rbb Kulturradio 26.12.2010 1. MUSIK: Frank Schwemmer: O Heiland, reiß die Himmel auf (1:57) (Athesinus Consort Berlin Leitung: Klaus-Martin Bresgott)



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rbb Kulturradio 26.12.2010 O Erd schlag aus, schlag aus, o Erd Weihnachtsbetrachtung von Klaus-Martin Bresgott Musik: CD O Heiland, reiß die Himmel auf Athesinus Consort Berlin Leitung: Klaus-Martin Bresgott Edition chrismon 2010 ISBN 978-3-86921-037-7 Gesamtlänge: 29:29 Min. Aufnahme, Schnitt: Rainer Ahrens 1. MUSIK: Frank Schwemmer: O Heiland, reiß die Himmel auf (1:57) Warten. Warten. Warten. In den gleichmütig pendelnden Stunden des Tages. In der schwebend pulsenden Stille der Nacht. Warten. Warten. Warten. Wund werden im Warten - und doch nur warten können. Warten, dass etwas passiert. Dass passiert, was mich erlöst. O Heiland, reiß die Himmel auf - Die gespannte Erwartung des Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld spielt mit einer Herausforderung an Himmel und Erde und mit Wünschen, die unbändige Kraft und wundergleiche Zartheit wie selbstverständlich in einen Topf werfen: O Heiland, reiß die Himmel auf, Herab, herab vom Himmel lauf, Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, Reiß ab, wo Schloß und Riegel für. und dann O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland aus der Erde spring. Ganz selbstverständlich: Frühlings Erwachen mit mystischem Glanz. Mitten im kalten Winter. Da rennt niemand um sein Glück. Da hofft einer. Voller Gewißheit. Und wartet. Erwartet. Das Warten habe ich als Kind beim Versteckspiel lernen müssen. Das Ausharren trotz glühender Kohlen unter den Füßen. Trotz Hummeln im Hirn. Das Warten auf den richtigen Moment: In zitternder Erregung hocke ich, gesichert gegen alle suchenden Blicke, hinter den dicht gedrängt an der Krippe stehenden Schafen und warte. Warte, dass es passiert dass der Weg frei ist für den Spurt im Rücken meines Häschers. Für den Spurt, an dessen gutem Ende ich atemlos und befreit Erlöst! rufe. Erlöst nach allen Regeln des Spiels. Befreit von aller Anspannung und in gelöster Erwartung auf die nächste Runde. Wie viel Kalkül und Phantasie die Suche nach dem richtigen Ort des Wartens braucht, wie viel Kraft mir schließlich das Warten selbst abverlangt, ist in dem Moment vergessen. Ich bin erlöst! Frei! Viel untrüglicher noch als meine Gedanken, haben alle Fasern meines Körpers dieses innere Beben und Bersten

wie auf Abruf gespeichert. Rasender Puls. Mühsam bezwungener, fliegender Atem: Auf die Plätze! Fertig! Fertig! Fertig! Wie ich mich zwingen und einüben muss in Einverständnis und Geduld. In: Warten. Warten. Warten... Ehe es endlich heißt: Los! Der Weg ist frei! Lauf um die Erlösung! - - - Was ist von dieser kindlichen Erlösungs-Freude für mein heutiges Hoffen und Sehnen geblieben? Wo ist ein Weg frei für den Lebenslauf um die Erlösung? Und: Halt! Noch einmal zurück: Laufe ich ihr nach? Oder kann ich sie erwarten? Wo kann ich sie erwarten? Und wie? - (4:12) 2. MUSIK: Franz J. Breuer,Rolf Lukowsky: Es kommt ein Schiff geladen (2:30) Auch hier öffnet einer seine Sinne und schickt sie auf große Fahrt. Johannes Tauler, Erdenbürger im späten 15. Jahrhundert - lange noch vor den Mystikern des Barock. Auch Tauler ist einer, der wartet, der erwartet. Mit brennendem Herzen auf wogender Lebens-Fahrt. Ein Worte-Sucher, ein Erkenntnis-Sammler und -Stammler, der Warten und Erwarten zusammenführt wie Erde und Himmel, wie Mensch und Gott. Das Bild, das er dafür nutzt, ist von alters her ein Bild der Begegnung und hat etwas weltgewandt Erhabenes: Ein Schiff. Schwer beladen. Mit vollen Segeln. Im Normalfall sucht so ein Schiff einen Hafen. Im Normalfall ist es unterwegs. Hier liegen die Dinge scheinbar anders. Verwirrt es Sie ähnlich wie meinen Sohn Frithjof, dass dieses Schiff selbst auch Hafen sein soll? Obwohl wir doch im Hafen hocken und auf das Schiff warten? Obwohl wir doch sicheren Grund unter den Füßen haben nicht das Schiff! Überhaupt nie ein Schiff! Frithjof ist das nicht geheuer. Er fragt mich wieder und wieder: Wie ist das mit dem Schiff? Bringt es eine gute Nachricht? Oder ist es selbst die gute Nachricht? Ist es der sichere Hafen? Oder will es dorthin? Das alles ist sehr wesentlich. Wie geht das zu? Wie drehen sich die Winde? Und: Wo dreht sich das Geschehen? Frithjof lässt nicht locker. Anselm, der etwas größere und um ein paar Geschichten reichere Bruder, mischt sich ein: Alles nicht wirklich. Alles nicht so - nur so gemeint. Geschichten aus der Bibel eben. Stimmt nicht, sagt Frithjof: steht nicht in der Bibel. Is eins von Papas Liedern Anselm will das nicht auf sich sitzen lassen: Ja, ja. Is aber trotzdem wie eine Geschichte aus der Bibel. Erzählt von Jesus. Also doch Bibel. Wir kommen der Sache auf die Spur. Und warum muss dann ein Schiff her? will Frithjof wissen? Jetzt kommt auch noch Amrei dazu, die jüngste. Sie hat, während die Brüder rätseln, mit halbem Ohr zugehört und statt Pippi Langstrumpf also ein Schiff gemalt. Wir sitzen am Tisch, bestaunen das bunte Schiff, die Brüder hübschen das Bild der kleinen Schwester noch ein wenig auf, malen vorn einen gewaltigen Anker, hinten das Steuerruder. Schließlich lassen wir den Anker mit ein paar Strichen zu Wasser - Ankertrosse und Steuerruder stehen zueinander wie die zwei sich

zueinander neigenden Seiten eines Trapezes. Und während wir diese beide kräftig nachzeichnen, werden daraus zwei tragende Füße, wird aus dem Schiff plötzlich eine Krippe. Was eben noch zwischen tosenden Wellen sich behaupten musste, steht plötzlich auf etwas krakelig-wackligen Füßen im Stall, riecht nach Stroh und lässt uns ankommen in der Zeit. Heute. Heute bei Maria und Joseph, bei denen für alle 3 Kinder selbstverständlich ist, dass da, wo die beiden sind, auch ein Hafen ist. Des Neugeborenen Hafen. Der Hafen Jesu. Strahlendes Begreifen! Mit der Kraft kindlicher Phantasie und der Verwandlung der Bilder verbindet sich die Erwartung an das Schiff mit der Erlösung durch die Krippe. Aus Advent ist Weihnachten geworden. (4:03) 3. MUSIK: Leonhart Schröter, Hans L. Hassler: Joseph, lieber Joseph mein (1:49) Endlich: Es ist ein Ros entsprungen! O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd - es ist erhört. Und es ist unerhört. Ich habe keine neuen Worte für das Wunder. Es hat Sturmes Kraft wie anders sollte ich auch die Gewalt beschreiben, mit der es mein Denken beeinflusst und es greift mich doch mit blütenzarter, nach Wochenbett duftender Kinderhand. Ich empfinde es wie Generationen vor, wie Generationen nach mir als einen Moment, in dem mich ein Friede durchströmt, der durch die Freude, die er in sich trägt, himmlisch ist. Himmlisch als irdisches Sinnbild des Vollkommenen. Ein Farbspiel aus zartem Grün, aus warmem Rot und aus Kerzenlicht schimmerndem Gold. Mitten im kalten Winter. Ich blende damit mein restliches Leben nicht aus. Und auch nicht die Geschichte, die dieser Geburt folgt. Aber dieses Innehalten, dieses Kosten und Erleben der Freude will ich mir darum nicht versagen. Meine Kinder leben es mir vor. Sie erinnern mich an die durch nichts aufzuwiegenden Momente stiller Freude und Versunkenheit in der eigenen Kindheit, ohne die ich mir mein Dasein nicht vorstellen kann. Die ich als Urerfahrung in mir trage, als unauslöschliches Erleben stillen Einvernehmens mit Gott und seiner Schöpfung, wie sie mir in einer Orgelfuge Johann Sebastian Bachs ebenso entgegen tritt wie in einer Figur Ernst Barlachs im Spiel junger Hunde ebenso wie im flutenden Licht des Wintermorgens. Kreatürliche Lebenslust so, wie sie uns Augustin, unser Kronsohn, im Einverständnis mit dem gleichnamigen Kirchenvater wünscht und seinen Eltern dessen wohlmeinenden Tipp als passendes Weihnachtsgeschenk unter den Baum legt: Mensch, lernt tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit euch anzufangen! Es spielt keine Rolle, ob der ehrwürdige Kirchenvater das tatsächlich so gesagt hat. Unser Augustin rät es uns mit aller Entschiedenheit und verweist damit auf einen Ausdruck der Lebens-Freude, den die Komponisten alter Weihnachtslieder ganz unmittelbar in ihre Lieder zum Fest eingewoben

haben. Da wird keinem der Marsch geblasen. Da will keiner einem Flötentöne schon beibringen Nein. Da steigert sich die Freude in Tanz. (2:36) 4. MUSIK: Johann H. Schein, Michael Praetorius: Quem pastores laudavere (3:54) Hören Sie, wie die Jungen und die Alten, die Wintermüden und die Sonnen-Sehnsüchtigen ins Schwingen kommen? Alle Jahre wieder ist es ein Wunder, dass Stumme an Weihnachten singen, dass Taube an Weihnachten hören, dass auch Scheuklappen für einen Moment an Weihnachten fallen und einem dahinter die Augen auf gehen und dass ich auf der Schnellstraße meines Lebens zum Halten komme. Zum Halten, um zu hören. Um zu singen. Um zu sehen. Und: um zu feiern! Nach dem Warten in müden, grau verputzten Tagen bricht für mich und meine Lieben ein fröhliches Fest herein ein Fest, das zu feiern keiner weiteren Erklärung, keiner Rechtfertigung bedarf: Ein Kind ist uns geboren! Ein Sohn ist uns gegeben! und er heißt Wunderbar, Rat, Held, Kraft, Ewig-Vater, Friede-Fürst. - Wenn Sie diese Worte des Propheten Jesaja mit aufgeklärter Miene überfliegen und auf ihre Wortwörtlichkeit hin skeptisch abklopfen, dann lassen Sie sie sich mit Heinrich Schütz gern noch einmal sagen - nein: singen. Da bekommt die prophetische Verheißung das klingende Gewand irdischer Sehnsucht. (1:23) 5. MUSIK: Heinrich Schütz: Ein Kind ist uns geboren (1:28) Wie viel geht Sie diese Verheißung heute an? Wie denken Sie morgen darüber? Und wie gehen Sie übermorgen damit um? In dem allerorten klingenden, und über die Jahrzehnte hübsch zurecht gestutzten german worldwide-weihnachtsschlager Stille Nacht, heilige Nacht hat sein Dichter Joseph Mohr eine mutige Vision entworfen und das mystische Sinnbild des Barock O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd unmittelbar in seine nach Frieden dürstende Zeit übernommen. Wo andere Dichter immer auch die Lebensgeschichte des Gottessohnes einbeziehen und damit der Schwere und Frustration des eigenen Lebensweges und der Wirklichkeit gebührenden und notwendigen Platz einräumen, schreibt Joseph Mohr in dichtender Begeisterung für den Gottessohn Jesus die sanfte Revolution ins Stammbuch: Stille Nacht! Heilige Nacht! / Wo sich heut alle Macht / Väterlicher Liebe ergoss, / und als Bruder huldvoll umschloss / Jesus die Völker der Welt! / Jesus die Völker der Welt! Haben Sie das gewusst? Singen Sie das auch? Seit ich die abhanden gekommenen Strophen wieder für mich entdeckt habe, sind sie mir lieb geworden - nicht nur als literarische Absonderlichkeit. Sie sind

mir weit darüber hinaus als Verkünder weihnachtlicher Freiheit und christlicher Vision des Zusammenlebens in und über die eigenen vier Wände hinaus von größtem Wert. Was hätte dem Lied in unserer Familie besser getan als Anselms leicht befremdeter Ausruf: Was soll das denn? Lachend haben wir es aus der Nische kitschiger Klebrigkeit in unser Leben zurück geholt. Dabei ist wie nebenbei wieder neu zur Sprache gekommen, was Weihnachten für uns bedeutet. Nicht der Traum eines rundum schönen Lebens. Auch keine helle grelle Unterbrechung grauer Alltäglichkeit. Wohl aber die Freude am Licht. Das Keimen neuer Lebenslust. Die Hoffnung auf das Lebendigwerden. Solch eine Wieder-Entdeckung wünsche ich Ihnen auch! (2:24) 6. MUSIK: Franz X. Gruber, Gustav Schreck, Carl Thiel: Stille Nacht, heilige Nacht (3:14) KMB, 15.12.2010