Ende einer Flucht-Odyssee



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Transkript:

FLÜCHTLINGE IN / DUBLIN-II VERORDNUNG Ende einer Flucht-Odyssee Die Geschichte des syrischen Flüchtlings Zaher S. Zaher S. in seinem mit fünf weiteren Flüchtlingen geteilten Zimmer in der GU Sigmaringen (April 2012) Foto: Christina Kratzenberg Noch bis vor kurzer Zeit gab es keinen Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge. Bis Ende 2010 gab es auch kein Moratorium für Rücküberstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin II-Verordnung. Die offen erzählte Geschichte von Zaher S. zeigt, welches Unrecht Flüchtlingen durch die Rücküberstellungen nach Griechenland zugefügt wurde. Das Interview wurde am 20. April 2012 geführt. Noch an diesem Tag hatte Zaher große Angst, in Deutschland keine Anerkennung zu bekommen und wieder nach Griechenland oder Syrien zurückgeschickt zu werden. Ein paar Tage später erhielt er die lang ersehnte Anerkennung als Flüchtling nach Art. 60, Abs. 1 AufenthG. Seine Erleichterung war groß. Viele Flüchtlinge, die ähnliche Irrwege durch Europa gehen müssen, müssen ähnliche Erfahrungen von Gewalt und Unrecht machen, haben am Ende aber nicht so viel Glück. Die Fragen stellte Andreas Linder. Für diese Darstellung wurde das Originalinterview ins Deutsche übersetzt und gekürzt. Frühjahr 2006: Flucht aus SYRIEN Bitte erzählen Sie uns über Ihr Leben in Syrien, bevor sie das Land verlassen mussten. Wie war Ihr Leben? Ich hatte ein normales Leben wie viele Leute in Syrien. Ich arbeitete den ganzen Tag. Ich hatte einen Job als Reinigungskraft am Flughafen von Aleppo. Davor habe ich an der High School studiert und war zweieinhalb Jahre in der Armee. 42 Warum mussten Sie Syrien verlassen? Ich war Mitglied in einer verbotenen kurdischen Partei und deswegen hatte ich Angst, dass mich die Polizei eines Tages verhaftet und ich wusste von anderen, was der syrische Staat mit Gefangenen macht. Im Gefängnis können sie alles mit dir machen. Alles, was man sich vorstellen kann. Darum musste ich Syrien verlassen und deswegen ging ich nach Griechenland. Ich dachte, vom Ausland aus kann ich mich für das kurdische Volk besser engagieren.

Sie waren ein politischer Aktivist in Syrien. Können Sie uns mehr darüber erzählen? Unsere Partei war verboten, wie alle kurdischen Parteien. Wir haben uns auf politische und demokratische Weise für die Freiheit eingesetzt, für das Recht auf eigene Schulen, eigene Sprache und so weiter. Gibt es diese kurdische Partei immer noch? Ja, aber niemand darf das wissen. Sie ist immer noch verboten. Wer in diesen Parteien mitmacht, riskiert 20 oder 30 Jahre Gefängnis. Man konnte keine Demonstrationen machen, das war viel zu gefährlich. schlafen. In der Toilette gab es kein Wasser. Es gab keine Fenster. Ich habe drei Monate lang keine Sonne gesehen. Es gab kein warmes Wasser. Ich war so dreckig, weil ich nicht duschen konnte. Die Leute bekamen nach 10 oder 15 Tagen Ausschläge. Die Polizisten machten draußen Picknick und ich fragte einen, ob er das warme Wasser anstellen kann. Er sagte, dass ich dies auf Griechisch sagen soll. Später kamen sie rein und fragten, wer nach dem warmen Wasser gefragt habe. Zuerst verstand ich es nicht, aber dann sollte ich mit ihnen nach draußen kommen. Dort standen drei Polizisten mit Pferden und sie fingen an, mich zu schlagen. Sie haben mich so geschlagen, dass ich eine Woche lang nicht auf die Toilette gehen konnte. Wie sind Sie nach Griechenland gekommen? Zuerst bin ich in die Türkei gereist. Dort gab es jemanden. Er gab mir einen Pass, so konnte ich nach Griechenland einreisen. Mai 2006: GRIECHENLAND Was geschah in Griechenland? Schon an der Grenze wurden alle verhaftet. Ich wurde in ein Gefängnis gebracht, etwa 8 Kilometer von der Grenze entfernt. Dort hat sich niemand um einen gekümmert, am Anfang wollten sie nicht mal den Namen wissen. Was geschah dann, was machte die Polizei mit Ihnen? Wie ich schon sagte: Alle wurden gefangen genommen, sie hassten uns alle und was ich dort alles sah, schockierte mich. Ich habe noch niemals sowas in meinem Leben gesehen. Sind Sie von der Polizei geschlagen worden? Genau, von 5 oder 6 Polizisten wurde ich an Händen und Füßen festgehalten und dann geschlagen. Auf den Kopf, in das Gesicht, sie haben einfach zugeschlagen. Sie haben nicht mal nach dem Namen gefragt. Während der ersten drei bis vier Tage auf der Polizeistation hat niemand geschlafen. Alle halbe Stunde fragten sie einen, woher er komme, mit welcher Connection, und solche Fragen. Und danach kamen wir ins Gefängnis. Das war kein Gefängnis, sondern wie ein Hühnerstall. Es gab nur einen großen Raum für 200 Leute, es war dreckig, es gab kein Bett, man musste auf einem Karton Hat Sie in dieser Zeit irgendjemand gefragt, ob Sie einen Asylantrag stellen wollen? Sehen Sie, niemand hat uns das gefragt. Die Griechen haben sich nicht darum gekümmert. Sie wollten die Leute nur verhaften. In der ersten Zeit gab es niemanden, es gab keinen Übersetzer für irgendetwas. Bis eine Frau gekommen ist, die uns geholfen hat. Eine Anwältin. Zwei Tage später gab es einen Termin beim Gericht. Dort fragten sie mich, was für eine Arbeit ich in Syrien gemacht hätte. Nach ein paar Tagen musste ich bei der Asylbehörde meine Fingerabdrücke abgeben. Ich fragte, warum ich das machen muss, aber er sagte nur, ich soll den Mund halten oder in griechischer Sprache sprechen. Ein paar Wochen später wurde ich wieder abgeholt und sie sagten, ich solle etwas unterschreiben. Sie sagten mir aber nicht, was es ist. Und nach zweieinhalb Monaten kam ein Polizist und sagte mir, mein Asylantrag wäre abgelehnt. Dann wurde ich aus dem Gefängnis entlassen und sie gaben mir ein Papier, dass ich Griechenland in 15 Tagen oder einem Monat verlassen muss und sie sagten mir, dass ich wieder drei Monate ins Gefängnis muss, wenn ich das Land nicht verlasse. Ende 2006: Zurück in SYRIEN Ab Ende 2006 waren Sie wieder zurück in Syrien? Es hat mir jemand geholfen, wieder nach Syrien zu kommen. Ich war drei Monate lang wieder in Syrien. Seit dieser Zeit war das Leben so schwarz für mich, das erste Mal in meinem Leben, und das dauert bis heute. Ich konnte an nichts mehr glauben, ich konnte niemandem vertrauen, ich weiß nicht, was ich will, sogar hier geht es mir immer 43

noch so. Ich konnte nicht schlafen, weil alle Erlebnisse in meinen Träumen wiederkehren. Häufig habe ich Ängste, ich brauche wirklich Hilfe, ich brauche Sicherheit. In Syrien wollte ich nur, dass Gott mir hilft, mich irgendwo hinbringt, mich rettet. In Griechenland dachte ich, okay, ich werde sterben. Jeden Tag ging es mir so. Und dann wollten Sie zurück nach Europa? Wieder über Griechenland? Schauen Sie, ich wollte nicht wieder zurück nach Europa. Ich musste aber weg von Syrien und der Polizei. Ich ging nicht wieder nach Griechenland. Ich hatte eine Verbindung, die mir versprach, dass ich über die Türkei nach Deutschland kommen kann. Ich hatte bis dahin nicht vor, nach Deutschland zu gehen. Sogar als ich dann in Deutschland ankam, wollte ich nichts Besonderes von diesem Land, nur Sicherheit. Dez. 2006: DEUTSCHLAND Wann kamen Sie nach Deutschland und was geschah in der ersten Zeit? Das war im Dezember 2006. Ich kam in Düsseldorf an und von dort wurde ich nach einer Woche wegen dem Asylverfahren nach Karlsruhe geschickt. Ich erzählte bei der Anhörung, dass mich die syrische Polizei mit Elektrokabeln am Rücken gefoltert hat und zeigte ihnen meinen Rücken und Fotos. Der Anhörer sagte, dass er nicht entscheiden kann, ob ich hierbleiben darf. Er glaubte mir nicht. Er beendete die Anhörung und sagte, dass eine andere Behörde in Dortmund entscheidet, ob ich in Deutschland bleiben darf oder nach Griechenland zurück muss. Er sagte, dass das Gesetz so sei und ich sagte, dass ich Respekt vor dem Gesetz habe. Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen und zu anderen ins Heim zurück gehen. So kam ich nach Sigmaringen und blieb hier ungefähr sechs oder sieben Monate. Dann erhielt ich den Bescheid, dass ich in Deutschland nicht akzeptiert bin und nach Griechenland zurück muss. Januar 2008: Rücküberstellung nach GRIECHENLAND Also haben Sie irgendwann einen Brief erhalten, dass Sie nach Griechenland zurück müssen? Das war, ich weiß es nicht mehr genau, Anfang des Jahres 2008. Ich musste einen Monat in einem Gefängnis verbringen. Also sind Sie mit dem Flugzeug in Athen angekommen? Als ich in Athen ankam, empfingen mich zwei Polizisten, die meinen Namen wussten, und sagten, ich soll mitkommen. Wir mussten in einem Raum warten und dann kam von hinten die Polizei. Ich habe nach meinem Gepäck gefragt, in dem auch die ganzen Asyldokumente waren, aber ich bekam keine Antwort. Sie behandelten uns wie Tiere. Meine Sachen habe ich nicht bekommen. Sie haben uns zu einem Gefängnis am Flughafen gebracht. In einem kleinen Raum, in dem 7 oder 8 oder manchmal 12 Leute drin waren, mussten wir sieben Tage lang warten. Es gab nur eine Toilette, die so dreckig war, dass ich oft nicht gehen konnte. Nach diesem Gefängnis brachten sie mich zum schlimmsten Gefängnis, das ich je gesehen habe. Es war ein kleines Gefängnis und Sie können sich nicht vorstellen, was passiert ist. Nie in meinem Leben sah ich solche Menschen oder so etwas. Ich kann mich nicht an den Namen des Gefängnisses erinnern, ich will mich auch nicht erinnern. Es war eine oder zwei Stunden von Athen entfernt. Ich fragte einen der Polizisten, die mich zu diesem Gefängnis brachten, warum ich in dieses Gefängnis gebracht wurde. Er sagte, ich sei halt im Gefängnis und er weiß nicht wie lange. Ich fragte: Warum? Er sagte: Du weißt nicht, warum? Er sagte, die Deutschen haben dich zurückgeschickt und wir bekommen Geld dafür. Wir bekommen für dich 120 Euro pro Tag. Ich begann zu weinen und sagte, dass das nicht recht sein kann. Aber selbst wenn die Leute weinen und schreien, kümmern sie sich nicht. Auch wenn wir uns selbst umbringen würden, würden sie sich nicht kümmern. Ich sah jeden Tag Blut in diesem Gefängnis. Ich sah jeden Tag dreckige Menschen. Ich bin nicht zum Händewaschen auf die Toilette gegangen, weil ich Angst hatte, dass mich jemand umbringt. Es gibt kein Gesetz in Griechenland, nur Geld ist das Gesetz. 44

War das wieder so ein Gefängnis mit einem großen leeren Raum? Nein, es waren 8 oder 10 Räume, in denen jeweils 20 Leute drin waren. In einem Raum. Und außer den Migranten waren dort auch Mörder und andere Schwerverbrecher. Jeden Tag sah ich dort Sachen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Ich konnte sogar die Polizei verstehen. Und warum konnten Sie dieses Gefängnis nach drei Monaten wieder verlassen? Weil das Geld der EU nur für drei Monate ist? Genau deswegen. Das sage nicht ich, das hat mir die Polizei gesagt, glauben Sie mir, für jeden Flüchtling, der aus der EU kommt, nehmen sie Geld, und nach drei Monaten kommt der nächste. Hatten Sie Angst, wieder von der Polizei erwischt zu werden? Nein, aber ich bin ja nicht aus dem Haus gegangen. Doch eines Tages bin ich doch raus gegangen. Als ich draußen war, warf mein kurdischer Hausherr alle meine Sachen aus dem Fenster. Dies hat ein Nachbar gesehen, ein Iraner. Ich kannte ihn mit Hallo-hallo. Er hat mich zu sich eingeladen. Er wohnte mit sechs Leuten zusammen und sagte, ich könne bei ihm bleiben, bis ich etwas anderes gefunden hätte. Es gab kein Bett, ich habe auf dem Boden geschlafen. Es ging mir sehr schlecht in dieser Zeit. Ich habe so viele Kilo verloren. Ich sah aus, als hätte ich Krebs oder würde Drogen nehmen. Ich hatte immer Angst, ich konnte nichts essen, ich konnte nicht schlafen. Aber dann fand ich einen Job. Sie sind also glücklicherweise aus dem Gefängnis entlassen worden. Was geschah danach? Ja. Ich habe wieder ein Papier erhalten, in dem drin stand, dass ich drei Monate Zeit habe, Griechenland zu verlassen und wenn ich das nicht mache, komme ich das nächste Mal 12 Monate ins Gefängnis. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich hatte nichts, ich konnte die Sprache nicht. Ich hatte nichts zum Essen, ich hatte mich drei Monate lang nicht gewaschen. Dann musste ich wieder weinen. Auf der Straße habe ich nach Leuten gesucht, die Arabisch sprechen können. Aber ich fand niemanden und niemand konnte mir helfen. Darum weinte ich die ganze Zeit und fragte Gott, warum? Was wird aus mir? Wie kann ich mein Leben retten? Ich kam im April oder Mai aus dem Gefängnis heraus und in dieser Zeit war es ziemlich kalt, wie hier gerade. Ich traf einen Kurden, der mir helfen konnte. Ich durfte aber nicht in seiner Wohnung schlafen, sondern nur auf dem Dach. Ich durfte bei ihm duschen und bekam Kleider. Etwa zwei oder drei Monate lang schlief ich auf dem Dach und immer wenn es regnete, musste ich mich in eine Ecke drücken. Ich konnte einen weiteren Monat bleiben und er sagte, dass ich bleiben könne, bis ich eine Arbeit gefunden hätte. In dieser ganzen Zeit ging es mir schlecht. Ich bekam Essen von seinem Geld, die Leute haben einen immer angeschaut. Manchmal dachte ich an Selbstmord. Ich war fertig mit dem Leben. Ich kam nach Griechenland, dann nach Deutschland, von Deutschland zurück nach Griechenland. Jetzt gibt es keine Lösung und nach drei Monaten Gefängnis muss ich hier weggehen oder ich muss wieder ins Gefängnis. Ich sagte, was mache ich, lieber Gott, bitte hilf mir. Was für einen Job? Mein erster Job war, tote Menschen aus dem Grab zu holen, sie zu reinigen und sie dann wieder in den Sarg zu legen. Das war für eine christliche Kirche. Als dieser Job fertig war, habe ich zwei oder drei Monate auf einer Baustelle gearbeitet. Das war eine sehr harte Arbeit, 13 oder 14 Stunden am Tag für 20 Euro. Ich habe trotzdem angefangen, ein wenig Geld zu sparen. Das heißt, Sie haben kaum mehr als einen Euro für die Stunde bekommen? Genau. Aber das Geld hat man nicht immer bekommen. Einmal sollte ich eigentlich für den ganzen Monat 800 Euro bekommen, sie gaben mir aber nur 100 Euro und sagten, ich soll gehen und ich soll eine Woche später anrufen und dann würden sie mir das Geld geben. Als ich anrief und um das Geld gebeten habe, sagten sie, sie hätten kein Geld mehr. Mit anderen Arbeitern haben sie es auch so gemacht. Ich sagte, dass ich jeden Tag von morgens bis nachts hart arbeite, und dafür möchte ich wenigstens 10 Euro, damit ich meine Miete bezahlen kann. Aber es ist schon okay, ich möchte nur mich selbst retten. In Griechenland ist es halt so, du kannst auch vor der Regierung nicht sicher sein. Ich hörte so oft, dass die Polizei jemand auf der Straße erschossen hat und niemand kümmert sich darum. Wenn du nachts auf die Straße gehst, kannst du nicht wissen, ob du am nächsten Morgen noch lebst. Und wenn niemand von dir weiß, wird auch niemand fragen. Lieber Gott, ich will nichts, nur sicher sein. Das wollte ich in den fünf oder sechs Jahren, seit ich in Europa bin. Ich will nichts von dieser Welt. Sogar jetzt habe ich keinen 45

46 Träume von einer Zukunft, ich will nur sicher sein. Wenn ich ins Bett gehe, will ich mich sicher fühlen können und ich will glücklich sein, ich will wie ein normaler Mensch auf dieser Welt sein. Warum geht es mir anders? Was habe ich getan? Das frage ich mich manchmal. Sogar heute noch muss ich Medikamente nehmen, damit ich schlafen kann, weil ich immer schlechte Träume habe, weil ich immer Angst habe. Ich kann nicht gut schlafen und ich habe schwere Gedanken. September 2011: ZURÜCK IN DEUTSCHLAND Wann haben Sie eigentlich Griechenland wieder verlassen? Im September 2011. Nach dreieinhalb Jahren konnte ich von niemandem sagen, er sei mein Freund oder so. Das war sehr schwierig. Sie haben bei dem Bestattungsunternehmen gearbeitet und auf dieser Baustelle. Was haben Sie sonst noch in Griechenland gemacht? Ich war immer auf mich allein gestellt. Ich lebte in Parks oder auf der Straße. Manchmal habe ich bei jemandem eine Arbeit bekommen und wenn nicht, habe ich auf der Straße gelebt. Man konnte sich für Arbeit anbieten. Manchmal kam jemand und du hast eine Arbeit für 15 oder 20 Euro bekommen: Und wenn man Arbeit für einen ganzen Monat bekommen hat, gaben sie dir 100 oder 150 Euro und das war es dann. Und sie sagten, wenn man sie anruft und sich beschwert, dann werden sie Leute schicken, Albaner, die einen umbringen werden. Ich hatte immer Angst und oft dachte ich, dass es besser wäre, zu sterben. Ich wusste nicht, worauf ich warten sollte, ob ich gehen oder sterben soll. Ich arbeitete in dieser ganzen Zeit und ich schlief auf der Straße. Aber ich war mir sicher, dass ich in meinem Leben nichts Böses gemacht hatte, ich habe niemanden verletzt, ich betete immer zu Gott. Vielleicht wollte Gott es so. Also, eines Tages haben Sie Griechenland wieder verlassen. Was war Ihr Ziel? Nachdem der Krieg in Syrien zwischen den arabischen und den kurdischen Leuten begann, sagten wir: Freiheit für Syrien! Und alle Syrer, die in Griechenland waren, ob Araber oder Kurden, setzten sich dafür ein. In Athen? Ja, in Athen. Ich möchte mich gar nicht daran erinnern. Es gab Streit zwischen den kurdischen und den arabischen Syrern. Die arabischen Syrer sagten, wir Kurden hätten keine Chance mehr in Syrien, sondern sollen draußen bleiben. Dann fingen sie mit allen zu kämpfen an. Ich kämpfte mit niemandem. Ich bin für Demokratie und eine föderale Gesellschaft in Syrien. Auch die Kurden töteten Araber. Ich sagte, oh mein Gott, was soll ich tun? Zu dieser Zeit beschloss ich, wieder nach Deutschland zurückzugehen. Ich wusste nicht, wie, aber nach zwei oder drei Tagen war ich da. Aber ich kann sagen, dass ich das eigentlich nicht vorhatte. Es war nicht mein Ziel, es ist einfach geschehen. Ich habe nur auf Gott gehofft, ich wollte nichts von Deutschland, nur Sicherheit. Ich bin bereit, ich mache alles für euch, für das deutsche Volk, für die Regierung, damit ich nur Sicherheit haben kann. Das will ich von Gott und der deutschen Regierung. Wie ist es Ihnen gelungen, nach Deutschland zu kommen? Hatten Sie einen Flug? Ich hatte Geld und konnte mit dem Flugzeug kommen. Ich konnte für einen Pass bezahlen. Ich hatte auch eine connection und konnte ein wenig Griechisch. Und so sind Sie dann mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen? Nein, ich kam in Belgien an. Und was passierte dann? Dann ging ich zum Bahnhof und kaufte mir ein Zugticket nach Deutschland, aber die Polizei hat mich im Zug festgenommen. Sie sahen das Ticket, das ich nach Sigmaringen gelöst hatte. Sie fragten mich, warum ich nach Sigmaringen wolle. Ich sagte ihnen, warum und zuerst sagten sie, dass das nicht möglich ist. Sie nahmen meine Fingerabdrücke und haben mich zuerst festgehalten, aber dann durfte ich gehen. Und am nächsten Tag kam ich dann in Sigmaringen an. Hier wurde mir geholfen und gesagt, dass ich in Karlsruhe meinen Asylfolgeantrag stellen muss. Dann ging ich nach Karlsruhe und ich wusste nicht, was geschehen würde. Ich hatte Angst, dass ich wieder nach Griechenland zurückgeschickt werde. In Karlsruhe musste ich eine Woche bleiben. Ich musste meine Fingerabdrücke abgeben, es wurde ein Foto gemacht. Und dann kam ich zurück nach Sigmaringen. Seitdem weiß ich nicht, wie es weitergeht. Vielleicht darf ich in Deutschland bleiben, vielleicht muss ich wieder zu-

rück nach Griechenland. Ich weiß es nicht und deswegen habe ich Angst, weil die Zeit in Griechenland so schlimm war. Aber ich bete jeden Tag zu Gott und bitte ihn um Hilfe. Vielen Dank, dass Sie uns dies alles erzählt haben. Vielleicht noch eine Frage zu den Lebensbedingungen hier in Sigmaringen. Wie geht es Ihnen hier? Zuerst möchte ich mich bei der deutschen Regierung bedanken, weil sie mir geholfen haben und mich gerettet haben. Sie gaben mir Essen und einen Platz zum Schlafen. Das ist das Wichtigste für mich, ich spreche da nur für mich selbst. Ich brauche nicht mehr, ich möchte mich nur sicher fühlen können. Das ist alles, was ich von Deutschland will. Um andere Sachen kümmere ich mich nicht, aber immer danke ich der deutschen Regierung aus vollstem Herzen. Ich bete immer, weil die Deutschen geholfen haben, weil sie Sicherheit geben, Essen geben, sogar ein Krankenhaus und Ärzte, so vieles. Wir sind Flüchtlinge, aber die Deutschen haben Respekt für die Flüchtlinge. Sie sprechen gut Englisch. Haben Sie auch schon Deutsch gelernt? Ich lerne auch Deutsch. Ich gehe in die Volkshochschule. Deutsch ist leicht, weil es ähnlich wie Englisch ist. Vielleicht lerne ich deswegen schneller. Es fühlt sich gut an, wie ein Deutscher zu sprechen. Ich bin bereit, ohne Geld zu arbeiten. Ich habe das der Sozialarbeiterin gesagt. Ich möchte etwas für die Deutschen tun, nicht um Geld zu verdienen. Ich möchte nur mich selbst vergessen können. Aber ich kann das im Moment nicht entscheiden, weil ich nicht weiß, was ich will. Aber wenn ich Arbeit bekomme, werde ich natürlich arbeiten. Wenn ich soweit bin. Im Moment bin ich es noch nicht. Vielleicht können Sie mich verstehen. Ich habe Angst, dass ich nach Griechenland zurück muss oder ins Gefängnis. Zur Zeit gibt es keine Zukunft für mich. Ich denke nicht an Geld, Klamotten und so weiter. Ja, ich denke auch, dass Sie zuallererst ein gutes Aufenthaltsrecht in Deutschland brauchen. Hoffen wir, dass Ihr Anwalt gute Arbeit macht. Ich hoffe das. Das ist alles, was ich will: Sicherheit. Wenn Sie eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen, können Sie Sigmaringen verlassen, müssen Sie nicht mehr in diesem Haus leben. Denken Sie darüber nach? Nein. Weil ich nicht weiß, ob ich bleiben kann oder zurück nach Griechenland muss. Vielen Dank, dass Sie uns Ihre Geschichte erzählt haben. Haben Sie Wünsche für Ihre Zukunft? Wollen Sie arbeiten? Was wollen Sie aus Ihrem Leben machen? Es tut mir leid, aber darauf kann ich nicht antworten. Das ist die Frage, die ich mir selbst stelle. So viele Male frage ich mich das selbst, aber ich weiß es nicht. Ich gehe zu einem Psychologen. Nach allem, was ich in meinem Leben gesehen habe, gibt es keine Zukunft, keine Träume. Ich weiß nicht, was kommt, weil ich an nichts glauben kann. Ich habe in meinem Leben so vieles verloren, auch die Zukunft, das Denken, die Familie. Es geht nur darum wie ich mein Leben retten kann. Wie ich vorher schon sagte, weiß ich gar nicht, warum ich noch am Leben bin. Wie ist es mit Arbeit? Möchten Sie vielleicht irgendwann eine Arbeit haben? Ein wenig Geld verdienen? Oder wäre das zu hart im Moment? Nein, so ist es nicht. Ich möchte eigentlich arbeiten. Jeder Mensch will das. Aber zur Zeit kann ich nicht an Arbeit denken, nur daran, mich selbst zu retten. 47