die Designwirtschaft in Bayern

die Designwirtschaft in Bayern

Marketing Innovations-Booster Design Erfolg durch Gestaltung Apple hat es vorgemacht: Unternehmen, die auf Design setzen, boomen. Aber man muss nicht in die USA blicken, um zu erkennen, wie wichtig Design für den Geschäftserfolg ist. StartingUp stellt sechs hiesige Start-ups vor, die ohne Design gar nicht denkbar wären. Text: Sabine Hölper D as Thema ist ernst, die Zahlen belegen es: Deutschland ist eine Wegwerfgesellschaft. Knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr auf dem Müll. Abgelaufene Joghurts etwa oder Essensreste vom Teller. Außerdem eine Menge Obst. Rund 35 Kilogramm Obst und Gemüse wirft jeder deutsche Verbraucher pro Jahr weg. Warum? Weil Händler und Großhändler heute fast nur noch Handelsklasse I verkaufen können. Alles andere lassen die Verbraucher im Regal liegen. Mit anderen Worten: Die Leute wollen schönes Obst. Nun gibt es immer mehr Menschen, die finden, dass die Lebensmittelverschwendung ein Ende ha- ben müsste. Selbst die Politik hat reagiert. So hat sich Deutschland dem Ziel der EU angeschlossen, die Menge der unnötigen Lebensmittelabfälle bis zum Jahr 2020 zu halbieren. Darüber hinaus gibt es private Interessengruppen, welche die Wegwerfgesellschaft anprangern. So zum Beispiel Slow Food Deutschland mit der Initiative Teller statt Tonne. Ugly Fruits Das ist alles sehr ehrenwert. Hat aber einen Haken: Die Initiativen kommen mit erhobenem Zeigefinger und ein bisschen prüde daher. Ihnen hafte ein Birkenstockimage an, sagt Giacomo Blume. Blume ist angetreten, dieses Image in die Tonne zu treten. startin Sonderdruck.indd 3 up 3 09.06.15 11:28

Marketing Innovations-Booster Design» sich die in Szene gesetzten Kartoffeln in Herzform oder die Erdbeeren in Bärchenform nur einmal anschauen und schlagartig wird klar, dass an diesen Früchten so rein gar nichts hässlich ist. Im Gegenteil: Sie sind schön. Weil sie natürlich sind. Anders als die Norm. Und deshalb wohlwollend aus der Masse herausstechen. Wir versuchen durch gelungenes Kommunikationsdesign eine Sache ne mit braunen Flecken kommt im Tiger-Look daher. Ugly Fruits sei grüner Lifestyle, sagt Blume, keineswegs Kunst. Die Früchte seien schließlich real. Aber diese realen Früchte taugen nur deshalb für eine höhere Botschaft, weil hier Design am Werk ist. Und gerade weil Design die maßgebliche Rolle spielt, wird Ugly Fruits wahrscheinlich mehr erreichen als jede andere Initiative. Das Beispiel zeigt auf eindrucksvolle Weise, welchen Stellenwert Design in der heutigen Gesellschaft einnimmt. Und wie wichtig Design ist, um ein Projekt oder ein Unternehmen nach vorn zu bringen. Wer Erfolg haben will, kann sich nicht auf der tollen Idee ausruhen, auf der modernen Technik oder dem einzigartigen Lösungsansatz. Damit das Unternehmen aus der Masse heraussticht, damit es von den potenziellen Konsumenten wahrgenommen, als interessant empfunden wird, muss Design eine Hauptrolle spielen. Man sieht das an Firmen wie Apple. Sie machen es Gründern unmöglich, Design zu ignorieren, schreibt Wells Riley, Produktdesigner und Mitgründer von Hack Design, auf seiner Website startupsthisishowdesignworks.com. Auch bei anderen erfolgreichen Start-ups Es ist die Qualität des Design, welche sich im Erfolg oder Misserfolg widerspiegelt. Jan Semler, dt. Designer und Blogger «schmackhaft zu machen, sagt Blume. Und weil schmackhaft machen Werbung machen bedeutet, haben er und seine Mitstreiter Kampagnen entworfen. Das Resultat ist derart ironisch und lustig, dass es einen nicht wundert, dass Ugly Fruits bereits eine erste Auszeichnung gewonnen hat, den ADC Junior Award 2013 in der Kategorie Ganzheitliche Kommunikation: Da wird eine Kartoffel mit drei Kerben (Streifen) in der Mitte vor einem Adidas-Shop abgelichtet. Eine Möhre erinnert an Frauenbeine, eine Bana- Ugly Fruits vermarktet Obst und Gemüse, das weggeworfen wird, weil es den gängigen Schönheitsidealen nicht entspricht. Durch das außergewöhnliche Werbe-Design wird das hässliche Produkt als neues Schönheitsideal kommuniziert, wird grüner Lifestyle 4 Sonderdruck.indd 4 startin Fotos: LAUTHALS/ugly fruits Auch er und seine Mitstreiter Moritz Glück und Daniel Plath haben das Ziel, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen. Aber die drei Kommunikationsdesigner haben einen anderen Ansatz gewählt, einen Lifestyle-Ansatz. Sie versuchen es mit Design. Mit ihrer Unternehmung Ugly Fruits vermarkten sie Obst und Gemüse, das weggeworfen wird, weil es den gängigen Schönheitsidealen nicht entspricht, als neues Schönheitsideal. Krumme Gurken, Bananen mit bräunlichen Stellen, Tomaten mit Auswüchsen: Ugly Fruits erhebt die Früchte mit kleinen Schönheitsfehlern zu Stars. Die Macher zeigen die Makel, aber nicht als Makel, die es zu verachten gilt, sondern als solche, die Früchte erst interessant machen. Sie verweisen damit auf die Modelszene, die Hakennasen oder Sommersprossen als chic deklariert hat, als den besonderen Reiz, als Einzigartigkeit. Ugly Fruits will nichts anderes, als die braven, Zeigefinger erhebenden Initiativen auch: Es will die Menschen dazu bewegen, Produkte zu kaufen, die so sind, wie die Natur sie hervorgebracht hat. Aber wie die Gründer das tun, ist revolutionär. Alleine der Name Ugly Fruits ist ein Geniestreich. Ugly? Hässlich? Man muss up 09.06.15 11:28

Marketing Innovations-Booster Design Hier wird die fehlerhafte Kartoffel zur Marke erhoben. Wir versuchen durch gelungenes Kommunikationsdesign eine Sache schmackhaft zu machen, erklärt Ugly-Fruits-Mitgründer Giacomo Blume wie GitHub, Airbnb, Square oder Fitbit sei Design der Kern des Geschäftsmodells, so Wells. Auch Jan Semler, ein Designer und Blogger aus Karlsruhe, gibt zu bedenken, dass es grundsätzlich richtig sei, wenn sich Start-ups auf Ideen und Technologien fokussieren, um etwas auf den Markt zu bringen, das kein anderer bietet. Aber, so schreibt Semler auf seiner Website jansemler.de, das Zünglein an der Wage ist Design. Warum? Ganz einfach. Dem Benutzer ist es vollkommen egal, was unter der Haube passiert, dem Nutzer ist wichtig, was er sieht, was er fühlt. Bragi Design als Kern des Geschäftsmodells? Man muss mittlerweile nicht mehr in die USA schauen, um solche Firmen auszumachen. Ein Start-up mit genau diesem Ansatz sitzt in München: Bragi hat mit The Dash die ersten drahtlosen und smarten In-Ohr-Kopfhörer entwickelt. Die Ohrstöpsel spielen nicht nur Musik ab, sondern messen und berechnen mithilfe winziger Sensoren verschiedene Daten, Schritte und die Geschwindigkeit zum Beispiel, den Kalorienverbrauch oder die Pulsfrequenz. Daraus leitet der intelligente Kopfhörer dann Tipps ab und spricht sie seinem Träger ins Ohr. Wearables nennt man solche tragbaren Computersysteme, sie sind das neue große Ding. Man denke nur an Google glasses. Wer, wie das junge Unternehmen aus München, ein solches Produkt auf den Markt bringt, hätte also allen Grund, die einzigartige Technik in den Mittelpunkt zu stellen. Firmengründer Nikolaj Hviid aber überrascht mit der Aussage, dass das ganze Produkt aus Design- Gründen entstanden ist. Das Design Thinking stand von vornherein im Mittelpunkt der Entwicklung von The Dash, sagt er. Das Anwendererlebnis ist die Essenz des Produkts. Anderthalb Jahre haben erst drei, später 60 Leute (vor allem Designer und Ingenieure) daran gearbeitet, bis das Design perfekt war, erzählt Hviid. Dabei habe man mehr als 5000 3D-Scans von verschiedenen Ohrmodellen analysiert. Natürlich ist der gebürtige Däne auch stolz auf die Technik. So viel Technik in so einem kleinen Raum, schwärmt er. Schiebt aber gleich hinterher: The Dash biete eine hohe Technologiedichte in einem ergonomisch optimierten Design. Oder andersherum: Unsere Design-Philosophie steht im Dialog zur genutzten Technik. Chocqlate Dass das Design im Dialog zum Inhalt steht, würde auch Julia Brodbeck unterschreiben. Dabei ist sie in einer ganz anderen Branche zu Hause als Hviid. Brodbeck verkauft Schokolade. Schokolade und Design? Wer die klassische Milka-Tafel oder Ritter Sport vor Augen hat, winkt erst einmal ab. Wobei auch diese Marken keineswegs designfrei sind. Man denke nur an das quadratische Format der Ritter-Sport- Schokolade. Außerdem verleiht Ritter Sport seit geraumer Zeit den Ritter Sport Design Award für ein tolles Verpackungsdesign und einen Produktnamen. Dieser Award richtet sich zwar nicht an Designer, sondern ganz normale Verbraucher und er ist vor allem ein dankbares Marketinginstrument. Dennoch: Mit den Tafeln aus dem Supermarktregal haben die Produkte von Brodbecks Start-up Chocqlate nichts gemein. Das liegt aber nicht nur daran, dass die 2012 gegründete Manufaktur Schokolade zum selbst Herstellen vertreibt, dass die Zutaten dafür rein pflanzlich und die Kakaobohnen handgemahlen sind. Brodbeck setzt, wie kaum ein Unternehmen ihrer Branche, auf Design, insbesondere bei der Verpackung, was den Münchnern bereits den red dot packaging design award und den if packaging desing award eingebracht hat. Allerdings, darauf legt die Firmenchefin wert, gehen Verpackung und Inhalt Hand in Hand. Das Design von Chocqlate transportiert die Hochwertigkeit unserer Premiumzutaten, sagt sie. Die Farben der Verpackung spiegeln die Power des Inhalts wider: die Kraft der puren Kakaobohne. Foto oben: LAUTHALS/ugly fruits The Dash sind In-Ohr-Kopfhörer, die nicht nur Musik wiedergeben, sondern auch die Pulsfrequenz und vieles mehr messen können. Bragi-Gründer Nikolaj Hviid: Das Design Thinking stand von vornherein im Mittelpunkt der Entwicklung startin up 5

Marketing Innovations-Booster Design Fragt man Brodbeck, ob Chocqlate ohne Design denkbar wäre, antwortet sie mit einem klaren Nein. Für die Entwicklung des Designs hat man extra ein darauf spezialisiertes Unternehmen beauftragt. Und das hat sich nicht nur um die Verpackung gekümmert, sondern auch um die Schokolade selbst, die in Form einer flachen Tafel mit Logo-Prägung in der Mitte daherkommt. Aber auch bei den Details wurde nichts dem Zufall überlassen. So ist die Rezeptanleitung in einer ausdrucksstarken Bildsprache gestaltet. Schon im Laden ist auf den ersten Blick zu erkennen, wie einfach es ist, seine Schokolade in nur vier Schritten selbst zu machen, sagt Brodbeck. Auch das ist nämlich Design: Funktionalität und Einfachheit. Zum Anbeißen schön sind die Schokoladen aus der Chocqlate-Manufaktur von Julia Brodbeck. Ihr Credo: Das Design transportiert die Hochwertigkeit unserer Premiumzutaten Nearbees Das wissen auch Michael Gelhaus und Viktoria Schmidt. Die beiden hatten die Idee zu Nearbees, einem Unternehmen, das Honig von Imkern aus der Region vermarktet. Die An- Produktdesign als Problemlöser. Um Honig leichter übers Internet zu vermarkten, entwickelten die Neerbees-Gründer Gelhaus und Schmidt eine Nachfüllpackung aus Recyclingpapier. So lässt sich ihr Honig perfekt per Post versenden 6 Sonderdruck.indd 6 startin fänge des Unternehmens klingen gar nicht danach, als ob es dabei um Design gehen würde. Vielmehr war das Ziel, die rund 1000 (Hobby-)Imker, die es in München gibt, zusammenzubringen, um ihnen die einfache Vermarktung ihres Honigs zu ermöglichen. Die meisten Imker verkaufen ihren Honig im kleinen Stil an Privatleute oder größere Imker, für sie lohnt sich kein eigener Onlineshop, erklärt Viktoria Schmidt. Um den Honigproduzenten eine Plattform zu geben, mit deren Hilfe sie ihre Produkte verkaufen können, braucht es aber Design, sagt sie, es braucht eine neue Honigverpackung. Schmidt, die weiß, dass der Zusammenhang nicht sofort klar wird, erklärt ihn: Bislang wird Honig im Glas verkauft. Aber erstens ist die Herstellung von Glas energieintensiv. Vor allem aber ist Glas schwer und damit schlecht zu verschicken. Eine Vermarktung übers Internet schließt sich damit fast aus. Produktdesignerin Schmidt hat sich deshalb etwas anderes einfallen lassen: Eine Nachfüllverpackung aus Recyclingpapier. Die wirft der Imker einfach in den nächsten Briefkasten. Am nächsten Tag ist der Honig beim Kunden. Schmidt und Gelhaus haben die Verpackung im Laufe der Zeit noch ein paar Mal modifiziert, haben die Optik verbessert, haben den Flugradius der Bienen aufgedruckt. Das sieht nicht nur ansprechend und hochwertig aus. Es zeigt auch, dass es sich um ein lokales Produkt handelt. Der Konsument sieht bereits auf der Verpackung, dass der Honig von Bienen aus seiner Nachbarschaft stammt. Nearbees ist ein gutes Beispiel dafür, dass Design ein weites Feld ist, wie Schmidt sagt: Design ermöglicht neue Vertriebsformen, neue Geschäftskonzepte, es befördert den Nachhaltigkeitsgedanken. Aber Design ist eben auch das, was man klassischerweise assoziiert, wenn man den Begriff hört: die DesignerLampe, das Designer-Sofa. Monoqi Design-Objekte: Das ist die Welt von Simon Fabich. Vor gut drei Jahren hat er Monoqi gegründet, einen Internetshop, der handverlesenes Design an Endkunden und Großhändler verkauft. Fabich hat eine Erklärung dafür, warum Design gerade jetzt boomt: Weil Design Individualität und Abgrenzung ermöglicht. Und weil die Menschen genau danach streben. Es sei doch so, sinniert der 31-Jährige: Früher habe jeder seine Möbel bei Ikea gekauft und sich nicht daran gestört, dass alle das Gleiche up 09.06.15 11:28

Marketing Innovations-Booster Design hatten. Heute wollten die Menschen etwas Einzigartiges. Seit drei Jahren ist Monoqi auf dem Markt, die Erfahrungen geben Fabich recht: Nicht nur damit, dass Design die Menschen anspricht, weil es ihrem Lebensgefühl entspricht. Es stimmt offenbar auch, dass der Verkauf von Design ein Erfolg versprechendes Geschäftskonzept sein kann: Der Umsatz von Monoqi liegt im zweistelligen Millionenbereich, Mitte des Jahres soll der Break-Even erreicht werden. Wir sind aber schon lange in der Defacto-Profitabilität, so Fabich. Wir investieren das Geld aber lieber in Neuentwicklungen. Oder in ein schickes Fotostudio. Denn das gehört dazu, wenn man Design-Produkte verkauft: Unsere ganze Firma ist Design, sagt Fabich. In allem, was wir tun, spiegeln wir Design wieder, das geht von der Website bis hin zu unserem Office in Berlin-Mitte. Simon Fabich hat Monoqi gegründet, einen Onlineshop für handverlesenes Design. Seine Erklärung dafür, warum Design gerade jetzt boomt: Weil Design Individualität und Abgrenzung ermöglicht und die Menschen genau danach streben Papperlook Michael Brugger ist weit weg von Berlin-Mitte. Er sitzt in seinem Büro in Brixen, Südtirol, am Fuße der Dolomiten. Schaut Brugger aus dem Fenster, sieht er die Gipfel der Dreitausender. Brugger ist Optiker-Meister mit einem eigenen Optiker-Ge- schäft. Jetzt hat er außerdem noch die Papperlook GmbH gegründet. Dennoch ist Geschäftsmann so ziemlich das Unpassendste, was man über den 37-Jährigen sagen kann. Brugger ist ein Design-Fanatiker, er selbst be- Brillen aus Papier designt und fertigt der Südtiroler Optiker-Meister Michael Brugger unter dem Label Papperlook. Er verkauft die Brillen bis nach Hollywood schreibt sich so: Ich fühle mich mehr als Künstler. Als solcher hat der Mann mit den raspelkurzen Haaren immerzu den Drang, etwas Neues zu machen, etwas auszuprobieren. Möbel und Lampen hat er schon entworfen, Taschen aus Holz, Brillen aus Holz auch. Und jetzt eben: Brillen aus Papier. Keine Gag-Brillen, wie Brugger betont, sondern richtige Brillen, für Menschen mit einer Sehschwäche. Die Brillen aus Papier (Brugger: Sie sind stabiler als die aus Holz. ) und die dazugehörige Firma Papperlook sind noch ganz jung. Aber alles sieht danach aus, als ob Brugger ein Riesen-Ding gelandet hätte. Nach Frankreich, USA und Australien hat er die Brillen bereits verkauft, sogar aus Hollywood, wo bekanntlich die Stars und Sternchen wohnen, kamen Bestellungen. Brugger freut sich über den Zuspruch. Nicht, dass er das große Geld wittert. Es ist die Bestätigung, dass Brillen aus Papier funktionieren. Es ist die Bestätigung, dass Design das Zünglein an der Waage ist. startin Sonderdruck.indd 7 up 7 09.06.15 11:28