Psychische Störungen von Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt



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Transkript:

Psychische Störungen von Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt Dr. med. Cordula Boose Spezialärztin Psychiatrie und Psychotherapie Bern

Psychische Störungen bei Schwangerschaftsabbruch, Fehl-, Tot- oder Frühgeburt Baby Blues Peripartale Depressionen Peripartale Psychosen Borderline-Störung Posttraumatische Belastungsstörung Psychische Erkrankung und Schwangerschaft 2

Psychische Störungen bei/nach Schwangerschaftsabbruch Fehlgeburt Totgeburt Frühgeburt 3

Psychische Störungen Baby Blues Postpartale Depressionen Postpartale Psychosen 4

Baby-Blues «Baby, das habe ich mir anders vorgestellt» 5

Baby-Blues Symptome Energieverlust, Erschöpfung, Müdigkeit Dünnhäutigkeit, Stimmungsschwankungen Ängstlichkeit, Reizbarkeit Traurigkeit, Tränenausbrüche Schlaflosigkeit, Unruhe Konzentrations-, Appetitstörungen 6

Baby-Blues Depression Früherkennung mittels Screening-Instrumenten EPDS DASS-P (Depressions-Angst-Stress-Skala postpartal) 7

Früherkennung peripartale Depressionen Edinburgh Postnatale Depression Skala (EPDS) Erfasst Stimmung der letzten 7 Tage Empfehlung regelmässiger Einsatz direkt nach Geburt nach 6-8 Wochen nach 3 Monaten nach 6 Monaten 8

Früherkennung peripartale Depressionen Auswertung EPDS Score 13: 60-100% Wahrscheinlichkeit Depression Sehr hohe Werte Krise, Persönlichkeitsstörungen psychiatrische Abklärung 9

Früherkennung peripartale Depression-Angst-Stress Früherkennung mit DASS-P Screening übermässiger Belastung in Peripartalzeit Einsatz 4 Wo vor und nach Geburt Items Depression( 1-5), Angst (6-10), Stress (11 15) > 5 Punkte psychiatrische Abklärung empfohlen Keine Erfassung von psychotischen Symptomen oder Suizidalität! 10

Peripartale Depressionen Frühwarnzeichen Symptomatik Therapiemöglichkeiten 11

Symptomatik der peripartalen Depression Depressive Verstimmung/Reizbarkeit Interessenverlust, Antriebsstörungen Veränderung von Appetit/Gewicht Schlafstörungen, diverse körperliche Beschwerden Müdigkeit Gefühle von Insuffizienz/Wertlosigkeit/Schuld Konzentrationsstörungen/Gedankenkreisen Ständige Angst, das Baby nicht gut genug zu versorgen oder es zu verletzen Das Gefühl, mit dem Kind überhaupt nichts anfangen zu können Lebensüberdruss 12

Auswirkungen auf das Kind Depression erschwert Aufbau emotionaler Beziehung zu Baby Statt Freude - Angst, Unsicherheit, Gefühllosigkeit Versorgung des Kindes = Last Mutter versteht Signale des Babys nicht mehr Teufelskreis Mutter / Kind. Gute Entwicklung des Babys nicht mehr gewährleistet. 13

Risikofaktoren I Idealisiertes Mutterbild in Medien Neue Rolle als Mutter Veränderte Beziehung zu Partner / älteren Kindern Geringere soziale und materielle Sicherheit Störungen im Familien-/sozialen System (mangelnde Unterstützung, Beziehungs - und soziale Probleme, sehr junge Mutter, ) Life events (Heirat, Berufsabschluss, Umzug, ) Veränderte freundschaftliche Beziehungen 14

Risikofaktoren II Frühere Depressionen, spez. postpartale Depression Familiäre Disposition Eigene psychische Vorbelastungen (Gewalterfahrung, emotionale Verwahrlosung, Suchterkrankung, ) Selbstwerterleben, Perfektionismus, überhöhte Ansprüche 15

Risikofaktoren III Schwangerschaftsverlauf (erwünscht/unerwünscht, subjektives Geburtserleben / Frühgeburt / krankes Kind) Abschiednehmen von Schwangerschaft, vom «Traumbaby», der eigenen Kindheit Anpassungsschwierigkeiten des Neugeborenen Stillschwierigkeiten Überforderung der Mutter durch Schlafmangel Regulationsstörungen des Kindes («Schreibaby»; problematische Mutter-Kind-Interaktion) 16

Postpartale Depressionen bei Vätern mind. 10% der Väter Risikofaktoren vorherige Depression; Paarprobleme; soziale Stellung, Armut, Arbeitslosigkeit; Persönlichkeitsstruktur; Beziehung zu eigenen Eltern Erkrankung der Partnerin! Eher somatische Auffälligkeiten oder Gereiztheit Abklärung des Partners bei erkrankten Müttern! 17

Management I Etwa 10% bis 15% aller Mütter sind von diesen Beschwerden betroffen Gut behandelbare Erkrankung, wenn professionelle Beratung und Therapien in Anspruch genommen werden. Je früher fachliche Hilfe - umso schneller kann die Behandlung zum Erfolg führen. Sollte ein Aufenthalt in einer Klinik notwendig werden, bieten (zu wenige) Einrichtungen auch eine gemeinsame Aufnahme von Müttern mit ihren Säuglingen und Kleinkindern an. 18

Management II Kompetenzen der Mutter stärken Einbezug entsprechender Stellen (Hebammen, MVB, Hausarzt, SHG, ) Einbezug Bezugspersonen (Partner, Angehörige, ) Rasche psychiatrische Abklärung veranlassen Fachärztliche Diagnose Therapie ambulant? stationär? Gefährdung des Kindes? Entlastungsmöglichkeiten? 19 Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft und nach der Geburt und deren Früherkennung Dr. med. Cordula Boose, Bern

Management III Psychotherapie Medikamentöse Therapie Stillen ja/nein Nutzen / Risiko 20

Postpartale Psychosen... auf einmal ist alles verändert. Ich verstehe die Welt nicht mehr. 21

Postpartale Psychosen Symptomatik Gefühl der Entfremdung (Depersonalisation) oder Veränderung der Umgebung (Derealisation) Angst, übersteigerte Glücksgefühle, Grössenideen Realitätsverlust; irrationales Denken und Handeln, Chaos, Starke Unruhe / Antriebslosigkeit Wahnvorstellungen, Halluzinationen Rasch wechselnde Symptome Eigen- und Fremdgefährdung 22

Risikofaktoren Psychotische Vorerkrankung, Absetzen der Medikation im Rahmen der Schwangerschaft oder vor Entbindung Familiäre Disposition Stress / life events Körperliche Begleiterkrankungen (postoperativ, Fieber, Blutverlust, Cortison, ) multifaktoriell 23

Management Rasche Abklärung durch Psychiater und Diagnosestellung Mutter nicht allein lassen Stationäre Einweisung mit / ohne Baby Medikamentöse Behandlung (Antipsychotika, Temesta, evtl. Antidpressiva) 24

Borderline-Störung «Obwohl ich mein Kind liebe und ganz für es da sein will, kann ich plötzlich so wütend werden, dass ich Angst habe ihm weh zu tun.» «Ich hasse dich, verlass mich nicht» 25

Symptomatik BPS Ausgeprägte Stimmungsschwankungen Innere Leere Phasen starker Anspannung, innerer Schmerz Impulsivität Nähe-Distanz-Probleme Angst vor Trennung, Alleinsein Intensive, aber instabile Beziehungen Selbstschädigende Verhaltensweisen Häufige Suizidgedanken / -versuche 26

Posttraumatische Belastungsstörung «Ich erlebe es immer wieder» «Es ist wie ein Film» 27

Posttraumatische Belastungsstörung Flash backs; Intrusionen; emotionale Abstumpfung; Angst, Aggression; erhöhte Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen Triggerreize Wiedererleben des Traumas Geburt kann als traumatisches Erlebnis empfunden werden oder bestehende Symptomatik reaktivieren 28

Psychische Erkrankung und Schwangerschaft Ohne Medikamente erhöhtes Rezidivrisiko (40 70%) während Schwangerschaft und peripartal Bei Planung / Feststellung Schwangerschaft Medikation / Dosis überprüfen Monotherapie anstreben Planung Geburt Geburtsplan erstellen mit Einbezug Partner, Hebamme, Geburtshelfer, Kinderarzt 29

Medikamentöse Therapie bei psychischer Erkrankung und Schwangerschaft «Never change a winning team» Hohes Rezidivrisiko bei Absetzen Medikation in Schwangerschaft Dosis vor Entbindung möglichst reduzieren oder wenige Tage absetzen, nach Geburt erhöhen Monotherapie Vorsicht beim Stillen von frühgeborenen oder kranken Kindern 30

Fazit Screeninginstrumente routinemässig einsetzen Bei Verdacht auf psychische Erkrankung rasche psychiatrische Abklärung anstreben Einbezug aller Beteiligten wichtig zur optimalen Versorgung und Betreuung der betr. Mutter Infos bei www.embryotox.de Infos bei www.marce-gesellschaft.de/materialien Projekt family care 31

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33

Weitere Literatur Postpartale psychische Störungen - Susanne Wortmann-Fleischer et al. Kohlhammer Verlag Borderline-Mütter und ihre Kinder Christine Ann Lawson edition psychosozial Wenn das Muttersein nicht glücklich macht Julia Martini ÄP NeurologiePsychiatrie 3_2011 Licht und Schatten Christiane Hornstein et al. sozialpsychiatische Informationen 4/2009 34