Allianz der Zivilisationen versus Clash of Civilisations Wohin führt der Dialog der Religionen und Zivilisationen? Hugh Pope Ich möchte mich zunächst bei der Konrad-Adenauer-Stiftung bedanken und Sie zugleich um Geduld bitten, weil ich zum ersten Mal einen Beitrag auf Türkisch einbringe. Zugleich möchte ich die türkischen Kollegen und Übersetzer um Verzeihung bitten möge es nicht zu einem Krieg der Kulturen kommen Wenn es nach mir geht, so bin ich optimistisch. Für mich sind Bündnisse und Kämpfe von Kulturen vor allem politische und theoretische Konzepte. Zunächst hat Samuel Huntington so etwas wie einen Kampf der Kulturen aufgebracht. Wir fassen dies vor allem als einen Krieg zwischen Christen und Muslimen auf und es gibt auch verschiedene - christliche wie muslimische Kreise, die ein solches Verständnis zeigen. 239
Allianz der Zivilisationen versus Clash of Civilisations Wohin führt der Dialog der Religionen und Zivilisationen? Aber meiner Meinung nach reichen Begriffe wie Kultur und Kampf nicht aus, alles zu erklären. Sie erklären überhaupt nichts. Bevor ich an der International Crisis Group teilnahm, war ich 25 Jahre in der Region Berichterstatter und Reporter und meinem Eindruck nach drehen sich die wirklichen Konflikte, d.h. die Kriege, nicht um Ideologien, sondern um Land. Das kann zwischen Muslimen sein oder zwischen anderen. Es spielt keine Rolle. Es ist keine Frage der Kultur. Natürlich können manche Machtkämpfe auch ohne Gebietsanspruch ausbrechen. In einem Land, beispielsweise der Türkei, ereignet sich etwas oder aber es mag jemanden geben, der das Kräfteverhältnis zwischen zwei Ländern ändern will oder aber es kann auf internationaler Ebene versucht werden, eine lokale Schwäche durch die Erfindung internationaler Vorwände zu verdecken. Wovon ich dabei auch spreche sind die Rechten in Europa. Sie verstehen die Türkei sehr gut. Aber aus Gründen lokaler Politik wollen sie die Türkei nicht. Aber bei all diesen Angelegenheiten treten Religionen und Kultur im Nachhinein hinzu. Das eigentliche Problem ist ein politisches, der Kampf der Kulturen ist nicht das Wesentliche, sondern ein Vorwand. Lassen Sie mich mit einem Beispiel erklären, um was für eine seltsame Sache es sich bei diesem Kampf der Kulturen handelt. Im Jahr 2000 arbeitete ich für das Wall Street Journal. Zu jener Zeit war ich Korrespondent für die Türkei, den Kaukasus und Mittelasien. Sie meinten: Schön und gut. Aber es weckt kein Interesse mehr. Wir haben keinen Nahost-Korrespondenten. Du bist in Istanbul. Kannst Du Dich um die arabische Welt kümmern? Und wenn Du Dich schon darum kümmerst, dann übernimm doch auch noch Israel. Damit fiel mir in Istanbul im Jahr 2000 der gesamte erweiterte Nahe Osten zu. 240
Hugh Pope Aber natürlich ereignete sich kurz darauf der 11. September und wir wurden zehn Korrespondenten. Diese Zeit war sehr wichtig für mich. Weil sie mich immer als Experten für die islamische Welt ansahen, kamen unglaubliche Fragen. Sie fragten: Hugh, was denkt die heutige islamische Welt über diese Frage? D.h. genau gemäß der These vom Krieg der Kulturen. Ich antwortete: Wie könnt Ihr so fragen? Es gibt keine einheitliche Haltung der islamischen Welt. In den vier größten islamischen Staaten des Nahen Ostens gibt es voneinander völlig verschiedene Religionskulturen. Auf der einen Seite das erzreligiöse Saudi Arabien, auf der anderen Seite den schiitischen Iran. Auf der einen Seite die Diktatur in Ägypten und auf der anderen Seite den türkischen Laizismus. Selbst zwischen den beiden wahhabitischen Staaten Saudi Arabien und Katar gibt es große Streitigkeiten. Wenn man auf der anderen Seite zum Bündnis der Kulturen kommt, so ist es das gleiche politische Spiel. Zurzeit entfernen sich Europa und die Türkei politisch voneinander. Einige europäische Staaten und die Türkei betrachten dies als gefährlich und so entstand das Bündnis der Kulturen. Eigentlich entstand es zwischen Herrn Erdoğan und dem spanischen Ministerpräsidenten. Schön. Warum nicht? Nützlich. Im Grunde spiegelt es eine Tatsache wieder. Meiner Meinung nach sind Europa und die Türkei tatsächlich vollständig aneinander gebunden doch entsteht diese Bindung nicht durch die Bezeichnung, sondern aufgrund eines Bündnisses ohne Kampf. Es ist auf der Grundlage der 50-jährigen Beziehungen entstanden. Zusammengefasst bin ich guter Hoffnung und werde diese These auch vertreten. Es entwickelt sich positiv, denn die Türkei beispielsweise ist viel 241
Allianz der Zivilisationen versus Clash of Civilisations Wohin führt der Dialog der Religionen und Zivilisationen? moderner und erfahrener geworden. Ich bin vor zwanzig Jahren in die Türkei gekommen. Zu jener Zeit war ich Journalist und arbeitete für Reuters. Naturgemäß verstand ich wenig von der Türkei und die Türken verstanden mich nur wenig. An viele Themen gingen ich und meine türkischen Kollegen sehr verschieden heran. Es war, als lebten die Türken in einem geschlossenen Gebiet mit verschlossenen Türen und wir lebten außerhalb davon und verstanden sie nicht. Viele Diskussionen blieben ohne Ergebnis. Ich verstummte und sagte nichts mehr, weil ich nicht streiten wollte. Die berühmten Tabus waren zu jener Zeit wirklich noch Tabus. Ich habe mit niemandem über Atatürk, Kurden oder Armenier gesprochen. Heute ist die Situation ganz anders jeder kann über alles sprechen und diskutieren. Aber es gibt natürlich eine Minderheit, die immer noch nicht über solche Themen diskutieren und sich nicht verändern will. Aber inzwischen gibt es selbst zu den sensibelsten Themen der Türkei verschiedene Positionen. Und das wichtigste ist, dass angefangen wird zu akzeptieren, dass es zwei oder mehr Positionen geben kann. Politisch gesehen erfährt Europa manchmal einen Aufschwung, manchmal fällt es zurück. Wir haben es Ende der 1990er Jahre erlebt, aber in dieser Phase hat es unglaubliche Annäherungen gegeben im Wirtschaftsleben, Tourismus und gesellschaftlicher Erfahrung. Ich denke, die Kulturangelegenheit nimmt eine positive Entwicklung. So ist die Zahl der Kriege, betrachtet man die Welt als Ganzes, in den letzten zwanzig Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Natürlich halten sehr schlimme Kriege wie die in Darfur, im Irak und Palästina an, doch auf der Welt insgesamt haben sie abgenommen. Der wichtigste Rückgang ist in Afrika eingetreten. 242
Hugh Pope Differenziert betrachtet entwickelt es sich positiv, denn China steigt auf, Indien steigt auf und auch die Türkei befindet sich im Aufschwung. Die Welt geht zu einer Ordnung mit mehreren Polen über. In solch einer Ordnung ist kein Raum für einen Kampf der Kulturen, zwischen Christentum und Islam. Jeder muss nun eine multilaterale Politik entwickeln. Was ich meine ist: Früher sagte man, wenn es Schwierigkeiten mit Europa gab: Lasst uns an Amerika annähern. Wenn es Schwierigkeiten mit den USA gab, sagte man: Lasst uns an Europa annähern. Diese Zeit ist vorbei. Die Türkei muss in sich gehen und dies verstehen. Es müssen Lösungen entwickelt werden Lamentieren hilft nicht weiter. Die Türkei wird ein wenig nachdenken und entscheiden, welchen Beitrag sie zur Weltordnung und welche Hilfestellungen sie zur Lösung regionaler Probleme leisten kann. Und dann wird sie zu jedem gehen und diese Lösung verkaufen. Beispielsweise reisten vor kurzem türkische Politiker in die USA. Sie sind wegen des Armenier Problems gereist und es hat eine entgegengesetzte Reaktion hervorgerufen, denn wenn man nur wegen eines Themas anreist, wird einem niemand zuhören. Die Entwicklung ist positiv, weil ich persönlich an das türkische Modell glaube. Vielleicht führt das Wort Modell zu einem Missverständnis. Aber die Türkei ist unbedingt eine Inspirationsquelle für den Nahen Osten. Dazu gab es im Diskussionsteil dieses Forums einen wichtigen Satz. Ein Grund für das Interesse der islamischen Welt an der Türkei ist folgender: 2004 hat Europa einem muslimischen Land grundsätzlich Gleichberechtigung zuerkannt. Die arme und unterdrückte islamische Welt verfolgt die Türkei mit Interesse, weil sie dies erreicht hat d.h. 243
Allianz der Zivilisationen versus Clash of Civilisations Wohin führt der Dialog der Religionen und Zivilisationen? dahinter steht kein Kampf der Kulturen. Natürlich gebe ich zu, dass nicht alles rosig ist. Die andauernden Kriege verringern unsere Hoffnungen. Irak, Palästina, Darfur, Pakistan, Afghanistan. Doch ihnen liegen meiner Meinung nach politische oder territoriale Ursachen zugrunde nicht nur religiöse. Und zum Schluss ich habe es vom Unternehmer Can Kozlu gehört: Wenn Can sich unter den Nachbarländern der Türkei umschaut, so haben Länder wie Griechenland, Bulgarien und Rumänien gute Beziehungen zur Türkei obgleich sie die Invasion der Türken und die Osmanen mit der Unterdrückung durch ihre Provinzgouverneure erlebt haben. Doch wenn Can auf weiter entfernte Länder schaut, auf Deutschland, Frankreich, Holland, auf Länder, die nur wenige Kriege mit den Osmanen führten, dann sieht er, dass sie es sind, die die Türkei nicht wollen. Sie schreien immer von der türkischen Barbarei, dem Islam, der Armut und dem Kampf der Kulturen herum. Und halb im Scherz kommt Can zu folgendem Schluss: Das beste Mittel, einen Kampf der Kulturen zu verhindern, ist ein wirklicher Krieg. Doch unter dem Scherz verbirgt sich eine Wahrheit. Der eigentliche Grund für die Konflikte ist Unkenntnis. Wenn wir miteinander mit der Attitüde, einander Lehren erteilen zu wollen, schreiend und mit sensationellen Schlagzeilen kommunizieren, werden wir diese Unkenntnis zwischen den Kulturen nicht überwinden. Nach meiner Erfahrung ist das beste und nützlichste Verfahren, um diese Art Unwissenheit aufzuheben und einem Kampf der Kulturen vorzubeugen, diese Art von Veranstaltungen. Darum möchte ich mich nochmals dafür bedanken, dass Sie mir diese Gelegenheit gegeben haben. 244