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Transkript:

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum 1, 65-70 und 2, 78-85 Über Epikurs Begriff der Freundschaft Texte mit Übersetzung Dieses Dokument enthält den Auszug aus der Rede des Torquatus (Buch 1), in der dieser Epikurs Idee der Freundschaft verteidigt, und die Entgegnung der Cicero-Figur im 2. Buch. Beim Landesbildungsserver Baden-Württemberg können Sie auch eine Version mit Übersetzungshilfen, aber ohne Übersetzung ansehen bzw. als PDF- oder WORD-Datei herunterladen: >> Unter der Überschrift Lateinische Bibliothek klicken Sie bitte auf Cicero, De finibus. Die Version mit Übersetzung ist dort am rechten Rand verlinkt. Inhaltverzeichnis dieses Dokuments Wenn Sie dieses Dokument am Bildschirm lesen, können Sie auf die Überschriften klicken, um zu dem entsprechenden Kapitel zu gelangen. Je nach Voreinstellung der verwendeten Programme müssen Sie zusätzlich die STRG- (bzw. CTRL-)-Taste gedrückt halten. Inhalt De finibus bonorum et malorum 1, 65-66: Die epikureische Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 1)... 3 De finibus bonorum et malorum 1, 67-68: Die Liebe zu den Freunden (Epikur und die Freundschaft, Teil 2)... 5 De finibus bonorum et malorum 1, 69-70: Freundschaft und Nutzen (Epikur und die Freundschaft, Teil 3)... 6 De finibus 1, 70: Die dritte Verteidigung der epikureischen Freundschaftslehre: Freundschaft entspringt aus dem Bund der Weisen... 6 De finibus bonorum et malorum 2, 78-79: Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 4)... 8 De finibus 2, 79: Wer sich an der Lust orientiert, wird den Freund in der Gefahr im Stich lassen... 9 De finibus bonorum et malorum 2, 80-82 (Auszüge): Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 5)... 10 Seite 1

De finibus 2, 82: Antwort auf die zweite These der Epikureer zur Freundschaft: Freundschaft ist also doch auch ohne Lust möglich!... 11 De finibus bonorum et malorum 2, 83-85: Die Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 6)... 12 Seite 2

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum : Texte mit Übersetzungen De finibus bonorum et malorum 1, 65-66: Die epikureische Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 1) Die Hochschätzung der Freundschaft in der epikureischen Philosophie und der Beweis für diese Hochschätzung in Epikurs Leben [De finibus 1, 65]. Restat locus huic disputationi vel maxime necessarius de amicitia, quam, si voluptas summum sit bonum, affirmatis nullam omnino fore. De qua Epicurus quidem ita dicit, omnium rerum, quas ad beate vivendum sapientia comparaverit, nihil esse maius amicitia, nihil uberius, nihil iucundius. Nec vero hoc oratione solum, sed multo magis vita et factis et moribus comprobavit. Quod quam magnum sit fictae veterum fabulae declarant, in quibus tam multis tamque variis ab ultima antiquitate repetitis tria vix amicorum paria reperiuntur, ut ad Orestem pervenias profectus a Theseo. At vero Epicurus una in domo, et ea quidem angusta, quam magnos quantaque amoris conspiratione consentientes tenuit amicorum greges! quod fit etiam nunc ab Epicureis. Sed ad rem redeamus; de hominibus dici non necesse est. Es bleibt noch der für diese Debatte sehr wichtige Gegenstand der Freundschaft übrig, von der ihr behauptet, dass sie, wenn die Lust das höchste Gut ist, überhaupt nicht existiert. Über diese sagt Epikur allerdings, dass von allen Dingen, die die Weisheit für das glückliche Leben bereitgestellt habe, nichts besser sei als die Freundschaft, nichts fruchtbarer und nichts angenehmer. Und er hat dies nicht nur durch die Rede allein, sondern noch viel mehr durch sein Leben, durch seine Taten und seinen Charakter bewiesen. Wie bedeutend dies ist, das erläutern die erfundenen Geschichten der Alten, in denen man, obgleich sie so zahlreich und vielfältig von der frühesten Urzeit an wiederholt wurden, kaum drei Freundespaare findet, wobei man, bei Theseus beginnend, zu Orest gelangt. Aber Epikur hingegen wie groß sind die Freundesscharen, die er in einem einzigen Haus, und zudem in einem beengten, versammelte, und mit was für einem außerordentlichen Liebesband hielt er diese zusammen! Das ist bei den Epikureern auch heute noch so. Aber wir sollten zum Thema zurückkommen; es ist nicht nötig, über die Menschen zu sprechen. Seite 3

Die erste Verteidigung der epikureischen Freundschaftslehre: Die Vernunft empfiehlt die Freundschaft auch demjenigen, der die eigene Lust anstrebt. [De finibus 1, 66] Tribus igitur modis video Ich sehe, dass von unseren Leuten auf drei Arten über esse a nostris de amicitia disputatum. die Freundschaft gesprochen wurde. Alii cum eas voluptates, quae ad amicos Während die einen es verneinten, dass die Freuden, die pertinerent, negarent esse per se ipsas tam sich auf die Freunde beziehen, um ihrer selbst willen so expetendas, quam nostras expeteremus, erstrebenswert wie unsere eigenen Freuden seien quo loco videtur quibusdam stabilitas eine These, bei der für manche die Festigkeit der amicitiae vacillare, tuentur tamen eum Freundschaft zu wanken scheint halten sie diese locum seque facile, ut mihi videtur, These dennoch aufrecht und retten sich leicht, wie mir expediunt. scheint. Ut enim virtutes, de quibus ante dictum est, Wie nämlich auch die Tugenden, über die oben sic amicitiam negant posse a voluptate gesprochen wurde, so könne auch die Freundschaft, so discedere. sagen sie, nicht von der Lust losgelöst werden. Nam cum solitudo et vita sine amicis insidiarum et metus plena sit, ratio ipsa monet amicitias comparare, quibus partis confirmatur animus et a spe pariendarum voluptatum seiungi non potest. Denn weil Einsamkeit und ein Leben ohne Freunde voll von Furcht und Nachstellungen ist, mahnt die Vernunft selbst dazu, sich Freundschaften zu erwerben, denn wenn man diese erlangt hat, wird der Geist gestärkt und kann von der Hoffnung auf Lustgewinn nicht abgebracht werden. Seite 4

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum : Texte mit Übersetzungen De finibus bonorum et malorum 1, 67-68: Die Liebe zu den Freunden (Epikur und die Freundschaft, Teil 2) Nur die Liebe zu den Freunden kann die Freundschaft und damit die aus ihr entstehende Lust aufrechterhalten [De finibus 1, 67] Atque ut odia, invidiae, despicationes adversantur voluptatibus, sic amicitiae non modo fautrices fidelissimae, sed etiam effectrices sunt voluptatum tam amicis quam sibi, quibus non solum praesentibus fruuntur, sed etiam spe eriguntur consequentis ac posteri temporis. Und wie Hass, Neid und Verachtung gegen die Lust wirken, so sind Freundschaften nicht nur eine äußerst zuverlässige Stütze der Lust, sondern sie bringen sie auch hervor, und zwar die Lust der Freunde wie auch die eigene; und diese Lustgefühle genießt man nicht nur, wenn sie gerade gegenwärtig sind, sondern man wird auch durch die Hoffnung auf die nähere und fernere Zukunft aufgerichtet. Quod quia nullo modo sine amicitia firmam et perpetuam iucunditatem vitae tenere possumus neque vero ipsam amicitiam tueri, nisi aeque amicos et nosmet ipsos diligamus, idcirco et hoc ipsum efficitur in amicitia, et amicitia cum voluptate conectitur. Nam et laetamur amicorum laetitia aeque atque nostra et pariter dolemus angoribus. Weil wir auf keine Weise ohne Freundschaft eine sichere und langdauernde Zufriedenheit mit dem Leben aufrechterhalten können und auch nicht die Freundschaft selbst bewahren können, wenn wir nicht uns selbst und die Freunde in gleichem Maße lieben, deshalb wird auch das Gleiche in der Freundschaft bewirkt, und es verbindet sich die Freundschaft mit der Lust. Denn wir freuen uns über die Freude der Freunde genau so wie über die eigene, und ebenso leiden wir unter ihren Bedrückungen so wie unter den eigenen. Wie die Tugend, so bietet auch die Freundschaft Schutz im Leben. [De finibus 1, 68]. Quocirca eodem modo sapiens erit affectus erga amicum, quo in se ipsum, quosque labores propter suam voluptatem susciperet, eosdem suscipiet propter amici voluptatem. 68. Deshalb wird der Weise gegenüber dem Freund genauso gesinnt sein wie gegen sich selbst, und die Mühen, die er für seine eigene Lust übernehmen würde, wird er auch für die des Freundes übernehmen. Seite 5

Quaeque de virtutibus dicta sunt, quem ad modum eae semper voluptatibus inhaererent, eadem de amicitia dicenda sunt. Praeclare enim Epicurus his paene verbis: 'Eadem', inquit, 'scientia confirmavit animum, ne quod aut sempiternum aut diuturnum timeret malum, quae perspexit in hoc ipso vitae spatio amicitiae praesidium esse firmissimum'. Alles, was von den Tugenden gesagt worden ist und von der Art, wie sie immer mit der Lust zusammenhängen, das muss auch von der Freundschaft gesagt werden. Großartig hat dies Epikur etwa so ausgedrückt: "Derselbe Grundsatz, welcher die Seele dazu bestimmt hat, kein Übel als ein ewiges oder anhaltendes zu fürchten, lässt auch erkennen, dass während der Dauer dieses Lebens der Schutz, den die Freundschaft bietet, der festeste ist." De finibus bonorum et malorum 1, 69-70: Freundschaft und Nutzen (Epikur und die Freundschaft, Teil 3) [De finibus 1, 69] Sunt autem quidam Epicurei timidiores paulo contra vestra convicia, sed tamen satis acuti, qui verentur ne, si amicitiam propter nostram voluptatem expetendam putemus, tota amicitia quasi claudicare videatur. Es gibt aber auch manche Epikureer, die etwas verzagter gegenüber eurer Kritik sind, aber sie sind doch hinreichend scharfsinnig. Sie fürchten, dass alle Freundschaft, wenn man sie nur der eignen Lust wegen für begehrenswert hielte, gleichsam hinken würde. Itaque primos congressus copulationesque et consuetudinum instituendarum voluntates fieri propter voluptatem; cum autem usus progrediens familiaritatem effecerit, tum amorem efflorescere tantum, ut, etiamsi nulla sit utilitas ex amicitia, tamen ipsi amici propter se ipsos amentur. Daher meinen sie, dass zwar das Zusammentreten, die Verbindung und der Wille zu gemeinsamem Umgang zuerst um der eignen Lust willen erfolgt; wenn aber der fortgesetzte Umgang miteinander die Vertraulichkeit herbeigeführt habe, so erwachse daraus eine solche Liebe, dass die Freunde, auch wenn aus der Freundschaft kein Nutzen entspringt, um ihrer selbst willen geliebt werden. Etenim si loca, si fana, si urbes, si gymnasia, si campum, si canes, si equos, si ludicra exercendi aut venandi consuetudine adamare solemus, quanto id in hominum consuetudine facilius fieri poterit et iustius? Wenn wir nämlich Plätze, heilige Orte, Städte, Trainingsplätze, das Marsfeld, die Hunde, die Pferde und die Spiele durch die Gewohnheit des Trainings und des Jagens liebzugewinnen pflegen, um wie viel mehr und mit wie viel mehr Recht wird dies also auch beim Umgang mit Menschen eintreten können? De finibus 1, 70: Die dritte Verteidigung der epikureischen Freundschaftslehre: Freundschaft entspringt aus dem Bund der Weisen [De finibus 1, 70] Sunt autem, qui dicant foedus esse quoddam sapientium, ut ne minus amicos quam se ipsos diligant. Es gibt auch Epikureer, die meinen, es gebe einen Bund der Weisen, so dass sie die Freunde nicht weniger als sich selbst lieben. Seite 6

Quod et posse fieri intellegimus et saepe etiam videmus, et perspicuum est nihil ad iucunde vivendum reperiri posse, quod coniunctione tali sit aptius. Quibus ex omnibus iudicari potest non modo non impediri rationem amicitiae, si summum bonum in voluptate ponatur, sed sine hoc institutionem omnino amicitiae non posse reperiri. Wir erkennen, dass dies geschehen kann, und wir sehen es auch oft, und es ist offensichtlich, dass nichts gefunden werden kann, das für das angenehme Leben geeigneter wäre als eine solche Verbindung. Aus all diesen Dingen kann man schließen, dass das Wesen der Freundschaft nicht nur nicht leidet, wenn das höchste Gut in die Freundschaft gesetzt wird, sondern dass ohne dies die ganze Einrichtung der Freundschaft überhaupt nicht aufgefunden werden kann. Seite 7

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum : Texte mit Übersetzungen De finibus bonorum et malorum 2, 78-79: Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 4) Im zweiten Buch von De finibus kritisiert ein Gegner des Epikureismus (der mit Ciceros eigener Stimme auftritt) die im 1. Buch aufgestellten Thesen über das Verhältnis von Freundschaft und Lust. Der Angesprochene ist der Epikureer Torquatus, der im 1. Buch die Thesen Epikurs vertreten hatte. Grundtenor: Wer sich am Nutzen orientiert, kann kein echter Freund sein, denn Freundschaft entsteht aus eigenem Antrieb. Bezug auf allgemeine These über den Zusammenhang von Nutzen und Freundschaft [De finibus 1, 78]. Amicitiae vero locus ubi esse potest aut quis amicus esse cuiquam, quem non ipsum amet propter ipsum? Quid autem est amare, e quo nomen ductum amicitiae est, nisi velle bonis aliquem affici quam maximis, etiamsi ad se ex iis nihil redundet? Wo kann aber Raum für die Freundschaft sein oder wer kann mit einem anderen befreundet sein, den er nicht um seiner selbst wegen liebt? Was bedeutet es aber, jemanden zu lieben (amare), woher die Freundschaft (amicitia) ihren Namen hat, anderes, als zu wünschen, dass er mit den größtmöglichen Gütern versehen ist, auch dann, wenn für einen selbst nichts davon abfällt? 'Prodest', inquit, 'mihi eo esse animo.' Immo videri fortasse. esse enim, nisi eris, non potes. qui autem esse poteris, nisi te amor ipse ceperit? Quod non subducta utilitatis ratione effici solet, sed ipsum a se oritur et sua sponte nascitur. 'At enim sequor utilitatem.' Manebit ergo amicitia tam diu, quam diu sequetur utilitas, et, si utilitas amicitiam constituet, tollet eadem. Es nützt mir,, sagt Epikur, wenn ich diese Einstellung habe. Vielmehr nützt es vielleicht, so zu scheinen. Denn du kannst nur dann diese Einstellung haben, wenn du sie wirklich an den Tag legen wirst. Wie kannst du aber diese Einstellung haben, wenn dich nicht die Liebe selbst ergriffen hat? Dies pflegt nicht bewirkt zu werden, indem man den Gesichtspunkt des Nutzens unterschiebt, sondern es entsteht aus sich selbst und aus eigenem Antrieb. Aber ich orientiere mich am Nutzen. Die Freundschaft wird also so lange bleiben, wie auch der Nutzen folgen wird, und wenn der Nutzen die Freundschaft begründen wird, so wird er sie auch wieder aufheben. Seite 8

De finibus 2, 79: Wer sich an der Lust orientiert, wird den Freund in der Gefahr im Stich lassen (Bezug: Auf die übergeordnete These von De finibus 1, 65-70 und im Besonderen auf De finibus 1, 69: etiamsi nulla sit utilitas ; vgl. oben S. 5) [De finibus 1, 79] Sed quid ages tandem, si utilitas ab amicitia, ut fit saepe, defecerit? Relinquesne? Quae ista amicitia est? Retinebis? Qui convenit? Quid enim de amicitia statueris utilitatis causa expetenda vides. 'Ne in odium veniam, si amicum destitero tueri.' Primum cur ista res digna odio est, nisi quod est turpis? Was wirst du aber dann tun, wenn der Nutzen aus der Freundschaft, wie es oft geschieht, ausbleibt? Wirst Du sie aufgeben? Aber was ist dies für eine Freundschaft? Wirst Du sie festhalten? Wie passt dies zueinander? Du siehst ja, was Du über die Freundschaft behauptet hast, die nur des Nutzens wegen zu suchen sei. "Ich würde mich verhasst machen", sagst du, "wenn ich aufhörte, den Freund zu schützen". Aber zunächst: Weshalb ist dies denn hassenswert, wenn nicht, weil es schlecht ist. Quodsi, ne quo incommodo afficiare, non relinques amicum, tamen, ne sine fructu alligatus sis, ut moriatur optabis. Quid, si non modo utilitatem tibi nullam afferet, sed iacturae rei familiaris erunt faciendae, labores suscipiendi, adeundum vitae periculum? Ne tum quidem te respicies et cogitabis sibi quemque natum esse et suis voluptatibus? Vadem te ad mortem tyranno dabis pro amico, ut Pythagoreus ille Siculo fecit tyranno? Aber selbst, wenn du den Freund nicht verlässt, um keine Unannehmlichkeiten davon zu haben, so musst Du ihm doch den Tod wünschen, damit du nicht nutzlos an ihn gebunden seiest. Aber wenn der Freund dir nicht bloß keinen Nutzen bringen sollte, sondern du Opfer an Vermögen für ihn bringen müsstest, du Mühe auf dich nehmen und das eigne Leben auf das Spiel setzen musst? Wirst du nicht einmal dann keine Rücksicht auf dich nehmen und nicht denken, jeder sei nur für sich selbst und seine Lust geboren? Wirst du dich als Bürge für den Freund dem Tyrannen zum Tode überliefern, wie es jener Pythagoreer bei dem sizilischen Tyrannen getan hat? [Anmerkung: Gemeint ist Phintias, der sich dem sizilischen Tyrannen Dionysios I. als Bürge für seinen Freund Damon anbot. Diese Geschichte hat Friedrich Schiller in seiner Ballade 'Die Bürgschaft' gestaltet.] Seite 9

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum : Texte mit Übersetzungen De finibus bonorum et malorum 2, 80-82 (Auszüge): Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 5) Wenn Epikureer gute Freunde sein können, so zeigt das, dass sie ihre eigene Lehre nicht ernstnehmen. Cicero kritisiert hier die Aussagen des Epikureers in De finibus 1, 66 (siehe oben S. 5). [De finibus 2, 80] Faceres tu quidem, Torquate, haec omnia; nihil enim arbitror esse magna laude dignum, quod te praetermissurum credam aut mortis aut doloris metu. Non quaeritur autem, quid naturae tuae consentaneum sit, sed quid disciplinae. Ratio ista, quam defendis, praecepta, quae didicisti, quae probas, funditus evertunt amicitiam, quamvis eam Epicurus, ut facit, in caelum efferat laudibus. At coluit ipse amicitias. Quis, quaeso, illum negat et bonum virum et comem et humanum fuisse? De ingenio eius in his disputationibus, non de moribus quaeritur. Sit ista in Graecorum levitate perversitas, qui maledictis insectantur eos, a quibus de veritate dissentiunt. sed quamvis comis in amicis tuendis fuerit, tamen, si haec vera sunt nihil enim affirmo, non satis acutus fuit. Du würdest all dies freilich tun, Torquatus. Nichts Lobenswertes nämlich, meine ich, gibt es, dass du, so meine ich, aus Angst vor Tod oder Schmerz vermeiden würdest. Es geht nicht darum, was zu deinem Wesen passt, sondern was zu deiner Lehre passt. Dieser Grundsatz da, den du verteidigst, und die Lehren, die du gelernt hast und billigst, stürzen die Freundschaft völlig um, wie sehr auch Epikur sie in der Tat mit seinem Lob in den Himmel hebt. Aber er selbst hat doch Freundschaften gepflegt. Wer, bitte, bestreitet denn, dass er ein guter, umgänglicher und menschlicher Mann war? Nach seiner intellektuellen Leistung, nicht nach seinem Charakter wird in diesen Erörterungen gefragt. Es mag bei der Leichtfertigkeit der Griechen die Verkehrtheit geben, dass sie mit Verwünschungen diejenigen verfolgen, von denen sie sich in der Auffassung über die Wahrheit unterscheiden. Aber wie umgänglich er auch gewesen sein mag, wenn es darum ging, die Freunde zu schützen, dennoch, auch wenn diese Berichte wahr sind ich bestätige hier nämlich nichts dann war er nicht scharfsinnig genug. Seite 10

De finibus 2, 82: Antwort auf die zweite These der Epikureer zur Freundschaft: Freundschaft ist also doch auch ohne Lust möglich! Cicero kritisiert hier die epikureischen Argumente in De finibus 1, 65 und 1,69 [82] Illa videamus, quae a te de amicitia dicta sunt. E quibus unum mihi videbar ab ipso Epicuro dictum cognoscere, amicitiam a voluptate non posse divelli ob eamque rem colendam esse, quod, <quoniam> sine ea tuto et sine metu vivi non posset, ne iucunde quidem posset. Satis est ad hoc responsum. Attulisti aliud humanius horum recentiorum, numquam dictum ab ipso illo, quod sciam, primo utilitatis causa amicum expeti, cum autem usus accessisset, tum ipsum amari per se etiam omissa spe voluptatis. Hoc etsi multimodis reprehendi potest, tamen accipio, quod dant. Mihi enim satis est, ipsis non satis. nam aliquando posse recte fieri dicunt nulla expectata nec quaesita voluptate. Ich will erwägen, was Du über die Freundschaft gesagt hast. Eins davon glaubte ich als einen Ausspruch Epikurs selbst zu erkennen, nämlich dass die Freundschaft von der Lust nicht getrennt werden könne, und dass man sie deshalb pflegen müsse, weil man, da man ohne Freunde weder sicher noch furchtlos leben kann, nicht einmal angenehm leben könne. Darauf habe ich schon hinlänglich geantwortet. Dagegen hast Du eine menschlichere Ansicht neuerer Epikureer erwähnt, die, so viel ich weiß, Epikur selbst nie ausgesprochen hat. Danach suche man den Freund zunächst des Nutzens wegen, aber nach längerem Umgang liebe man ihn auch um seiner selbst willen, selbst wenn keine Lust davon erwartet werden könne. Wenn man eine solche Ansicht zwar auf verschiedene Weise tadeln kann, nehme ich dennoch diese Darstellung an. Denn mir genügt es, wenn auch nicht ihnen selbst. Sie sagen nämlich, man könne auch einmal richtig handeln, ohne dass dabei irgendeine Lust gesucht oder erwartet werde. De finibus 2, 80-82: 222 Wörter Seite 11

Lateinische Bibliothek des Landesbildungsservers Baden-Württemberg M. Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum : Texte mit Übersetzungen De finibus bonorum et malorum 2, 83-85: Die Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft (Epikur und die Freundschaft, Teil 6) Auch Epikurs Idee des Freundschaftsbundes beruht letztlich auf dem Nutzen. Cicero kritisiert hier die Darstellung des Epikureers Torquatus in De finibus 1, 70. [83] Posuisti etiam dicere alios foedus quoddam inter se facere sapientis, ut, quem ad modum sint in se ipsos animati, eodem modo sint erga amicos; id et fieri posse et saepe esse factum et ad voluptates percipiendas maxime pertinere. Hoc foedus facere si potuerunt, faciant etiam illud, ut aequitatem, modestiam, virtutes omnes per se ipsas gratis diligant. Auch hast du erwähnt, dass nach anderen Epikureern die Weisen eine Art Bund miteinander schließen, wonach sie ihre Freunde ebenso behandeln wollen, wie sie gegen sich selbst gesinnt seien; dies sei nicht nur möglich, sondern es sei auch oft geschehen und führe im besonderen Maße zu Lustgewinn. Wenn sie einen solchen Bund schließen konnten, so mögen sie auch jenen anderen Bund schließen, sodass sie die Billigkeit, die Mäßigkeit und alle Tugenden um ihrer selbst willen, ohne Nutzen, lieben wollen. An vero, si fructibus et emolumentis et utilitatibus amicitias colemus, si nulla caritas erit, quae faciat amicitiam ipsam sua sponte, vi sua, ex se et propter se expetendam, dubium est, quin fundos et insulas amicis anteponamus? Wenn wir aber die Freundschaft nur um der Früchte, der Vorteile und des Nutzens wegen pflegen und wenn die liebende Gesinnung dabei fehlt, welche bewirkt, dass die Freundschaft freiwillig, aus eigener Kraft, durch sich selbst und um ihrer selbst willen erstrebt wird, ist es da zweifelhaft, dass wir Landgüter und Miethäuser den Freunden vorziehen werden? De finibus 2, 84-85: Freundesliebe achtet nicht auf äußere Werte Auch für den Selbstschutz benötigen wir die Freundschaft nicht. Bezug: De finibus 1, 68. In 2, 85 zieht Cicero ein abschließendes Resümee. [De finibus 2, 84] Licet hic rursus ea commemores, quae optimis verbis ab Epicuro de laude amicitiae dicta sunt. Non quaero, quid dicat, sed quid convenienter possit rationi et sententiae suae dicere. 'Utilitatis causa amicitia est quaesita.' Du solltest dich auch hier wieder an das erinnern, was von Epikur mit vortrefflichen Worte zum Preis der Freundschaft gesagt wurde. Ich frage nicht, was er sagt, sondern was sich mit seiner Lehre verträgt. Er lässt die Freundschaft des Nutzens wegen suchen. Seite 12

Num igitur utiliorem tibi hunc Triarium putas esse posse, quam si tua sint Puteolis granaria? Collige omnia, quae soletis: 'Praesidium amicorum.' Satis est tibi in te, satis in legibus, satis in mediocribus amicitiis praesidii. Iam contemni non poteris. Odium autem et invidiam facile vitabis. Ad eas enim res ab Epicuro praecepta dantur. 85. Vides igitur, si amicitiam sua caritate metiare, nihil esse praestantius, sin emolumento, summas familiaritates praediorum fructuosorum mercede superari. Me igitur ipsum ames oportet, non mea, si veri amici futuri sumus. Aber meinst du, unser Triarius hier werde dir so nützlich sein können, als die Kornspeicher von Puteoli, wenn sie dein wären? Suche alles zusammen, was ihr hier zu sagen pflegt; also auch den Schutz durch die Freunde. Du hast aber schon an dir selbst, an den Gesetzen und an den gewöhnlichen Freundschaften Schutz genug. Dies wird genügen, dich gegen Verachtung zu schützen. Dabei wirst Du Hass und Neid gegen dich leicht vermeiden können. Dafür nämlich werden von Epikur die Vorschriften gegeben. Du siehst also, wenn du die Freundschaft nach der Freundesliebe misst, dann gibt es nichts Größeres, wenn aber nach dem Gewinn, dann werden die besten Freundschaften vom Gewinn aus ertragreichen Landgütern übertroffen. Du sollst also mich selbst lieben, nicht meinen Besitz, wenn wir echte Freunde bleiben sollen. Seite 13