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Transkript:

Ortsnamen als Hoheitszeichen Sprachkonflikt und toponymischer Wechsel im Elsass 11 Von Claude Otto 1 A ufgrund des Vertrags von Mersen kam das Elsass 870 zum Ostfränkischen Reich und wurde später zu einem der reichsten und kulturträchtigsten Stamm- und Grenzgebiete des «Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation». Diese Lage dauerte bis zum Ende der Humanistenzeit und der Reformation an. Das Elsass unterschied sich damals in nichts von anderen deutschsprachigen Landschaften, aber dies sollte sich ändern, als es unter französische Herrschaft geriet. In der Zeit zwischen dem Westfälischen Friedensvertrag von 1648 und dem Fall der Stadt Strassburg 1681 eroberten französische Truppen stück weise nach und nach nahezu das ganze Elsass. Frankreich ging es damals noch nicht um seine Einverleibung in den französischen Staatsverband, das Land galt lediglich als Besitzung der französischen Krone im Ausland («province effectivement étrangère»). Das Elsass wurde erst von der Französischen Revolution von 1789 Frankreich offiziell angegliedert. Die Anfänge der französischen Zeit Zuerst ging es den neuen Machthabern vornehmlich um die Französisierung der elsässischen Makrotoponymie. Mit der Zeit veränderten sie zahlreiche Ortsnamen sowie alle Strassennamen. Anfangs, d. h. zur Zeit des Königtums, wurden nur wenige Ortsnamen französisiert. Die neuen militärischen Einrichtungen (Village-Neuf und Saint-Louis in der Basler Gegend, Neuf-Brisac gegenüber dem rechtsrheinischen Altbreisach und Fort-Louis auf der Höhe von Hagenau im Unterelsass) bekamen französische Namen. Französisiert wurden die Namen der befestigten Orte, in denen eine französische Garnison stationiert war (Strassburg > Strasbourg, Schlettstadt > Séléstat, Zabern > Saverne, Lüt- 1 Dr. Claude Otto, 25, avenue Christian Pfister, F-67100 Strasbourg-Meinau, claudeotto@hotmail.fr, Gastdozent für Germanistik an der Universität des Saarlandes.

12 zelstein > La Petite Pierre) sowie der Ortschaften, in denen hohe Vertreter der neuen Herren ihren Wohnsitz hatten (z. B. Sennheim > Cernay im südlichen Elsass, umbenannt nach einem Ort in der Pariser Gegend) oder in denen sich ehemalige französische Soldaten niedergelassen hatten (Eichwald > Chalampé im südlichen Elsass, umbenannt nach einem Ort in Savoyen). Gleiches geschah mit den Dörfern, die als «village royal» französischen Adligen zu Lehen gegeben wurden (z. B. Heckenheim > Hegeney für den Herzog de Mazarin). 2 Die Revolution der Namen Zwischen dem Beginn der Französischen Revolution von 1789 und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden nun die Namen zahlreicher Ortschaften verändert 3, die einen breiten Ausstrahlungsradius hatten und/oder von besonderer politischer Wichtigkeit waren; es handelte sich dabei vornehmlich um Städte und Gemeinden, die an Hauptverkehrsstrassen lagen. Das diente einem doppelten Zweck: Ortsnamen haben eine grosse Symbolkraft, sie eignen sich gut dazu, der autochthonen Bevölkerung und dem Ausland zu zeigen, wer die eigentliche Herrschaft ausübt, d. h. wer auf politischem und kulturel- 2 Wir geben immer zuerst die landeseigenen standarddeutschen und dialektalen Namen (= Endonyme) der jeweiligen Ortschaften an und dann die französischen Verwaltungsbezeichnungen (= Exonyme). Eine systematische Zusammenstellung in: Bernard Wittmann: Dictionnaire alphabétique des communes d Alsace. Strassburg 2006.. In jeder Ortschaft wurden die Strassennamen systematisch französisiert. Einige Strassen bekamen neue Namen, andere wurden einfach übersetzt, auch wenn sie den Namen alter Patrizier familien enthielten, wie z. B. die Kalbsgasse, die zur rue des veaux wurde. Eigentlich ist die ganze «Umwelt» französisch geworden, wie die Inschriften oder die Namen der vornehmen Wohnanla gen (z. B. le Beaulieu, le Mérimé). Darauf können wir aber im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter eingehen. Näheres darüber z. B. in Robert Greibt / François Schaffner: La toponymie en Alsace. in: Solange Wydmusch (Hrsg.): La toponymie un patrimoine à préserver. Paris 1998, S. 107ff. 3 Die Ortsnamen, die nicht verändert wurden, werden im Regionalprogramm des französischen Fernsehens für das Elsass (FR3 Alsace) oft falsch ausgesprochen, so wird Achenheim zu Akenhäm oder Schiltigheim zu Schilti-ghäm. Immer mehr Einheimische übernehmen diese Aussprache, wenn sie französisch sprechen. Karte des oberen und des mittleren Elsass um 1800 (Seite 13) In die Kartenvorlage des Atlas Historique de l Alsace (http://liip.to/alsace) wurden kursiv jene deutschen Ortsnamen eingetragen, die auf der Karte «Elsass-Lothringen von 1648 1789» in Droysens Historischem Handatlas (1886, http://liip.to/droysen) stehen.

13

14 lem Gebiet das Sagen hat; es sollte so aber auch das Verhältnis der einheimischen Bevölkerung zu ihrer eigenen Kultur gestört sowie ein Verfremdungsprozess eingeleitet werden, was zusammen mit anderen sprachpolitischen Massnahmen zu ihrer Assimilation beitragen sollte. 4 So entstanden Neubildungen durch Übersetzungen ins Französische (Neukirch/Nejkirich > Neuve-Eglise; Drei-Ähren/Drej-Ähre > Trois-Epis; falsch übersetzt: Gereuth u. Krüt/Kritt > Neubois) oder durch Substitution: Für einige unweit der deutsch-französischen Sprachgrenze gelegene Ortschaften wurden ihre jenseits dieser Grenze geläufigen französischen Bezeichnungen übernommen (Kestenholz/ Keschteholz > Châtenois; Rappoltsweiler/Rapschwihr > Ribeauvillé); manchmal wurden aber auch Namen aus anderen Gegenden Frankreichs übernommen (Mau[e]rmünster/Mürminschter > Marmoutier übernommen aus Westfrankreich). In einigen Fällen wurde auch versucht, die Aussprache der dialektalen Formen auf Französisch wiederzugeben (Oberehnheim/ Owernä[n] > Obernai; Niederehnheim/Niddernä > Niedernai), in einigen Fällen wurden aber auch Veränderungen vorgenommen (Reichenweier/Richewihr > Riquewihr; Bebelnheim/Bawle > Beblenheim). Echte Prothesen sind sehr selten (Aue/Aü > Lauw), es gibt hingegen einige Beispiele von Ortsnamen, denen ein französischer Artikel vorangestellt wurde, ohne eigentlichen Grund (Wanzel/Wanzel > La Vancelle), oder als Übersetzung eines dialektalen Artikels (Walk/D Walk > La Walk; Wanzenau/D Wanzenau > La Wantzenau; Hohwald/D Hohwald > Le Hohwald). Hin und her im 20. Jahrhundert Nachdem die standarddeutschen Ortsnamenformen während des Zweiten Weltkriegs von den deutschen Behörden meist der mo- 4 Näheres darüber z. B. in: Jörg Horn: Ortsnamenkonflikte Lösungswege für mehrsprachige Gebiete. St. Augustin 2004 (Plurilingua XXVII, hrsg. v. Peter Nelde, Forschungszentrum für Mehrsprachigkeit der KUB-Brüssel).

Als französische Namen verdeutscht wurden 15 Die deutsch-französische Sprachgrenze verläuft im Elsass von Norden nach Süden; wenn das Gebirge nach Osten steil abfällt, befindet sie sich auf den höchsten Erhebungen der Vogesen, sie dringt aber bis in die hohen Bergtäler, wenn diese sich nach Osten zu erweitern. Die Ortschaften, auf die im Hauptartikel vornehmlich eingegangen wurde, befinden sich östlich dieser Grenze; westlich liegen etliche französischsprachige Ortschaften. Da, wo ein deutscher und ein französischer Name noch geläufig waren, wurde in deutscher Zeit der deutsche Name verwendet, in französischer Zeit der französische, z. B. Markirch/Ste-Marie aux Mines, Schnierlach/Lapoutroie, Diedolhausen/Le Bonhomme, Urbeis/ Orbey, Vorbruck/Labroque. Einige Ortschaften haben ausschliesslich einen deutschen Namen, z. B. Schirmeck, Steinbach, viele jedoch nur einen französischen Namen; in deutscher Zeit wurden diese bald beibehalten, bald verdeutscht. In der Zeit des Reichslandes Elsass-Lothringen (1870 1918) wurden die französischen Ortsnamen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beibehalten, dann bekamen sie auf Betreiben der Militärbehörden einen deutschen Namen. In einigen Fällen wurde versucht, die ursprüng liche Aussprache auf deutsch wiederzugeben, z. B. Plaine/Plen, Saâles/Saal (schon 1666/1693); manchmal wurde auf urkundlich bezeugte Formen zurückgegriffen: z. B. Belmont/Schönberg (1584), Hachimette/Eschelmer (1441 u. 1576), Grandfontaine/ Michelbrunn (1704). Andere Namen sind durch Übersetzungen entstanden, z. B. Belfosse/Schöngrund, oder sind Adaptationen bzw. Neuschöpfungen, z. B. Fréconrupt/Freschenberg, Saulxures/Salzern. In der Zeit von 1940 bis 1944 haben die Nationalsozialisten, die in der ihnen eigenen brutalen Art und Weise alles Französische im Elsass ausmerzen wollten, dankbar auf die toponymischen Vorarbeiten der reichsländischen Behörden zurückgreifen können. Claude Otto

16 dernen Orthographie angepasst worden waren, ist man später zur Verwendung der heute antiquierten Orthographie aus der Zeit des Reichslandes Elsass-Lothringen zurückgekehrt, es sollten sich so wohl zahlreiche Ortsnamen aus dem Elsass von gleichlautenden Ortsnamen aus anderen deutschsprachigen Landschaften schriftlich unterscheiden (Diefental/Diefetal > Dieffenthal; Selz/Selz > Seltz; Brinkheim/Brinke > Brinckheim; Geberschweier/Geberschwihr > Gueberschwihr; Kleeburg/ Kleeburri > Cleebourg; Sesenheim/Säsen(e) > Sessenheim). Der Umlaut von o wurde systematisch in <oe> aufgelöst (Hördt/Härdt > Hoerdt; Wörth/Werth > Woerth), Gleiches gilt für den Umlaut von au, der in <aeu> aufgelöst wird (Neuhäusel/Nejhiisel > Neuhaeusel). Der Umlaut von u wird nur gelegentlich in <ue> aufgelöst (Rülisheim/Rüelse > Ruelisheim; Bütweiler/Büetwiller > Buethwiller), aber meist wird er nicht angegeben (Türkheim/Derike > Turckheim; Bühl/Bihl > Buhl), und so fallen diese Formen mit denen des umlautlosen u zusammen (Stundweiler/Stundwiller > Stundwiller; Gunstett/Gunschtett > Gunstett), das manchmal auch durch <ou> wiedergegeben wird (Burgheim/Burige > Bourgheim; Rufach/Ruffach > Rouffach). Was die Endglieder von Komposita angeht, so respektieren eine grosse Anzahl offizielle Ortsnamen ihre dialektale oder standarddeutsche Form, es gibt aber oft auch rein orthographische Varianten oder solche, die durch Französisierung entstanden sind: <-willer> entspricht der dialektalen Form (Bischweiler/Bischwiller > Bischwiller; Offweiler/Offwiller > Offwiller); als Folge von Französisierung sind aber auch zu verzeichnen: <-viller> (Neuweiler/Nejwiller > Neuviller-la-Roche) oder <-ville> (Kienzweiler/Kienzwiller > Kientzville) sowie <-villé> (Weiler/Willer > Villé; Bernhardsweiler im Loch/Bartschwiller im Loch > Bernardvillé). Die dialektale Form wird durch <-wihr> richtig wiedergegeben (Bennweiher/Bennwihr > Bennwihr; Appenweier/Appewihr > Appenwihr), Gleiches gilt auch für <-weyer> (Pfalzweier/ Pfalzwejer > Pfalzweyer). Für <-dorf> finden sich ausser dem homographen <-dorf> (Ballersdorf/Ballersdorf > Ballersdorf; Offendorf/Offedorf > Offen-

dorf) die Variante <-torf> (Altdorf/Altdorf > Altorf) und wegen der r-metathese im dialektalen Endonym <-troff> (Pisdorf/ Bischdroff > Bischtroff). Das standarddeutsche <-hausen> bleibt manchmal erhalten (Mittelhausen/Mittelhüse > Mittelhausen; Issenhausen/ Issehüse > Issenhausen), es finden sich auch zahlreiche Beispiele mit <-house>, das der dialektalen Form nahesteht, aber die Palatalisierung des u nicht wiedergibt (Münchhausen/Minchhüsa > Munchhouse; Kaltenhausen/Kaltehüse > Kaltenhouse). Bei <-hofen> (Waldighofen > waldighofa > Waldighofen) und <-hoffen> (Gundershofen/Gunderschhoffe > Gundershoffen; Rittershofen/Ritterschhoffe > Rittershoffen) sollen die beiden Formen die unterschiedliche Aussprache der dialektalen Form anzeigen. Dem standarddeutschen <-burg> entspricht stets <-bourg> (Strassburg/Strosburi > Strasbourg; Schönenburg/Scheneburi > Schoenenbourg). Folgende Endglieder von Komposita wurden nicht verändert und haben auch keine Varianten: <-acker>, <-au>, <-bach>, <-berg>, <-bruck>, <-bronn/brunn>, <-feld(en)>, <-heim>, <-kirch(en)>, <-loch>, <-statt/-stett>, <-stein>, <-wald>. 17 Das standarddeutsche Suffix <-ingen> bleibt im Unterelsass meist erhalten (Drulingen/Drülinge > Drulingen; Diemeringen/Diem[e]ringe > Diemringen) und erscheint im Oberelsass als <-ingue> französisiert (Hüningen/Hininge > Huningue; Kötzingen/Kätzinge > Koetzingue), die Variante <-ing> hingegen ist ganz wenig vertreten (Felleringen/Felleringe oder Fallri > Fellering). Ein weiteres Mittel zur Französisierung deutscher Ortsnamen im Elsass ist ihre Erweiterung durch französische Zusätze. Manche davon sind Übersetzungen, die schon in standarddeutschen und/oder dialektalen Endonymen vorkommen, andere sind das Werk der französischen Behörden. Durch diese Zusätze wird die Nähe zu einer grösseren Ortschaft angegeben (Dieffenbach-lès-Wœrth; Nehwiller-près-Woerth; ohne Verbindungswort: St-Jean-Saverne), die Position an einem Fluss (Oberhoffen-sur-Moder) oder noch die landschaftliche

18 Lage oder Umgebung (Ste-Croix-en-Plaine; Griesbach-au-Val; Neuvillerla-Roche; Soultz-sous-Forêt). Manchmal wird auch auf ein Charakteristikum hingewiesen (Dambach-la-Ville; Niederbronn-les-Bains; Rombach-le-Franc). Andere Zusätze erlauben, alt und neu zu unterscheiden (Vieux-Thann; Vieux- Ferrette), homonyme Ortsnamen geographisch einzuordnen (Westhouse-près-Benfeld; Westhouse-près-Marmoutier) oder Unterdorf und Oberdorf zu unterscheiden (Fessenheim-le-Haut; Fessenheim-le-Bas). Weitere Umbenennungen in der Gegenwart Nun machten sich die Behörden auch an die Mikrotoponymie heran. Da Flurnamen im Allgemeinen nur lokale Ausstrahlung haben und von geringer politischer Bedeutung sind, blieben sie normalerweise in ihrer ursprünglichen Form erhalten; als aber in den Sechzigerjahren am Rande grösserer Städte neue Siedlungen mit Sozialwohnungen entstanden 5, rückten plötzlich die deutschen Bezeichnungen der Gelände, auf denen sie gebaut wurden, in den Blick der Öffentlichkeit; es wurde dann beschlossen, diese zu französisieren oder durch andere französische Bezeichnungen zu ersetzen. Im Osten Strassburgs wurde das im Fünfzehnerwört neu entstandene Viertel zum Quartier des Quinze; im Süden erhielt das auf dem Gelände Beim Entenfang gebaute Viertel den Namen Quartier de la Canardière; im Westen entstanden in Hohenstein das Quartier de Hautepierre mit Sozialwohnungen und das Universitätskrankenhaus Hôpital de Hautepierre. In der zur Strassburger Stadtgemeinschaft gehörenden Kommune Eckbolsheim wurde auf dem Terrain In der Eckbolsheimer Straenge eine Anlage mit Wohnungen und Räumen für mittelständische Betriebe des Gewerbesektors errichtet; die Übersetzung des einheimischen deutschen Flurnamens diente diesmal nicht als Bezeichnung für die Anlage, letztere bekam den schönen französischen Namen Parc des Poteries. 5 Später wurden alle Kommunen über 2500 Einwohnern vom französischen Staat angehalten, 20% Sozialwohnungen zu bauen, und manche von ihnen haben dann auch noch versucht, durch Förderungsmassnahmen die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe zu erwirken; das alles führte dann zu ähnlichen toponymischen Wechseln wie in Strassburg und seiner näheren Umgebung.

In jener Zeit bekamen auch die grossen landschaftlichen Bezirke des nördlichen Elsass, in denen der Dialekt heimisch ist, französische Namen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war der seit dem 16. Jahrhundert schriftlich bezeugte Name Krummes Elsass die gängige Bezeichnung für den äussersten Nordwesten der Gegend, der weit in Lothringen hineinreicht; in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich dann auf Betreiben der Behörden die französische Übersetzung Alsace Bossue durch. Die Gegend nördlich des Hagenauer Forsts, die von jeher im Volksmund Unterland hiess, bekam offiziell die Bezeichnung l Outre-Forêt (d. h. «die Gegend jenseits des Forsts»). Die Bezeichnungen Sundgau im Südelsass sowie Kochersberg und Ackerland im Westen von Strassburg haben sich bis jetzt erhalten können. Ob das in der Zukunft auch noch so sein wird, vermag niemand vorauszusagen. 19 Vor einigen Jahren erhielt das unterelsässische Gebiet, das sich vom Kamm der Vogesen bis zu dem zwischen Rosheim und Barr in der Rheinebene gelegenen Bruch der Andlau erstreckt, den merkwürdigen Namen Piémont des Vosges 6. Der Teil der 1965 eröffneten Autobahn A35, der sich zwischen Enzheim/Entzheim und Schlettstadt/Séléstat erstreckt (180 km), heisst jetzt Voie Rapide du Piémont des Vosges. Das aus Moor und Auwäldern bestehende Naturgebiet im südlichen Elsass in der Nähe von Basel erhielt ganz offiziell die Bezeichnung Petite Camargue Alsacienne 7. Wir stehen hier voraussichtlich erst am Anfang einer längeren Entwicklung, sie verläuft nämlich höchstwahrscheinlich parallel zu einer durch Schule, Medien und massive Einwanderung aus dem übrigen Frankreich und aus dem Ausland begünstigten, stetig voranschreitenden Französisierung der elsässischen Bevölkerung. 6 Das Wort Piémont gibt es im Französischen nicht, es kann sich also nur auf die gleichnamige Gegend Italiens beziehen. Das ist nicht das einzige Exonym dieser Art: in der Krutenau, einem südlichen Vorort Colmars, erhielt ein Abschnitt der Lauch den Namen Petite Venise, also Kleinvenedig. 7 Die Camargue ist eine feuchte Landschaft des Rhonedeltas mit versumpften Strandseen im Süden Frankreichs.