Yehudi Menuhin Eine Sendereihe zum 100. Geburtstag Von Michael Struck-Schloen



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Transkript:

Sonntag, 21. Februar 2016 15.04 17.00 Uhr Yehudi Menuhin Eine Sendereihe zum 100. Geburtstag Von Michael Struck-Schloen 8. Folge: Akustischer Schnappschuss und Jahrhundertaufnahme Bis heute gibt es Interpreten, die von der technischen Verbreitung von Musik nicht viel halten. Yehudi Menuhin gehörte nicht zu ihnen. Für ihn war die Erfindung der Schallplatte ein Meilenstein des technischen Zeitalters, aus dessen Bauch er selbst gekrochen war. Und deshalb hat er diese Errungenschaft nicht ignoriert, sondern für sich genutzt sieben Jahrzehnte, so lange wie kaum ein anderer Künstler. Akustischer Schnappschuss und Jahrhundertaufnahme Yehudi Menuhin vor dem Mikrofon. Zur 8. Folge unserer Hommage an den Geiger herzlich willkommen. MUSIK 1 2641802 CD 49 Track 15 Ottokar Nováček Perpetuum mobile op. 5 Nr. 4 Hubert Giesen, Klavier (Aufn. 1930) 2 35 Yehudi Menuhin spielte das Perpetuum mobile vom Böhmen Ottokar Nováček eines der wichtigsten Stücke im Warenlager des Violinvirtuosen, wie es Menuhin einmal formulierte. Der technisch eher unterforderte Pianist in dieser Aufnahme vom Dezember 1930 war der Deutsche Hubert Giesen, der Yehudi zwei Spielzeiten lang auf seinen Konzertreisen begleitete. Die Einspielung des Perpetuum mobile mit Hupsie Giesen, wie man ihn in der Familie Menuhin nannte, war keineswegs die Plattenpremiere des jungen Wundergeigers. Seit 1928 hatte er im Studio gestanden, damals war er noch nicht einmal zwölf Jahre alt und seine letzte Aufnahme machte er 71 Jahre später, kurz vor seinem Tod. ZITAT (0 11) Es sagt etwas aus über unsere Zeit ich meine das Geigenspiel. [Yehudi Menuhin: Zum 25. Jahrestag der IFPI (1958), in: Variationen. Betrachtungen zu Musik und Zeit, München/Zürich: Piper 1979, S. 70] Schrieb Menuhin 1958, zum Jubiläum des Weltverbands der Phonoindustrie. Im Gegensatz zu Musikerkollegen wie dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler oder dem Pianisten Artur Schnabel, die sich mit der Verplattung von Musik, wie es Schnabel bissig nannte, nie anfreunden konnten, lobte Menuhin die Vorteile der massenhaften Reproduktion. Sie brachte ihm schon in der Jugend gute Honorare und Tantiemen ein. Aber die Platte stieß auch eine Veränderung des Hörens und Spielens an. Ulrich Noethen liest aus Menuhins Überlegungen.

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 2 von 11 ZITAT (1 22) Wie viele Jahrtausende was richtig schien. [Yehudi Menuhin: Zum 25. Jahrestag der IFPI (1958), in: Variationen. Betrachtungen zu Musik und Zeit, München/Zürich: Piper 1979, S. 70f.] Die Schallplatte als Ansporn zur Perfektionierung des eigenen Spiels, das nun den Erwartungen einer globalen Hörer- und Käuferschaft standhalten musste. Mit dieser Ansicht erwies sich Menuhin als Kind eines Zeitalters, das im technischen Fortschritt auch eine goldene Zukunft für die Kunst sah. Und wenn die geigerische Perfektion des vierzehnjährigen Menuhin in Nováčeks Perpetuum mobile kaum zu überbieten war auch nicht durch die gestandenen Konkurrenten der Zeit, so konnte Menuhin in Neuauflagen seines Zugstücks doch neue interpretatorische Nuancen anbringen. Seine Aufnahme von 1956 mit dem Pianisten Gerald Moore ist geigentechnisch weniger poliert, dafür spontaner, wilder, diabolischer. Hier klingt Nováček mehr nach Paganini als nach böhmischem Kaffeehaus. MUSIK 2 2641582 CD 27 Track 9 Ottokar Nováček Perpetuum mobile op. 5 Nr. 4 Gerald Moore, Klavier (Aufn. 1956) 2 41 Menuhin mit seiner Einspielung von Ottokar Nováčeks Perpetuum mobile aus dem Jahr 1956 mit dem englischen Klavierbegleiter Gerald Moore eine blutrot beleuchtete Szene für einen Teufelsgeiger, die beweist, dass auch der vierzigjährige Menuhin nichts von seiner unmittelbaren Wirkung eingebüßt hat. Es war die fünfte und letzte Studioaufnahme dieser Virtuosenpièce, die im Jahr 1956 eigentlich schon zum Repertoire einer untergegangenen Generation gehörte: der Generation der Virtuosen, die sich mit Lust und Besessenheit produzierten und dabei auch minderwertige Musik in große Kunst verzaubern konnten. Für eine Konzertlänge öffneten sie das Fenster zum Wunderbaren und Unglaublichen, das sich aus den Kontoren und Wohnstuben der Bürger längst verflüchtigt hatte. Yehudi Menuhin verkörperte das Wunderbare durch sein zartes Alter, in dem er musikalische Dinge vollbrachte, die man in dieser Reife und mit diesem Raffinement eigentlich nur Erwachsenen zutraute. Und weil das Wunderkind zum Erstaunen seiner Musikerkollegen dabei nicht wie ein dressierte Affe wirkte, sondern wie ein vollendeter Künstler, konnte es sich Menuhin leisten, schon in jungen Jahren nicht nur die flinken Petitessen, sondern auch anspruchsvolle Werke im Studio aufzunehmen: Solostücke von Bach, Sonaten von Beethoven und Schumann, Konzerte von Mozart, Mendelssohn oder Max Bruch. Das erste Violinkonzert g-moll von Bruch gehörte zusammen mit den Konzerten von Beethoven und Mendelssohn und dem Doppelkonzert von Bach zu den Solowerken mit Orchester, die Menuhin im Laufe seines Lebens immer wieder überdacht und neu eingespielt hat. Wobei wir hier keineswegs die oft zu lesende Auffassung nachbeten wollen, dass die frühen Menuhin-Aufnahmen den späteren vorzuziehen seien. Das Medium Schallplatte, das der Geiger so früh so virtuos bedient hat, macht es möglich, die ganz individuellen Qualitäten des frühen und des späten Menuhin zu beurteilen. Im November 1931, während einer Herbsttournee durch Europa, hat er das g- Moll-Konzert von Max Bruch erstmals in London aufgenommen es war überhaupt sein erstes Violinkonzert, das er mit Orchester eingespielt hat. Der Dirigent Landon Ronald selbst ein Schallplattenpionier, der als feinfühliger Begleiter bei Solokonzerten berühmt war leitete das London Symphony Orchestra. Und es ist verblüffend, wie das Orchester

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 3 von 11 den Solisten in seiner Klangrede stützt, wie es ihm antwortet, dabei geschmeidig im Fluss bleibt und sich gelegentlich zu feurigen Zwischenspielen aufschwingt. (Geschnitten aus Zeitgründen: In dieser intelligenten Begleitung findet der fünfzehnjährige Menuhin seinen Resonanzkörper. Die Geigen-Rezitative am Beginn öffnen einen Kosmos an Farben und Intensität; das Hauptthema über den pochenden Orchesterbässen wirkt kraftvoll und energisch, das lyrische Thema auf verzückende Weise schmelzend. Menuhin singt auf seiner Stradivari, ohne sentimental zu werden alles strahlt und glänzt, wirkt nobel und selbstsicher.) MUSIK 3 Naxos LC 05537 8.110902 Track 1 Max Bruch Violinkonzert Nr. 1 g-moll op. 26 1) Introduktion. Allegro moderato London Symphony Orchestra Leitung: Landon Ronald (Aufn. 1931) 7 35 Der erste Satz des Violinkonzerts g-moll op. 26 von Max Bruch in einer herrlichen Aufnahme mit dem fünfzehnjährigen Yehudi Menuhin und dem London Symphony Orchestra; der Dirigent war Landon Ronald. Im November 1931 entstand diese Einspielung in der Londoner Queen s Hall vierzig Jahre später machte sich Menuhin noch einmal an das Bruch-Konzert, das mit seinen unmittelbar verbundenen Sätzen und der großen Geste in jedem Thema wie ein Tongemälde mit Sologeige erscheint. In seiner ersten Aufnahme hat Menuhin vor allem den freien, fantastischen Charakter des Werks betont, wobei er selbst als der leidende oder jubelnde Held eines romantischen Liebes- und Abenteuerromans auftrat. Hinzu kommt, dass der knisternde, verhangene Klang der alten Schelllackplatten trotz aller digitalen Restaurierungskünste genau das produziert, was Walter Benjamin die Aura des Kunstwerks genannt hat eine Aura, die er im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit gefährdet sah. In seiner fünften und letzten Aufnahme des g-moll-konzerts von 1971 nimmt der gereifte Menuhin eine ganz andere Haltung ein. Hier ist er nicht mehr der Held, sondern ein Beobachter von Bruchs musikalischen Szenerien und Kulissen, an denen er wie auf einem Filmset entlanggeht. Besonders deutlich wird das im zweiten Satz: Menuhins Violinton hat nichts an Leuchtkraft eingebüßt, aber er wirkt weniger groß, sondern durchsichtiger, fast transzendent und irgendwie nicht von dieser Welt. Die Zeit steht still in diesem Adagio, das klingt wie ein Abgesang auf die Zeit und die Welt. Wieder spielt das London Symphony Orchestra, diesmal unter der Leitung von Adrian Boult. MUSIK 4 2641422 CD 11 Track 6 Max Bruch Violinkonzert Nr. 1 g-moll op. 26 2) Adagio London Symphony Orchestra Leitung: Adrian Boult (Aufn. 1971) 8 31 Yehudi Menuhin spielte das Adagio aus dem ersten Violinkonzert g-moll von Max Bruch als 55-Jähriger: verinnerlicht und mit fast immateriellem Ton. Sir Adrian Boult begleitete mit dem London Symphony Orchestra in einer Aufnahme aus der Londoner Kingsway Hall, einem der bevorzugten Aufnahmesäle der.

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 4 von 11 Menuhins Aufnahmetätigkeit für Schallplatte und CD ist heute im Kulturradio vom rbb das Thema innerhalb unserer Hommage an den vielleicht größten Geiger des 20. Jahrhunderts. In jedem Fall war er einer, der weder die Studioatmosphäre noch die Hartnäckigkeit der Tontechniker und Plattenmanager fürchtete. Fast siebzig Jahr lang hatte Menuhin einen Vertrag mit der in London. Seine ersten Aufnahmen aber machte er 1928/29 für die amerikanische Victor Talking Machine Company damals der größte Schallplattenkonzern der Welt, der sich in den USA mit dem Label His Master s Voice schmücken durfte, das in England die Grammophone Company verwertete. Da drehte sich also der berühmte Hund Nipper vor dem Grammophontrichter mit der Stimme seines Herrn auch auf Aufnahmen vom zwölfjährigen Yehudi Menuhin. Sein Vater hatte einen Vertrag mit der Plattenfirma geschlossen, Yehudi übte fleißig und nahm am 15. März 1928 mit nicht einmal zwölf Jahren die ersten vier Violinstückchen seines Lebens auf natürlich in der modernen elektrischen Aufnahmetechnik mit Mikrofonen. Ulrich Noethen liest aus den Erinnerungen des Geigers. ZITAT (0 37) Die moderne Aufnahmetechnik Robinson Caruso umgetauft wurde. [Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper 1997, S. 101f.] MUSIK 5 Biddulph LC 05759 LAB 031 Track 2 Joseph-Hector Fiocco Pièces de clavecin op. 1 Nr. 1 Allegro Louis Persinger, Klavier (Aufn. 1928) 2 40 Ein Allegro aus den Cembalosuiten op. 1 vom belgischen Barockmeister Joseph-Hector Fiocco im Arrangement für Geige und Klavier ein beliebtes Salon- und Zugabenstück, weshalb es der junge Yehudi Menuhin auf seiner allerersten Plattenaufnahme spielte. Begleitet wurde er im März 1928 von seinem damaligen Geigenlehrer Louis Persinger, der auch ein begabter Pianist war. ZITAT (0 09) Fast fünfzig Jahre war es sehr aufregend, nicht nur für mich. [Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper 1997, S. 101f.] Schreibt Yehudi Menuhin in seinen Lebenserinnerungen Unvollendete Reise, die 1976 zu seinem 60. Geburtstag erschienen. Aufregend war vor allem die Tatsache, dass der junge Geiger zunächst nicht in das Hauptquartier von Victor in Camden bei Philadelphia fuhr, sondern dass die Tontechniker von der Ostküste quer durch die USA nach Oakland an der Bucht von San Francisco reisten. ZITAT (0 52) In Oakland wurde eine Kirche gemietet Leben und Technik. [Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper 1997, S. 102] Unter den Werken, die Menuhin Anfang 1929 in Camden aufnahm, war ein herzzerreißendes Stück vom Schweizer Ernest Bloch, der in San Francisco arbeite und sich

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 5 von 11 mit der Familie Menuhin angefreundet hatte. Nigun, was so viel heißt wie Improvisation, war die zweite Nummer aus dem Zyklus Baal Shem, den Bloch im Andenken an seine Mutter komponiert hatte eine Reihe von Klagegesängen, in denen der Komponist, wie er einmal schrieb, die komplexe, brennende, aufgewühlte jüdische Seele darstellte, wie ich sie in der Bibel erkenne. Dieses Stück sollte im Laufe dieses Jahres 1929 noch eine Rolle spielen. Menuhin setzte es bei einer Konzertreise durch Deutschland in München aufs Programm: einer Stadt, die von Hitler zum Zentrum der nationalsozialistischen Bewegung aufgebaut wurde und auch sonst nicht für ihre judenfreundliche Haltung bekannt war. Der örtliche Konzertveranstalter beschwor Menuhin, Nigun mit Rücksicht auf das politische Klima in München vom Programm zu nehmen, doch der Geiger ließ es darauf ankommen und spielte, wie sein Vater berichtete, mit besonderer Inbrunst. Der Effekt beim Publikum gab ihm Recht: mit stehenden Ovationen wurde eine Zugabe verlangt. Nicht nur durch seinen Vornamen Yehudi auf Deutsch: der Jude war Menuhin eine offene Provokation für die erstarkenden Antisemiten in Deutschland. Auch als Person bezog er zunehmend furchtlos Stellung gegen Diskriminierung und Diffamierung seiner Religion. MUSIK 6 Biddulph LC 05759 LAB 031 Track 11 Ernest Bloch Baal Shem 2) Nigun Louis Persinger, Klavier (Aufn. 1929) 6 15 Nigun, eine hochexpressive Nummer aus Baal Shem Bilder aus dem chassidischen Leben von Ernest Bloch. Anfang 1929 hat Yehudi Menuhin dieses Stück eingespielt sicher auch als Hommage an die Herkunft seines russischen Vaters Moshe Mnuchin, der in der Welt der chassidischen Juden groß geworden war. Wenig später, im November 1929, unterzeichnete Yehudi den wohl folgenreichsten Plattenvertrag in der Geschichte des englischen Labels His Masters Voice, das wenig später in den Electric and Musical Industries, kurz, aufgehen sollte. Fortan stand Menuhin in Kontakt mit dem einflussreichen künstlerischen Leiter des Labels, dem deutschstämmigen, in Washington geborenen Fred Gaisberg. Mit den ersten Plattenaufnahmen von Enrico Caruso hatte Gaisberg die Weltkarriere des Tenors beschleunigt; und auch Menuhin durfte auf den Ideenreichtum und den Geschäftsgeist von Gaisberg zählen. Schon die ersten Aufnahmen zeigten, dass die Schellackplatte trotz ihrer begrenzten Laufzeit von etwa vier Minuten pro Seite für Gaisberg nicht nur ein Medium für Virtuosen- und Salonstücke bleiben sollte. Erstmals in der Geschichte der Schallplatte spielte Menuhin im Londoner Aufnahmestudio die anspruchsvolle Solosonate C-Dur von Johann Sebastian Bach komplett ein, außerdem die erste Violinsonate D-Dur von Beethoven und den langsamen Satz aus einer Mozarts Sonate, beide mit seinem damaligen Klavierpartner Hubert Giesen. Dreieinhalb Jahre später regte Gaisberg ein nicht weniger aufsehenerregendes, künstlerisch noch fruchtbareres Plattendebüt an: Menuhins ersten Duoauftritt mit seiner Schwester Hephzibah, die sich zu einer fabelhaften Pianistin entwickelt hatte. Und wie Hephzibah mit ihren dreizehn Jahren das Presto aus Mozarts A-Dur-Sonate KV 526 über die Tasten jagt, wie sie lyrische Gedanken mit der größten Delikatesse gestaltet und ihrem Bruder dabei übrigens ganz im Sinne des Komponisten nur die zweite Rolle übrig bleibt: dies alles gab Anlass zu den schönsten Hoffnungen auf eine sensationelle Karriere.

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 6 von 11 MUSIK 7 264169 CD 38 Track 6 Wolfgang Amadeus Mozart Violinsonate A-Dur KV 526 3) Presto Hephzibah Menuhin, Klavier (Aufn. 1933) 6 13 Yehudi Menuhin auf Schallplatten das ist heute unser Thema in der Reihe über den Geiger im Kulturradio vom rbb. Am Mikrofon ist Michael Struck-Schloen, und Sie können das Manuskript dieser und aller bisher gelaufenen Sendungen samt Musikangaben im Internet lesen unter der bekannten Adresse kulturradio.de. Das mit Effet servierte, aber keineswegs verhetzte, sondern immer glasklare und schwungvolle Stück Musik, das Sie eben hörten, war das Finale von Wolfgang Amadeus Mozarts Violinsonate A-Dur KV 526 gespielt von Hephzibah und Yehudi Menuhin. Es war die Debütplatte des Duos, das man immer als seelenverwandt bezeichnet hat aufgenommen im September 1933 in der Pariser Salle Pleyel, einem der akustisch beglückendsten Säle der französischen Hauptstadt. Und so wie einst die Tontechniker des Victor-Labels mit dem Wagen quer durch die Vereinigten Staaten gefahren waren, um Menuhin auf Schellack zu bannen, so überquerten jetzt der -Produzent Fred Gaisberg und sein Team mit ihren sperrigen Aufnahmegeräten den Ärmelkanal. Ziemlich oft haben sie sich bis zum Jahr 1938 dieser Strapaze unterzogen, um Menuhin mit seinen Klavierpartnern oder aber mit französischen Orchestern unter Leitung von Pierre Monteux oder George Enescu aufzunehmen. Für die vielleicht legendärste Plattenaufnahme von Menuhin konnten Gaisberg und seine Leute allerdings in London bleiben und die Mikrofone im neuen großen Studio der in der Abbey Road aufbauen, das im November 1931 eröffnet worden war. Seit Jahren hatte Gaisberg sich bemüht, das Violinkonzert von Edward Elgar aufzunehmen. Es war für den Solisten Fritz Kreisler komponiert worden, der es im Jahr 1910 aus der Taufe gehoben hatte, unter Leitung des Komponisten. Diese Konstellation sollte auf Platten gebannt werden, aber Kreisler wimmelte immer wieder ab: Er hielt Elgar zwar für den größten lebenden Komponisten, nicht aber für den größten Dirigenten. Yehudi Menuhin hat später in einem englischen Interview die legendäre Sparsamkeit von Elgars Dirigieranweisungen positiv gedeutet Fazit: ein eingespieltes Ensemble wie das London Symphony Orchestra benötige kein theatralisches Getue, sondern komme mit der natürlichen Autorität des Komponisten bestens zurecht. O-TON Yehudi Menuhin (0 24) I have never seen a man do so little standing in front of an orchestra. Because he never did anything that was unnescessary, and the orchestra felt with him. And he didn t have to go to any histrionics, and he just stood there, apparently moved his hands from time to time, and they played beautiful. [The life of Menuhin in his own words. A conversation with John Tolansky (1995) 2661162, LV 06646] Weil Fritz Kreisler von dieser Einstellung nicht so viel hielt, musste Gaisberg miterleben, wie ihm die erste Gesamtaufnahme des Konzerts im neuen elektrischen Verfahren vom Konkurrenzunternehmen Columbia weggeschnappt wurde. Der britische Geiger Albert Sammons spielte mit dem New Queen s Hall Orchestra unter Leitung von Henry Wood: eine unerhört temperamentvolle, brillante, unpathetische Interpretation. Hier ist Elgars Konzert nicht ein Forum für große Gefühlsentladungen, sondern für feine Farben und ein klares Formgefühl. Hören wir den Beginn des Finales mit dem Solisten Albert Sammons in der Columbia-Aufnahme von 1929.

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 7 von 11 MUSIK 8 Naxos LC 05537 8.110951 Track 6 Edward Elgar Violinkonzert h-moll op. 61 3) Allegro molto (Beginn) Albert Sammons, Violine New Queen s Hall Orchestra Leitung: Henry Wood (Aufn. 1929) 3 00 Das Finale des Violinkonzerts op. 61 von Edward Elgar gespielt in der ersten elektrischen Gesamtaufnahme vom Geiger Albert Sammons unter Leitung von Henry Wood. Sammons legt hier ein ziemlich rasantes Tempo vor, das die technischen Schwierigkeiten des Werks deutlich macht Schwierigkeiten, die Sammons mit einigen Schweißtropfen, aber doch erstaunlich souverän meistert. Trotz dieser gelungenen Aufnahme ließ der -Produzent Fred Gaisberg nicht von seiner Idee ab, das Konzert unter der Leitung des Komponisten einzuspielen. Da sich der Widmungsträger Fritz Kreisler immer noch spröde zeigte, verfiel Gaisberg auf den jüngsten Künstler, der bei der unter Vertrag war: den sechzehnjährigen Yehudi Menuhin. Er hatte noch nie eine Note von Elgar gespielt, sagte aber begeistert zu, studierte das riesenhafte Werk in kurzer Zeit ein und ging es in Paris mit seinem Lehrer George Enescu durch. Im Juli 1932 war es soweit: In Dover wurden Yehudi und sein Vater vom englischen Manager in einem prachtvollen Rolls-Royce abgeholt und im eleganten Grosvenor House in London einquartiert; am nächsten Tag traf sich Menuhin mit dem englischen Pianisten Ivor Newton, bevor beide dem 75-jährigen Sir Edward gegenübertraten. ZITAT (1 02) Einen solchen Komponisten und gingen uns London ansehen. [Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper 1997, S. 131f.] Oft hat Menuhin seine erste Begegnung mit Elgar so erzählt. Man nahm sie ihm ab, weil sie Elgar als very British porträtiert tatsächlich hatte der Komponist in England jahrelang mit dem Makel zu kämpfen, dass er vom Lande stammte und eher als emporgekommener Gutsbesitzer denn als Gentleman wahrgenommen wurde. Dann kamen die Proben. ZITAT(1 00) Wir konnten uns getrost höflichen Kampf mit politischer Opposition. [Yehudi Menuhin: Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen (1976), München/Zürich: Piper 1997, S. 132] Am 15. Juli 1932 war die Jahrhundertaufnahme des Elgar-Konzerts im Kasten, dank der Gelassenheit des Dirigenten und des jugendlichen Genies des Solisten. Das London Symphony Orchestra fraß Elgar aus der Hand. Der Vergleich des Konzertfinales mit der eben gehörten Aufnahme von Albert Sammons zeigt einen anderen Beginn: Menuhin lässt sich mit den Läufen Zeit, jede Note wirkt akkurat gestichelt, der Orchesterapparat braucht einige Zeit, um in Schwung zu kommen. Dann kommt der Moment der Enthüllung des Heiligtums: im zweiten, gesanglichen Thema entfaltet Menuhin die ganze Süße seines Tones, die virtuosen Verzierungen serviert er geschmeidig und galant, jetzt besitzt der Satz die wünschenswerte Betriebstemperatur : der Wechsel aus paganini-haften Eskapaden und

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 8 von 11 Elgarscher Schwermut wirkt wie aus einem Guss, Menuhins Esprit reißt alles mit bis zur großen Kadenz, die den Satz zerschneidet. Noch einmal glänzt hier der Geiger mit den wichtigsten Motiven des Konzerts darunter das aus dem ersten Satz, über das Elgar später in der Partitur die Silben Ye hu di Me nu hin notierte. Hören Sie das Finale des Violinkonzerts h-moll; Yehudi Menuhin wird begleitet vom London Symphony Orchestra unter Stabführung des Komponisten Sir Edward Elgar. MUSIK 9 2641542 CD 23 Track 3-4 Edward Elgar Violinkonzert h-moll op. 61 3) Allegro molto Cadenza Allegro molto London Symphony Orchestra Leitung: Edward Elgar (Aufn. 1932) 19 19 Das Finale des Violinkonzerts h-moll op. 61 von Edward Elgar in der wohl berühmtesten Aufnahme des Werks von 1932. Der sechzehnjährige Yehudi Menuhin wurde begleitet vom London Symphony Orchestra unter der Leitung des Komponisten. Sie hören kulturradio vom rbb mit der 8. Folge einer Hommage an den Geiger Yehudi Menuhin; im Studio ist Michael Struck-Schloen. Akustischer Schnappschuss und Jahrhundertaufnahme habe ich diesen Streifzug durch Yehudi Menuhins Arbeit im Aufnahmestudio genannt. Über 300 Einspielungen soll er im Laufe seiner mehr als siebzigjährigen Arbeit für Rundfunk und Schallplatte gemacht haben so viel wie kaum ein anderer Künstler der so genannten ernsten Musik. Muss man die erste Studio-Einspielung von Elgars Violinkonzert eine zweite folgte in den sechziger Jahren zweifellos als Jahrhundertaufnahme bezeichnen, so ist die folgende Kammermusik von Johann Sebastian Bach eher ein akustischer Schnappschuss der barocken Aufführungspraxis in den 1940er Jahren. Im Dezember 1944 traf sich Menuhin in New York mit der polnischen Cembalistin Wanda Landowska, um Johann Sebastian Bachs Sonate E-Dur für Violine und obligates Cembalo aufzunehmen. Seit dem Beginn des Jahrhunderts gab Landowska öffentliche Konzerte auf dem Cembalo, wobei sie auch den Neubau kraftvoller, farbenreicher Instrumente inspirierte. Später leitete sie eine Cembaloklasse an der Berliner Musikhochschule und verwirklichte seit Mitte der zwanziger Jahre ihre Vision einer Schule für Alte Musik. Doch der Musenhort im Norden von Paris währte nicht lange: Als Hitlers Truppen 1940 die französische Hauptstadt einnahmen, wurden Landowskas Bibliothek und ihre kostbare Instrumentensammlung konfisziert und nach Deutschland verschleppt; die jüdische Musikerin floh nach Südfrankreich und schließlich in die USA. Hier traf sie Yehudi Menuhin als Wiedergängerin aus einer versunkenen Welt. O-TON Yehudi Menuhin (0 48) Wanda Landowska, sie hat sich so in dieses 17. Jahrhundert vertieft, dass ihr ganzes Benehmen nicht nur, als sie beim Cembalo saß und spielte, sondern überhaupt, ihre Art des Sprechens, ich glaube sogar, [ ] sie würde lieber wahrscheinlich in einer Postkutsche reisen als in einem Wagen. Irgendwie wollte sie alles ablehnen, das nicht mit ihrem Jahrhundert zu tun hat. [ ] Obwohl sie in New York wohnte: wenn man in ihr Appartement hineintrat und wie ich mit ihr sehr oft gearbeitet habe die Bach-Sonaten, die wir gespielt haben : es war wirklich eine andere Welt. [Gespräch mit Peter Csobádi, SFB 1966]

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 9 von 11 MUSIK 10 Naxos LC 05537 8.110964 Track 16 Johann Sebastian Bach Violinsonate E-Dur BWV 1016 2) Allegro Wanda Landowska, Cembalo (Aufn. 1944) WDR: 6162341104 3 34 Yehudi Menuhin im Duo mit Wanda Landowska, der Grande Dame des Cembalospiels im frühen 20. Jahrhundert. (Geschnitten aus Zeitgründen: Eine Aufnahme von Menuhins alter Plattenfirma RCA Victor aus New York, wohin die polnische Jüdin Landowska nach ihrer Vertreibung aus Frankreich durch die Nazis geflohen war. Und sicher war die Tatsache ihrer Emigration auch ein Grund, dass sich Menuhin mit der weltbekannten Künstlerin im Zeichen Bachs solidarisierte.) Menuhin hat die sechs begleiteten Violinsonaten von Bach zweimal komplett für die Schallplatte aufgenommen: das erste Mal mit seinem Klavierpartner und Schwager Louis Kentner, das zweite Mal wiederum mit einem Cembalisten: dem von Menuhin sehr geschätzten George Malcolm. Er gehörte zu den Stützen der barocken Programme beim Musikfestival im südostenglischen Bath, das Menuhin 1959 als künstlerischer Leiter übernahm. Die hat die Werke und Musikerkonstellationen des Bath Festival in zahlreichen Plattenprojekten weidlich ausgebeutet. Der Name Menuhin sollte nicht nur den für die Plattenkäufer kostspieligen Übergang vom Mono- zum Stereo-Zeitalter schmackhaft machen. Hier wurde unter Mitwirkung von Musikwissenschaftlern auch mit der Mikrofonierung experimentiert, um bei Werken von Händel oder Bach eine möglichst originalgetreue Klangbalance zu erreichen. Besonders heikel war sie im zweiten Brandenburgischen Konzert von Bach, das im Sommer 1959 in den Abbey Road Studios aufgenommen wurde. Normalerweise nämlich pflegte die moderne Trompete die übrigen Soloinstrumente Geige, Oboe und Blockflöte gnadenlos zu übertönen. In der -Aufnahme ist die Trompete immer noch deutlich zu hören, sie wurde aber in der Klangdisposition etwas mehr im Hintergrund platziert, so dass die Präsenz der zarteren Instrumente nicht gefährdet war. Im Übrigen gelingt dem Bath Festival Orchestra unter Menuhins Leitung eine federnd-elegante Lesart, die damals den meisten Aufnahmen vom Kontinent überlegen war. Solisten sind Christopher Taylor (Blockflöte), Janet Craxton (Oboe), Dennis Clift (Trompete) und Yehudi Menuhin (Violine). MUSIK 11 2641322 CD 1 Track 1 Johann Sebastian Bach Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047 1) Allegro Christopher Taylor, Blockflöte Janet Craxton, Oboe Dennis Clift, Trompete Bath Festival Orchestra Leitung: Yehudi Menuhin (Aufn. 1956) 5 01

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 10 von 11 [beide Musiken leicht verblenden] MUSIK 12 Trad. Prabhati LC 00542 749070-2 Ravi Shankar, Sitar Track 1 Alla Rakha, Tabla (Aufn. 1966) 4 02 Zwei Aufnahmen von Yehudi Menuhin, die im Abstand von nur wenigen Jahren entstanden: das 2. Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach und der Raga Prabhati, den der Geiger zusammen mit zwei indischen Musikern gespielt hat Vielleicht war es keine Jahrhundertaufnahme aber als das Album West Meets East im Jahr 1967 erschien, war das eine Sensation auf dem Plattenmarkt: eine Begegnung zwischen einem indischen Musiker, den damals nur Experten kannten, und einem weltberühmten Geiger, der der indischen Philosophie und Lebensart seine eigene körperlich-seelische Erneuerung verdankte. Yehudi Menuhin spielte zusammen mit Ravi Shankar an der Sitar und Alla Rakha an der Tabla. Unsere letzte Aufnahme mit Yehudi Menuhin wurde nicht im Plattenstudio produziert, sondern im großen Sendesaal des Senders Freies Berlin, dem heutigen rbb, in der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg. Es war ein historisches Konzert: Man schrieb den 18. Dezember 1989, nach 28 Jahren war die Berliner Mauer wieder durchlässig, die deutsche Teilung schien quasi über Nacht Geschichte geworden. Yehudi Menuhin hatte Michail Gorbatschows Bemühungen um die Perestroika in der Sowjetunion aufmerksam verfolgt und hatte im Januar 1989 wieder in der Dresdner Semperoper dirigiert, wo er 60 Jahre zuvor als Wunderkind konzertiert hatte. Und es verstand sich fast von selbst, dass sich der Friedensaktivist Sir Yehudi nun auch für die friedliche Verständigung von Westund Ostdeutschland einsetzen würde Für den 18. und 19. Dezember 1989 wurden zwei Konzerte mit der Staatskapelle Berlin arrangiert eines im Sendesaal des SFB im Westen Berlins, das andere im Stammhaus des Orchesters im Osten, der Staatsoper Unter den Linden. Womit Menuhin, wie er im Interview sagte, die Einheit der Deutschen betonen wollte. O-TON Yehudi Menuhin (0 40) Dieses Mal handelte es sich eigentlich nur um ein Volk. Und ein Volk, das gelitten hat durch diese Nachkriegsteilung, ist es einfach zusammengekommen, und das Andere ist so verschwunden. Das ist dank Gorbatschow, ich muss das sagen. [ ] Symbolisch bedeutet es, dass es keine Grenzen geben sollte, dass es keinen Krieg geben sollte, aber hauptsächlich sollte es bedeuten, dass wir gute Gesinnung haben, dass wir gut denken, auch von Menschen, die früher unsere Feinde waren. [Gespräch mit Klaus Lang, SFB 18. Dez. 1989] Auf dem Programm des ersten Konzerts der Berliner Staatskapelle in Westberlin nach Kriegsende standen Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven. Und natürlich war Beethovens Ouvertüre aus der Bühnenmusik zum Freiheitsdrama Egmont von Johann Wolfgang Goethe mit Bedacht gewählt. Denn die Musik zeichnet plastisch das Leid eines unterdrückten Volkes nach bei Goethe waren es die Flamen unter der spanischen Knute, um zuletzt in eine jubelnde Siegessinfonie auszubrechen. Yehudi Menuhin dirigiert die Staatskapelle Berlin.

Yehudi Menuhin 8. Folge Seite 11 von 11 MUSIK 13 Eigenprod. rbb Ludwig van Beethoven Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel Egmont op. 84 Staatskapelle Berlin Leitung: Yehudi Menuhin (Aufn. 1989) 10 15 Mit einer Siegessinfonie endet die Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel Egmont op. 84 von Ludwig van Beethoven. Am 18. Dezember 1989, gut fünf Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, als dieses Konzert im Großen Sendesaal des Senders Freies Berlin mitgeschnitten wurde, ist Beethovens Freiheitsmusik sicher verstanden worden. Yehudi Menuhin dirigierte die ehemals in Ostberlin ansässige Staatskapelle Berlin. Sie hörten die 8. Folge unserer Sendereihe zu Yehudi Menuhin die Manuskripte der bisher gelaufenen Folgen finden Sie auf unserer Website unter kulturradio.de. Und beim nächsten Mal geht es um die Freuden und die Strapazen des reisenden Virtuosen Yehudi Menuhin. Würde mich freuen, wenn Sie dann wieder dabei sind einen interessanten Radioabend wünscht Ihnen Michael Struck-Schloen.