rost l, Bohren ~--er Folge 94:Johannes Brahms' "Ein deutsches Requiem" KLASSIKKANON

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Transkript:

KLASSIKKANON Folge 94:Johannes Brahms' "Ein deutsches Requiem" Bohren ~--er rost l, Eine düstere Totenmesse nach herkömmlicher Machart hatjohannes Brahms partout nicht schreiben wollen. Er suchte die Texte für sein "Deutsches Requjerrr" selbst zusammen komponierte dazu eine Musik, die auch den Trost nicht vergisst. Christoph Vratz hat die umfangreiche Diskographie des Werkes gesichtet eine Auswahl getroffen. 80 FOND FORUM 11/15

KLASSIKKANON Sergiu Celibidache brauchte bei seiner Aufnahme von 1957zehn Minuten weniger Zeit als bei der von 1981. Es wurde ein Anti-Requiem, offenbar wusste Brahms anfangs selbst nicht so recht, wohin sich sein Projekt entwickeln würde. Requiem? Damit verbindet man in der Musikgeschichte die "Dies irae"-wuchten bei Mozart Verdi. Doch Brahms dachte anders. Er wollte nicht die Vorstellung eines Weltgerichts musikalisch abbilden, nicht die Schrecken des Todes, personifiziert im Leiden Christi, er wollte nicht explizit ein Leben nach dem Tod besingen. Daher erscheint bei ihm der Tod als Bruder Schlaf, als ein Tor zur Ruhe, zur Heimkehr. Wenn er mit dem Zitat aus der Bergpredigt beginnt - "Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.!die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten" - ist damit das Grthema dieses Werkes mit all seinen Spannungen umrissen. Welch große Spielräume ergeben sich daraus für die Interpreten. Jin paar nackte Zahlenvergleiche sollen die Dimensionen verdeutlichen: Celibidache braucht für den ersten Satz knapp 14 Minuten, Roger Norrington (in seiner ersten Einspielung) weniger als neun; Sinopoli braucht 7'24 für Satz vier, Rattle Bruno Walter weniger als fünf Minuten; Karajan 1984 dehnt den sechsten Satz auf mehr als l3 Minuten, Carl Schuricht bleibt unterhalb der Zehn-Minuten-Grenze. Die Rezeptionsgeschichte hat dieses "Requiem" oft zu einer reinen Totenmesse werden lassen, mit entsprechend lang- Während Celibidache 14 Minuten für den ersten Satz braucht, ist Norrington schon nach neun fertig samen Tempi. Andererseits wurden einige Sätze,ihrer Dramatik wegen, deutlich schneller genommen, etwa im sechsten Abschnitt das "Dann wird die Posaune schallen" - um auf diese Weise dem "Dies irae"-gedanken zu entsprechen? Zum "Deutschen Requiem" liegen - als erstem von sechs Brahms- Werken insgesamt - Metronom-Angaben vor, basierend auf Vorschlägen des Dirigenten Brahms- Frees Carl Martin Reinthaler, der an der Bremer Erstaufführung unmittelbar beteiligt war. Hält man sich an diese Werte, kommt man auf eine Gesamtspielzeit von bis zu 65 Minuten. Doch die Skala scheint nach oben hin offen. Zu den Zeremonienmeistern der Langsamkeit zählen, neben Celibidache (der 1957 in seiner Kölner Aufnahme mit 77 Minuten deutlich zügiger war als 1981 mit 87 Minuten), auch Wilhelm Furtwängler mit seiner Aufführung in Stockholm (1948) mit 80 Minuten Fritz Lehman 1954 mit 79Minuten. Eine Aufführung ausschließlich nach strengen Metronomangaben war ohnehin nicht in Brahms' Sinne. Ebenso jede Form von falscher Expressivität. Er schätzte vielmehr die kleinen, fließenden Übergänge, "con discrezione", wie er selbst schreibt, kleine Bewegungen, Schattierungen, Rückungen, die nicht sklavisch einem Normwert folgen. Die frühe Aufnahmegeschichte führt nach Amsterdam, wo Willem Mengelberg 1940 eine höchst eigene Deutung dieses Werkes festgehalten hat. Der Chor klingt ähnlich kompakt wuchtig wie in seiner Einspielung der "Matthäus- Passion". In der Fuge am Ende von "Herr, lehre doch mich" deutet er, anders als Furtwängler, Klemperer, Toscanini, den sonst so markigen Bass innerhalb der Fuge mit auffallender Schönheit. Und was passiert im sechsten Satz, an analoger Stelle?Wieder eine Fuge: Doch Mengelberg bricht ab. Schluss. Zäsur. Übergang zum nächsten Abschnitt. Ein einmaliger Vorgang. Drei Jahre vor dieser Aufnahme noch einmal drei Jahre später, 1943, hat Arturo Toscanini das "Deutsche Requiem" festgehalten. Im Oktober 1937 leitete er zwei Konzerte des BBC Symphony Orchestra in London, die leider in ziemlich mieser Klangqualität aufgezeichnet worden sind (BBC), obwohl die Interpretation intimer, weniger statisch ausfällt als die Deutung des dann 75-Jährigen mit dem NBC Symphony in New York, bei der zudem in englischer 82 FONO FORUM 11/15

Sprache gesungen wurde - auch das ein Kuriosum der Aufnahmegeschichte, zusätzlich gesteigert durch Herbert aufnahmetechnisch deutlich herausragen. Klemperer hatte die Größe des Philharmonia Chorus jeweils dem Charakter der Janssens bemüht (Guild). einzelnen Sätze angepasst, daher klingt er im vierten Satz mit kleinerer Besetzung englische Aussprache Zu den diskographischen Sonderbar- ungleich entspannter als in der großen Fuge im sechsten Satz. Die Einspielung ist längst ein Klassiker, obwohl sie durchaus auch kritisch gesehen wurde. In der Tat findet man das sanft Lächelnde einiger der Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale sowie dasselbe Orchester - Berlins Philharmoniker - trafen, um dasselbe Werk Sätze in anderen Einspielungen stärker berücksichtigt, doch hier verdichten sich Ernst, Würde eine geradezu alttesta- aufzunehmen. mentarische Strenge zu einer Größe, die keinen Widerspruch zu dulden scheint. keiten zählt auch die Tatsache, dass sich 1955 an selber Stelle, in der [esus-christus- Kirche Berlin, zwei Mal dieselben Chöre - der Berliner Motettenchor Nur die Dirigenten Solisten trugen andere Namen. Im Februar April sangen Maria Stader Otto Wiener unter Fritz Lehrnann (DG), im Juni wurden Elisabeth Grümmer Dietrich Fischer-Dieskau von RudolfKempe (Warn er) geleitet. Nicht nur klangästhetisch sind die Ergebnisse unterschiedlich, trotzdem gehören beide Einspielungen in die engere Wahl der besten Alternativen; Lehman dank der weit gespannten Bögen, die das "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" wahrhaft Das verleiht Klemperers Brahrns-Deu- tung ihre Gültigkeit, stärker noch als in der ebenfalls nicht zu vernachlässigenden Produktion von 1956 mit dem Kölner Rfunk-Sinfonieorchester sics). (ica clas- Die Liste der Aufnahmen, gendwo im grauen Bereich die irzwischen "mittelprächtig" "ganz gut" anzusiedeln sind, fällt lang aus. Sie umfasst unter anderem Namen wie [arnes Le- eindringlich das "Selig sind, die da Leid tragen" ungemein tröstlich erscheinen lassen; Kempe wiederum dank des vine (1983, DG), Zubin Mehta (2009, Helicon), Nezet-Seguin (2009, LPO), etwas schlankeren Chorgesangs. Kempe gräbt nicht nach dramatischen Effekten, verschiedenen Karajane (wobei sich die Versionen von 1947 - mit Schwarzkopfl Hotter - von 1957, live aus Salzburg er bepinselt die Momente der Hoffnung nicht zusätzlich mit Balsam. Er nimmt das Werk in seiner ganzen Tiefgründigkeit beim Wort. Elisabeth Grümmer singt ihren Part ergreifend: schlicht, zärtlich, aber nicht niedlich. Wann ist die Utopie Simon Rattle (2006, Warner), die vielen mit della Casa/Fischer-Dieskau, von den späteren, eher glatteren Aufnahmen abheben, beide Warner); dazu Solti (1977, Decca), Haitink (1980, Philips), ton -Solo, neben einem halben Dutzend Ormandy (1962, Sony), Schuricht (1959, Hänssler) - dies nur als exemplarischer Querschnitt durch verschiedene Jahrzehnte der Aufnahmegeschichte. Dazu weiterer Produktionen, auch in einer zweiten, Maßstab setzenden Einspielung kommen Produktionen, die eine genauere Aufmerksamkeit verdienen, hier gesungen: 1961 unter Otto Klemperer. Hier gibt er sich noch prophetischer als zuvor unter Kempe. Elisabeth Schwarz- aber aus Platzgründen nur kurz genannt seien: die bereits erwähnte Furtwängler-Aufnahme aus Stockholm (1948, kopf singt ihr Solo ähnlich betörend wie Grümmer, fast ohne hörbare Atmer mit der ihr eigenen intensiven Tongebung. Außerdem handelt es sich um eine typische Walter- Legge- Produktion: Wie Music&Arts) - sowie als Kontrast im Vergleich dazu Bruno Walter (Seefried/Fischer- Dieskau mit den ner Philharmonikern, Andromeda) Chor Orchester Yorkern, Sony) - oder die über weite Teile fließend-tröstliche Einspielung mit HermannAbendroth (1952, Tahra oder von Trost jemals so festgehalten worden? Dietrich Fischer -Dieskau hat das Bari- miteinander ver- woben sind, lässt diese Aufnahme auf dem Hintergr des damals Möglichen 1954 (Seefried/London 1953 Wie Hinterließ keine Studioproduktion des "Deutschen Requiems", aber zwei Live-Mitschnitte: Carlo Maria Giulini. mit den New 11/15 FOND FORUM 83

KLASSIKKANON Legendär ist die 61er-Aufnalrrne Klernperer mit Dietrich unter Otto Fischer-Dieskau Arlecchino); dazu die beiden Varianten mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rfunks, live unter Rafael Kubelik (1978, Audite) (nach 1962) in der zweiten Aufnahme unter Wolfgang Sawallisch (Orfeo). Einige Produktionen wie mit Christian Thielemann aus München (2006, mit Schäfer/Gerhaher) mit Claudio Abbado (1997, Bonney/Terfel) sind nur als DVD verfügbar (Abbados frühere Berliner Aufnahme von 1992 als CD bei DG, mit Studerl Schmidt). Es mag überraschen, dass ein bekennender Brahms-Enthusiast wie Carlo Maria Giulini offen zugegeben hat, dass "Ein deutsches Requiem" das einzige Brahms- Werk sei, mit dem er seine Schwierigkeiten habe: "Die kontrapunktischen Abschnitte konnte ich nicht in eine Beziehung setzen zu dem, was Brahms vorher nachher komponiert hat." Diese Begründung mag verwern, hatte Brahms doch gerade die Alten Meister, darunter Schütz, Bach, Händel, Couperin, die Alten... Zum Werk... Elisabeth Sopransolo p;j'.,;, 84 FONO FORUM 11/15 betörend Schwarz kopf, die das zu singen verstand. Werk: "Ein deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift für Soli vierstimmigen Chor mit Orchester" Besetzung: 2 Flöten, Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott ad libitum,4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, 2 Harfen, Streicher, Orgel ad libitum, Solo-Sopran, Solo-Bariton, vierstimmiger Chor Sätze: 1. Chor: Selig sind, die da Leid tragen; 2. Chor: Denn alles Fleisch, es ist wie Gras; 3. Bariton Chor: Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss; 4. Chor: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth; 5. Sopran: Ihr habt nun Traurigkeit - Chor: Ich will euch trösten; 6. Chor: Denn wir haben hie keine bleibende Statt - Bariton: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis; 7. Chor: Selig sind die Toten Texte: Der Protestant Brahms orientiert sich bewusst nicht an der Liturgie der katholischen Totenmesse. Brahms hat verschiedene Bibel-Texte nach der Luther-Übersetzung zusammengestellt, vornehmlich aus dem Alten Testament; geradezu demonstrativ verzichtet er auf eine Vertonung des Auferstehungs-Gedankens. "Was den Text betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern das,deutsch' fortließe einfach den,menschen' setzte." - Ein "menschliches Requiem"? Entstehung: 1859 taucht erstmals der Plan zu einer" Trauerkantate" auf. Ab 1860 beginnt Brahms mit den Exzerpten von Bibel-Zitaten. Nach dem Tod der Mutter am 1.2.1865 lässt ihn der Gedanke an ein Requiem nicht mehr los. Die heiße Kompositionsphase zieht sich bis in den Sommer 1866; die Idee zu einem siebten Satz (später an der Stelle des fünften Satzes) reift im Frühjahr 1868. Uraufführung: Die Erstaufführungen erfolgten in Etappen: 1.12.1867 Wien (Sätze 1-3, Johann Herbeck als Dirigent); 10.4.1868 Bremen (Sätze 1-4; Brahms); 17.9.1868 Zürich (Satz 5; Friedrich Hegar); 18.2.1869 Leipzig (Sätze 1-7; Carl Reinecke) Fassungen: Von 1869 stammt eine vierhändige Klavierbearbeitung von Brahms (ohne Chor, dessen Stimmen weitgehend im Klavierpart integriert sind); die sogenannte" Londoner Fassung" von 1871 liegt dieser Version zugre; darin werden alle Stimm-Partien doppelt ausgeführt, gespielt gesungen; von anderen Komponisten stammen Versionen für Klavier solo, für Orgel, für Chor, zwei Klaviere Pauken Bedeutung: Mit diesem Werk gelingt Brahms der endgültige Durchbruch. In einer Rezension von 1869 heißt es: "Eine Musik von unbeschreiblicher Neuheit, Kraft Frische, bald rührend elegisch, bald lieblich lyrisch, bald erschütternd dramatisch, die feinste kontrapunktische Kunst eingekleidet in volkstümliche Weisen, dabei eine Harmonik Orchestrierung, so prächtig effektvoll, wie sie bisher in einem Werke der Kirchenmusik noch nicht dagewesen." Buch-Tipp: Wolfgang Sandberger (Hg.): Johannes Brahms - Ein deutsches Requiem Symposion - Ausstellung - Katalog. Edition text + kritik 2012

Formen genau studiert. Entsprechend viele Fährten finden sich in seinem "Requiem": Passacaglia-Anlehnungen, Fugen, Choral usw. Giulini jedenfalls hat uns keine Studio- Produktion dieses Werkes hinterlassen, dafür immerhin zwei Live-Mitschnitte: 1978 vom Festival in Edinburgh (mit Cotrubas Fischer-Dieskau, BBC) 1987 aus Wien (mit Bonney Schmidt, DG). Man sollte sie nicht leichtfertig übergehen. Übrigens hat auch Günter Wand, obwohl er die Brahms-Sinfonien fest im Repertoire hatte, um das "Requiem" einen Bogen geschlagen. Die Aufnahmegeschichte des Werkes wurde neu justiert, als die ersten Einspielungen mit historischen Instrumenten erschienen. Roger Norrington zeigte 1992 mit den London Classical Players erstmals seine Sicht auf dieses Werk: Von seinen zügigen Tempi war schon die Rede, allein insofern nimmt diese Aufnahme eine besondere Stellung ein. Die Aufnahme kommt erwartungsgemäß schlank daher, voller Details,voller rhythmischer Finessen, knorrig-mahnend die Pauken, transparent der Schütz Choir of London, engmaschig die dynamischen Entwicklungen. An diese Interpretation reicht Norringtons zweiteaufnahme von 2014 mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart nicht heran (Hänssler). Auch lohn Eliot Gardiner hat das Werk zweimal aufgenommen, beide Male mit seinem herausragenden Monteverdi Choir, beide Male mit dem Orchestre revolutionnaire et romantique (1990, Philips; 2008, SDG). Gardiner hat sich tief in die Suche nach geeigneten Instrumenten vergraben in die Balance der einzelnen Orchester-Gruppen. Gerade die zweite Aufnahme, gereift, ausgefeilter, ist ein Muster an Feintuning. Das Orchester steht weniger direkt in vorderster Reihe, wodurch der Chor in all seiner vokalen Pracht, mit all seinen Schattierungen, mit seinem Leuchten, werbar zur Geltung kommt. Die Botschaft des Textes rückt stärker in den Vordergr. Außerdem interessiert sich Gardiner kaum für das Brahms-Bleierne, das gern ins Schaufenster gestellt wird, er zeigt uns lieber, Weg vom Brahms- Bleiernen: Gardiner stellt das "Deutsche Requiem" ins Licht dass diese Musik ungleich differenzierter damit auch heller, lichter klingen sollte. Diesem Ansatz folgt in Grsätzen auch Nikolaus Harnoncourt, der das "Deutsche Requiem" 1988 in einer DVD-Produktion 2007 als Live- Mitschnitt auf CD festgehalten hat. Das Werk sei keine Konfrontation mit der ewigen Verdammnis, sagt Harnoncourt, sondern "Trost für die Lebenden". Der Arnold Schänberg Chor die Wiener Philharmoniker meiden den Pomp, aber nicht den dramatischen Effekt,etwa wenn aus dem auflehnenden sich steigernden "Tod, wo ist Dein Stachel" der fast versöhnlich wirkende Übergang beim "Hölle, wo ist Dein Sieg?" erfolgt. Dennoch kommt diese Aufnahme weitgehend ohne Übertreibungen aus besticht durch die Homogenität von Chor warmem Edel-Orchesterklang: mahnend-bohrend das Blech, tröstend das Holz, seufzend-klagende Streicher (Sony). Zuletzt sollte die Fassung mit Klavier zu vier Händen in keinem Fall verschwiegen werden. In der reinen Klavier-Version ist die Einspielung mit Silke-Thora Matthies Christian Köhn (1996, Naxos) eine sichere Bank, fast gleichauf neben der Version mit Hans-Peter Volker Stenzl, die an einem Streicher-Flügel von 1880spielen, dem sogenannten.brahms- Flügel", der heute im Museum von Mürzzuschlag steht. Damit die einzelnen Sätze (in dieser rein instrumentalen Version) nicht abstrakt bleiben, liest der Schauspieler Stefan Fleming die von Brahms vertonten Texte separat. Von den Versionen mit Klavier, Chor Solisten, die gern als.londoner Fassung" verkauft werden, wäre abschließend die Aufnahme mit dem Accentus-Chor unter Laurence Equilbey mit Brigitte Engerer Boris Berezovsky am Klavier hervorzuheben (2003, Naive). Empfohlene Aufnahmen Für Historiker: Vincent, Kloos, Toonkunstkoor Amsterdam, Concertgebouw Orchester, Mengelberg (1940, Decca) Das frühe Toscanini-Dokument von 1937 rauscht mächtig. Daher ist Mengelberg vorzuziehen. Für Klassiker: Schwarzkopf, Fischer-Dieskau; Philharmonia Chorus & Orchestra, Klemperer (1961, Warner) Eine in ihrer Ernsthaftigkeit bis heute prägende Aufnahme, eine Predigt wie aus dem Geiste des Alten Testaments. Bleibend. Für Extremliebhaber: Auger, Gerihsen, Philh. Chor München, Mitglieder des Münchner Bach-Chores, Münchner Philharmoniker, Celibidache (1981, Warner) Dawson, Bär, Schütz Choir of London, London Classical Players, Norrington (1992, Warn er) Die mit 87 Minuten längste Aufnahme - mit 62 Minuten die wohl zügigste. Wem's gefällt... Fürs 21. Jahrhert: Fuge, Brook, Monteverdi Choir, Orchestre revolutionnaire et romantique, Gardiner (2008, SoliDeoGloria) Licht, tröstend, transparent der Chor, auf historischen Instrumenten. Alles werbar ausbalanciert. Für Klavierfree: Hans-Peter Volker Stenzl, 5tefan Fleming (2011, Ars Musici) Die Brahms'sche Klavierfassung, ohne Chor, dafür auf historischem Flügel, mit separat gesprochenen Texten. 11/15 FONO FORUM 85