1 Pfr. Ernst-Eduard Lambeck Am Finkenbach 13 33609 Bielefeld Tel.: 0521 / 38766 Predigt über 1. Joh. 2, 12-17 am 19.10.08 in der Ev. Petrikirchengemeinde / Bielefeld Liebe Gemeinde! Eine Frau in den besten Jahren hat einen Herzinfarkt. Sie kommt ins Krankenhaus und schwebt zwischen Leben und Tod. Sie sieht Gott und fragt: Ist meine Zeit abgelaufen?" Nein", sagt Gott, du lebst noch 30 Jahre weiter." Da beschließt die Frau, richtig gut auszusehen, wenn sie doch noch so lange leben soll. Sie lässt sich liften, Fett absaugen, ihre Haare in einer coolen neuen Farbe färben. Als sie den Friseursalon verlässt, wird sie von einem Auto überfahren. Wieder steht sie vor Gott und nun beschwert sie sich: Ich dachte, ich hätte noch 30 Jahre! Warum hast du das zugelassen, dass ich überfahren werde?" Daraufhin Gott: Weil ich dich nicht erkannt habe." 1 Liebe Gemeinde, zugegeben eine makabere Geschichte. Hier geht es nicht um einen kleinlichen Gott, der uns das Leben vermiesen will. Hier geht es um einen Menschen, der am Eigentlichen des Lebens vorbei lebt, der das Äußere stärker bewertet als das, was wir an inneren Werten besitzen. Wir Christen leben doch im Wesentlichen von dem Geschenk, dass Gott uns würdigt, mit uns eine Geschichte zu beginnen. Es ist das Geschenk seiner weitreichenden Liebe, die uns zu begnadigten Sündern macht und uns beauftragt, seine Liebe in die Welt zu tragen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen in der Ausstellung von Yoko Ono war, die zurzeit unter dem Titel Between the sky and my head in der Bielefelder Kunsthalle gezeigt wird. In ihr schlägt Yoko Ono vor, sich mit einem Leichenwagen für einige Minuten durch die Stadt chauffieren zu lassen und auf diese Weise die eigene letzte Reise vorwegzunehmen. Sie verspricht all denen, die sich darauf einlassen, einen veränderten Blick auf ihr Leben. 2 1 Die Geschichte ist dem Buch entnommen: Michael Herbst: Deine Gemeinde komme. Wachstum nach Gottes Verheißungen, Holzgerlingen (2007) 13. 2 Yoko Ono schreibt 1962 für ihr legendäres Buch»Grapefruit«die Anweisung zur einer künstlerischen Aktivität:»Ride a coffin car all over the city«. Die Kunsthalle Bielefeld bringt im Rahmen der Ausstellung Between the sky and my head vom 24.8. 16.11.2008 das Stück nun zur Aufführung. Mit einem Leichenwagen können sich die Ausstellungsbesucher für einige Minuten durch Bielefeld chauffieren lassen und in diesem ganz besonderen Gefährt mit einem veränderten Blick die Stadt und das eigene Leben wahrnehmen.
2 Man glaubt es kaum. Vor der Kunsthalle steht nun tatsächlich der Leichenwagen, in dem Sie für 5,- diese besondere Fahrt machen können. Ich glaube, wer dies tut, steigt hinterher tatsächlich aus diesem Wagen mit einem veränderten Blick auf sein Leben und ich vermute mit dem Entschluss, das Wesentliche des Lebens nicht mehr aus dem Blick verlieren zu wollen. Die spannende Frage ist nur, gelingt dies, sich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren? Müssen wir nicht ständig Kompromisse machen zwischen dem Allerlei der vielen Aufgaben und Verpflichtungen und dem, was uns als Christen am Leben erhält. In der Seelsorge tauchen diese Frage immer wieder auf: Wie schaffe ich es, das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren? Wie schaffe ich es, die tragenden Säulen meines Lebens zu spüren und zum Zuge kommen zu lassen? Bin ich nicht stets in der Zwickmühle, Verpflichtungen und faule Kompromisse eingehen zu müssen? Ich denke, wer sich um diese Fragestellung müht, stößt auf eine Bandbreite von Antworten. Mehr oder weniger radikal ist unser heutiger Predigttext aus dem 1. Johannesbrief. Das Motto des Briefschreibers ist ziemlich klar: Lass dich nicht zu stark mit den Eigengesetzlichkeiten der Welt ein. Achte auf Gott und lass dir von ihm die Maßstäbe schenken. Wir hören hinein in den Gedankengang des 1. Johannesbriefes 2, 12-17, hier weitgehendst in der Übersetzung der Guten Nachricht: 12 Meine lieben Kinder, ich schreibe euch, um euch daran zu erinnern, dass eure Sünden vergeben sind. Das verbürgt der Name Jesus Christus. 13 Ihr Väter, ich erinnere euch daran, dass ihr den erkannt habt, der von Anfang an da ist. Ihr jungen Leute, ich erinnere euch daran, dass ihr den Bösen besiegt habt. 14 Ihr Kinder, ich erinnere euch daran, dass ihr den Vater erkannt habt. Ihr Väter, ich erinnere euch daran, dass ihr den kennt, der von Anfang an da ist. Ihr jungen Leute, ich erinnere euch daran, dass ihr stark seid; denn das Wort Gottes ist in euch lebendig, und ihr habt den Bösen besiegt 1 5 Liebt nicht die Welt und das, was zu ihr gehört! Wer die Welt liebt, in dessen Herz gibt es keine Liebe zum Vater. 16 Die Welt ist erfüllt von der Gier der Triebe und Sinne, von der Gier der Augen, vom Prahlen mit Geld und Macht - alles kommt nicht vom Vater, sondern gehört zur Welt. 17 Die Welt vergeht, und mit ihr die ganze Lust und Gier. Wer aber tut, was Gott will, wird ewig leben.
3 Liebe Gemeinde! Wenn ich diese Sätze lese, bewegt mich, dass bevor die Forderung laut wird, nicht die Welt zu lieben, erst mal zwei Mal drei Zusagen gemacht werden. Der Zuspruch ist hier ganz groß geschrieben bevor der Anspruch erklingt. Das Leben der Christen hat in jedem Fall Konsequenzen. Ein Christ zeichnet sich aus und unterscheidet sich von den anderen, die guten Willens sind. An drei unterschiedlichen Adressaten 3 - nämlich: die Kinder, die jungen Leute und die Erwachsene werden Glückwünsche verteilt, was ihnen geschenkt ist. 1. Geschenkt ist ihnen, dass Gott sie auserwählt hat, ihn kennen zu dürfen. Kennen in der biblischen Sprache meint mehr als das Registrieren einer Tatsache. Kennen heißt in der Bibel ein Liebesverhältnis zu haben. Tolstoi bringt es auf den Punkt: Gott kennen heißt Leben!. Gott kennen heißt, von der Quelle leben, heißt getragen zu sein in notvollen Stunden, heißt mit Perspektive unterwegs zu sein. Christen besitzen eine Ausstrahlung, weil sie Jesus Christus kennen! Kennen wir Gott? Kennen wir seine Sehnsucht nach unserem unfertigen Leben. Spüren wir seine Liebe? 2. Die zweite Zusage trifft unser Problem, dass wir Menschen oft mehr in unser Ego verliebt sind, als den Schöpfer des Himmelns und der Erde zu achten, dass wir seine Gebote zwar äußerlich kennen, aber nicht beherzigen. Dieser innere Zwiespalt bezeichnet die Bibel mit Sünde. Wir laufen in die falsche Richtung und verfehlen das Ziel. 3 Auf die Adressaten kann hier nicht näher eingegangen werden. In der neutestamentlichen Exegese wurden unterschiedliche Interpretationen diskutiert. Es muss offen bleiben, wer sich hinter den drei Gruppierungen der Gemeinde verbirgt: a) Altersgruppen b) Menschen mit unterschiedlichem geistlichen Erkenntnisstand c) Die Kinder als Anrede an die Gesamtgemeinde, die dann je nach Zeitdauer in zwei Gruppen aufgespalten wird, nämlich in Junge und Alte. d) und teilweise mit Ansätzen kirchlicher Ämter verbunden: junge Männer als Diakone und die Väter als Presbyter oder Episkopen e) C.H Dodd vertritt wie damals schon der Kirchenvater Augustinus in der Alten Kirche die Meinung, dass die drei Begriffe alle Glaubenden unter je verschiedenen Aspekten beschreiben. Ich schließe mich dem Urteil von C.H. Dodd an. Ein Überblick zur Sache verschafft Hans-Josef Klauck: Der erste Johannesbrief, EKK XXIII/1, Neukirchen-Vluyn (1991) 132.
4 Gott hat sich von seiner Liebe bewegen lassen, indem er unsere Sünde, die uns kaputt macht, auf sich gezogen hat. Gott hat sich seinen Sohn vom Herzen gerissen, damit er das Unheil trägt, das wir imstande sind ständig zu tun. Und weil Gottes Antwort Liebe ist, dürfen wir als begnadigte Sünder neu befreit leben. Spüren Sie diese Befreiung, die von diesem Wort ausgeht? Haben Sie diesen Zuspruch bei sich zugelassen: Gott vergibt Dir! Du bist deine Sünden los! 3. Der dritte Zuspruch ist eine Kampfansage: Ihr seid stark und das Wort Gottes bleibt in Euch und ihr habt das oder den Bösen überwunden. Hier erahnen wir etwas von den inneren Kämpfen eines Christen, die innere Linie zu finden, Gott treu zu bleiben und seine Gebote zu achten. Der 1. Johannesbrief spricht uns Christen zu: Das muss kein vergeblicher Kampf bleiben! Gottes Geist und das Wort der Bibel mögen euch unterstützen, euren Weg als Christen zu finden. Gemeinde, Gebet, Bibellese, Seelsorge, Gottesdienst feiern, all das sind Kraftquellen, um als Christen im Alltag zu bestehen. Und darum macht die Aufforderung Sinn, sich nicht zu gleichförmig mit dieser Welt zu machen. Mit der Welt ist hier weniger die gute Schöpfung Gottes gemeint, als ein Leben, das um sich selber kreist und den Versuchungen anheim fällt, die hier und da vorhanden sind. Kennen Sie Versuchungen? Die Schwaben sprechen von einem Versucherle und meinen ein Probierstück vom Kuchen oder eine Praline. Versuchungen können schon Mal als Versucherle daher kommen. Der derzeitige Börsenwahnsinn und die Profitgier, die keine ethischen Schranken kennt, kann so ein Fahrwasser sein, in das man peu à peu hinein gerät. Vielleicht haben wir unser Geld nicht an die Börse getragen was in gewissen Teilen auch nicht schlecht sein muss vielleicht sind es andere Dinge, die eine Macht auf uns als Personen ausüben und die mehr das Äußerliche des Lebens in Blick nehmen, als das Wesentliche, wovon wir im Eigentlichen getragen sind.
5 Der 1. Johannesbrief nennt beispielhaft Versuchungen, die im Lutherdeutsch so klingen: Lust des Fleisches, Lust der Augen und Hoffart. Im heutigen Deutsch müssten wir von der Ich-Besessenheit sprechen, von der Medien-Geilheit oder von der Lust, die Macht spielen zu lassen. Klaus Berger übersetzt so und hat auch die sexuelle Komponente mit im Blick: Hängt euer Herz nicht an die Welt und an das, was in ihr ist. Wer sein Herz daran hängt, den hat die Liebe Gottes des Vaters noch nicht erfasst. / Denn alles, was uns wie unsichtbare Fäden an die Welt fesselt, das kommt gewiss nicht von Gott: sinnliche und triebhafte Gier, Blicke, die andere ausziehen oder arm machen. / Die Welt vergeht und mit ihr die Gier nach der Welt, und nur wer Gottes Willen tut, darf für immer am Leben bleiben. Haben wir diese unsichtbaren Fäden bereits zu spüren bekommen, die uns vom Glauben wegziehen, die uns kirre machen, die uns die Erfüllung von Wünschen versprechen, die sie hinterher nicht einhalten? Oft sind es krisenhafte Wendepunkte in unserem Leben, die uns dieses Gefühl geben, dass wir verraten und verkauft sind, dass wir auf Kosten unserer Person verschaukelt werden. Spätestens dann gilt es in Blick zu nehmen, was uns als Christen trägt und was die wesentlichen Säulen unseres Glaubens sind. Der 1. Johannesbrief fasst es vielleicht nur skizzenhaft zusammen. Es geht um die überschwängliche Liebe Gottes zu uns, die uns alles schenkt und uns gleichzeitig auch alles abfordert. Seine Treue und Barmherzigkeit verschafft uns ein Fundament, das verlässlich ist und auf dem wir stehen dürfen. Gottes Liebe schenkt uns Lebenssinn. Der Wille Gottes hat in dem Doppelschlag des Herzens seinen Ausdruck gefunden, Gott zu lieben und die Menschen. Grundtexte der Bibel geben diese Ausrichtung immer wieder vor. Ich erinnere zum Beispiel an das sog. Höre Israel aus 5. Mose 6, 4f.: Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott lieben von ganzem
6 Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Oder ich denke an das wichtige Wort des Propheten Micha 6, 8: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott. Das ist die innere Ausrichtung, die wir Christen haben dürfen, um uns nicht völlig aufsaugen zu lassen von der Eigengesetzlichkeit unserer Gesellschaft. Und dabei sind wir stets herausgefordert, unser Verhältnis zwischen Gott und die Welt immer wieder neu auszutarieren. Auf beiden Seiten kann man vom Pferd fallen. Man kann sowohl bei Gott und seinen Geboten ganz aufgehen und seine Verantwortung gegenüber der Welt vergessen, oder man kann aber auch so gleichförmig mit der Welt werden, dass unser Glaube verschwindet und sich völlig säkularisiert, wie es ein Mal Wolfgang Huber kritisch angesprochen hat. 4 Wie man es auch wendet. Als Christen haben wir einen Auftrag, unseren Glauben nicht unter die Räder kommen zu lassen und gleichzeitig die Verantwortung für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht aufzugeben. Der 1. Johannesbrief hat damals sehr radikal Gott und die Welt gegenüber gesetzt, so dass wir als Christen heute eher andere Akzente setzen müssen. 5 Und doch bleibt dieser Anspruch bestehen, unseren Glauben nicht zu verraten und aus den Quellen des Glaubens zu leben. Amen. 4 Wolfgang Huber: Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh (1998) 25 96. 5 Klaus Berger kennzeichnet die Einstellung des 1. Johannesbriefes gegenüber der Welt als radikal. Für den 1. Johannesbrief gibt es keine Brücke zwischen Gemeinde und Welt. Vgl. Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Frankfurt am Main (1999) 63.