe Dritter stellt ein nicht zu unterschätzendes Risiko mit Blick auf die Verletzungsgefahr im Mundraum dar viele Betroffene müssen im Alter von 50 Jahren bereits zum 2. Mal mit Zahnersatz versorgt werden, was eine enorme finanzielle Belastung darstellt viele Betroffene waren aufgrund ihrer schweren Behinderung gar nicht in der Lage erwerbstätig zu sein, andere wiederum, denen es gelungen war, sich berufsmäßig zu etablieren, müssen zwischenzeitlich aufgrund der Folgeschäden wieder frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden: Eigenmittel stehen für eine bedarfsgerechte Versorgung nicht zur Verfügung
Ausblick Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich konnte Ihnen in der sicher knappen Zeit als Expertin in eigener Sache aufzeigen, wo die gravierenden zahnärztlichen Versorgungsprobleme contergangeschädigter Menschen liegen. Tatsache ist, dass wir von einer bedarfsgerechten Versorgung wie es die UN-Konvention fordert weit entfernt sind. Ehrlich gesagt, bin ich gespannt, ob nach der heutigen sicher gut gemeinten Veranstaltung ein Umdenkungsprozess bei den Entscheidungsträgern in Gang kommt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!