Über das Vertrauen Einige Überlegungen zum Über-Leben mit dem Defibrillator Karl-Heinz Ladwig, Professor für Psychosomatische Medizin am Klinikum rechts der Isar, dem Deutschen Herzzentrum München und dem Helmholtz Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt Das schöne Gefühl, jemandem vertrauen zu können, schafft Sicherheit und Stabilität. Insbesondere in kritischen Situationen erleichtert Vertrauen das Leben. Vertrauen ist so etwas wie ein solider Kompass, der den Kurs vorgibt und einem so manche Entscheidung abnimmt. Als Vertrauender muss man gar nicht alles wissen der, dem man vertraut, weiß es ja, und das wird schon stimmen. Was derjenige, dem man vertraut, für richtig hält, kann der Vertrauende als seinen Standpunkt ungefragt übernehmen. So wird der andere in Situationen, in denen es um Entscheidungen geht, zum Retter in der Not: Jetzt wird alles gut. Dieses Beziehungsmuster spielt sicherlich eine bedeutsame Rolle in der Wertschätzung des Patienten für seinen Arzt oder seine Ärztin, einer Person, der man vertraut und vertrauen will, weil nur so wichtige Entscheidungen gefällt werden können. Dies gilt insbesondere, wenn die Ärzte einem Patienten raten, sich einen Defi (ICD = Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator) einsetzen zu lassen. Ein Defibrillator ist der beste Schutz vor dem plötzlichen Herztod bei Patienten, die davon gefährdet sind. Der Defi verhindert in vielen Fällen durch Überstimulation das lebensbedrohliche Kammerflimmern. Tritt doch Kammerflimmern und dadurch ein Herzstillstand auf, wird das Herz durch einen Elektroschock wieder angeworfen. Der Defibrillator schenkt dem Patienten Leben. Aber dieses Leben bringt Probleme mit sich, die eine große Herausforderung darstellen. Dass sich der Patient dennoch für einen Defibrillator entscheiden kann, hängt vom Vertrauen zu dem Arzt und vom Aufklärungsgespräch ab. Erleichterung ist das vorherrschende Gefühl; alles andere nehme ich nur nebelhaft, wie hinter einem Vorhang, wahr. Mein Doktor hat sich Zeit genommen für mich, hat sich zu mir ans Krankenbett gesetzt, hat mir alles erklärt, mir Sicherheit gegeben. Er würde es an meiner Stelle nicht anders machen. Worüber wir im einzelnen noch geredet haben, weiß ich eigentlich gar nicht mehr so genau... Vertrauen ist also die Überzeugung von der Richtigkeit bzw. der Wahrheit einer Handlung eines anderen Menschen oder eines Systems. Vertrauen wird durch Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Authentizität begründet, entscheidet sich in der Gegenwart, hier im Patientengespräch, ist aber natürlich auf künftige Ereignisse gerichtet. In der modernen Medizin ist häufig von einem shared decision making, einem zwischen Arzt und Patient gemeinsam erarbeiteten Entscheidungsprozess die Rede. Tatsächlich wird es hierbei oft weniger um die objektive Suche nach Therapieoptionen gehen, für die sich zwei Gesprächspartner in einem Dialog entscheiden, sondern um das Entstehen von Vertrauen und dem Gefühl von Verlässlichkeit, Kompetenz und Sicherheit, dem von dem Arzt vorgeschlagenen Vorgehen folgen zu können. Vor mir liegt ein ganzes Leben mit einem Defibrillator. Was muss ich ganz sicher wissen, was kommt auf mich zu? Reicht es, mich jetzt ganz sicher und aufgehoben zu fühlen? Der Patientenaufklärungsbogen, der unterschrieben werden muss, bevor das Gerät eingepflanzt wird, ist nicht sehr informativ, was das weitere Leben mit dem Defi betrifft. Schwerpunkte der Aufklärung beziehen sich auf mög- 7
liche Komplikationen während des Eingriffs und auf das Verhalten, wenn Komplikationen nach der Operation auftreten. Vom Alltagsleben mit dem Defi, vom Verhalten in kritischen Situationen, ist nicht die Rede. Viele Patienten sagen, dass das auch so in Ordnung sei. In diesen ersten Tagen ist die Aufnahmefähigkeit für neue Informationen beschränkt. Hier geht es eben um Vertrauen, um verlässliche Sicherheit, der Entscheidung für einen Defibrillator zugestimmt zu haben. Für Bedenken irgendwelcher Art ist es jetzt zu spät. Aber spätestens bei dem 3-Monats-Kontrolltermin in der Klinik sollte ein ausführliches Beratungsgespräch mit dem Patienten stattfinden. Obwohl von Experten immer wieder gefordert, fehlen gegenwärtig aber nach wie vor klare Vorstellungen und nachkontrollierbare Checklisten über das, was ein Patient und der betreuende Arzt unbedingt besprechen sollten. Der Patient ist auf die Einfühlung seines Arztes und dessen Fähigkeit zum Mitschwingen, das heißt, sich in die Probleme des Patienten hineinversetzen zu können, angewiesen. Vertrauen stärken Die Zeit vergeht. Die Defi-Kontrolltermine in der Klinik helfen dem Patienten, eine Struktur in sein Leben mit dem Defi zu bringen. Auf den ersten Blick scheint es, dass Vertrauen jetzt nicht mehr ganz so wichtig ist. Bei mir ist noch nie was passiert, toi, toi toi... Oder stimmt das gar nicht? Wie viel Energie verwendet der Patient darauf, sich wieder normal zu fühlen und die Normalität aufrechtzuerhalten? Die Schrecken der Krankheit hinter sich zu lassen und zu vergessen? Das gute Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit zu seinem Arzt aufrechtzuerhalten? Der Doktor, der mir das Gerät eingepflanzt hat, ist längst nicht mehr in der Klinik. Das sind jetzt ganz junge Leute, doch, die kennen sich schon aus. Obwohl beim letzten Mal musste der Neue erst noch mal nachfragen, wie man mit dem Detektiergerät für meinen Defi umgeht... Das Gerät verliert seine Bedeutung als Hinweisgeber auf eine schwere Erkrankung. Gewöhnung lässt die Aufmerksamkeit für den Fremdkörper verlieren. Er ist jetzt Teil des Patienten geworden. Viele Patienten geben ihm einen lustigen Namen und nehmen ihm so endgültig seine Fremdheit. Er ist der Autopilot auf einem langen Flug durch Tag und Nacht. Er ist immer da, immer präsent er funktioniert zuverlässig, ohne Pause. Aber was, wenn nicht? Ich hätte schon eine Reihe von Fragen an den Arzt. Fragen, die mir im Laufe der Zeit gekommen sind. Kann ich wieder einmal in die Berge fahren? Wie hoch darf ich hinaus? Wie verhalte ich mich beim Sport? Oder ist das Thema für mich erledigt? Und, ehrlich gesagt, hätte ich auch gerne gewusst, ob ich mal wieder mit meiner Frau schlafen darf? Was passiert eigentlich, wenn sie mich umarmt und der Defi schlägt aus? Ist das eine Gefahr für sie? Kann ihr das schrecklich weh tun? Nein, das frage ich besser nicht. Heute hat den Kontrolltermin eine junge Ärztin gemacht, da frage ich so was schon mal grundsätzlich nicht. Sie war auch sehr in Eile und war richtig froh, als sie mich wieder los war... Die Ärzte in der Defi-Ambulanz brauchen ein umfangreiches Spezialwissen. Sie sind Experten, die die Botschaften der diagnostischen Speicher entschlüsseln können, die die im Gerät programmierten Parameter so optimieren können, dass sie der individuellen Situation des Patienten entsprechen. Aber haben sie auch gelernt, die verschlüsselten Hilferufe der Patienten zu verstehen? Haben sie ein Gefühl dafür entwickelt, wann es an der Zeit wäre, den Patienten mit seinen Ängsten anzuhören und sich den aus der Sicht des Arztes vielleicht völlig unbegründeten Besorgtheiten anzunehmen? Viele glauben, die Schockabgabe des Defis sei für sich genommen ein beängstigendes und äußerst leidvolles Ereignis. Das trifft nicht zu. 8
Viele Patienten empfinden die Schockabgabe im Gegenteil sogar als Beweis für die Richtigkeit ihrer Entscheidung, Defi-Träger geworden zu sein. Der erste Gedanke nach der Schockerfahrung ist entscheidend: lebensrettend. Ich habe dann nur gedacht wunderbar, der Defi hat funktioniert. Sonst läge ich jetzt hier und wer weiß, wie es diesmal ausgegangen wäre... Der Patient muss unbedingt lernen, sich diese Verknüpfung zwischen Schock und positivem Gedankeninhalt zu erhalten. Er muss wissen, dass dem wenige Millisekunden andauernden elektrischen Impuls eine Vielzahl von Empfindungen folgen kann, die eher etwas mit der durch den Schock ausgelösten Muskelkontraktion als mit dem elektrischen Schock selbst zu tun haben. Schmerzen müssen da gar nicht unbedingt im Vordergrund stehen, und wenn es um Schmerzen geht und man hundert Patienten auf einer Schmerzskala zwischen 0 und 100 befragt, wird man 100 verschiedene Antworten zur erlebten 9
Schmerzstärke bekommen. Für den einen Patienten ist der Impuls ein leichtes Kribbeln, für den anderen eine unerträgliche Belastungssituation. Für einen Patienten, der den Schock als einen starken Schmerz, wie den Tritt eines Pferdes erlebt hat, ist diese Information im Übrigen schon eine wichtige Beruhigung: Es muss beim nächsten Mal keineswegs wieder so sein wie dieses erste schlimme Erlebnis. Vertrauen strapazieren Der betroffene Patient muss wissen, was er nach einer Schockabgabe tun und lassen muss. Er sollte diese Situation mit seinem Partner, seiner Partnerin oder einem anderen nahestehenden Menschen besprochen haben, bevor das Gerät zum ersten Mal einen Schock abgibt. Sie sollten beide vorbereitet und auf dem gleichen Kenntnisstand sein. Wenn diese Informationen fehlen, hat das Folgen: Ich habe meinen ersten Defi-Schock erlebt. Auf dem Sofa vor dem Fernseher. Nichts Aufregendes, irgendeine Talkshow, ich weiß es schon gar nicht mehr so genau. Meine Frau hat sofort den Notarzt gerufen. Die haben mich gleich in die Klinik gebracht. Mit Blau- licht und allem drum und dran... Muss ich jetzt sterben? Geht alles gut? Das waren so meine Gedanken. Ich bin über Nacht dabehalten worden. Zur Beobachtung. Am nächsten Morgen wurden meine Daten ausgelesen. Alles so weit in Ordnung, hat der Arzt gesagt. Da bräuchte man jetzt gar nichts zu tun. Das Gerät habe tadellos funktioniert. Vertrauen wird hier gerade nicht produziert, sondern eher strapaziert. Die Aktivierung der Notfallkette sonst oft ein Segen ist hier eine Überreaktion der unvorbereiteten und hilflosen Partnerin. Gefühle einer existenziellen Bedrohung stellen sich ein oder werden reaktiviert. Es kommt zu einer fatalen Verknüpfung zwischen Schockabgabe und Gedankeninhalt: Todesangst. Leitlinienkonform hätte es ausgereicht, wenn sich der Patient innerhalb einer Woche in der für ihn zuständigen Defi-Ambulanz vorgestellt hätte (vorausgesetzt, der Defi-Schock wäre nicht mehrfach hintereinander oder gleichzeitig mit Symptomen wie andauernde Brustschmerzen, vermehrte Kurzatmigkeit aufgetreten). Hier wäre ein Beratungsgespräch angemessen gewesen, das auf De-Eskalation abgezielt hätte mit dem entscheidenden Hinweis: Sie können Ihrem Gerät vertrauen, Sie hätten gar nicht gleich kommen brauchen, Sie haben ja Ihren Notarzt bei sich. Offenbar ist alles noch mal gut gegangen. War vermutlich auf des Messers Schneide. Der Arzt hat mich noch nicht einmal gefragt, wie ich den Schock erlebt und empfunden habe. Ich bin jetzt wieder drin in meiner Krankheit, in dem ganzen Schlamassel. Irgendwie fängt alles von vorne an. Wie konnte ich mich nur so sicher fühlen... So wenig wie ein Segellehrer einen Sturm herbeiredet, wenn er seinem Schüler richtiges Verhalten unter Starkwindbedingungen beibringt, so wenig redet der Doktor seinem Patienten einen Schock herbei, wenn er in Ruhe alle möglichen Situationen mit ihm bespricht, in der Hoffnung, dass sie nie eintreten mögen und in der Gewissheit, dass es gut ist, für den Fall gerüstet zu sein. 10
Vertrauen aufs Spiel setzen Es gibt Situationen, die sind nur schwer zu bewältigen. Für einen Defi-Träger zählen dazu unnötige Schockabgaben, vornehmlich durch Sondenbrüche, Warnungen vor Störungen des Gerätes durch den Hersteller und mehrfache Schockabgaben in ganz kurzen Abständen. Klaus Sch., verheiratet, Vater zweier 14 und 17 Jahre alter Töchter, arbeitet als Baustatiker in einem mittelständischen Betrieb. Seine Leidenschaft gilt dem Sport; fast täglich nach der Arbeit ist er mit dem Mountainbike unterwegs so auch an einem warmen Frühlingstag Anfang März. Abends dann noch Salsa zusammen mit seiner Frau. Auf dem Tanzboden Zusammenbruch. Nach erfolgreicher Wiederbelebung kam er in die Klinik und erhielt dort einen Defibrillator. Schwierige Anpassung an ein deutlich reduziertes Leben. Trauer um Verlust von Lebensqualität, aber insgesamt eher unauffälliger Verlauf. Mitte November Schockabgabe durch Sondenbruch unter der Dusche. Extremes Angsterlebnis. Seither seelisch deutlich aus dem Gleichgewicht. Seine Aufmerksamkeit ist dauernd auf Veränderungen des Herzschlages gerichtet. Angst vor dem Einschlafen, häufige Angstattacken. Der Patient berichtet, dass es ihm besonders zusetzte, dass es kein Entfliehen gibt er trage den Angsterzeuger in seinem Herzen. Zunehmendes Grübeln darüber, dass er ja schon einmal praktisch tot gewesen sei... Man muss kein Fachmann sein, um zu erkennen, dass durch die Umstände des Krankheitsverlaufs dieser Patient ein leidvolles psychisches Störungsbild erworben hat, das besondere Aufmerksamkeit verdient und unbedingt der Behandlung bedarf. Kurzfristig kann man die schlimmste Zeit sicherlich mit Beruhigungsmitteln überwinden, aber nicht ohne Anstrengungen zu unternehmen, einen Psychotherapeuten/Psychiater zu gewinnen, der den Patienten mitbetreut. Hier ist rasches Handeln erforderlich. Der Patient und sein behandelnder Kardiologe sollten in einem solchen Fall nicht so tun, als sei nichts geschehen, sondern ganz offen über den Verlust des Vertrauens in das Gerät sprechen. In einer solchen Situation ist nichts zerstörerischer für die Arzt-Patientenbeziehung, als wenn Arzt und Patient sich auf der Oberfläche anscheinend ungerührt über technische Details austauschen, der Patient sich aber innerlich bereits längst von dem Glauben an den Therapienutzen verabschiedet hat. Fazit Das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt, dessen Therapieempfehlung dem Patienten eine völlig neue und erstrebenswerte Perspektive in einer kritischen Phase einer schweren Krankheit ermöglicht hat, ist ein wichtiger Bestandteil für den erfolgreichen Weg in das Leben mit dem Defi. Dieses Vertrauen kann wachsen und selbst unter kritischen Bedingungen erhalten bleiben. Aber es kann auch in Gefahr geraten, es kann aufs Spiel gesetzt werden. Beide, der Arzt, der den Defi-Patienten behandelt, als auch der Defi-Träger selbst, sollten als Leitmotiv für ihre Zusammenarbeit haben, dieses Vertrauen zu erhalten, indem sie das Gespräch nicht nur auf der technischen Ebene suchen. 11