Gottesdienst zum Thema Gebet 15.01.12 um 10.00 Uhr in Bolheim Schriftlesung: Lk 11,5-13 Gleichnis vom bittenden Freund Pfarrerin z. A. Hanna Nicolai Liebe Gemeinde, da habe ich Ihnen heute ein Seil mitgebracht (hängt von der Decke und geht bis auf den Boden). Beten ist wie (Schild hoch halten neben dem Seil). Wie würden Sie den Satz vervollständigen? Beten ist wie Beten ist wie eine Verbindung herstellen; da muss man sich mächtig anstrengen, um hochzukommen, um sich bei Gott Gehör zu verschaffen. 1. Beten eine Grundäußerung des Glaubens und doch will beten gelernt sein Beten, mit Gott reden, mit ihm Verbindung aufnehmen ich weiß nicht, wie oft ihr, wie oft Sie das machen. Manche beten regelmäßig. Vor dem Essen, morgens nach dem Aufstehen, vor dem Ins-Bett-Gehen. Andere senden vielleicht eher in bedrängenden Situationen ein Stoßgebet zum Himmel. Von den ersten Christen heißt es in der Bibel: Sie blieben aber beständig im Gebet (Apg 2,42). Beten eine Grundäußerung unseres Glaubens. Verbindung halten zu Gott ein Merkmal unseres Glaubens. Und doch gar nicht so einfach. Herr, lehre und beten mit dieser Bitte kommen die Jünger zu Jesus. Es ist also nicht selbstverständlich beten zu können. Beten, das Mit-Gott-Sprechen wird gelernt, wir können das nicht einfach so. So, wie wir das Sprechen überhaupt erst alle einmal als Kinder lernen mussten. Und wie sehr freuen sich Eltern über die ersten Worte ihres Kindes! Da werden ja gar keine ganzen Sätze erwartete am Anfang! Wieviel mehr freut sich Gott, wenn wir anfangen mit ihm zu reden vielleicht auch zuerst unbeholfen mit einzelnen Worten und halben Sätzen! Jesus macht seinen Jüngern - und mit ihnen auch uns - Mut zum Beten, zum formulieren von vielleicht auch unbeholfenen Sätzen. 2. Warum beten, wenn Gott doch eh schon alles weiß?!? Aber warum sollen wir eigentlich beten, warum sollen wir eigentlich mit Gott reden, wenn er doch eh alles weiß? Wenn er doch weiß, wie es mir geht, wie ich mich gerade fühle, was ich brauche warum soll ich ihm das denn dann noch sagen? 1
In einer Familie, in der man sich schon jahrelang kennt, da brauche ich oft den anderen nur anzusehen und ich weiß, wie es ihm gerade geht und was er braucht. Eigentlich bräuchte es da oft gar keine Worte mehr. Und trotzdem reden wir nach wie vor miteinander. Und merken auch wie wichtig es ist, dass wir uns gegenseitig erzählen, was wir erlebt haben und welche Fragen uns beschäftigen. Dass wir einander sagen, wie wir uns fühlen und was wir uns wünschen. Das macht eine Beziehung aus: zu reden, zu erzählen, zu sprechen auch wenn vieles ohne Worte auch klar wäre! Und dadurch, dass ich mich dem anderen anvertraue, entsteht Vertrauen, ein Miteinander, habe ich einen Halt. Jesus sagt: Bittet, so wird euch gegeben (Lk 11,9). Gott lädt uns ausdrücklich ein, mit ihm zu reden. Natürlich weiß er, was wir brauchen. Aber als Ausdruck unserer Liebe und unsers Vertrauens dürfen wir zu ihm sprechen und ihn bitten. So wie unsere Beziehung in der Ehe, in der Familie lebendig bleibt, wenn wir miteinander reden, so lebt auch unsere Beziehung zu Gott, wenn wir mit ihm reden. Deshalb will er, dass wir mit ihm reden und er verspricht uns, für uns zu sorgen. Durch Beten wächst unser Vertrauen in Gott, wächst unser Vertrauen, dass diese Verbindung tragfähig ist. Und deshalb fordert und Jesus auf, auch nicht zu schnell aufzugeben, sondern das Beten und damit das Vertrauen auf Gott immer weiter einzuüben. 3. Welche Haltung ist beim Gebet angemessen? Aber welche Haltung ist denn dem Gebet angemessen? Die einen beten ja mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf, andere mit hoch erhobenen Armen, wieder andere knien dazu nieder oder stehen. Manche haben die Augen geschlossen, andere offen. Manche Gebetshaltungen sind uns vertraut, andere befremden uns. Beten, mit Gott reden, kann in ganz vielfältigen Formen geschehen und ist in unterschiedlichsten Haltungen möglich. Gemeinsam ist allen, dass sie uns helfen sollen, uns auf Gott zu konzentrieren. Sie dienen nicht dazu, dass wir uns damit vor anderen zur Schau stellen aber sie drücken etwas davon aus, wie wir vor Gott kommen. Sie helfen uns, zu einer angemessenen inneren Haltung zu finden. Denn letztlich entscheidend ist nicht unsere äußere Haltung, sondern die innere: der betende Mensch rechnet mit Gott er rechnet damit, dass Gebet tatsächlich etwas bewirkt: in mir selbst und außerhalb von mir. Beten heißt offen sein für Gott und sein Handeln. Häufig beten wir alleine im stillen Kämmerlein, meist auch leise. Manchmal aber auch zusammen mit anderen, in Gemeinschaft. So z.b. im Gottesdienst, wenn wir das Vater unser oder den Psalm sprechen. In manchen Gruppen, auch hier in Bolheim, wird gemeinsam füreinander und für andere gebetet. Mit anderen zusammen zu beten, das erleichtert es, sich 2
auf das Gebet zu konzentrieren, weil da laut gebetet wird. Mit anderen zusammen zu beten ermutigt, weil ich merke, auch andere pflegen die Beziehung zu Gott und da wird auch für mich gebetet, da wird mir wie bei Mose unter die Arme gegriffen und ich werde in meinem Anliegen von anderen unterstützt (vgl. 2. Mose 17,8-16). Wir brauchen glaube ich letztlich beides: das stille Kämmerlein und das Zusammenbeten sei es mit eigenen oder mit vorgegebenen Worten. Aber was sollen wir denn Gott sagen in unserem Gebet? 4. Mit Gott im Gespräch bleiben ihm alles sagen Dass ich im Gebet Gott alles sagen kann, das weiß doch jeder, so sagte einmal eine Konfirmandin zu mir. Wirklich? Wissen wir das, dass wir Gott alles sagen können? Im Kopf vermutlich schon, aber auch im Herzen? Tun wir es auch, sagen wir Gott wirklich alles? Ist da nicht manchmal der Gedanke da: mit dieser Kleinigkeit kann ich jetzt Gott nicht auch noch beschäftigen? Doch wenn beten heißt, in Beziehung mit Gott zu sein, dann hat da wie in allen guten zwischenmenschlichen Beziehungen das Raum, was uns bewegt. Das große und Außergewöhnliche, wie das Kleine und Unscheinbare. Wenn Menschen in der Bibel beten, dann sagen sie Gott ihren Dank, sie bitten ihn für sich selbst und für Menschen, die ihnen am Herzen liegen. Und darüber hinaus beten sie für ihre Gemeinde und die Gemeindeleitung, also Pfarrer und Kirchengemeinderat, sie beten für die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft. Sie bekennen Gott ihre Schuld und bitten um Vergebung. Und sie loben ihn für die wunderschöne Natur und dafür, dass er sich uns Menschen mit Liebe zuwendet. Und sie sagen Gott auch in drastischen Worten, was sie von ihm halten. Ja tatsächlich, das gehört auch zum beten dazu: meine Wut, meine Enttäuschung über Gott, meine Rachegedanken die unterdrücke ich nicht, sondern die sage ich Gott. Vielleicht denken Sie jetzt: für einen guten Christen gehört es sich nicht, Gott zu beschimpfen, ihn anzuklagen oder Gott sogar zu bitten, dass er anderen Menschen mal so richtig zeigt, wo es lang geht. In den Psalmen finden wir aber immer wieder solche Gebete. Wo bist du, Gott, gewesen? Du hast mich im Stich gelassen! (z.b. Ps 22,2) Oder: Fahre herunter vom Himmel und vernichte alle meine Feinde! (z.b. Jes 63,19). Harte Worte, die da manchmal fallen. Ja, wir können und sollen Gott tatsächlich alles sagen. Denn wenn Gott doch weiß, wie es uns geht, dann kennt er auch diese dunklen Gedanken in uns und unsere Wut, unseren Ärger, unsere Enttäuschung, unsere Rachewünsche warum sollen wir sie ihm denn dann nicht auch 3
sagen? Das ist doch ehrlicher und diese Beziehung zu Gott, die ist so dick und stabil, dass sie das aushält. 5. Gott verspricht zu antworten - und wenn Gott mein Gebet nicht erhört? Ja, im Gebet können und sollen wir alles Gott sagen was uns bewegt im Blick auf uns selbst, unsere Kirche, unsere Gesellschaft, unsere Welt da haben alle Worte und alle Gefühle Platz. Und dann warten wir, gerade auch bei unseren Bitt- und Klagegebeten zu Recht auf eine Antwort. Zu einer Beziehung gehört es ja schließlich auch dazu, dass nicht nur einer redet. Beziehungen sind keine Einbahnstraße, sie leben davon, dass etwas zurückkommt. Jesus verspricht: Wer bittet, dem wird gegeben, wer sucht, der wird finden, wer anklopft, dem wird aufgetan. Manchmal, da dauert das aber auch seine Zeit. Und vielleicht hat sich der eine oder andere schon einmal gefragt, wie lange man eigentlich Gott mit einer Sache in den Ohren liegen sollte. Wir können nicht für alle und alles jeden Tag gleich intensiv beten. Wenn wir im Gebet Gott etwas gesagt haben, dann weiß er das erst einmal. Und doch: Das was uns auf dem Herzen liegt, das was uns wichtig ist, das bringen wir immer und immer wieder vor Gott. So wie in einer Beziehung eben auch: Da geht es nicht um das Abarbeiten eines allumfassenden Themenkataloges, sondern das ist Thema, was mir ganz besonders auf dem Herzen liegt vielleicht auch gerade deshalb, weil Gott es mir auf s Herz gelegt hat und immer wieder neu legt. Was aber, wenn ich den Eindruck habe, dass ich bei Gott anklopfe und er mir die Türe nicht öffnet oder aber vor der Nase zuschlägt? Wenn meine Wünsche gerade nicht in Erfüllung gehen? Da beten Menschen um Heilung für andere, die eine schwere Krankheit haben und die Betroffenen werden nicht gesund. Da bittet jemand seit Jahren darum, dass es in der Verwandtschaft zu einem neuen Miteinander kommt und die Streitereien von vor 50 Jahren überwunden werden. Vergeblich, die Fronten bleiben verhärtet. Da bittet jemand, dass ein Arbeitskollege, der Ehepartner oder die Kinder den Zugang zum Glauben finden aber da sind nur Unverständnis, Desinteresse, Nicht-Glauben-Können. Bittet, so wird euch gegeben - das kann wohl jedenfalls nicht heißen, dass wir einfach alles bekommen, was wir wollen. Gott ist kein Wunschautomat. Beten löst keinen Automatismus aus. Wir können durch unser Gebet nicht in irgendeiner Weise über Gott bestimmen. Was also meint Jesus dann damit, wenn er sagt: "Bittet, so wird euch gegeben"? Ganz am Ende des Bibeltextes, den wir in der Schriftlesung gehört haben, heißt es: 4
Gott, der Vater, gibt denen, die ihn bitten, den Heiligen Geist. Und der Heilige Geist: das ist ja Gott selbst, seine Gegenwart und Nähe. D.h., Gott sagt uns zu, dass er sich selbst schenkt, wenn wir beten. Das ist es, was Jesus in einem letzten, tiefen Sinn damit meint, wenn er sagt: Bittet, so wird euch gegeben. Wir bekommen nicht alles, was wir uns wünschen - aber wir bekommen die Zusage von Gottes Nähe und Begleitung bei allem, was wir erleben. Wenn wir lernen, darauf zu vertrauen, dann kann das, so glaube ich, viel verändern: Das verändert dann in erster Linie uns selbst und unsere Perspektive auf unser Leben. Wir wissen dann, dass wir nicht allein sind, sondern da immer einer ist, der uns hält. Dass da einer ist, der weiter sieht, als wir sehen. Und der manchmal ganz andere Wege hat, als wir mit unserem begrenzten Verstand denken können. Beten, Gott zu bitten, bei ihm anzuklopfen das heißt dann gleichzeitig auch, offen sein für seine Antwort, für eine vielleicht ganz andere Antwort, als ich sie mir vorstelle. Und wenn es zu keiner Antwort kommt? Dann liege ich Gott weiter in den Ohren, mit dem, was mich bewegt: dann sage ich ihm meinen Frust über sein Schweigen und wiederhole das, was ich erbitte. Beten heißt, in Beziehung sein mit Gott. Wer betet vertraut sich Gott an und das Zutrauen in Gott wächst dadurch. Während wir beten sollten wir nebenher nichts anders denken oder tun aber bei allem, was wir denken, sprechen oder tun können wir gleichzeitig beten. 1 Beten ist eine Grundäußerung unseres Glaubens und kein Kennzeichen einer besonderen Frömmigkeit. Möge uns deshalb Jesus selbst ganz neu lehren, zu beten, ausdauernd anzuklopfen bei unserem Vater im Himmel. Amen. 1 H.-J. Eckstein, in: ders., Du liebst mich, also bin ich, Holzgerlingen 11 1999, S. 45. 5