14. Heidelberger Kamingespräch

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Transkript:

14. Heidelberger Kamingespräch Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln Die Einnahme von Medikamenten ist für viele Menschen fester Bestandteil des Alltags. Grapefruitsaft, Milch und andere Lebensmittel können jedoch die Wirkung von Arzneistoffen verändern ein oft übersehener Aspekt. Auf diesem Gebiet forscht der Pharmakologe Martin Smollich. Im Interview mit der Dr. Rainer Wild-Stiftung erklärt er die molekularen Mechanismen und Konsequenzen von Interaktionen zwischen Medikamenten und Ernährung. Interview mit Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich Dr. Rainer Wild-Stiftung: Herr Professor Smollich, wenn es um Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln geht, dann ist die Grapefruit ein häufig genanntes Beispiel. Warum ist das so? Grapefruitsaft ist nicht gerade ein oft bzw. in großen Mengen verzehrtes Lebensmittel. Dass sie häufig genannt wird, wenn es um die Interaktion zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln geht, hat zwei Gründe: Die Grapefruit war das erste Lebensmittel bei dem die Wechselwirkung mit einem Arzneimittel (Felodipin) gezeigt werden konnte. Und bei der Grapefruit ist das Interaktionspotential sehr stark bis heute kennt man keine Früchte (oder Lebensmittel) mit ähnlich starkem Potential. Wie erklären sich solche Interaktionen? Die verantwortlichen Hauptinhaltsstoffe in der Grapefruit sind Naringin und Naringenin. Beide Stoffe wirken als Suizidinhibitoren und hemmen intestinale CYP3A4-Enzyme. Die Enzyme sitzen in der Darmmukosa und metabolisieren dort normalerweise viele Arzneistoffe im Rahmen der Resorption. Wird die Enzymwirkung gehemmt, verstärkt dies in aller Regel die Wirkung der Medikamente und führt zu toxischen Effekten. Daneben haben die Inhaltsstoffe einen Effekt auf die Anionen-Transporter OATP1A2 und wahrscheinlich noch auf zwei oder drei andere Transportsysteme. Das heißt die Metabolisierung bzw. der Transport wird durch Grapefruit gehemmt? Tatsächlich beides. Man kann allerdings nicht ohne weiteres vorhersagen, welche Arzneistoffe das betrifft. Das ist abhängig davon, ob der Arzneistoff intestinal über CYP3A4

metabolisiert wird und ob der Arzneistoff Substrat des Anionen-Transporters ist. Dann gibt es weitere Spezialfälle, die allerdings gar nicht so selten sind. Dabei werden die Wirkstoffe durch besagte CYP3A4-Enzyme erst aktiviert. Eine solche Bioaktivierung ist bei manchen onkologischen Präparaten der Fall. Hier führt eine Hemmung von CYP3A4 dazu, dass es zu einer unzureichenden Wirkung kommt. Man kann also nicht sagen, dass alle Arzneistoffe von den Wechselwirkungen mit Grapefruit in gleicher Weise betroffen sind. Eigentlich handelt es sich zudem ausschließlich um oral eingenommene Medikamente. Von den betroffenen Medikamenten lässt sich nicht pauschal sagen, welches Ausmaß die Wechselwirkungen haben. Das ist immer stoffspezifisch. Die CYP3A4-Enzyme kommen sowohl im Darm als auch in der Leber vor? Genau. In der Leber ist die Interaktion eigentlich weniger relevant, da die intestinalen CYP3A4-Enzyme für übliche Grapefruit-Dosen aus der Nahrung empfindlicher sind. Manchmal finden Sie Studien, welche hepatische Effekte beschreiben. Dafür müssten Sie eigentlich fünf Liter Grapefruitsaft am Tag trinken, um die beschriebenen Wirkungen zu beobachten. Aber bei den intestinalen Mukosa-Effekten, die wirklich auch pharmakokinetisch relevant sind, reichen ein Glas Saft oder eben ganz normale Mengen bereits aus. Wie wird man auf neue Wechselwirkungen aufmerksam, z. B. bei neu entwickelten Medikamenten? Auf neue Wechselwirkungen wird nicht systematisch getestet. Was bei der Arzneimittelzulassung gemacht wird sind sog. food effect -Studien. Diese sind vorgeschrieben. Dabei wird untersucht, wie sich die Magenfüllung und die Nahrungsaufnahme auf die Bioverfügbarkeit eines Medikaments auswirken. Eine Testgruppe nimmt das Medikament nüchtern ein, während die andere Gruppe vorher eine Standardmahlzeit erhält, i. d. R. ein definiertes Standardfrühstück. Damit erfasst man jedoch nicht den Effekt spezieller Lebensmittel, wie etwa der Grapefruit. Aktuell arbeitet man an einem Entwurf, der vorsieht, dass in Zukunft gerade solche Lebensmittel mit bekannten Wechselwirkungen ebenfalls bei der Zulassung getestet werden müssen. Das ist im Moment aber noch nicht der Fall. Was sind denn häufige Wechselwirkungen, die bei alltäglichen Nahrungsmitteln auftauchen? Ich glaube, das allerhäufigste sind Interaktionen mit Milch und Milchprodukten. Das liegt auf der einen Seite daran, dass Milchprodukte sehr häufig konsumiert werden. Auf der anderen Seite sind viele Arzneistoffgruppen von den Wechselwirkungen mit Milchprodukten betroffen. Das Problem ist, dass sich durch die Wechselwirkungen eine Resorptionshemmung ergibt. Früher dachte man das liege ausschließlich am Calcium. Seit den letzten Jahren weiß man, dass zusätzlich die Caseinfraktion die Wechselwirkung verstärkt. Beides bildet mit bestimmten Wirkstoffen unlösliche Komplexe, die nicht resorbiert werden. Man erzielt dann nur eine unzureichende Wirkung. Zu den betroffenen Wirkstoffgruppen gehören Antibiotika und viele Psychopharmaka, wie Antidepressiva. Besonders tückisch wird es bei Bisphosphonaten in der Osteoporose- Therapie. Bisphosphonate haben an sich schon eine geringe Bioverfügbarkeit von unter einem Prozent. Werden sie mit Milchprodukten zusammen eingenommen, ist die Bioverfügbarkeit

praktisch null und es kommt nichts mehr an. Problematisch ist, dass es ja gerade die Osteoporose-Patienten sind, die viel Calcium-reiche Lebensmittel und Milchprodukte konsumieren sollen. Häufig wird dann die Bisphosphonat-Tablette mit einem extragroßen Glas Milch geschluckt, wodurch sie komplett wirkungslos wird. Spielt die Darmflora auch eine Rolle bei den Wechselwirkungen? Das ist eine spannende Frage, bei der man gerade erst am Anfang steht. Man weiß eigentlich noch fast gar nichts darüber. Bei onkologischen Patienten hat man beobachtet, dass sich die Wirksamkeit der Therapie unterschied, je nachdem, ob die Patienten vor der Chemotherapie eine Antibiotikatherapie hatten (etwa wegen eines Harnwegsinfekts o.ä.). Das Antibiotikum führte zu Veränderungen in der Darmflora, wodurch die nachfolgende onkologische Therapie stärker oder schwächer wirksam war. Einen Mechanismus kennt man allerdings noch nicht. Versuche an Mäusen legen nahe, dass Darmflorabakterien wie Akkermansia muciniphila eine Rolle spielen. Akkermansia reagiert auf bestimmte Antibiotika empfindlich und wirkt wohl an der Metabolisierung von Arzneistoffen mit. Lebensmittel dienen Bakterien als Substrat, d. h. je nachdem, wie Sie sich ernähren, haben Sie schon ein Selektivmedium dafür, welche Bakterien in Ihrem Darm wachsen. In Humanstudien konnte man zeigen, dass die Ernährungsweise sekundär die Darmflora verändert und dass darüber die Wirksamkeit der Chemotherapie verändert wird. Insofern ist das Mikrobiom eine interessante Brücke bei Lebensmittel-Arzneimittel-Interaktionen. Hat jeder Mensch das gleiche Risiko für Wechselwirkungen? Nein, natürlich nicht. Das Risiko hängt im Wesentlichen von zwei patientenindividuellen Komponenten ab. Das eine ist die Enzymausstattung der Leber. Das zweite ist die Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Sowohl der Leberstoffwechsel als auch das Mikrobiom werden natürlicherweise durch die Ernährung beeinflusst. Das Risiko für Wechselwirkungen variiert aus diesem Grund, denn es gibt keine zwei Menschen auf der Welt, die die gleiche Leberenzymausstattung und Darmflora haben. In diesem Zusammenhang sind Zwillingsstudien interessant, denn bei eineiigen Zwillingen ist der genetische Effekt reduziert. Diese zeigen, dass es selbst bei genotypisch identischen Individuen durch die unterschiedliche Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm zu großen Unterschieden kommt. Allgemein sieht man, dass ein möglichst vielfältiges Darmmikrobiom die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln verbessert. Früher dachte man, das Darmmikrobiom bestehe aus fünf bis sechs verschiedenen Spezies. Heute weiß man, dass es sogar mehrere Tausend Arten sind. Patienten, die sich einseitig ernähren oder krankheitsbedingt Antibiotika eingenommen haben, dezimieren die Diversität des Darmmikrobioms und sprechen hinterher möglicherweise schlechter auf manche Pharmakotherapien an. Ein möglichst heterogenes Mikrobiom dagegen scheint die Verträglichkeit von Arzneimitteln zu verbessern. Und in Situationen, in denen sich die Darmflora erst noch herausbildet, wie z. B. bei Kindern? Ein paar Details kennt man auch hierzu. In der Vergangenheit hat man z. B. beobachtet, dass Antibiotika in der Kindheit das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und

Diabetes erhöhen. 2016 gab es eine große finnische Kinder-Studie 1, bei der die Darmflora von Sechsjährigen bei der Einschulung untersucht wurde. Die Befunde wurden mit dem Antibiotikakonsum in den ersten Lebensjahren korreliert. Dadurch konnte gezeigt werden, dass bei den betroffenen Kindern eine Mikrobiom-Veränderung stattfand, die man auch bei Patienten mit Asthma oder Adipositas findet. Neu war, dass diese Veränderungen auch mehrere Jahre nach der Antibiotika-Gabe noch festgestellt werden konnte. Es ist also ein extrem nachhaltiger Effekt. Die Interaktionen werden meist zwischen einem Lebensmittelinhaltsstoff und einem Arzneimittel beschrieben. Wie verhält es sich bei drei oder mehr Wirkstoffen? In der Pharmakotherapie sagt man, dass die präzise Vorhersagbarkeit von Wechselwirkungen bei vier bis fünf Substanzen aufhört. Insofern gibt es dazu überhaupt keine Daten. Über bestimmte Programme lässt sich für Medikamente zwar ein Interaktions-Check machen, aber das ist eigentlich nur wenig sinnvoll. Wenn mehr als fünf Medikamente eingenommen werden, dann ist die Interaktion selbst für die Programme zu komplex. In der Realität sieht es zudem ganz anders aus. Viele Patienten nehmen regelmäßig 10 bis 15 Medikamente ein, sodass mögliche Wechselwirkungen wirklich unvorhersehbar sind. Dazu kommt, dass bereits ein Lebensmittel mehrere hundert verschiedene Substanzen enthält - jede davon kann potentiell wechselwirken. In Wirklichkeit passiert dies natürlich nur bei einem verschwindend geringen Teil der Substanzen. Aber eine systematische Vorhersage gibt es praktisch nicht. Wie findet und untersucht man Wechselwirkungen zwischen Nahrungsmittelinhaltsstoffen und Arzneimitteln? Historisch war es das Zufallsprinzip. Bei Personen, die einen Wirkstoff nicht vertrugen, schaute man nach, ob sie etwas Außergewöhnliches gegessen hatten. Dabei ist z. B. die Grapefruit aufgefallen, die man anschließend gezielt untersuchte. Manche Arbeitsgruppen isolieren auch Einzelkomponenten aus Grapefruitsaft und führen für jede Substanz Rezeptorbindungsstudien durch. Diese in vitro-studien sind allerdings für den Menschen selten von klinischer Relevanz. Von 100 000 Substanzen, die über in vitro- oder Mäusestudien gefunden wurden, bleiben dann in randomisierten Humanstudien vielleicht zehn Stück übrig, die wirklich relevant sind. Deshalb ist es immer wichtig, bei den in der Literatur beschriebenen Wechselwirkungen zu differenzieren. Finden bekannte Wechselwirkungen auch Eingang in den klinischen Alltag? Nein, so gut wie gar nicht. Beim klassischen Beispiel Grapefruit kann man das ja angesichts der geringen Konsummengen verstehen. Aber auch Hinweise zu Milchprodukten sind selten und finden kaum Eingang in praktische Empfehlungen. Dabei ist es gerade bei Antibiotika kritisch. Ein anderes Beispiel sind Antidepressiva. Mit Gerbstoffen aus Tee und Kaffee bilden sich unlösliche Wirkstoffkomplexe, die nicht resorbiert werden. In der Patientenberatung wird aber oft nicht darauf hingewiesen, dass die Wirkung verloren geht, wenn die Tablette morgens etwa mit Milchkaffee eingenommen wird. 1 Intestinal microbiome is related to lifetime antibiotic use in Finnish pre-school children, K Korpela et al (Nature Communications 2016) (Anmerkung der Dr. Rainer Wild-Stiftung)

Wie sieht es mit Wechselwirkungen zwischen Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln aus? Ja, das ist fast ein eigenes Thema. In unseren Erhebungen zeigt sich, dass beispielsweise über 80 Prozent der Brustkrebspatientinnen Supplemente einnehmen. Im Internet gibt es viele Beispiele für Krebsdiäten, bei denen grüner Tee, Vitamin C oder Antioxidantien-reiche Lebensmittel exzessiv konsumiert werden. Tatsächlich fand man, dass durch solche Diäten die Verträglichkeit der Chemotherapie besser wurde. Nur ist das in der Pharmatherapie sehr häufig ein Hinweis darauf, dass gleichzeitig die Medikamentenwirkung nicht mehr gegeben ist. Diese geringere Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit konnte man für Prostatakarzinom, Brustkrebs und HNO-Tumoren bestätigen. Anfang des Jahres wurde eine Studie mit Melanomtumoren publiziert, die zeigte, dass hohe Gaben antioxidativer Vitamine die Metastasierungsrate sogar erhöhen können. Das kann man sich leicht erklären: Viele onkologische Präparate wirken, indem sie oxidativen Stress erzeugen. Wenn also gleichzeitig Antioxidantien zugeführt werden, reduziert das den oxidativen Stress und erzeugt somit neben besserer Verträglichkeit auch eine Tumorprotektion. Bei unklarer Datenlage ist in der Chemotherapie sicherheitshalber davon abzuraten Supplemente einzunehmen, die Antioxidantien-reich sind (einschließlich hochdosierter Vitamine A, C, E). Ebenso sollten in dieser Situation keine Antioxidantien-reichen Lebensmittel in unüblichen Verzehrsmengen konsumiert werden. Lassen sich Wechselwirkungen minimieren, indem Medikamente im zeitlichen Abstand zur Nahrungszufuhr eingenommen werden? Das kommt auf den konkreten Fall an. Etwa bei Grapefruits reicht das nicht aus, denn hier kommt es zur Suizidhemmung. Diese hält tatsächlich 20-30 Stunden an. Eine Grapefruit essen und zwei Stunden später die Medikamente nehmen das geht nicht. Bei Milchprodukten dagegen kann man durch einen zeitlichen Abstand von 2-3 Stunden dafür sorgen, dass Lebensmittel und Medikament im Darm nicht zusammenkommen. So hat man keine störenden Interaktionen. Letztlich kommt es immer auf die konkrete Wechselwirkung an. Lassen sich Wechselwirkungen nutzen, um die Wirksamkeit von Medikamenten gezielt zu erhöhen? Früher, als die Penicilline sehr knapp waren, wurde versucht durch Nahrung deren Bioverfügbarkeit zu erhöhen, um möglichst wenig Substanz einsetzen zu müssen. Historisch war das also der Fall. Heute spielt das jedoch keine Rolle mehr, weil durch die fortschreitende Technologie bessere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, z.b. indem die Verkapselung bzw. die Vektorsysteme maßgeschneidert werden. Vielen Dank für das Gespräch!