Rede der Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein Dr. Juliane Rumpf zum 25-jährigen Jubiläum des Nationalparks Schleswig-holsteinisches Wattenmeer Nationalparkzentrum Multimar Wattforum 02. Oktober 2010 Anrede Wir feiern heute das 25-jährige Bestehen des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Mit einem Sahnehäubchen. Dazu hätte sehr gern auch unser Ministerpräsident gesprochen, der eine besonders innige Beziehung zu dem Lebensraum hat, der heute Nationalpark ist. Leider ist es ihm nicht möglich, heute an dieser Feier teilzunehmen. Aber ich versichere Ihnen, dass ich ihn sehr gern vertrete. Zuallererst möchte ich Ihnen das Wichtigste und Aktuellste mitteilen: vor 3 Stunden haben wir, mein
- 2 - niedersächsischer Amtskollege Hans-Heinrich Sander, die Leiter unserer beiden Wattenmeer-Nationalparke, Peter Südbeck und Detlef Hansen, und ich, aus den Händen von Frau Dr. Rössler von der UNESCO die offizielle Weltnaturerbe-Urkunde erhalten. Es ist mir eine besondere Freude, sie Ihnen jetzt zu zeigen: Urkunde hochhalten Die Anerkennung als Weltnaturerbe ist eine Auszeichnung, die nicht mehr zu toppen ist. Sie ist das Sahnehäubchen auf unserm Nationalpark-Jubiläum. In Zusammenhang mit der Anerkennung fielen Begriffe wie Nobelpreis oder Champions League für die Natur. Das klingt nicht nur toll das ist es auch. Die im Juni vergangenen Jahres vom Welterbekomitee der UNESCO in Sevilla ausgesprochene Anerkennung ist mehr als ein bloßes Zertifikat. Sie hat unserem Nationalpark neue Schubkraft gegeben: Watt- und Tourismusexperten aus den Niederlanden, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erarbeiten - koordiniert vom Wattenmeersekretariat - neue Marketingkonzepte, entwickeln Kampagnen und produzieren umfangreich neue Materialien, Broschüren, Flyer, Poster, Anzeigen und eine attraktive Homepage.
- 3 - Das Bundesbauministerium fördert diese Maßnahmen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit zwei Millionen Euro in den kommenden drei Jahren. Der immateriellen Wert der Welterbeanerkennung ist derzeit noch nicht abschätzbar, alle bezeichnen ihn aber als sehr, sehr hoch. Die Welterbeanerkennung ist toll, großartig und was der Superlative mehr sind. Sie beruht im Kern auf einer Geschichte, die ich als eine der großen Erfolgsgeschichten unseres Landes bezeichnen möchte. Die Geschichte des Nationalparks Schleswig- Holsteinisches Wattenmeer. Ich glaube mir diese Sichtweise erlauben zu können, weil ich daran kaum beteiligt war. Ich möchte eine kurze Bilanz ziehen und aufzeigen, was heute 25 Jahre nach der Einrichtung des Nationalparks anders ist als damals. Wissen Unser Kenntnisstand über das Wattenmeer hat sich seit Mitte der 1980er Jahre enorm erweitert. Dies lag an der umfangreichen Ökosystemforschung in den Jahren 1989-1996, an der Einrichtung eines wattenmeerweit
- 4 - einheitlichen Umweltbeobachtungsprogramms, des TMAP (Trilateral Monitoring and Assessment Program). Wir wissen heute recht genau, wie viele Sichelstrandläufer wann und in welchen Gebieten rasten, wo Seehunde ihre Nahrung suchen oder welche ökonomische Bedeutung der Natur-Tourismus hat. Mit Dänemark und den Niederlanden haben wir uns auf 28 Umweltparameter verständigt, die mit gleicher Methodik untersucht und in einer gemeinsamen Datenbank gesammelt werden. Darüber hinaus hat die Nationalparkverwaltung zu zahlreichen Spezialfragen Untersuchungsprojekte initiiert, betreut und ausgewertet. Das reicht von der Verbreitung von Ameisen auf Langeneß über die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vögel und Meeressäuger im Offshore Bereich bis hin zur Analyse der Filterfunktion von Stränden. Recht und Regelungen Der ausgezeichnete Kenntnisstand ließen die international herausragende Bedeutung des Wattenmeeres erkennen und zeigte, dass es das bedeutendste Naturgebiet Deutschlands ist. Der
- 5 - Nationalpark und seine Umgebung sind Feuchtgebiet internationaler Bedeutung nach dem Ramsar- Abkommen, Vogelschutz- und FFH-Gebiete der EU, ein Besonders Empfindliches Meeresgebiet der Internationalen Schifffahrtsorganisation und ein Biosphärenreservat der UNESCO. Vermutlich kein anderes Naturgebiet in Europa ist so vielfältig ausgezeichnet und geschützt. Der Nationalpark war daher ein wichtiges Argument im internationalen Nordseeschutz. Dass das Einbringen von Dünnsäure, Klärschlamm, Schadstoffen, Öl und Müll ins Meer gestoppt oder reduziert wurde, ist auch ihm zu verdanken. Auf Grundlage des Wissens wurde das Nationalparkgesetz 1999 novelliert. Der Nationalpark wurde um ein Drittel erweitert, die Kernzonen besser geschnitten und auch im marinen Bereich gibt es seitdem ein Gebiet, wo überhaupt keine Nutzung stattfindet. In den ersten Jahren des Nationalparks war es 450 Jägern erlaubt, im Nationalpark Wasservögel zu jagen. Dies wurde 1999 endgültig verboten.
- 6 - Aus Naturschutzgründen untersagt wurde auch die Herzmuschelfischerei, denn sie hat besonders massive Auswirkungen auf andere im Meeresboden lebenden Tiere. Die Fischerei auf Miesmuscheln, Austern und andere Muschelarten wurde in einem Muschelmanagementplan geregelt. Auf Antrag Schleswig-Holsteins hat das Bundesverkehrsministerium 1992 für Schiffe eine Befahrensverordnung für die Wattenmeer- Nationalparke erlassen. Sie regelt die Höchstgeschwindigkeit und das Befahren der Zone 1 und weist besondere Schutzgebiete für Robben und Vögel aus, die nun ungestörter leben. An vielen Orten werden nach Bedarf und zeitlich begrenzt lokale Schutzbereiche ausgewiesen, zum Beispiel im Frühjahr für brütende Seeschwalben an den Stränden von St. Peter-Ording, Westerhever und Föhr, für mausernde Brandgänse im Dithmarscher Wattenmeer oder für den Kegelrobben-Nachwuchs am Strand von Amrum und Sylt. Dadurch können die Tiere in Ruhe ihre Jungen aufziehen oder ihr Gefieder erneuern.
- 7 - Vieles, was jetzt besser geregelt ist als vor 25 Jahren, gründet sich nicht auf rechtliche Regelungen, sondern auf freiwillige Nationalpark-Vereinbarungen, die die Nationalparkverwaltung mit einer Vielzahl von Interessengruppen getroffen hat und die in allen Fällen auch die Zustimmung der Nationalpark-Kuratorien fanden. Natur und Schutz Der bessere Schutz, und die vielfältigen Managementbemühungen wurden an vielen Orten im Nationalpark augenfällig: 1985 glichen die Salzwiesen der Vorländer einem monotonen Golfrasen. Damals waren über 80% intensiv beweidet, heute sind mehr als 50% aller Salzwiesen ohne Beweidung und man findet ein natürliches Mosaik der salzwiesen-typischen Kräuter und Gräser. Hunderte spezialisierter Insektenarten haben wieder einen Lebensraum und Urlaubsgäste eine neuartige Natur- Attraktion. Der Küstenschutz ist dadurch nicht gefährdet. Die Fläche der Festlands-Salzwiesen ist von 1988 2006 sogar um etwa 30 Prozent angewachsen.
- 8 - Der Nationalpark ist nicht nur ursprünglicher, er ist auch ruhiger geworden: Im Königshafen auf Sylt stehen keine Fässer mehr, die den Piloten von Militärflugzeugen als Zielscheibe für Luft-Boden- Raketen dienen, in der Meldorfer Bucht werden kaum noch Erprobungsschießen durchgeführt und aus dem gesamten Nationalpark werden nur selten Störungen durch Tiefflüge gemeldet. Die seit vielen Jahren im Frühjahr auf den Halligen laufenden Ringelganstage beruhen sogar auf dem international von vielen Orten beschriebenen Nationalparkeffekt: Seit sie nicht mehr gejagt werden, werden die Vögel zunehmend vertrauter und dadurch zu einer touristischen Attraktion. Natur-Erleben Für eindrückliche Naturerlebnisse war das Wattenmeer schon immer gut. In den vergangenen 25 Jahren hat ihre Zahl und auch die Qualität der Angebote in einem Maße zugenommen, das damals kaum vorstellbar gewesen wäre. Urlaubsgäste können aus einem breiten, im Internet verfügbaren Spektrum an hochwertigen Naturerlebnis- und Naturgenuss-
- 9 - Angeboten wählen. Ob Seetier-Fangfahrt oder Salzwiesenführung - jährlich finden rund 10.000 Nationalpark-bezogene Veranstaltungen statt, davon 5.000 Wattführungen. Durchgeführt werden sie von Zivildienstleistenden und junge Menschen im Freiwilligen Ökologischen Jahr, von zertifizierten Nationalpark-Watt- und Gästeführern und von den Rangern der Nationalparkverwaltung. Sie alle machen Watt erlebbar - gut geschult und hoch motiviert. Als Indoor-Angebot eine Klasse für sich ist das Multimar. Seit seiner Eröffnung im Jahr 1999 haben es über 2 Millionen Gäste besucht. Mit inzwischen drei Erweiterungen wurde es immer wieder noch größer, noch besser und noch attraktiver. Es ist ein touristisches Highlight der Westküste. Einen Gesichtspunkt finde ich dabei besonders bemerkenswert: Die meistbesuchte öffentliche Einrichtung unseres Landes hat den Nationalpark, und damit die Natur, den Naturschutz und das Wattenmeer zum Inhalt. Das müssen wir uns mal auf der Zunge zergehen lassen. Dabei steht das Multimar nicht allein: mehr als 20 attraktive Nationalpark-Informationseinrichtungen der Naturschutzverbände, anderer Einrichtungen sowie der
- 10 - Nationalparkverwaltung lassen keine Nationalparkfragen offen. Neben vielen kleinen und feinen Einrichtungen sind die Seehundstation in Friedrichskoog und das im vergangenen Jahr eröffnete Erlebniszentrum Naturgewalten in List auf Sylt besonders besucherstark. Während es viele kleinere Informationseinrichtungen schon vor 25 Jahren gab, fehlten damals Informationen am Ort des Naturgeschehens. Entlang der Küste stehen heute viele Hunderte von ortsspezifischen Pavillons, Tafeln und Schildern, die Nationalparkgäste auf Natur-Highlights oder Erlebnispfade aufmerksam machen. Naturerlebnisse wurden aber nicht nur zahlreicher, vielfältiger und qualitativ besser. Durch die im Laufe der Jahre immer besser werdende Zusammenarbeit mit dem Tourismus entstanden Angebote, die ideal auf unsere Urlaubsgäste einerseits und unsere inhaltlichen Anliegen andererseits zugeschnitten sind. So sind komplette Natur-Touren im Internet buchbar. Als Folge der Welterbeanerkennung wurden neue Angebote entwickelt, die nun nach der weiten Welt klingen, von der unser Weltnaturerbe ein Teil ist: Small Five, Big Five, Flying Five.
- 11 - Wirtschaft Vom Nationalpark haben nicht nur Ringelgänse und Strandaster, Urlauber oder Vogelfreunde etwas. Der Nationalpark ist ein Wirtschaftsfaktor, von dem die Menschen in der Region massiv profitieren. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass der Nationalpark die Region nachhaltig fördert. Für 28 % der Übernachtungsgäste spielt er eine wichtige oder sehr wichtige Rolle bei der Reisezielentscheidung. Freizeitforscher berechneten für unseren Nationalpark einen touristischen Bruttoumsatz von jährlich 213 Millionen Euro. Der Nationalpark schafft und sichert danach 6.770 Arbeitsplätze. Gäbe es ihn nicht, man müsste ihn erfinden! Die Wirtschaftsunternehmen, die dies als erste erkannt haben, sind unsere Nationalpark-Partner. 116 sind es bisher. Watt- und Gästeführer, Reedereien, Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe, Gemeinden, Tourismus- und Naturschutzorganisationen sowie eine Eisenbahngesellschaft und andere Einrichtungen engagieren sich aktiv für den Nationalpark und bekunden dies als Nationalpark-Partner. Sie erfüllen
- 12 - bestimmte Umweltschutz- und nationalparkspezifische Auflagen und informieren ihre Kunden über den Nationalpark. Die Nationalpark-Partnerschaft bietet touristischen Anbietern eine Plattform für die eigene Werbung und ist ein Bündnis für den Nationalpark. Image Es ist kein Wunder, dass das Image und die Akzeptanz des Nationalparks bei den Einheimischen in den vergangenen 25 Jahren stetig gestiegen sind. Damals, vor und bei seiner Einrichtung, gab es große Widerstände. So wie bei allen anderen Nationalparks in Deutschland auch. Die Ablehnung hat sich im Laufe der Jahre aber in eine - fast möchte ich sagen dramatische - Zustimmung umgekehrt: Im vergangen Jahr erklärten 89 % der Einwohner Dithmarschens und Nordfrieslands, dass ihnen der Nationalpark vor ihrer Haustür wichtig sei, 33 % meinten sogar, sie seien stolz darauf. Derartige Zustimmungswerte sind in unserer vielschichtigen Gesellschaft eine seltene Ausnahme. Auf dies Zahlen können wir alle wirklich stolz sein. Nahezu jeder von Ihnen hier hat in der einen oder anderen Weise hierzu oder zu einem der anderen
- 13 - Erfolge beigetragen. Ich möchte keine einzelnen Personen nennen, aber ich erlaube mir als Umweltministerin unseres Landes dennoch vier Gruppen ganz besonders zu danken: Den Naturschutzverbänden, die seit Jahrzehnten mit höchstem ehrenamtlichen Engagement den Schutz der Wattenmeer-Natur zu ihrem Kern- Anliegen gemacht haben und dem staatlichen Naturschutz seit Jahren konstruktive Partner und Antreiber sind, den Nationalpark-Kuratorien, die die Entwicklung des Nationalparks kritisch-konstruktiv begleiten und so etwas wie das regionale Rückkopplungs- Organ wurden, den Nationalpark-Partnern, die zeigen das Nationalpark und Wirtschaft gut zusammen passen, und mein ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung, die konzipieren, initiieren, koordinieren, protokollieren, kontrollieren - und die Arbeit machen. Zu gern wüsste ich schon heute, worüber meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger in 25 Jahren bei der Feier zum 50. Nationalpark-Jubiläum sprechen wird. Während das Image kaum noch zu steigern ist, gibt es vor dem Hintergrund der äußeren Bedrohungen, wie der Belastung des Meeres mit Schad- und Nährstoffen
- 14 - oder dem Klimawandel noch viel zu tun. Wieder einmal wird Erfolg nur möglich sein, wenn alle zusammenstehen, um unseren Nationalpark, dieses Kleinod und Weltnaturerbe für künftige Generationen zu bewahren. Ob wir uns nun in erster Linie als Verbandsvertreter fühlen oder als Küstenschützer, ob als Fischer oder Vogelschützer, ob als Nationalparkverwaltung oder Landwirt nur wenn alle zusammenhalten, wird es gelingen!