Manuskript Beitrag: Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg? Kindersoldaten an der Front Sendung vom 10. November 2015 von Joachim Bartz und Arndt Ginzel Anmoderation: Die Vereinten Nationen sprechen von einer Liste der Schande". Auf ihr stehen Länder, in denen Kindersoldaten eingesetzt werden. Diese Liste der Schande muss verlängert werden, um ein Land, das ziemlich nah liegt. Um die Ukraine. Denn im erbitterten Kampf um die Ostukraine rekrutieren Kommandeure beider Seiten Kinder. Sie drillen sie auf Gewalt und Gehorsam. Sie geben ihnen ein Gewehr und nehmen ihnen Kindheit und Zukunft. Denn auch diejenigen, die überleben, bleiben für immer verwundet - seelisch. Joachim Bartz und Arndt Ginzel über Kinder mit Kalaschnikow. Text: Es waren mörderische Kämpfe, anderthalb Jahre lang in der Ostukraine. Mindestens 8000 Menschen starben. Der Krieg brachte die Ukraine an den Rand des Abgrunds und militarisierte das ganze Land - auch die Kinder. Im Internet finden sich zahlreiche Beispiele, dass ukrainische Kinder und Jugendliche an Kriegswaffen ausgebildet werden und zu Propagandazwecken missbraucht - wie hier vom nationalistischen Rechten Sektor in der Westukraine. Wir finden jedoch keine Belege dafür, dass diese Kinder auch tatsächlich an die Front geschickt wurden. Anders bei den Separatisten in der Ostukraine. Hier gibt es Anhaltspunkte, dass Minderjährige an Kampfhandlungen teilnahmen. Ein Hinweis kommt von den Separatisten selbst. Im Internet wird dieser Junge als Kriegsheld präsentiert. Sein Name Bogdan Krawtschenko, 15 Jahre alt, hier an einem Checkpoint in Makejewka, einer Stadt im Separatistengebiet. Das Video wird am 1. Februar 2015 vom Pressezentrum der Separatisten online gestellt. Bogdans Vater ist auf der anderen Seite der Front. O-Ton Bogdan Krawtschenko, Soldat:
Hallo Papa, ich lebe, ich bin gesund, mir geht s gut, wie Du siehst. Komm doch auch hierher, zu mir, wenn Du kannst. Und sein Vorgesetzter ergänzt: O-Ton Vorgesetzter von Bogdan Krawtschenko: Ich möchte dem Papa einfach sagen: Danke für solch einen wunderbaren Sohn. Er hatte keine Angst, zu uns zu kommen. Es gab natürlich anfangs ein paar Schwierigkeiten, denn er ist ja noch sehr jung. Aber er versteht alles sehr schnell, lernt schnell, ist verantwortungsbewusst und mutig. Das ist die Hauptsache. Im selben Video rechtfertigt ein Separatistenpolitiker den Einsatz von Kindersoldaten. O-Ton Alexander Kolesnik, Parlamentsabgeordneter Neurussland : Wenn Kinder Waffen in die Hand nehmen, um die Heimat zu verteidigen, dann sagt das viel. Das sollte den Erwachsenen in Kiew zu denken geben. Die mit ihren irrsinnigen Entscheidungen dafür sorgen, dass der Donbass leidet und Kinder aufstehen und zur Verteidigung ihres Vaterlandes. Propaganda mit Kindern. Aber war Bogdan wirklich an der Front und hat Menschen getötet? Wir wollen das wissen, machen uns auf den Weg in die Ostukraine. Von Dnepropetrowsk aus geht es in das Separatistengebiet. Überall Spuren des Krieges, überall Checkpoints. Drehen streng verboten, die Soldaten überall schwer bewaffnet. An einem dieser Kontrollposten wurde das Video mit Bogdan aufgenommen. Auch die OSZE beobachtete im Mai an einem Kontrollpunkt ein Kind, ungefähr 12-14 Jahre alt, mit Tarnuniform bekleidet und mit einem AK-47-Gewehr in der Hand. Wir suchen zunächst die Frau aus dem Video neben Bogdan - Larissa Sajez. Wir finden sie in Donezk. Larissa Sajez arbeitet für eine Kinderorganisation der Separatisten. Bogdan, erzählt sie uns, kam im Juni 2014 zu ihr, kämpfe jetzt bereits das zweite Jahr bei den Separatisten - in Lugansk. Larissa bestätigt: Viele Kinder seien wie Bogdan im Krieg gewesen. Und sie findet nichts dabei. O-Ton Larissa Sajez, Kinderorganisation Separatisten: Na ja, es gab schon Kinder, die mitmachten. Jetzt gehen sie zur Schule, haben das Bataillon verlassen. Aber es waren ziemlich viele. Diese Kinder waren sehr patriotisch. Sie standen an den Kontrollposten, sehr viele waren das. Die meisten waren um die 16 Jahre alt, Bogdan war damals sicherlich noch der Kleinste. Die Kinder wurden schnell erwachsen - wie im Krieg. Da werden Kinder nun mal schnell erwachsen.
Wir fahren nach Lugansk neben Donezk die zweite Hauptstadt im Separatistengebiet. An mehreren Armeestützpunkten versuchen wir Bogdan zu finden ohne Erfolg. Dann stoßen wir auf eine Kadettenschule, vielleicht ist Bogdan ja hier gelandet. Militärischer Drill statt Computerspiele. Und statt Comics Kalaschnikows. An der Wand hängt Putin, so, als gehöre Lugansk zu Russland. Jederzeit drohen hier in der Ostukraine neue Kämpfe. Dann könnten auch diese Kinder zu Kanonenfutter der Separatisten werden. Bogdan, den wir suchen, kennt man hier nicht. Dafür präsentiert man uns in der Kadettenschule andere, eigene Kriegshelden. Unter strenger Aufsicht des Lehrers dürfen wir mit zwei jungen Kämpfern Interviews führen: Jewgenij Schakunow und Semjon Spektor. Semjon war 14, als er in den Krieg zog. Kämpfte direkt an der Front, eroberte mit Einheiten der Separatisten etliche Dörfer, drängte die ukrainische Armee zurück. Schoss mit der Kalaschnikow und auch mit schwerem Maschinengewehr. Voller Stolz trägt er die Orden für seine Verdienste. Semjon will uns gegenüber nicht sagen, ob er Menschen erschossen hat. Aber was er sagt und auch beim Aufpasser sagen darf: Viele seiner Kameraden fielen im Kampf. O-Ton Semjon Spektor, Kadett: Du kannst nur schwer vergessen, wenn du deine Freunde sterben siehst. Ich habe, das heißt, ich hatte eine Freundin, Sascha, Saschenka, Alexandra. Sie war bei den freiwilligen Kämpfern des Donbass, war im Lugansker Regiment. Und wir beide sollten im September 2014 in eine Klasse gehen. Vier Tage vor Schulanfang hat sie ein Scharfschütze erschossen, was für ein Unglück. Das war so ein Moment, wo ich sehr gelitten habe. Sie war in meinem Alter, 15 Jahre alt. Unser Aufpasser wird plötzlich zum Direktor gerufen. Wir sind jetzt mit den zwei jungen Kämpfern allein. Jewgenij Schakunow hat Schlimmes erlebt. Bereits mit 15 sah er, wie Geschosse menschliche Körper zerfetzten. Hier posiert Jewgenij vor einem getöteten ukrainischen Soldaten. Und 100 eigene Kameraden sah Jewgenij sterben. Wir sind unter uns und aus Jewgenij bricht es heraus. O-Ton Jewgenij Schakunow, Kadett: Krieg ist Wahnsinn, das darf sich nicht wiederholen. Das soll um Gottes Willen keiner durchmachen, was ich erlebt habe. Du hast ständig Angst, es ist ein Horror. Nicht eine Minute kommst du zur Ruhe. Noch Tage nach einem Gefecht stehst
du immer noch unter Strom. Hast Angst, dass der Feind kommt und dich umbringt. Nachts habe ich Albträume, wache auf und kann tagelang nicht wieder einschlafen. Und oft rieche ich Blut. Ich kann mir das gar nicht erklären. Und ich rieche verglühtes Metall. Der Geruch von Metall verfolgt mich. Metall, das den Tod bringt. Auf dem Friedhof von Lugansk sind einige der Kämpfer begraben. Semjon Spektor führt uns zur letzten Ruhestätte seiner Freundin Sascha, Alexandra Kaplina, die Kindersoldatin. Sie starb mit 15. - Wofür? Den Jungen aus dem Video, Bogdan Krawtschenko, haben wir bei unserer Suche in der Ostukraine nicht gefunden. Doch vor wenigen Tagen, wir sind wieder zurück in Deutschland, meldet er sich endlich - aus Donezk. Wir schicken ein Kamerateam hin und stellen unsere Fragen über Internet. Bogdan bestätigt, dass er als Kindersoldat kämpfte und bis heute kämpft. Und dass er tötete. O-Ton Bogdan Krawtschenko, Soldat: Als ich hörte, was die ukrainische Armee so treibt, ging ich zur Kommandantur in meiner Heimatstadt Makeewka und unterschrieb meine Verpflichtungserklärung. Und war gleich dabei, als wir den Ort Karlowka von den ukrainischen Okkupanten befreiten. Ich war da erst einige Tage 14, also im Prinzip noch 13 Jahre alt, als ich unterschrieb. Umgebracht habe ich keine Menschen, sondern nur Faschisten. Kindersoldaten. Sie einzusetzen, ist nicht nur verwerflich. Das Völkerstrafgesetzbuch bezeichnet das als Kriegsverbrechen: Wer Kinder unter 15 Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. bestraft. Wir zeigen der Kinderrechtsexpertin Barbara Küppers unsere Aufnahmen aus der Ostukraine. Sie fordert Konsequenzen - auf beiden Seiten der Front. O-Ton Barbara Küppers, terre des hommes, Referat Kinderrechte: Wir haben hier zum ersten Mal wirklich klare Belege, in denen Kommandanturen, Namen, Orte, Schlachten genannt werden, und das müsste den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag interessieren und auch die UN- Sonderberichterstatterin für Kinder in bewaffneten Konflikten. Die können das als Grundlage nehmen, um tatsächlich nachzuforschen und vielleicht einen Fall daraus zu machen. Und wir würden sehr stark empfehlen, auch in anderen Teilen der Ukraine zu gucken, ob Kinder da eingesetzt werden.
Dem Kindersoldaten Jewgenij und vielen anderen wurde die Kindheit geraubt. Diejenigen, die sie raubten, gehören vor Gericht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.