Manuskript Beitrag: Alleinerziehende in Wohnungsnot Mit Kind im Obdachlosenheim Sendung vom 3. November 2015 Von Kyo Mali Jung Anmoderation: In Deutschlands Städten wird es eng. Der Wohnungsmarkt ist angespannt, die Mieten steigen. Immer mehr Menschen können das nicht mehr bezahlen, müssen raus aus ihrer Wohnung. Unter den Opfern von Zwangsräumung sind zunehmend Alleinerziehende. Frauen und Kinder zuerst - bedroht von Obdachlosigkeit. Kyo Mali Jung hat solche Frauen in Berlin über mehrere Monate begleitet. Frauen, die von den Landespolitikern zwar warme Worte über die soziale Stadt hören, aber sogar aus landeseigenen Wohnungen rausgeschmissen werden, raus in die soziale Kälte. Text: Das eine ist das Lachen mit dem Kind, das andere die Sorgen einer Mutter. Seit Monaten bestimmt Existenzangst das Leben von Jenny Neumann. Sie ist alleinerziehende Mutter. Ihr und ihrer Tochter droht die Zwangsräumung. Das ist einfach Angst, es ist Panik, das ist Angst, das ist Verzweiflung, einfach. Ganz pure Verzweiflung, weil ich einfach nicht, wohin dann mit uns und was passiert mit uns dann in den nächsten Monaten - ja, und in der Zukunft. Ich hab als alleinerziehende Mutter und dann auch noch als Studentin keine Chancen auf diesem Wohnungsmarkt, derzeit. Bis Ende des Jahres fehlen in Deutschland rund 400.000 Wohnungen. Jenny Neumann konkurriert bei jeder Besichtigung mit bis zu 50 Interessenten. In den letzten drei Monaten hat sie 80 Wohnungen nicht bekommen, die Hoffnung fast schon aufgegeben. Wie soll es weitergehen?
Das ist halt die große Frage, ne, was jetzt passiert, und somit auch die große Frage, wie verarbeitet mein Kind das, wie kann sie das verpacken. Ich hab einfach ein schlechtes Gewissen, dass mein Kind darunter leiden muss, unter dieser Situation gerade. Bei Zwangsräumungen wird keine Rücksicht darauf genommen, ob Kinder mit im Haushalt sind. O-Ton Laura Berner, Politikwissenschaftlerin, Humboldt- Universität zu Berlin, Studie Zwangsräumung und die Krise des Hilfesystems: Zwangsräumungen sind zu einem Phänomen geworden, was immer mehr Menschen betrifft, auch Familien mit Kindern, auch Menschen, die selber von sich nicht gedacht hätten, dass das Problem für sie mal relevant werden würde. Jenny Neumanns Vermieter ist die degewo - eine Wohnungsbaugesellschaft des Landes Berlin. Selbst die lassen schon bei kleinsten Mietrückständen räumen, nehmen auf die soziale Situation der Studentin wenig Rücksicht. Im Gegenteil: Jenny Neumann wird unter Druck gesetzt, als sie sich über Mängel in der Wohnung beklagt. Die degewo schreibt an eine Handwerksfirma zum Umgang mit Jenny Neumann: keine Konversation, und wenn dann nur über das Wetter oder über das Kinder kriegen plaudern. Als ich das damals gelesen hatte und dadurch, dass meine Situation gerade die war, dass ich Schimmel in der Küche hatte, war bei mir eigentlich ein kompletter Zusammenbruch. Und ich wusste mir auch nicht mehr anders damals zu helfen, dadurch dass man diesen Schimmel schon seit Monaten nicht beseitigt hatte, meine Tochter auch schon gesundheitlich darunter stark litt, dass ich dann einfach komplett die Miete einbehalten habe und das schriftlich auch so geschildert hatte. Menschlich verständlich, juristisch falsch. Der Schimmel wurde beseitigt, doch dann bekam sie Post. Ich war eigentlich guter Dinge, dass ich nun endlich den Termin zu einem persönlichen Gespräch bekommen würde und dass sich das Ganze eher zum Positiven wenden würde, stattdessen war es dann die fristlose Kündigung. Und für mich ist es einfach nur - mir ist der Boden unter den Füßen weggerissen worden.
Denn dann ist nicht nur die Wohnung weg. Die Oma wohnt nebenan, kann in Zukunft nicht mehr helfen und auf das Kind aufpassen. Meine Angst ist natürlich auch, dass meine Tochter ihre gesamten sozialen Kontakte, ihre Freunde, verlieren würde - auf einen Schlag. Und so ein Schulwechsel für ein Kind ist ja ohnehin nicht schon sehr leicht, dann aber auch noch damit sich auseinanderzusetzen, dass wir wohnungslos sind. Die Zwangsräumung im Nacken - sucht Jenny Hilfe. Ich hab mich an das Bezirksamt gewandt und diese haben die Problematik, dadurch, dass es in Berlin keine Wohnungen gibt, dass wir dann ins Obdachlosenheim verwiesen werden würden. O-Ton Birgit Münchow, Referentin Wohnungslosenhilfe, Arbeiterwohlfahrt: Vor zehn Jahren war es so, wenn wir mit wohnungslosen Frauen gearbeitet haben und mit deren Kindern, konnten wir ruhigen Gewissens sagen, wenn wir ein halbes, ein dreiviertel Jahr intensiv dran arbeiten, dann können sie ihr Leben danach auch wieder Stück für Stück aufbauen. Das würde ich mich heute so nicht mehr trauen zu sagen. Für viele Alleinerziehende ist daher das Obdachlosenheim die letzte Möglichkeit. Vor fast 30 Jahren kam Miriam Schmoldt aus Cuba in die DDR. Sie hat immer gearbeitet, trotzdem landete sie hier: 25 Quadratmeter, ein Schrank, ein Bett, ein Tisch, drei Stühle. O-Ton Miriam Schmoldt, alleinerziehende Mutter: Leandro war in der Schule, ich wollte nicht, dass er gleich so überrascht wird. Ich bin hier gekommen, ich komme hier in das Zimmer und ich habe gesagt: Oh, mein Gott! Habe ich gleich geweint, sofort Tränen in den Augen. Ich habe versucht ein bisschen gemütlich, dass er nicht so fremd fühlt. Er ist gekommen und hat gesagt, oh Mama, ein Zimmer. Ich habe gesagt, es ist nicht für immer, es ist für einen Moment. Der Moment dauert jetzt schon neun Monate. Ein paar persönliche Erinnerungen an den Wänden. Miriams verzweifelter Versuch aus der Notunterkunft ein Heim zu machen - vor allem für ihren achtjährigen Sohn. Ihre Ehe ist gescheitert. Der Ex hinterließ ihr Schulden und einen Schufa-Eintrag wegen Mietrückständen. Sie stand noch im
Mietvertrag. Ein Fehler mit Folgen, wie sie immer wieder erfahren muss. Ein Schufa-Eintrag und das Obdachlosenheim als Adresse sind beinah unüberwindbare Hindernisse bei der Suche nach den eigenen vier Wänden. O-Ton Cornelia Attique-Ur-Rahman, Erwachsenenwohngruppe Urban Sozial: Als ich hier anfing zu arbeiten, hatten wir mehr oder weniger wohnungslose Männer mittleren Alters, wie man sich den wirklich typischen Obdachlosen vorstellt. Und in den letzten fünf Jahren hat sich das Bild so gewandelt, dass halt sehr viele Frauen mit Kindern, ohne Kinder, Paare, einzelne weibliche Personen, dass sich das mehr gemischt hat. Das ist emotional schwerer, weil Kinder sind oft sehr viel feinfühliger, als wir glauben. Und sie versuchen das zu verbergen vor den Schulkameraden, dass sie in einem Wohnheim wohnen. Kinder leiden mehr, als wir glauben, darunter. Um Leandro das Leben hier zu erleichtern, arbeitet Miriam Schmoldt jetzt nur noch halbtags. In ihrem alten Beruf als Hotelfachfrau hatte sie Schichtdienst, musste auch am Wochenende arbeiten. Ihren Sohn hier allein lassen, das kommt für sie nicht in Frage, denn sie leben mitten zwischen Suchtkranken, psychisch auffälligen Menschen und Obdachlosen, die schon lange auf der Straße leben. O-Ton Miriam Schmoldt, alleinerziehende Mutter: Das Leben hier im Heim ist nicht einfach. Es ist sehr unruhig - nicht für ein Kind. Ich merke bei dem Kleinen, ihm fehlt etwas. Als ich meine eigene Wohnung hatte, da sind Freunde von ihm nach Hause gekommen. Jetzt kann ich das nicht. Trotzdem, in dieser Situation versuche ich positiv zu bleiben und meinen Sohn zu unterstützen, wie ich kann. Solange ich lebe, kämpfe ich. Solange ich lebe, ich kämpfe dafür. Auch Jenny Neumann kämpft - an diesem Tag gemeinsam mit dem Bündnis Zwangsräumung verhindern. Die Aktivisten protestieren gegen die rigide Räumungspolitik der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin. Denn die sind verantwortlich für circa 20 Prozent aller hier durchgeführten Zwangsräumungen. Und das obwohl sie einen sozialen Auftrag haben - auch die degewo. O-Ton Frontal 21: Sie schlagzeilen mit Fairness, bedeutet das für Sie Fairness, eine alleinerziehende Mutter auf die Straße zu setzen? O-Ton Lutz Ackermann, Pressesprecher, degewo:
Also, Fairness, das nehmen wir schon für uns in Anspruch, dass wir soziale Verantwortung in Berlin auch wahrnehmen. Wir sind Mitglied des Mietenbündnisses, haben auch Mieten, die weit unter dem Mietspiegel liegen, und eigentlich auch immer einen wirklich fairen Umgang mit den Mietern. O-Ton Frontal 21: Ich kann Ihnen zum Beispiel E-Mails zeigen, in denen die degewo schreibt: keine Konversation, und wenn dann nur über das Wetter oder über das Kinder kriegen. O-Ton Lutz Ackermann, Pressesprecher, degewo: Ich kenne diese Schreiben nicht, da kann ich nichts zu sagen. O-Ton Frontal 21: Ich kann Ihnen die gerne geben. Dann können Sie ja gerne noch mal runterkommen und sich dazu äußern. O-Ton Lutz Ackermann, Pressesprecher, degewo: Jetzt, sofort ganz sicherlich nicht. Ich rufe Sie dann später gerne an. Der Anruf kommt - aber nur, um das vereinbarte Interview abzusagen. Miriam und Leandro sind noch immer im Obdachlosenheim - inzwischen seit einem Jahr. O-Ton Miriam Schmoldt, alleinerziehende Mutter: Ich wünsche mir zu Weihnachten meine eigenen vier Wände. Es wäre schön bis Weihnachten. Bald ist sein Geburtstag und meiner auch. Jenny und Czynthia haben doch noch eine neue Wohnung gefunden. Czynthia ist trotzdem ein bisschen traurig: O-Ton Czynthia: Weil wir einfach von der Oma wegziehen müssen. Jenny Neumann ist einfach nur erleichtert. Dadurch, dass ich doch arge Angst hatte, dass ich mit dem Kind auf der Straße sitze und dann keine Wohnung finde. Also, ich glaube, da haben wir noch ne ganze Weile dran zu knabbern. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen
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