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Transkript:

ÜBERSETZUNG Geschäftsverzeichnisnr. 2152 Urteil Nr. 69/2001 vom 30. Mai 2001 U R T E I L S A U S Z U G In Sachen: Präjudizielle Frage in bezug auf Artikel 135 2 des Strafprozeßgesetzbuches, gestellt vom Appellationshof Gent. Der Schiedshof, zusammengesetzt aus den Vorsitzenden H. Boel und M. Melchior, und den Richtern L. François, A. Arts, R. Henneuse, L. Lavrysen und A. Alen, unter Assistenz des Kanzlers P.-Y. Dutilleux, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden H. Boel, verkündet nach Beratung folgendes Urteil: * * *

2 I. Gegenstand der präjudiziellen Frage In seinem Urteil vom 22. März 2001 in Sachen der Staatsanwaltschaft gegen K. Othman, dessen Ausfertigung am 29. März 2001 in der Kanzlei des Schiedshofes eingegangen ist, hat der Appellationshof Gent folgende präjudizielle Frage gestellt: «Verstößt Artikel 135 2 des [Strafprozeßgesetzbuches] in der durch Artikel 30 des Gesetzes vom 12. März 1998 abgeänderten Fassung (Belgisches Staatsblatt vom 2. April 1998; Berichtigung im Belgischen Staatsblatt vom 7. August 1998) gegen die Artikel 10 und 11 der koordinierten Verfassung vom 17. Februar 1994 und gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, soweit er - außer in dem Fall, auf den sich Artikel 539 des Strafprozeßgesetzbuches bezieht - dem Beschuldigten nicht erlaubt, gegen eine Anordnung der Ratskammer Berufung einzulegen, die sich auch darauf bezieht, daß dem Beschuldigten nichts zur Last gelegt wird (Artikel 128 des Strafprozeßgesetzbuches) oder daß die Umwandlung in eine Übertretung beantragt werden kann (Artikel 129 des Strafprozeßgesetzbuches), aber nur eine Berufung zuläßt, die sich auf die Regelwidrigkeiten, Unterlassungen oder Nichtigkeitsgründe im Sinne von Artikel 131 1 des Strafprozeßgesetzbuches beschränkt, während diese Berufung gegen die kraft der Artikel 128, 129 und 130 des Strafprozeßgesetzbuches ergangenen Anordnungen der Ratskammer sehr wohl für die Staatsanwaltschaft und die Zivilpartei in vollem Umfang möglich ist?» (...) IV. In rechtlicher Beziehung (...) B.1. Artikel 135 des Strafprozeßgesetzbuches in der durch das Gesetz vom 12. März 1998 zur Verbesserung des Strafverfahrens im Stadium der Voruntersuchung und der Untersuchung bestimmt: «1. Die Staatsanwaltschaft und die Zivilpartei können gegen alle Anordnungen der Ratskammer Berufung einlegen. 2. Der Beschuldigte kann, wenn Regelwidrigkeiten, Unterlassungen oder Nichtigkeitsgründe im Sinne von Artikel 131 1 oder in bezug auf die Verweisungsanordnung vorliegen, gegen die in den Artikeln 129 und 130 genannten Verweisungsanordnungen Berufung einlegen, unbeschadet der in Artikel 539 dieses Gesetzbuches vorgesehenen Berufung. Gleiches gilt für die Gründe der Unzulässigkeit oder des Erlöschens der öffentlichen Klage. Die Berufung ist bei Vorliegen von Regelwidrigkeiten,

3 Unterlassungen oder Nichtigkeitsgründen im Sinne von Artikel 131 1 nur zulässig, wenn der Klagegrund mittels schriftlicher Schlußanträge vor der Ratskammer geltend gemacht wurde. Gleiches gilt für die Gründe der Unzulässigkeit oder des Erlöschens der öffentlichen Klage, außer sie haben sich nach der Verhandlung vor der Ratskammer ergeben. [...]» Die Artikel 128 bis 131 1 und Artikel 539 desselben Gesetzbuches bestimmen: «Art. 128. Wenn die Ratskammer der Auffassung ist, daß die Tat weder ein Verbrechen, noch ein Vergehen, noch eine Übertretung darstellt oder daß der Beschuldigte in keiner Weise belastet wird, erklärt sie, daß es keinen Grund zur Strafverfolgung gibt. Art. 129. Wenn sie der Auffassung ist, daß die Tat nur eine Übertretung oder ein Vergehen im Sinne von Artikel 138 darstellt, wird der Beschuldigte an das Polizeigericht verwiesen. Die Bestimmungen dieses und des vorherigen Artikels können die Rechte der Zivilpartei oder der Staatsanwaltschaft nicht beeinträchtigen, wie nachfolgend festgelegt wird. Art. 130. Wenn eine Straftat sich als eine mit Besserungsstrafen zu belegende Straftat erweist, wird der Beschuldigte - außer in dem in Artikel 129 Absatz 1 vorgesehenen Fall - an das Strafgericht verwiesen. Art. 131. 1. Die Ratskammer erklärt, wenn Veranlassung dazu besteht, die Handlung und - teilweise oder ganz - das darauf folgende Verfahren für nichtig, wenn sie eine Regelwidrigkeit, eine Unterlassung oder einen Nichtigkeitsgrund feststellt, der Einfluß hat auf: 1. eine Untersuchungshandlung; 2. die Beweiserlangung. [...] Art. 539. Wenn der Beschuldigte, der Angeschuldigte oder der Angeklagte, der zuständige Beamte der Staatsanwaltschaft oder die Zivilpartei eine Einrede der Unzuständigkeit eines Gerichts erster Instanz oder eines Untersuchungsrichters erhoben oder eine ablehnende Einrede aufgeworfen hat, ist niemand berechtigt, den Kassationshof anzurufen, um eine Zuständigkeitsentscheidung zu erwirken, unabhängig davon, ob der Einrede stattgegeben oder aber ob sie abgelehnt wurde, unbeschadet des Rechts, vor dem Appellationshof Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts erster Instanz oder des Untersuchungsrichters einzulegen und ggf. vor dem Kassationshof Kassationsklage gegen das Urteil des Appellationshofes zu erheben.»

4 B.2. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß der Beschuldigte gegen die Verweisungsanordnung der Ratskammer nur Berufung einlegen kann aufgrund der Unzuständigkeit des Gerichts erster Instanz oder des Untersuchungsrichters, aufgrund der Unzulässigkeit oder der Einstellung der öffentlichen Klage oder aufgrund von Regelwidrigkeiten, Unterlassungen oder Nichtigkeitsgründen, die sich auf die Verweisungsanordnung beziehen oder eine Untersuchungshandlung oder die Beweiserlangung beeinflussen. Diese Beschränkung der Rechtsgründe gilt nicht für die Berufung der Staatsanwaltschaft und der Zivilpartei gegen die Anordnungen der Ratskammer. Sinn der präjudiziellen Frage ist es, vom Hof zu erfahren, ob dieser Behandlungsunterschied gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung und gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. B.3. Weder Artikel 142 der Verfassung noch das Sondergesetz vom 6. Januar 1989 haben dem Hof die Befugnis verliehen, gesetzliche Normen direkt im Lichte einer Vertragsbestimmung zu überprüfen. B.4. Die Verfassungsvorschriften der Gleichheit und des Diskriminierungsverbots schließen nicht aus, daß ein Behandlungsunterschied zwischen Kategorien von Personen eingeführt wird, soweit dieser Unterschied auf einem objektiven Kriterium beruht und in angemessener Weise gerechtfertigt ist. Das Vorliegen einer solchen Rechtfertigung ist im Hinblick auf Zweck und Folgen der beanstandeten Maßnahme sowie auf die Art der einschlägigen Grundsätze zu beurteilen; es wird gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, wenn feststeht, daß die eingesetzten Mittel in keinem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. B.5. Zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten besteht ein grundlegender Unterschied, der auf einem objektiven Kriterium beruht; die Staatsanwaltschaft erfüllt im Interesse der Allgemeinheit die Aufgaben des öffentlichen Dienstes, die sich auf die Ermittlung und Verfolgung von Vergehen beziehen (Artikel 22 bis 47 des Strafprozeßgesetzbuches), und führt die Strafverfolgung durch (Artikel 138 des Gerichtsgesetzbuches), wohingegen der Beschuldigte sein persönliches Interesse verteidigt. Dieser Unterschied rechtfertigt in angemessener Weise,

5 daß die Staatsanwaltschaft bis zur Befassung der Ratskammer über Vorzugsrechte verfügt, deren Verfassungsmäßigkeit nicht dadurch bewertet werden kann, daß ihre Lage mit der des Beschuldigten verglichen wird. B.6. Da jedoch der Gesetzgeber nach Ablauf der Untersuchung ein Verfahren vor der Ratskammer einführt, das sich in grundlegender Weise von demjenigen unterscheidet, welches vor dem erkennenden Gericht geführt wird, er eine kontradiktorische Debatte zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten ermöglicht, er der Zivilpartei, die private Interessen verteidigt, die Möglichkeit bietet, sich an dieser Debatte zu beteiligen, und er schließlich ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Ratskammer organisiert, kann der Umfang dieses Rechtsmittels je nach der Person, die es einlegt, nur dann unterschiedlich sein, wenn diese unterschiedliche Behandlung objektiv und in angemessener Weise gerechtfertigt ist. B.7. Die unterschiedliche Sachlage der Staatsanwaltschaft und des Beschuldigten rechtfertigt in angemessener Weise, daß, wenn das Untersuchungsverfahren durch eine Einstellungsanordnung abgeschlossen wird, die die öffentliche Klage der Staatsanwaltschaft beendet, diese bei der Ausübung ihrer gesetzlichen Aufgabe die Möglichkeit hat, sich in der Berufungsinstanz u.a. auf das Bestehen von belastenden Tatsachen zu berufen, die ihrer Ansicht nach ausreichen, um den Beschuldigten an ein erkennendes Gericht zu verweisen, wohingegen der Beschuldigte nicht über das gleiche Rechtsmittel gegen eine Verweisungsanordnung verfügt. Die Anordnung zur Einstellung des Verfahrens beendet nämlich die öffentliche Klage und ermöglicht der Staatsanwaltschaft nur, das Verfahren wieder aufzunehmen, indem sie eine Wiedereröffnung des Untersuchungsverfahrens aufgrund neuer belastender Tatsachen beantragt. Die Verweisungsanordnung ermöglicht dem Beschuldigten hingegen, all seine Verteidigungsmittel vor dem Tatrichter geltend zu machen. Die gleichen Gründe rechtfertigen, daß die Zivilpartei über die gleiche Klagemöglichkeit wie die Staatsanwaltschaft verfügt, da eine Anordnung zur Einstellung des Verfahrens auch für sie die öffentliche Klage beendet, auf die sich ihre Zivilklage gegründet hat, und sie die letztgenannte Klage nur vor dem Zivilrichter fortsetzen kann.

6 Indem er dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, vor der Anklagekammer geltend zu machen, daß es keine ausreichend belastenden Tatsachen gibt, um ihn an das erkennende Gericht zu verweisen, hat der Gesetzgeber eine Maßnahme ergriffen, die auf einem objektiven Kriterium beruht. Sie steht im Verhältnis zur angestrebten Zielsetzung, die darin besteht, ein System zur Bestrafung der Vergehen einzuführen, das effizient ist, aber nicht die Rechte der Verteidigung preisgibt; sie ist nicht unverhältnismäßig zu dieser Zielsetzung. B.8. Die in B.7 beschriebene unterschiedliche Situation der Staatsanwaltschaft und der Zivilpartei einerseits und des Beschuldigten andererseits reicht nicht aus, um den Behandlungsunterschied in jeder Hinsicht zu rechtfertigen. Bezüglich des früheren Artikels 135 des Strafprozeßgesetzbuches urteilte der Hof in den Urteilen Nrn. 82/94, 22/95 und 29/98 (Erwägung B.9, B.8 bzw. B.8.1), daß der Gesetzgeber, indem er die Klagemöglichkeit des Beschuldigten gegen eine Verweisungsanordnung ausschließlich auf die Einreden der Unzuständigkeit beschränkt, wohingegen die Staatsanwaltschaft und die Zivilpartei gegen eine Einstellungsanordnung der Ratskammer alle Berufungsgründe vorbringen können, eine Maßnahme verabschiedet hat, die nicht im Verhältnis zu der von ihm angestrebten Zielsetzung steht. Wie aus dem neuen Artikel 135 des Strafprozeßgesetzbuches ersichtlich wird, hat der Gesetzgeber inzwischen die Berufungsmöglichkeit des Beschuldigten gegen die Verweisungsanordnung der Ratskammer erweitert. B.9. In seinen Urteilen Nrn. 22/95 und 29/98 (Erwägung B.8 bzw. B.8.2) präzisierte der Hof, daß es zur Verwirklichung des angestrebten Ziels nicht notwendig ist, so weit zu gehen, daß dem Beschuldigten sogar versagt wird, Berufung einzulegen und Rechtsgründe geltend zu machen, die, falls sie für begründet befunden werden sollten, so beschaffen sind, daß sie tatsächlich der öffentlichen Klage ein Ende bereiten würden. Die unter B.7 beschriebene unterschiedliche Situation des Beschuldigten reicht nicht aus, um diesen Behandlungsunterschied zu rechtfertigen. Es liegt nämlich im Interesse der Gemeinschaft, die durch die Staatsanwaltschaft repräsentiert wird, der Zivilpartei und des Beschuldigten, daß jedem die Möglichkeit geboten wird, vor dem Untersuchungsgericht Regelwidrigkeiten

7 bezüglich des Verfahrens oder andere Gründe vorzubringen, soweit sie so beschaffen sind, daß die öffentliche Klage dadurch beendet werden kann, mit Ausnahme der Unzulänglichkeit der belastenden Tatsachen. Allerdings durfte der Hof in seinem Urteil Nr. 29/98 (Erwägung B.9) nicht aufgrund dieser Feststellung folgern, daß dem Beschuldigten die Möglichkeit geboten werden muß, Berufung gegen die Entscheidung der Ratskammer einzulegen, durch welche ihm die Aussetzung der Verkündung der Verurteilung verweigert wird und durch welche er an das erkennende Gericht verwiesen wird. Die Anklagekammer würde in einem solchen Fall nicht nur zu einer Prüfung der Begründetheit der Argumentation des Beschuldigten zur Untermauerung des Antrags auf Aussetzung gezwungen werden, sondern eben zu einer Überprüfung der Begründetheit der Strafverfolgung selbst. B.10. Dieselbe Feststellung berechtigt den Hof ebensowenig zu folgern, daß dem Beschuldigten die Möglichkeit geboten werden muß, gegen die Verweisungsanordnung der Ratskammer aufgrund des Nichtumwandelns in eine Übertretung bzw. in ein Vergehen Berufung einzulegen. Ein solcher Klagegrund ist nämlich nicht so beschaffen, daß er die öffentliche Klage unmittelbar beenden könnte. Außerdem steht es den erkennenden Gerichten frei, das Vorliegen mildernder Umstände oder eines strafmindernden Entschuldigungsgrundes noch gelten zu lassen. B.11. Die präjudizielle Frage muß verneinend beantwortet werden.

8 Aus diesen Gründen: Der Hof erkennt für Recht: Artikel 135 des Strafprozeßgesetzbuches in der durch das Gesetz vom 12. März 1998 zur Verbesserung des Strafverfahrens im Stadium der Voruntersuchung und der Untersuchung abgeänderten Fassung verstößt nicht gegen die Artikel 10 und 11 der Verfassung, insoweit er dem Beschuldigten nur die Möglichkeit bietet, Berufung gegen die Verweisungsanordnung der Ratskammer einzulegen aufgrund der Unzuständigkeit des Gerichts erster Instanz oder des Untersuchungsrichters, aufgrund der Unzulässigkeit oder der Einstellung der öffentlichen Klage oder aufgrund von Regelwidrigkeiten, Unterlassungen oder Nichtigkeitsgründen, die sich auf die Verweisungsanordnung beziehen oder eine Untersuchungshandlung oder die Beweiserlangung beeinflussen, während eine solche Beschränkung der Rechtsgründe nicht für die Berufung der Staatsanwaltschaft und der Zivilpartei gegen die Anordnungen der Ratskammer gilt. Verkündet in niederländischer und französischer Sprache, gemäß Artikel 65 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Schiedshof, in der öffentlichen Sitzung vom 30. Mai 2001. Der Kanzler, Der Vorsitzende, (gez.) P.-Y. Dutilleux (gez.) H. Boel