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KAPITEL II AKKAD UND BABYLON Imperator aus dem Nichts Vom Findelkind zum Weltherrscher: Die Geschichte Sargons, der das akkadische Reich begründete, klingt vertraut, ist aber von Legenden überwuchert. Von CHRISTOPH GUNKEL So könnte Sargon ausgesehen haben: Die Bronzebüste eines akkadischen Herrschers, gefunden in Ninive, wird von Fachleuten auf das 23. Jahrhundert v. Chr. datiert. Nationalmuseum, Bagdad 65
AKKAD UND BABYLON Plötzlich war da diese junge Frau, die ihn erschreckte. Sie sei hoch wie der Himmel und weit wie die Erde gewesen, beteuerte Sargon später ehrfürchtig. Das übermenschliche Wesen war Inanna, Göttin der Liebe und des Kriegs. Sie griff sich Sargon und tauchte ihn ein in einen mächtigen Fluss einen Fluss aus Blut. Schreiend erwachte Sargon, Mundschenk des mesopotamischen Königs Ur-Zababa, aus seinem Albtraum. Bis in das Gemach des Königs drangen die Entsetzensrufe. Eilig bat der Herrscher den Mundschenk, von dem Traum zu erzählen und war ebenfalls geschockt: Als er das hörte, biss sich Ur-Zababa auf die Lippen, und Angst ergriff sein Herz, heißt es in der Legende, die als Sargon-Epos in die Geschichte einging. Offenbar ahnte Ur-Zababa, was der Traum bedeutete: Seine Tage als König in der uralten Stadt Kisch waren gezählt. Sargon würde ihn mithilfe der Kriegsgöttin blutig vom Thron vertreiben. Heimlich schmiedete Ur-Zababa daher Mordpläne. Erst versuchte er, seinen Mundschenk in einen Schmelzofen stoßen zu lassen. Dann Mittelmeer schickte er ihn zum König Lugalzagesi, Herrscher über Uruk nahe des Euphrat, eine der bedeutendsten Städte der damaligen Welt. Auf einer Tontafel sandte er Lugalzagesi den Auftrag, Sargon zu töten. Doch was immer Ur-Zababa auch tat: Die Kriegsgöttin habe Sargon stets vor dem sicheren Tod bewahrt, heißt es in der Erzählung weiter. Was genau sich vor mehr als 4300 Jahren ereignet hat, lässt sich aus diesem literarisch ausgeschmückten Keilschrifttext natürlich nicht herauslesen. Dennoch dürfte die Legende einen historischen Kern haben. Das legen zumindest andere zeitgenössische Überlieferungen nahe. Sie melden, der mächtige Gott Enlil, Herr des Befehls, habe Sargon das Zepter gegeben und ihm weiten Verstand verliehen. Damit gelang es dem einstigen Mundschenk offenbar tatsächlich, Ur-Zababa und auch Lugal - zagesi zu stürzen. So verrät eine weitere Inschrift, Sargon habe Uruk erobert, seine Stadtmauern zerstört und Lugalzagesi gefangen in einem Holzblock zum Tore des Enlil-Tempels geführt eine für die Zeit ungewöhnlich detailreiche und damit eher glaubwürdige Beschreibung, die auf eine massive Demütigung des besiegten Königs hindeutet. Auch das benachbarte Ur, eine der ältesten Städte in Sumer und lange politisches Zentrum Mesopotamiens, fiel der Überlieferung nach in die Hand des Emporkömmlings. Spätestens dieser Coup machte Sargon zum mächtigsten Mann im Zweistromland. Von 2334 v. Chr. an regierte er den Quellen zufolge für die Dauer von 56 Jahren. Er bestritt 34 Kämpfe siegreich und schlug 50 Stadtfürsten. Am Aleppo Ebla AKKAD Euphrat Tigris Z a g r o s g e b i r g e Lagasch Elam Ur 500 km Persischer Quelle: Putzger Historischer Weltatlas Golf Ende herrschte er über ein gewaltiges Reich und ließ sich auf den Steinstelen König des Alls nennen. Einen Rivalen, prahlte er, hätten ihm die Götter nicht gegeben. Das könnte man als übliche Selbstglorifizierung abtun und auch leicht widerlegen. Die Stadt Ur etwa musste Sargon seinen eigenen Inschriften zufolge gleich dreimal besiegen: Das deutet mehr auf Aufstände hin als auf eine konkurrenzlose Herrschaft. Trotzdem beurteilen auch moderne Historiker Sargons Herrschaft als derart einschneidend, dass sie ihn zum Namensgeber eines ganzen Zeitalters machten: der akkadischen Epoche, benannt nach Sargons neu erbauter Hauptstadt Akkad. Von hier aus regierte er ein riesiges Territorium. Angeblich erstreckte es sich vom Oberen Meer, wie das Mittelmeer damals hieß, rund 1400 Kilometer bis zum Unteren Meer, dem Persischen Golf. Dort will G Kisch Nippur Uruk u t ä e r Sargon nach den Kriegszügen seine Waffen gesäubert haben. Wer aber war dieser Mann, der sein Imperium mit großer Härte regierte und vielleicht auch nur so zusammenhalten konnte? Der sich damit brüstete, einigen seiner Gegner sei der Penis abgeschnitten worden statt wie üblich nur die Nase? Der möglicherweise Tausende Gefangene in Arbeitslager verschleppte, um sie dort mit speziellen, dreieinhalb Kilogramm schweren Zerkleinerungswerkzeugen Erze abbauen zu lassen, wie es eine Quelle nahelegt? Wenig Persönliches ist überliefert. Seinen Vater soll Sargon nicht gekannt haben, seine Mutter sei eine Hohepriesterin gewesen, er selbst als Findelkind aufgewachsen. Fakten und Legenden lassen sich in diesen dürren Informationsfetzen kaum trennen. Eine Büste zeigt einen Mann mit anmutig geschwungenen Augenbrauen, vollmundigen Lippen und einem prachtvollen, zu Zöpfen geflochtenen Vollbart. Doch ob dieses frühe Meisterwerk aus Bronze wirklich Sargon darstellt oder seinen Enkel Naram-Sin, ist ungewiss. Sargon, so scheint es, tauchte aus dem Nichts auf und schrieb plötzlich Weltgeschichte. Denn dieser rätselhafte Herrscher hat das Land an Euphrat und Tigris grundlegend verändert, so der Tenor der Forschung. Eine Kulturlandschaft, die bis dahin traditionell von zermürbenden Kämpfen verfeindeter Stadtstaaten wie Nippur, Umma, Lagasch und Uruk geprägt war, zentralisierte er zu einem frühen Flächenstaat. Damit wurden auch bisher recht unterschiedliche Regionen vereinigt: der Süden Mesopotamiens, jahrhundertelang von den Sumerern besiedelt, war mit seinen ausgefeilten Bewässerungssystemen und prächtigen Tempelbauten viel weiter entwickelt als der Norden, wo die Priesterschaft weniger Einfluss auf die Politik ausübte. Sargon setzte nun bewusst auf einen Neuanfang: Akkad sollte eine moderne Verwaltungsstadt sein. Er verzichtete darauf, wie seine Vorgänger von einer der traditionsreichen Königsstädte aus zu regieren. Akkad zur Zeit Sargons I. um 2270 v. Chr. damalige Küstenlinie Sargon versuchte, Maße und Gewichte zu vereinheitlichen, um den Handel zu beleben. 66 SPIEGEL GESCHICHTE 2 2016
Auf diesem zwei Meter hohen Fragment einer Sandsteinstele lässt sich König Naram-Sin für seine Siege über Gebirgsvölker feiern. Gefunden in Susa, heute im Pariser Louvre ERICH LESSING / AKG SPIEGEL GESCHICHTE 2 2016 67
Inschrift mit Erwähnung von König Naram-Sin Tafel aus Marad bei Nippur, um 2260 v. Chr. Gleichzeitig etablierte sich eine neue, hoch entwickelte Schriftsprache: das Akkadische. Diese semitische Sprache vermischte sich bald untrennbar mit der bis dahin vorherrschenden, nichtsemitischen Sprache der Sumerer. So übernahmen die Akkader die alten sumerischen Götter, gaben ihnen aber eigene Namen: Aus der Kriegsgöttin Inanna wurde im Akkadischen Ischtar, aus dem Sonnengott Utu wurde Schamasch. Sargon machte das Akkadische zur offiziellen Verwaltungssprache, war aber klug genug, das Sumerische nicht zu unterdrücken. Auch in der Wirtschafts- und Militärpolitik ging er neue Wege: So hat er offenbar versucht, Maße und Gewichte landesweit zu vereinheitlichen, um den Handel zu beleben. Wahrscheinlich hat er über ein stehendes Heer verfügt: Tag für Tag hätten bei ihm 5400 Mann gespeist, behauptete der König. Eine andere Inschrift spricht sogar von 7000 Helden und 3000 Läufern, für die er täglich 1000 Rinder und 6000 Schafe geschlachtet haben will was jedoch sicher übertrieben ist. Und noch eine Machtstrategie lässt sich aus den Keilschriften herauslesen: Sargon ernannte überall Bürger von Akkad zu Statthaltern. Die berühmteste war seine Tochter Enheduanna, später gefeiert als Dichterin. Sargon schickte sie in die Stadt Ur, wo sie als Hohepriesterin des Mondgottes Nanna BY RAMA - OWN WORK, WIKIPEDIA seine Herrschaft in der Ferne sichern sollte. Doch selbst solch grobe Entwicklungslinien sind nicht unumstritten. So argumentieren manche Historiker, dass es schon früher Tendenzen zur Zentralisierung gegeben habe. Sie vermuten, dass Sargons Zeitgenossen den Übergang von der sumerischen zur akkadischen Epoche gar nicht als den radikalen Bruch empfunden hätten, als der er später in der Forschung oft dargestellt wurde. Auch ist bis heute kaum zu klären, wie weit Sargon seine Macht ausdehnen konnte: Erstreckte sich sein Reich im Westen wirklich über die Handelsstadt Ebla bei Aleppo bis nach Anatolien, wie 2340 1400 Akkads Glanzzeit seit 2340 Der Staat von Akkad mit den Herrschern Sargon und Naram-Sin wird zur wichtigsten Macht des Zweistromlandes gegen Lagasch, Ur und andere. MBZT / WIKIMEDIA COMMONS 2112 2004 Unter großen Regenten wie Schulgi und starker Bürokratie entwickelt Ur geradezu ab - solutistische Staatsmacht. Andere Regionen 3300 1100 Auf Kreta bringt die minoische Kultur große Palastbauten und eindrucksvolle Kunstwerke hervor. seit 2600 Nahe der Küste des heutigen Peru entsteht die erste bekannte Stadt Südamerikas: Caral hat etwa 3000 Einwohner. Von der Halbinsel Yucatan aus besiedeln die frühen Maya Mittelamerika. 68 AKG-IMAGES
Inschriften nahelegen könnten? Und herrschte er im Osten wirklich dauerhaft über das alte Reich Elam im Westen des heutigen Iran? Noch schwieriger ist es, eine Chronologie der Ereignisse zu rekonstruieren, denn die Akkader verzichteten auf absolute Zeitangaben und schrieben lediglich Sätze wie diesen: Im Jahre, nachdem Sargon Elam zerstört hat. Aber wann war das? In welchem Regierungsjahr? Dafür fehlen jegliche Bezüge. Dabei waren sich die Akkader der Macht der Geschichtsschreibung durchaus bewusst. Schon Sargon selbst hatte einen Fluch ausgesprochen, den er, in leichten Variationen, auf vielen Steintafeln verwendete: Wer diese Inschrift beseitigt, dem mögen (die Götter) Enlil und Schamasch seine Wurzeln ausreißen und seinen Samen aufpicken ihn also kinderlos lassen. Die Warnung verrät, wie wichtig die Fortführung der Familie und damit einer Dynastie damals war. Sargons Nachfolger übernahmen den Fluch fast wörtlich und fügten gelegentlich einen bemerkenswerten Halbsatz hinzu: Diese Worte seien keine Lügen, ganz gewiss! Wer als König eigens betonen musste, er sage die Wahrheit, ahnte wohl, dass selbst seine Untertanen längst nicht alle Heldengeschichten für bare Münze nahmen. Deshalb müssen Historiker bis heute auch das Wenige, das von Sargon überliefert ist, mit großer Vorsicht behandeln. Das gilt besonders für zwei Stationen seiner Biografie: die sagenumwobene Kindheit und die ebenso sagenhafte Hauptstadt Akkad. Der Legende nach soll Sargon ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie Mose nur ein Jahrtausend früher: Seine Mutter, eine eigentlich zur Keuschheit verpflichtete Priesterin, habe ihn im Verborgenen geboren und dann auf dem Euphrat ausgesetzt, ließ Sargon in einer Inschrift festhalten. Sie legte mich in einen Korb aus Rohr, mit Pech verschloss sie den Deckel über mir. Sie setzte mich in den Fluss, aus dem ich nicht heraufkommen sollte. Es trug mich der Fluss zu Akki, dem Wasserschöpfer. Akki habe ihn mit seinem Schöpfeimer aus dem Strom gerettet, wie einen Sohn aufgezogen und später zum königlichen Gärtner in Kisch gemacht. Beeindruckt von seiner Gartenkunst, habe Göttin Inanna begonnen, Sargon zu lieben und ihn zum neuen König auserkoren. Die frappierende Ähnlichkeit zur Mose-Sage hat Generationen von Historikern elektrisiert, belegt sie doch einen erstaunlichen Kulturtransfer: Die Autoren des Alten Testaments müssen Sargons Findelkind-Legende gekannt und dann im Kern kopiert haben. Leider nur wirft die rührende Geschichte mehr Fragen auf als sie beantwortet: Woher kommen die Akkader wirklich? Der Text verrät lediglich kryptisch, Sargons Onkel stamme aus dem Bergland und Sargon sei in einem Ort namens Azupiranu geboren. Doch bis heute konnten Archäologen Azupiranu nicht finden. Schlimmer noch: Sogar Sargons Hauptstadt Akkad hat man trotz intensiver Suche nicht aufgespürt. Dabei waren sich belgische Archäologen 1975 fast sicher, die mysteriöse Metropole endlich entdeckt zu haben: auf dem Ruinenhügel Tell ed-der etwa 25 Kilometer südlich von Bagdad. Doch nach jahrelangen Ausgrabungen entpuppte sich der Fundort als eine weit jüngere, babylonische Siedlung. Selbst als dort unter den Fundamenten Spuren einer zweiten, älteren Ortschaft gefunden wurden, endeten weitere Grabungen in einer erneuten Enttäuschung: Auch diese Siedlung ist AKKAD UND BABYLON kaum vor Anfang des 2. Jahrtausends errichtet worden. Da war Sargon schon mehr als 200 Jahre tot. So bleibt es bei Spekulationen: Heute vermuten Experten, die verschollene Hauptstadt müsse in jenem Flaschenhals des Zweistromlandes liegen, wo Euphrat und Tigris einander am nächsten kommen. Dass es Akkad tatsächlich gegeben hat, bezweifelt kaum jemand. Es muss eine florierende Handelsstadt gewesen sein platzreich nennt sie Sargon selbst. Hier legten seinen Berichten nach Schiffe aus Tilmun, vermutlich das heutige Bahrain, und aus Makan, dem heutigen Oman, an. Selbst Seeleute aus dem fernen Melucha, einer Region, die in der nordwestindischen Provinz Gujarat an der Grenze zu Pakistan liegt, sollen nach Akkad gekommen sein. Tatsächlich belegen zahlreiche Funde, dass die Akkader frühe Meister des Fernhandels waren. Archäologen gruben gleich kiloweise unbehauenes Lapislazuli aus, ein blau glänzendes Mineralgemisch, das die Menschen für ihren Schmuck verwendeten. Da es in Mesopotamien nicht vorkommt, haben die Akkader es vermutlich aus Afghanistan eingeführt. Ebenso importierten sie Kupfer, Gewürze und ein dunkles Tiefengestein, aus dem sie ihre Statuen fertigen ließen: Geologen identifizierten es als Olivin - gabbro. In Inschriften vermerkten es die Akkader stolz, wenn sie die schwarzen Steine jenseits des Persischen Golfs gebrochen und auf Schiffe verladen hatten. Belegt ist auch, dass sie Zedernholz aus dem heutigen Libanon importierten und damit Paläste und Tempel bauten. Sargons Nachfolger standen vor der schwierigen Aufgabe, dieses prosperierende Reich zusammenzuhalten und die immer noch auf ihre Unabhängigkeit bedachten Regionalfürsten im Zaum zu 1792 1750 Durch seine das gesamte Alltagsleben umfassenden Rechtssätze verewigt sich Hammurapi, König von Sumer und Akkad, als Garant von einklagbaren sozialen Normen. ULLSTEIN BILD 1600 1400 Das Reich Mittani herrscht in Nordmesopotamien; den babylonischen Süden regieren bis 1157 die Kassiten. SOTHEBY'S um 2100 1900 Auch dank der Übernahme der Keilschrift erlebt das alte westiranische Reich Elam eine Blüte. vor 1600 Kleinasien und Nordsyrien wird von den Hethitern vereinigt; um 1350 hat das Reich seine Glanzzeit erreicht. THOMAS TRUTSCHEL / PHOTOTHEK.NET seit 1550 Die Pharaonen des Neuen Reiches machen Ägypten zur Großmacht. 69
AKKAD UND BABYLON halten. Inschriften behaupten, dass genau dies gelang und die Akkader das Obere und Untere Meer und die Berge alle miteinander kontrolliert hätten. Und doch gibt es viele Indizien, dass es keineswegs so war. So vermuten Historiker, dass Sargons Sohn Rimusch schon nach wenigen Jahren einer Palastrevolte zum Opfer fiel. Seine Inschriften sprechen von zahlreichen Kriegszügen, von etlichen Zehntausend Toten und Leichenhügeln. Auch Rimuschs Bruder Manischtuschu dürfte gewaltsam vom Thron vertrieben worden sein, selbst wenn er sich möglicherweise zuvor noch gegen eine Verschwörung von 32 Städten durchsetzen konnte, wie Inschriften berichten. Erst mit Sargons Enkel Naram-Sin scheint wieder ein starker Herrscher den Thron in Akkad bestiegen zu haben. Glaubt man den Quellen, regierte er exakt genauso lange wie sein Großvater 56 Jahre. Das ist wenig wahrschein - lich, zeigt aber, dass Naram-Sin sich auf Augenhöhe mit Sargon sah. Mehr noch: Naram-Sin wagte, sich als Gott zu preisen. Doch auch seine Herrschaft war nicht unangefochten. So erwähnte er den König von Kisch, der gegen mich mobil gemacht (hat). Erst nach zwei Schlachten besiegte er ihn. Eine ähnliche Rebellion will er in Uruk niedergeworfen haben. Um solche Siege authentischer wirken zu lassen, setzte Naram- Sin auf einen stilistischen Trick: Anders als Sargon verwendete er scheinbar präzise Zahlen seiner Opfer als sei er ein neutral beobachtender Historiker. So ist mal die Rede von 4204 Mann, die er im Kampf niedergestreckt habe, dann wieder von 2015 Gefangenen, die er in den Euphrat geworfen habe. Einmal behauptet Naram-Sin, neben 1210 Großen sogar 118 140 sonstige Personen gefangen und getötet zu haben. Eine Stele aus rotem Sandstein, eines der filigransten Monumente der akkadischen Kunst, zeigt den Herrscher, wie er sich selbst sehen wollte: übermenschlich groß, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, auf dem Kopf einen Furcht einflößenden Helm mit zwei Stierhörnern, mit denen UNITED ARCHIVES / DDP sonst nur Götter dargestellt wurden. In dieser Montur nähert sich Naram-Sin einer schroffen Bergspitze, zwei sonnenähnlichen Himmelsgestirnen nicht mehr fern. Unter ihm abgebildet ist sein triumphierendes Heer, das ihn ausgelassen feiert, Speere in die Luft reckt, in Fanfaren bläst. Ganz unten aber krümmen sich die geschlagenen Feinde, stürzen den Hang hinunter und betteln um Gnade. Wo diese Schlacht stattgefunden haben könnte, lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Vielleicht in den Bergen von Lullubum, die eine Inschrift erwähnt? Das wäre etwa 100 Kilometer östlich des heutigen Kirkuk im Irak. Zumindest verdeutlicht die Stele, wie schwierig es für Naram-Sin gewesen sein dürfte, die ebenso freiheitslie - benden wie unzivilisierten Bergvölker an den Rändern seines Reiches dauerhaft zu unterwerfen und von ihnen wichtige Tributlieferungen wie Erze einzutreiben. Die Bergstämme führten anscheinend einen Guerillakrieg, in dem sie schließlich über Akkad triumphierten. 70 SPIEGEL GESCHICHTE 2 2016
Auch beim Untergang des Reichs der Akkader spielt ein wildes Bergvolk die Hauptrolle: die Gutäer, über deren Herkunft praktisch nur Vermutungen umlaufen. Gelebt haben könnten sie in den Bergen im Südosten des Reichs im heutigen Iran. Wie ihr Aufstieg wird auch das Ende der Akkader in einem alten Text erzählt, dem Fluch über Akkad. Darin spielt wieder die Kriegsgöttin Inanna die entscheidende Rolle. Verhalf sie Sargon einst auf den Thron, so stürzte sie nun seinen Enkel ins Verderben. Das Unglück begann der Legende nach, als Inanna keine Opfergaben mehr annahm. Sie verließ Akkad und hastete Auch von Sargon gab es diese Ge - schichte: Auffindung des Moses Gemälde von Nicolas Poussin, 1638; Louvre, Paris wie ein Krieger zu den Waffen, um gegen ihre alte Heimat vorzugehen. Warum sie das tat, ist aus dem Text nicht eindeutig herauszulesen. Vielleicht war die Göttin eifersüchtig, dass ihrem Tempel weniger Opfer dargebracht wurden als dem Gott Enlil in der Stadt Nippur, heute etwa 200 Kilometer südlich von Bagdad gelegen. Oder sie erhielt zu viele Gaben und wollte die Menschen daran erinnern, auch in Nippur ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Das Reich des Naram-Sin jedenfalls taumelte und verarmte, berichtet die Legende weiter. Revolten brachen aus, und nach sieben Jahren des Zauderns fühlte sich der König gezwungen, Nippur anzugreifen. Er zerstörte den Tempel des Enlil und plünderte all seine Schätze. Enlil schickte daraufhin die Gutäer aus den Bergen. Die barbarischen Racheengel mit der Sprache von Hunden verwüsteten das Reich. Um Enlil zu besänftigen und den Rest des Landes zu retten, belegten alle großen Götter daraufhin die Stadt Akkad mit einem Fluch: Ihre Bewohner sollten verhungern, ihre Wasserkanäle versalzen. Die Erzählung endet mit einem Ausdruck der Zufriedenheit: Akkad ist zerstört! Lobet Inanna! Auch diese Geschichte enthält wohl einen historischen Kern. Sie belegt auf jeden Fall großen Unmut im Reich. Die Verfasser der Legende, die Naram-Sin so diskreditierte, dürften aus dem Umfeld der Tempelpriester von Nippur stammen. Vielleicht empfanden sie es als Hybris, dass Naram-Sin sich als Gott verehren ließ. Möglich auch, dass Naram-Sin auf den Tempelschatz zurückgriff, um seine teuren Kriegszüge zu finanzieren. Den Tempel aber hat er nicht zerstört im Gegenteil. Archäologen fanden in Nippur Ziegel, auf denen steht: Naram-Sin, Erbauer des Enlil- Tempels. Die wütenden Attacken der Gutäer sind dagegen wohl keine literarische Erfindung. Auch andere Berichte und Erzählungen erwähnen sie. Vermutlich führten die Bergstämme eine Art Guerillakrieg: Sie stürmten in die fruchtbaren Ebenen, plünderten Dörfer und zogen sich dann rasch wieder in ihre unwegsame Heimat zurück. Ratlos und verzweifelt soll Naram-Sin, so eine später verfasste babylonische Legende, gesagt haben: Was werde ich meiner Dynastie vererben? Ich bin ein König, der sein Land nicht sichert, ein Hirte, der sein Volk nicht schützt. Unter seinem Sohn Scharkalischarri nahmen die Überfälle anscheinend dramatisch zu. Schließlich konnten die Gutäer große Teile des geschwächten Königreichs erobern. Der Triumph der Barbaren war ein so großer Schock, dass sie noch Generationen später als dämonenhafte Wesen mit den Gesichtern von Raben geschildert wurden: Ein einfaches Volk aus den Bergen hatte eine Hochkultur des Tieflands gestürzt! Das Reich der Akkader war wieder in regionale Stadtstaaten ehrgeiziger Fürsten zerfallen politisch zersplittert und schwach wie einst in der Zeit vor Sargons Machtantritt. Dennoch war das Rad der Geschichte damit nicht vollständig zurückgedreht. Die Akkader hatten eine hochgebildete Kultur geschaffen, gleichrangig mit der sumerischen, die sie aufgenommen hatten. Und sie hinterließen bleibende Spuren: Manche ihrer Erzählungen, zum Beispiel das Epos Der König der Schlacht, waren von hoher literarischer Qualität und sollten später Weltruhm erringen. Die akkadische Form der Keilschrift wurde noch viele Jahrhunderte weiterverwendet. Und selbst der erste König von Akkad scheint irgendwie ewig weiterzuleben, seit die Verfasser des Alten Testaments aus dem längst vergessenen Findelkind Sargon das weltberühmte Findelkind Mose gemacht haben. christoph.gunkel@spiegel.de SPIEGEL GESCHICHTE 2 2016 71