56 BZB September 18 Wissenschaft und Fortbildung Digitale Techniken in der Implantologie und Implantatprothetik Wo stehen wir heute? Ein Beitrag von Prof. Dr. Florian Beuer MME, Berlin Die Digitalisierung hat unser Leben verändert wie kaum etwas zuvor. Speziell in der Implantattherapie profitieren wir stark von den digitalen Technologien. Deren Indikationen und Möglichkeiten sollen in diesem Beitrag erläutert werden. Bei der Implantatdiagnostik und -planung werden heute vermehrt dreidimensionale Bildgebungsverfahren verwendet, die zum einen die präzise Vorbereitung der Implantatinsertion erlauben. Zum anderen kann mit der Kombination der intraoralen Oberflächendaten auch eine dreidimensionale Planung der Implantatposition anhand der später gewünschten prothetischen Versorgung erfolgen. Die Umsetzung der Position in den Operationssitus geschieht heute routinemäßig durch sogenannte statische Navigation. Allerdings sind auch vielversprechende dynamische Konzepte auf dem Markt oder stehen kurz vor der Einführung. Die Herstellung des Zahnersatzes geht hauptsächlich mit digitalen Fertigungstechniken vonstatten. Vor allem die Entwicklung der monolithisch einsetzbaren Materialien hat diese Technik in den letzten Jahren weiter vorangetrieben. Grundsätzlich ist es auch möglich, den Zahnersatz schon mithilfe der Daten der Planung zu fertigen, das heißt, er wird bereits vor der Implantatinsertion hergestellt. Natürlich ist dies nicht in allen Situationen umsetzbar oder sinnvoll. Die Indikationen und Möglichkeiten sollen nachfolgend besprochen werden. Abb. 1: Bohrschablone zur statischen Navigation mit zwei eingesetzten Führungshülsen Implantatplanung Die Patientenselektion und Indikationsstellung für dentale Implantate haben sich mit der Digitalisierung nicht geändert. Dies gilt es immer zu bedenken, bevor wir in die Planung der implantatprothetischen Restauration einsteigen. Weiterhin sollte es sowohl beim analogen als auch beim digitalen Vorgehen Standard sein, anhand der prothetischen Planung die Anzahl und Position der Implantate sowie das Implantatsystem und Material zu wählen. Da unser zahntechnischer Partner später den Zahnersatz auf den Implantaten fertigt, sollte er bereits in der Planungsphase miteinbezogen werden. Wenn wir uns entscheiden, dass ein Fall dreidimensional geplant und geführt implantiert werden soll, müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Zunächst muss ein Datensatz der dreidimensionalen Knochenstruktur durch ein Computertomogramm (CT) oder ein digitales Volumentomogramm (DVT) erstellt werden. Grundsätzlich wird heute eher dem DVT der Vorzug gegeben, allerdings können bestimmte Indikationen immer noch ein CT rechtfertigen. Die S2k-Leitlinie Digitales Volumentomogramm befindet sich derzeit in Überarbeitung und sollte Ende 2019 aktualisiert veröffentlicht werden. 2. Zusätzlich werden Daten der intraoralen Oberflächen benötigt. Diese können entweder über einen Intraoralscanner aufgenommen [7,13] oder durch einen Laborscan des physischen Planungsmodells gewonnen werden [1]. Ein vorhandenes Planungsmodell erleichtert die Anpassung der später erstellten Bohrschablone. Selbst wenn die Oberflächendaten über den Intraoralscanner gewonnen wurden, kann die auf dieser Datenbasis erstellte Bohrschablone auf dem Planungsmodell angepasst werden. Damit ist ein reibungsloser Ablauf ohne Anpassung während der Operation sehr wahrscheinlich (Abb. 1 und 2).
Wissenschaft und Fortbildung BZB September 18 57 Abb. 2: Bohrschablone auf Planungsmodell aufgepasst Abb. 3: Visualisierte übereinandergelagerte Daten der knöchernen Situation, der intraoralen Oberflächen und des geplanten Implantats 3. Diese gewonnenen Daten werden dann mithilfe eines Planungsprogramms übereinandergelegt ( Matching der Daten). Sollte ein physisches Wax-up der zukünftigen Restauration erstellt worden sein, so wird auch dieses digitalisiert und integriert (Abb. 3). Ansonsten kann alternativ auch ein virtuelles Wax-up im Planungsoder Computer Aided Design (CAD)-Programm erstellt und verwendet werden. Diese Simulation der späteren prothetischen Restauration dient dann zur Orientierung für die geplante Implantatposition. Das entsprechende Implantat wird aus einer Bibliothek des Planungsprogramms ausgewählt und virtuell platziert. Ein einstellbarer Sicherheitszylinder soll die mittleren Abweichungen und Planungsfehler berücksichtigen. Durch grafische Möglichkeiten wie Sichtbarund Halbtransparentmachen hat man dabei wenn nötig stets die knöcherne Situation sowie die virtuelle prothetische Planung im Blick. 4. Im Anschluss folgt die Umsetzung der Planung in die Realität. Dies kann durch sogenannte Bohrschablonen erfolgen. Da diese während der Implantatinsertion keine Anpassung der Implantatposition an eventuell vorher nicht sichtbare Details erlauben, wird diese Technik als statische Navigation bezeichnet. Die Bohrschablonen werden in einem Computer Aided Manufacturing (CAM)-Prozess gefertigt, wobei heute fast ausschließlich die additive Fertigung (Varianten des 3-D-Drucks ) zum Einsatz kommt. Eine zweite Möglichkeit stellt die dynamische Navigation dar. Hier wird die Position des Winkelstücks und damit des Bohrers ständig mit der Planungsposition verglichen und dem Behandler visualisiert [5]. Somit können Korrekturen auch kurzfristig umgesetzt werden. Weiterhin eignet sich diese Technik durchaus auch für chirurgische Herausforderungen abseits der Implantologie, wie zum Beispiel minimalinvasive Zugänge zur Entfernung verlagerter Zähne oder Ähnliches. Derzeit stellt die statische Navigation sicher das am weitesten verbreitete Verfahren dar. 5. Kommt die statische Navigation zur Anwendung, so muss eine definierte, sichere Positionierung der Schablone während der Implantatinsertion sichergestellt sein. Daher bietet sich bei teilbezahnten Patienten die Positionierung der Schablonen auf der Restbezahnung an. Durch kleine ausgesparte Bereiche ( Fenster ) kann die Positionierung der Schablone überprüft werden (Abb. 4 und 5). Falls weniger als drei oder keine Zähne vorhanden sind und somit eine sichere Positionierung nicht gewährleistet werden kann, kann die Schablone entweder auf dem Alveolarknochen abgestützt werden oder es werden provisorische Implantate inseriert, die sowohl die Schablonen als auch eventuelle Provisorien abstützen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Einsatz von Gesichtsscannern zur Implantatplanung bei komplexen Situationen als hilfreich erwiesen. Ähnlich wie in der Kieferorthopädie wird seit geraumer Zeit auch bei der Planung umfangreicher Rekonstruktionen das Gesicht des Patienten miteinbezogen [9]. Die unter 1. und 2. beschriebenen digitalen Daten werden noch durch die Oberfläche des Gesichts ergänzt. Somit ist eine virtuelle Anprobe der zukünftigen prothetischen Rekonstruktion bereits zur Planung möglich [12]. Die Frage nach der Notwendigkeit der dreidimensionalen Planung muss kritisch betrachtet werden. Auf der einen Seite war die Implantologie auch in der prädigitalen Phase sehr erfolgreich, was nicht
58 BZB September 18 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 4: Aussparungen in der Bohrschablone zur Überprüfung des Sitzes auf dem Modell Abb. 5: Aussparungen in der Bohrschablone zur Überprüfung des Sitzes im Mund zuletzt zu der hohen Akzeptanz und Verbreitung der Implantologie in der Zahnmedizin beigetragen hat. Auf der anderen Seite gibt es klare Vorteile der digital geplanten und geführt eingesetzten Implantate. So werden kürzere Eingriffszeiten, weniger posttraumatische Schmerzen und insgesamt geringere Behandlungskosten angeführt [4,6]. Trotz der intensiven Planung wird die geführte Implantatinsertion nicht als technisch einfacher angesehen als das klassische Behandlungsprotokoll [6]. Wenn wir von statisch geführter Implantatpositionierung sprechen, gibt es grundsätzlich verschiedene Ansätze, wie weit die Unterstützung durch die Schablone gehen soll: Führung der Pilotbohrung mit oder ohne Tiefenstopp: Hier wird hauptsächlich die Implantatachse oder gegebenenfalls noch die Insertionstiefe übertragen (Abb. 6). Durch die anschließende Freihandaufbereitung mit den Bohrern kann die Implantatposition noch minimal angepasst werden. In besonders kritischen Bereichen wie der Oberkieferfront bietet sich nach Ansicht des Autors diese Art der Übertragung ohne Tiefenstopp an. Da auf den digitalen Röntgenbildern der Limbus alveolaris oft nicht genau genug sichtbar ist und die vertikale Implantatposition über die erfolgreiche Ausbildung der biologischen Breite um das Implantat entscheidet [8], ist eine exakte Platzierung des Implantats unter Sicht oft von Vorteil. Führung der kompletten Bohrsequenz: Hier werden alle zur Aufbereitung des Implantatlagers notwendigen Bohrschritte durch die Schablone ausgeführt. Dies ermöglicht eine hohe Sicherheit während der Operation, lässt aber keinen Adaptationsspielraum zu, um die Implantatposition nochmals zu verändern. Führung der kompletten Bohrsequenz und Insertion des Implantats durch die Schablone: Bei dieser Variante werden sowohl der komplette Bohrvorgang als auch die Implantatinsertion durch die Schablone ausgeführt (Abb. 7 und 8). Abb. 6: Bohrschablone zur Führung der Pilotbohrung
Wissenschaft und Fortbildung BZB September 18 59 Abb. 7: Durch die Bohrschablone geführte Implantatinsertion Abb. 8: Acht durch die Bohrschablone inserierte Implantate Vergleicht man die Soll-Ist-Position von Implantaten, die mit dieser Methode inseriert wurden, so sind diese genauer platziert als diejenigen, bei denen die beiden oben genannten Techniken zur Anwendung kamen [5]. Die Indikationen für eine geführte Implantatinsertion stellen nach heutigem Kenntnisstand folgende Situationen dar: Unterstützung von minimalinvasiven Techniken bei Patienten mit besonderen Risiken Zustand nach komplexer Kieferrekonstruktion Unterstützung der Umsetzung einer komplexen prothetischen Zielsetzung besondere Konzepte Diese Empfehlungen stützen sich auf die bereits abgelaufene und sich in Überarbeitung befindende S2k-Leitlinie Indikationen zur implantologischen 3-D-Röntgendiagnostik und navigationsgestützten Implantologie. Herstellung des Zahnersatzes Vor allem im festsitzenden Bereich lassen sich die Suprakonstruktionen heute hervorragend teilweise oder komplett im digitalen Workflow herstellen. Eine Vielzahl von Restaurationsmaterialien wurde in den letzten Jahren vorgestellt. Es lässt sich ein klarer Trend in Richtung monolithisch einsetzbare, metallfreie Materialien erkennen. Sollen zweischichtige Restaurationen gefertigt werden, wie sie zum Beispiel für den Ersatz einzelner Zähne im Frontzahnbereich unbedingt notwendig sind, werden die Gerüststrukturen digital und die Außenstrukturen manuell in Handarbeit erstellt. Es gibt bereits Ansätze, auch diese Arten der Restaurationen nahezu komplett digital herzustellen. Allerdings befinden sich entsprechende Konzepte noch mehr oder weniger im Prototypenstadium [11]. Bei Kronen sind heute verschraubte Abutmentkronen aus Lithiumdisilikat eine Standardversorgung, die sich monolithisch im komplett digitalen, modellfreien Workflow herstellen lassen (Abb. 9). Diese Art der Restauration scheint auf der einen Seite genügend mechanische Stabilität aufzuweisen, um den Kaukräften zu widerstehen. Auf der anderen Seite zeigten Untersuchungen, dass sie das Implantat vor möglichen Beschädigungen schützen, da sie weniger stabil als die Implantatschulter sind [10]. Dies ist zwar trivial, aber oft wird vergessen, dass natürlich die Suprakonstruktion bei einem mechanischen Versagen den schwächsten Teil der Einheit aus Implantat und prothetischer Versorgung darstellen sollte. Bei Brücken spielt dies durch die primäre Verblockung der Implantate und die Verteilung der Kaukräfte eine untergeordnete Rolle. Hier kommen die neuen Zirkonoxide zum Einsatz, die zum einen durch gute Transluzenzeigenschaften eine ansprechende Ästhetik auch ohne Verblendung ermöglichen, und zum anderen durch ihre mechanische Festigkeit eine Verbesserung der Komplikationsraten im Vergleich zu verblendeten Restauration versprechen (Abb. 10). Für eine abschließende Beurteilung liegen noch nicht genügend wissenschaftliche Langzeitdaten vor, jedoch sind die ersten Erfahrungen sehr positiv. Mit diesem Versorgungskonzept können bis zu Komplettkieferversorgungen alle Brückenvarianten hergestellt werden. Die Frage Verschrauben oder Zementieren? würde hier zu weit führen, jedoch ist mit den digitalen Techniken heute beides möglich. Ausblick Wo besteht noch Potenzial in der Digitalisierung der Implantattherapie? Ein Trend sind die patienten-
60 BZB September 18 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 9: Verschraubte Lithiumdisilikat-Abutmentkronen vor Verschluss der Zugangskavitäten Abb. 10: Verschraubte dreigliedrige Brücke aus monolithischem, bemaltem Zirkonoxid. Man beachte die minimalen Zugangskavitäten zu den Schrauben. individuellen Implantate, die sich mittels der digitalen Daten nach dem Vorbild des zu extrahierenden Zahns herstellen lassen. Diese Technik zeigt in einer ersten Pilotstudie, die spätestens Anfang nächsten Jahres veröffentlicht wird, sehr vielversprechende Ergebnisse. Ein weiterer Trend dürfte die dynamische Navigation werden, die von Experten bereits als genauer und mit viel mehr Potenzial ausgestattet angesehen wird als die statische Navigation [2,3]. In der CAD/CAM-Fertigung von Zahnersatz ist ein klarer Trend zur additiven Herstellung erkennbar. Derzeit wird diese Technik vor allem für Metall eingesetzt. Allerdings wird es zukünftig sicher die Option geben, mehrschichtige zahnfarbene Materialien simultan additiv zu verarbeiten. Bei aller Euphorie sind zwei Punkte aus Sicht des Autors entscheidend: Zukünftige digitale Verfahren müssen einen klaren klinischen Vorteil für den Behandler, aber vor allem auch für den Patienten bieten. Und vielleicht ein anderer, nicht weniger wichtiger Punkt ist der Spaß und die Herausforderung für alle Beteiligten an neuen Entwicklungen. Literatur beim Verfasser Hinweis Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Florian Beuer MME Direktor Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funk tionslehre Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin Aßmannshauser Straße 4-6, 14197 Berlin Florian.Beuer@charite.de Prof. Dr. Florian Beuer MME referiert beim 59. Bayerischen Zahnärztetag. Das ausführliche Programm finden Sie auf Seite 12 f. Tagesseminar Digitale Technologien in München Was ist neu und was hat sich bei den digitalen dentalen Technologien bewährt? Antworten auf diese und weitere Fragen werden Dozenten der LMU München und ein erfahrener Anwender aus der Praxis bei dem Tagesseminar Digitale Technologien am 8. Dezember in der Zahnklinik der LMU München geben. In fünf Vorträgen werden die Teilnehmer über die neuesten Entwicklungen der dentalen Digitalisierung informiert. Prof. Dr. Daniel Edelhoff stellt innovative Behandlungskonzepte auf den Prüfstand und erläutert, welche Systeme sich bewährt haben. Josef Schweiger MSc zeigt die aktuellen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der digitalen Konstruktionen und Fertigungen auf. Ztm. Clemens Schwerin informiert in seinem Make or buy -Vortrag über die anfallenden Betriebskosten von CAD/CAM-Komponenten, Priv.-Doz. Dr. Dipl.-Ing. (FH) Bogna Stawarczyk beschäftigt sich mit den Neuerungen im Bereich der CAD/CAM-Materialien und Priv.- Doz. Dr. Jan-Frederik Güth bringt die Teilnehmer zum Thema Intraoralscan auf den neuesten Stand. Die modernen Räumlichkeiten der Zahnklinik der LMU bieten den idealen Rahmen, um sich nach den Vorträgen mit den Referenten auszutauschen, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Weitere Informationen und Anmeldung: www.teamwork-campus.de Redaktion