Selbstliebe. Durch den anderen fühlen wir unsere eigene Liebe. Egoismus oder Notwendigkeit?



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Transkript:

Selbstliebe Egoismus oder Notwendigkeit? Der Satz: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst ist keine Aufforderung, jeden zu lieben. Niemand kann einen anderen absichtlich lieben. Ich kann mir zwar vornehmen, einen Menschen zu achten, zu tolerieren, zu akzeptieren, kann mich entschließen, ihm freundlich statt feindlich zu begegnen. All das liegt in meiner Macht. Aber ich kann mir nicht vornehmen, ihn zu lieben. Entweder spüre ich den Strom der Liebe in mir oder nicht, ich kann es aber nicht erzwingen. Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst bedeutet, dass nur der Liebe erfahren kann, der bereit ist, zu lieben. Glaube ich, nicht lieben zu können oder lieben zu dürfen, verschließe ich das Tor zu meinem Herzen, und solange dieses Tor verschlossen ist, werde ich Lieblosigkeit erfahren. Wenn ich aber die Liebe in mir zulasse, dann strahle ich sie auch aus. Dann sage ich: Ich liebe Dich. Genauer wäre die Aussage: Wenn ich an Dich denke, fühle ich Liebe in mir. Der andere ist nicht Adressat meiner Liebe, er ist vielmehr der Schlüssel zu dem Tor, hinter dem sich mein Gefühl der Liebe verbirgt. Durch den anderen fühlen wir unsere eigene Liebe Das große Dilemma der Menschen ist, immer wieder die Liebe eines anderen spüren zu wollen und ebenso immer wieder festzustellen, dass das unmöglich nicht. Wer versucht, Liebe von anderen zu erhalten, wird sie in sich nicht spüren. Die Liebe eines anderen kann keiner in sich spüren. Jeder kann nur seine eigene Liebe spüren. Das Paradox des Lebens und der Liebe ist, das nur der bekommt, der gibt. Wer auf das Nehmen aus ist, geht letztendlich leer aus. Die Suche nach Liebe fängt im Säuglingsalter an, denn ein Baby ist auf die Liebe der Eltern angewiesen. Es lernt, wenn ich lächle, dann lächelt die Mutter, und wenn ich weine, dann tröstet sie mich. So entsteht der Glaube, etwas tun zu müssen, um Liebe zu erfahren. Es ist eine Programmierung auf das Suchen. Kaum ein Erwachsener bringt dem Kind bei, sich selbst zu lieben. Das wäre eine Programmierung auf das Finden. Doch ein Mensch, der nur gelernt hat zu suchen, kann nichts anderes tun. Niemand hat ihm beigebracht, wie man findet. Alle haben nur erklärt, wie man sucht. Ein Kind von liebevollen Eltern weiß, wonach es sucht. Kinder, die unter schlimmen Verhältnissen aufwachsen, suchen noch energischer, weil sie die Liebe nie erfahren haben. Nicht nur Lob, auch Tadel ist eine Form der Zuwendung. Wer allzu lange

unter einem Mangel an Zuwendung leidet, dem ist eines Tages egal, in welcher Form er sie erhält. Ich bin seit über 20 Jahren Kriminalbeamter und habe nur wenige Straftäter eines Gewaltdeliktes erlebt, die eine glückliche Kindheit erfahren haben. Fragt man einen Menschen: Wen liebst du mehr? Dich selbst oder andere? antworten die meisten: Naja, ich liebe meine Eltern, meine Kinder, meinen Partner, aber mich selbst? Egoismus ist oft das genaue Gegenteil von Selbstliebe Manche halten Selbstliebe für Egoismus. Dabei kann Egoismus sogar das Gegenteil von Selbstliebe sein. Das Selbst ist der Mensch in seiner Ganzheit. Sein EGO ist das Bild, welches er von sich hat. Ein sich selbst liebender Mensch mag sich auch dann, wenn es schlecht läuft. Er liebt sich ganz, er liebt sich mit all seinen Stärken und Schwächen. Ein egoistischer Mensch mag sich nur dann, wenn er hat, was er will. Egoismus zielt auf das Selbstbild. Selbstbilder sind Rollen, mit denen sich Menschen identifizieren. Sie identifizieren sich mit einem Arbeiter, mit einem Politiker, manche halten sich für arme Schlucker. Sie haben von sich ein Bild gemacht und halten sich daran. Aber das Selbstbild ist nicht das wahre Selbst. Das Selbst ist immer größer als das Bild, das man von sich hat. Deshalb ist die Liebe zu seinem Selbst immer größer als die Liebe zu seinem EGO. Das EGO ist die Maske vor dem Selbst. Der freundliche Kollege, der im Beruf seinen Ellenbogen einsetzt, um auf der Karriereleiter höher zu steigen, handelt nicht aus Liebe zu sich selbst, sondern versucht, seinem Bild von sich bestmöglichst zu entsprechen. Wenn er ein Bild von sich als Abteilungsleiter hat, wird er alles tun, um Abteilungsleiter zu werden, und das, was er dafür tut, wird von den anderen als egoistisches Handeln empfunden. Man verstehe mich nicht falsch: Es ist nichts Schlechtes daran, Abteilungsleiter zu werden. Wenn das Selbst aber andere Pläne hat, kann es einen Akt der Selbstliebe bedeuten, sich das Bild vom Abteilungsleiter im wahrsten Sinne des Wortes abzuschminken. Denn Egoismus ist das Aufpolieren einer Maske, die schöner glänzen will als andere Masken. Egoismus bezieht sich somit immer auf den Vergleich mit anderen. Es muss einen geben, der sich benachteiligt fühlt. Die Voraussetzung für Liebe ist Kontakt. Man stelle sich einen Menschen vor, der in einem Verlies aufgewachsen ist und noch niemals in seinem Leben die Sonne gesehen hat. Wenn ich nun mit einem Bild von der Sonne zu ihm nach unten gehe und ihn auffordere: Liebe die Sonne, hat er keine Chance. Wenn ich ihn aber an einem schönen Sommertag an die Hand nehme, ihn nach draußen führe und bitte, sich auf den Rasen zu legen, die Augen zu schließen und die Sonne zu genießen, das

Licht und die Wärme auf seiner Haut zu spüren, und wenn ich dann zu ihm sage: Und nun mein lieber Freund, nun liebe die Sonne, dann hat er eine Chance. Das Gegenteil von Kontakt ist Distanz, und die schaffe ich durch Kritik. Je mehr ich einen Menschen kritisiere, desto weniger kann ich ihn lieben. Das gleiche gilt für mich selbst. Je stärker ich mich kritisiere, desto mehr entferne ich mich von mir und desto weniger kann ich mich lieben. Der Trick der Selbstliebe besteht also darin, sich selbst niemals mehr für irgendetwas zu verurteilen. Das bedeutet nicht, den jetzigen Zustand für alle Zeit zu zementieren. Die Akzeptanz seiner Selbst führt in der Folge zur Akzeptanz des Lebens, dessen Wesen die Veränderung ist. Alles ist im Wandel, ich brauche nichts dafür zu tun. Energie benötige ich nur, wenn ich versuche, die ewigen Veränderungen aufzuhalten. Auch ich verändere mich ständig. Ich denke und fühle heute anders als gestern und das ist in Ordnung. Ich werde auch morgen anders denken und fühlen als heute und auch das ist in Ordnung. Selbstsicherheit = Selbstbewusstsein Das selbstsichere Auftreten eines Menschen wird oft mit seinem Selbstbewusstsein verwechselt. Manchmal sind es gerade die Unbewusstesten unter uns Irdischen, die selbstsicher auftreten, man könnte sogar sagen, dass Unbewusstheit die Voraussetzung für selbstsicheres Auftreten ist. Ein bewusster Mensch hat sich irgendwann einmal die Frage gestellt, wer er eigentlich ist. Die Unbewussten haben sich dagegen noch nicht in Frage gestellt und sind sicher, wer sie sind. Diese Sicherheit geht gerade zu Beginn der spirituellen Karriere verloren. Auf dem Weg, sich selbst bewusst zu werden, erkennt man zunächst einmal, wer man alles nicht ist. Lange Zeit habe ich geglaubt, ich sei der Polizist, und die anderen Menschen waren entweder Kollegen, Geschädigte, Zeugen oder Täter. Ich war mir selbst und meiner Sache sicher. Mein Weltbild hatte einen festen Rahmen, und dementsprechend trat ich auf. Als ich erkannte, dass ich mehr war, als der Polizist, wurde ich unsicher, denn schließlich wusste ich nicht, wer oder was dieses mehr sein könnte. Wahrhaft selbst bewusste Menschen sind liebende Menschen. Sie haben ihre Selbstbilder abgelegt und sich getraut, einen Blick hinter die Maske zu werfen. Dabei haben sie mehr und mehr ihr wahres Selbst kennen und lieben gelernt. Diese Liebe strahlt auf andere aus. Und das kann man von vielen Polizisten nun wirklich nicht behaupten... Der erste Schritt zur Selbstliebe ist die Beobachtung meiner selbst. Der zweite Schritt ist die Achtung meiner selbst. Beides gehört zusammen. Das Wort achten ist in dem Wort beobachten enthalten. Indem ich darauf achte, wie ich über mich denke, wie ich

über mich selbst spreche und wie ich mich behandle, werde ich mir selbst gegenüber aufmerksamer. Ich werde mir selbst bewusst. Ich achte, was ich möchte und sage es auch so. Ich führe keine Rechtfertigungsargumente für meine Absichten ins Feld. Ich sage: Ich möchte... und Ich möchte nicht... So offenbare ich meine Bedürfnisse mir selbst und anderen gegenüber. Ein Beispiel: Ich werde von einem Zeitgenossen zum Tee eingeladen. Er hat zwei alte Katzen. Sie sind nierenkrank oder wie auch immer, auf jeden Fall riecht es in seiner Wohnung so komisch nach alten Katzen. Mit anderen Worten: Ich möchte da nicht hin. Ich habe nichts gegen den Menschen selber, er ist ganz nett, aber in seiner Wohnung fühle ich mich nicht wohl. Die bequeme Lösung wäre nun die Behauptung, ich hätte keine Zeit. Ich müsste meinem Bruder beim Umzug helfen oder was auch immer. Der Mensch sagt dann, es sei schade, aber aufgeschoben sei ja nicht aufgehoben. Einige Zeit später lädt er mich erneut zu sich nach Hause ein. Er hat sich vielleicht einen tollen Wandschrank gekauft... den musst du unbedingt mal sehen. Mein Kopf rotiert auf der Suche nach der nächsten Ausrede. Ausreden darf man nicht lieblos erfinden, man muss sich schon ein wenig Mühe geben, schließlich dürfen sie nicht als Ausreden erkannt werden. Doch irgendwann wird es richtig eng, denn je öfter ich absage, desto klarer wird dem Menschen, dass ich ihn nicht besuchen möchte. Wenn er offener ist als ich, wird er mich fragen, warum ich ihm nicht einfach sage, dass ich nicht in sein Haus kommen will. Und wenn er nicht nur offen sondern auch noch freundlich ist, zeigt er mir ein Bild von seinem tollen Wandschrank. Das Aussprechen dessen, was wir wirklich möchten und nicht möchten, ist das Leben der eigenen Wahrheit. Es geht nicht darum, den Menschen zu verletzen, ihm zu sagen, er hätte eine stinkende Katze. Aber ich kann sagen, dass ich mich gerne mit ihm treffen möchte (falls es stimmt), aber eben lieber außerhalb seiner Wohnung. Wenn er fragt, was mir denn an seiner Wohnung nicht passt, kann ich darauf eingehen oder nicht. Man kann Wahrheiten auch sanft vermitteln. Und wenn er es mir dennoch übel nehmen sollte, nun denn. Wie erzieht man Kinder zur Selbstliebe? Im Umgang mit Kindern, vor allen mit seinen eigenen, wird es schwieriger. Die Bedürfnisse der Eltern sind oft andere als die der Kinder. Die Mutter möchte sich mit ihrer Freundin in Ruhe unterhalten. Das Kind möchte toben. Prägung im negativen Sinn wäre der Satz: Wenn sich Erwachsene unterhalten, haben Kinder still zu sein. Die Prägung im positiven Sinn wäre der deutliche Ausdruck der Mutter: Ich möchte das nicht. Damit übernimmt sie die Verantwortung und schiebt ihre Entscheidung

nicht auf irgendeine Regel, die irgendwer mal irgendwann erlassen hat. So lernt auch das Kind, Verantwortung für die eigenen Absichten zu übernehmen. Es lernt zu sagen, was es möchte, und es lernt, dass es keine Angst haben muss, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das ist Anleitung zur Selbstliebe. Wenn die Mutter sich durchsetzt, lernt auch das Kind, sich durchzusetzen. Anleitung zur Selbstliebe ist keine Bankrotterklärung für Eltern. Sie hat auch nichts mit antiautoritärer Erziehung zu tun. In der Phase der sogenannten antiautoritären Erziehung haben die Eltern ihre eigenen Bedürfnisse total verleugnet. Und damit haben sie genauso viel Unheil angerichtet wie prinzipiell autoritär erziehende Eltern. Es macht keinen Unterschied, aus welcher Einstellung heraus man Kindern beibringt, dass Bedürfnisse keine Bedeutung haben. Das Kind ist auf Führung und Begleitung angewiesen. Wir sind die Lehrer unserer Kinder. Leben wir die Achtung vor uns selbst, lernen es die Kinder auch. Peter Michael Dieckmann Das Buch zum Thema: Peter Michael Dieckmann: Wenn zwei sich treffen in meinem Namen Gespräche mit JJ Goldmann Arkana ISBN: 3-442-33723-2 Weitere Informationen unter: www.gespraechemitjj.de Quelle: BALANCE 1/2006