5. Sonntag der Osterzeit (A): Joh 14,1-12



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Transkript:

5. Sonntag der Osterzeit (A): Joh 14,1-12 Kontext und Gliederung In den sog. Abschiedsreden im Johannesevangelium (Joh 13,31-16,33) können wir einen besonderen Dialogverlauf erkennen. In den einzelnen Gesprächsabschnitten gibt Jesus (unterschiedlich lange) Antwort auf Fragen einzelner Jünger (Petrus [Joh 13,36.37], Thomas [Joh 14,5], Philippus [Joh 14,8], Judas [Joh 14,22], einige Jünger [Joh 16,17-18]) und zuletzt Antwort auf ein Bekenntnis der Jünger (Joh 16,29-30). Die Antworten Jesu sind sowohl Anrede eines einzelnen Jüngers (z. B. Petrus [Joh 13,36.38], Philippus [Joh 14,8-10a]) als auch Worte, die an alle gerichtet sind (z. B. Joh 14,1-4, Joh 14,10b-21). Der als Sonntagsevangelium gewählt Abschnitt Joh 14,1-12 beginnt mit einer Fortsetzung der Antwort, die Jesus auf eine Frage des Petrus gibt (Joh 13,38) und die an alle Jünger gerichtet ist (Joh 14,1-4). Er umfasst weiter den Dialog zwischen Thomas und Jesus (Joh 14,5-7) sowie den Beginn (Joh 14,8-12) des anschließenden Gesprächs zwischen Philippus und Jesus (Joh 14,8-21). Was die drei Teile des Sonntagsevangeliums (Joh 14,1-4; 14,5-7 und 14,8-12) verbindet, ist die Frage nach dem Vater Jesu. Auslegung Joh 14,1-4 Das Haus des Vaters 1 Μὴ ταρασσέσθω ὑμῶν ἡ καρδία: πιστεύετε εἰς τὸν θεόν, καὶ εἰς ἐμὲ πιστεύετε. 2 ἐν τῇ οἰκίᾳ τοῦ πατρός μου μοναὶ πολλαί εἰσιν: εἰ δὲ μή, εἶπον ἂν ὑμῖν ὅτι πορεύομαι ἑτοιμάσαι τόπον ὑμῖν; 3 καὶ ἐὰν πορευθῶ καὶ ἑτοιμάσω τόπον ὑμῖν, πάλιν ἔρχομαι καὶ παραλήμψομαι ὑμᾶς πρὸς ἐμαυτόν, ἵνα ὅπου εἰμὶ ἐγὼ καὶ ὑμεῖς ἦτε. 4 καὶ ὅπου [ἐγὼ] ὑπάγω οἴδατε τὴν ὁδόν. 1 Nicht werde erschüttert euer Herz! Glaubt an Gott und an mich glaubt! 2 Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn aber nicht, hätte ich euch gesagt, dass ich gehe, zu bereiten euch einen Platz? 3 Und wenn ich gehe und bereite euch einen Platz, komme ich wieder und werde euch nehmen zu mir, damit, wo ich bin, auch ihr seid. 4 Und wo ich hingehe ihr wisst den Weg. Der Imperativ Nicht werde erschüttert euer Herz! (Joh 14,1), der in Joh 14,27 wiederholt wird, steht im unmittelbaren Anschluß an Joh 13,38 (Ankündigung der Verleugnung des Petrus). Dieser ermutigende Aufruf bezieht sich allgemein auf die kommenden Ereignisse der Passion Jesu und speziell auf das Versagen des Petrus. Auch dieses soll das Herz der Jünger nicht erschüttern. Was in schwieriger Situation helfen kann, ist der Glaube. Davon spricht der anschließende Satz. Er kann sowohl als Imperativ gelesen werden ( Glaubt an Gott und an mich glaubt! ) als auch als Indikativ und Feststellung ( Ihr glaubt an Gott und an mich glaubt ihr. ) Wie in Joh 12,44 kann auch an dieser Stelle ein innerer Zusammenhang zwischen dem Glauben (πιστεύω) an Gott und dem Glauben (ebenso πιστεύω) an Jesus gesehen werden. Perikopen.de 1

Joh 14,2-4 nennt Ziel und Zweck des Fortganges Jesu und den Grund, warum die Jünger nicht erschüttert sein sollen. Der Fortgang Jesu (in den Tod) bewirkt im Grunde, dass ihnen Platz bereitet wird in den himmlischen Wohnungen und dass ihnen besonderer Zugang zu Gott und Zugehörigkeit zu ihm ermöglicht wird. Glauben an Jesus heißt auch: Sich fest an den halten, der fortgeht, für die Seinen den Platz zu bereiten. Der Begriff Haus (οἰκία - Joh 14,2) meint nicht nur ein Gebäude (Joh 11,31; 12,3), sondern impliziert auch den Gedanken der Hausgemeinschaft und der Familie als eines sozialen Verbandes (Joh 4,53; 8,35). Die Wendung das Haus meines Vaters erinnert an Jesu erstes Kommen in den Jerusalemer Tempel, den er als das Haus (οἶκος) meines Vaters bezeichnet (Joh 2,16). Ähnlich wie οἰκία bezeichnet οἶκος ein Gebäude (vgl. Joh 11,20 mit 11,31; 12,3). Der irdische Tempel ist gleichsam Abbild des himmlischen Heiligtums, zu welchem Jesus nun hingeht. Der Ausdruck Wohnung (μονή) kann als Ableitung aus dem für das Johannesevangelium bedeutsamen Verbum bleiben (μένω) verstanden werden und auch interpretiert werden als Bleibe / Bleibestätte. Er findet sich im ganzen Neuen Testament nur hier und in Joh 14,23, wo Jesus sagt: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und werden Wohnung (μονή) bei ihm nehmen. Der Gedanke des Wohnens Gottes bei den Menschen (vgl. Ex 25,8; 29,45; Lev 26,11-12; Ez 37,26-27; Offb 21,3) wird auf den einzelnen Menschen bezogen, der Jesus liebt und empfänglich ist für sein neues Kommen und seine Gegenwart nach Ostern. Für diesen Menschen gibt es schon jetzt eine Vorahnung von Wohnung und Beheimatung, die einst volle Wirklichkeit werden wird. Der mit der Wendung wenn aber nicht / andernfalls (εἰ δὲ μή, - auch in Joh 14,11) beginnende Satz (Joh 14,2) kann als Frage gelesen werden. Als Argument, dass die (mit einem Irrealis eingeleitete) Frageform vom Evangelisten intendiert ist, kann eine vergleichbare Frage Jesu an Martha in Joh 11,40 ( Sagte ich dir nicht, dass du die Herrlichkeit Gottes sehen wirst, wenn du glaubst? ) dienen. Sowohl Joh 11,40 als auch 14,2 lassen offen, wann und bei welcher Gelegenheit Jesus das gesagt hat, woran er in der Frage erinnert. Daß Jesus geht, um den Seinen einen Platz zu bereiten, wird andeutungsweise jedenfalls bereits in Joh 12,26 und 12,32 gesagt. Nicht nur von Jesu Gehen (πορεύομαι - vgl. Joh 14,12.28; 16,7.28 [zum Vater]) ist die Rede (Joh 14,2 und 14,3), sondern (erstmals) auch von seinem Kommen (ἔρχομαι - Joh 14,3). Dieses hat zwei Bedeutungen. Man kann an das Kommen Jesu zur Parusie denken (vgl. Joh 21,22-23) oder an das erneute Kommen nach seiner Auferweckung (vgl. Joh 14,18.23.28). An unserer Stelle ist das Kommen zur Parusie gemeint. Zweck und Ziel des Kommens Jesu bestehen nämlich darin, dass er die Seinen zu sich nimmt, damit sie dort sind, wo er ist, d. h. am Ort der Vollendung bei Gott (vgl. Joh 12,26; 17,24; 1 Thess 4,16-17). Die Wendung zu mir nehmen (παραλαμβάνω πρὸς ἐμαυτόν - Joh 14,3) lässt sich vergleichen mit zu mir ziehen (ἑλκω πρὸς ἐμαυτόν - Joh 12,32). Der weitere Gesprächsverlauf zeigt: Das Kommen Jesu ereignet sich aber nicht erst bei der Parusie, sondern geschieht bereits in der Gegenwart (Joh 14,18.23.28). Man kann sagen: Bei der Parusie (in der Lebensgeschichte des Einzelnen aber auch in der Weltgeschichte) offenbart sich in vollendeter Form jener, der in verborgener Weise bereits jetzt zugegen ist. Er wird dann aus seiner Verborgenheit hervortreten und wir werden ihn sehen, wie er wirklich ist (vgl. 1 Joh 3,2). Perikopen.de 2

Nach der Verheißung von Joh 14,2-3, die das Ziel nennt, wohin Jesus geht und wohin auch die Jünger gelangen werden, lenkt Jesus in Joh 14,4 den Blick auf den Weg, der zu diesem Ziel führt. Der Begriff Weg (ὁδός) steht betont am Schluß des Satzes. Auf ihm liegt damit besonderer Nachdruck. Er bildet auch die Überleitung zum Dialog zwischen Thomas und Jesus. Joh 14,5-7 Der Weg zum Vater 5 Λέγει αὐτῷ Θωμᾶς, Κύριε, οὐκ οἴδαμεν ποῦ ὑπάγεις: πῶς δυνάμεθα τὴν ὁδὸν εἰδέναι; 6 λέγει αὐτῷ [ὁ] Ἰησοῦς, Ἐγώ εἰμι ἡ ὁδὸς καὶ ἡ ἀλήθεια καὶ ἡ ζωή: οὐδεὶς ἔρχεται πρὸς τὸν πατέρα εἰ μὴ δι' ἐμοῦ. 7 εἰ ἐγνώκατέ με, καὶ τὸν πατέρα μου γνώσεσθε: καὶ ἀπ' ἄρτι γινώσκετε αὐτὸν καὶ ἑωράκατε αὐτόν. 5 Es sagt zu ihm Thomas: Herr, nicht wissen wir, wo du hingehst. Wie können wir den Weg wissen? 6 Es sagt zu ihm Jesus: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich. 7 Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Schon in der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus äußert sich Thomas zum Thema Weg. Jesus entschließt sich nach Bethanien zu gehen, und Thomas sagt zu den Mitjüngern: Gehen auch wir, damit wir sterben mit ihm! (Joh 11,16) Nun beschäftigt ihn (ähnlich wie zuvor den Petrus [Joh 13,36]) die Frage, wo Jesus hingeht (ὑπάγω). Thomas spricht für die ganze Jüngergruppe, wenn er beteuert, weder das Ziel des Fortganges Jesu noch den Weg dorthin zu kennen. Er begreift noch nicht, dass Jesu Hingehen (das Verbum ὑπάγω spielt in den Abschiedsgesprächen eine wichtige Rolle: Joh 13,33.36; 14,4.5.28; 16,5.10.17) sich auf seinen Tod bezieht, der zugleich Hinübergehen zum Vater ist. Vielleicht kann und will er das nicht begreifen, so wie man den Abschied oder gar den Tod eines geliebten Menschen nicht begreifen kann. Während Thomas noch offen sagt wir wissen nicht, wo du hingehst, wagen später die von Trauer erfüllten Jünger nicht einmal mehr zu fragen: Wo gehst du hin? (Joh 16,5) In seiner Antwort an Thomas, die zugleich an alle Jünger gerichtet ist (Joh 14,6-7), spricht Jesus zunächst nicht vom Ziel seines Fortgehens, sondern vom Weg. Es handelt sich nicht um einen Weg neben anderen Wegen, die zu einem bereits bekannten Ziel führen, sondern mit dem Weg wird das Ziel überhaupt erst erkennbar und zugänglich, nämlich der Gott, den niemand je gesehen hat, und den keiner so kennt wie Jesus (vgl. Joh 1,18). Ein Vergleich aus der menschlichen Erfahrung kann veranschaulichen, was Weg als Zugang bedeutet. Wirklichen Zugang zu einem Menschen kann man durch eigenes Bemühen allein nicht erlangen und man kann ihn auch nicht erzwingen. Zugang zu einer Person findet man im Grunde erst dann, wenn diese sich selbst freiwillig erschließt und mitteilt. In vergleichbarer Weise können wir auch im Hinblick auf Gott sagen: Eigenes religiöses Bemühen reicht nicht aus, um Zugang zu ihm zu finden. Dieser wird vielmehr geschenkt, wenn Gott sich selber mitteilt und offenbart. Gott erschließt sich uns in Jesus, gewährt uns durch Jesus Zugang und Zutritt zu ihm. Jesus eröffnet nicht nur einen neuen und einzigartigen Weg zu Gott (vgl. Hebr 10,19-20), um dann entbehrlich zu sein und die Menschen beim Gehen sich selbst zu überlassen. Er geht diesen Weg auch Perikopen.de 3

nicht nur voraus als Vorläufer (Hebr 6,20), in dessen Fußstapfen man treten kann (1 Petr 2,21), sondern er identifiziert sich mit diesem Weg und ist zugleich Wegbegleiter für jeden einzelnen persönlich. Den Weg zum Vater kann man nicht allein gehen aus eigener Kraft, sondern nur in ständiger und bleibender Gemeinschaft mit Jesus. Im Gehen des Weges wird auch die Wahrheit und das Leben, gemeint ist die Auferstehung und das ewige Leben (vgl. Joh 11,25-26), zugänglich. Das doppelte und (καί) im Ich-bin-Wort kann im erklärenden (epexegetischen) Sinn verstanden werden und auch mit nämlich oder und zwar umschrieben werden. Was ist Wahrheit? So fragt später Pilatus (Joh 18,38). Es geht um die Wahrheit über Gott und diese wird für den begreiflich, der sich auf Jesus einläßt, den Zeugen der Wahrheit (Joh 18,37), der die Wahrheit sogar verkörpert. Auch das Leben, die bleibende und unzerstörbare Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, wird nur durch den zugänglich, der gekommen ist damit wir das Leben in Fülle haben (vgl. Joh 10,10), und der das Leben selbst verkörpert (vgl. auch Joh 11,25). Niemand kommt zum Vater außer durch mich. Jesus erhebt im Grunde einen exklusiven Anspruch. Einen Zugang zu dem Gott, den er Vater nennt, gibt es erst durch ihn. Er allein kennt Gott wirklich, weil er von Uranfang bei ihm ist (Joh 1,1-2) und von ihm her kommt. Auf dem Weg zum Vater ist man bereits, wenn man zum Glauben an Jesus und in die Gemeinschaft mit ihm gelangt. Was Weg, Zugang und Zutritt ist, weiß man oft erst, wenn er fehlt, wenn eine Person sich verschließt und unzugänglich ist. Was Zugang zu Gott ist, wird einem oft erst bewusst, wenn Gott fern und unnahbar zu sein scheint. Wir dürfen den Vergleich von Jesus und Weg ernst nehmen: Alles, was Weg in unserem Leben bedeutet, insbesondere Zugang zu einem Menschen, all das bedeutet Jesus für unsere Beziehung zu Gott. Und umgekehrt: So wir uns ohne Weg verirren würden, so würden wir ohne Jesus nicht den Weg zu dem Gott finden, den er Vater nennt. Durch Jesus ist Gott als liebender Vater zugänglich geworden. Was die Worte durch mich am Schluß von Joh 14,6 hervorheben, wird durch den Konditionalsatz in Joh 14,7 fortgeführt. Wenn jemand Jesus erkannt hat (γινώσκω im Perfekt), wird auch den Vater Jesu erkennen (Futur), ja er erkennt ihn (Präsens) bereits jetzt und hat ihn bereits gesehen (ὁράω im Perfekt). Das Verbum sehen leitet zum nächsten Gesprächsabschnitt über. Joh 14,8-12 Den Vater sehen 8 λέγει αὐτῷ Φίλιππος, Κύριε, δεῖξον ἡμῖν τὸν πατέρα, καὶ ἀρκεῖ ἡμῖν. 9 λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς, Τοσούτῳ χρόνῳ μεθ' ὑμῶν εἰμι καὶ οὐκ ἔγνωκάς με, Φίλιππε; ὁ ἑωρακὼς ἐμὲ ἑώρακεν τὸν πατέρα: πῶς σὺ λέγεις, Δεῖξον ἡμῖν τὸν πατέρα; 10 οὐ πιστεύεις ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί ἐστιν; τὰ ῥήματα ἃ ἐγὼ λέγω 8 (Es) sagt ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns! 9 (Es) sagt ihm Jesus: So lange Zeit bin ich bei euch, und nicht hast du mich erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat gesehen den Vater. Wie sagst du: Zeige uns den Vater? 10 Glaubst du nicht, daß ich im Vater (bin) und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich Perikopen.de 4

ὑμῖν ἀπ' ἐμαυτοῦ οὐ λαλῶ: ὁ δὲ πατὴρ ἐν ἐμοὶ μένων ποιεῖ τὰ ἔργα αὐτοῦ. 11 πιστεύετέ μοι ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί: εἰ δὲ μή, διὰ τὰ ἔργα αὐτὰ πιστεύετε. 12 ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ τὰ ἔργα ἃ ἐγὼ ποιῶ κἀκεῖνος ποιήσει, καὶ μείζονα τούτων ποιήσει, ὅτι ἐγὼ πρὸς τὸν πατέρα πορεύομαι euch sage, rede ich nicht aus mir selbst, aber der Vater, in mir bleibend, tut seine Werke. 11 Glaubt mir, daß ich im Vater (bin) und der Vater in mir (ist). Wenn aber nicht, glaubt wegen der Werke selbst! 12 Amen, amen, ich sage euch: Der an mich Glaubende, die Werke, die ich tue, wird auch jener tun, und größere als diese wird er tun, weil ich zum Vater gehe; Philippus ist den Lesern des Johannesevangeliums eine vertraute Gestalt (Joh 1,43-46 [Berufung]; 6,5-7 [Wunderbare Speisung der Volksmenge]; 12,21-22 [Bitte der Griechen]). Wieder (wie bei Thomas) geht Jesus auf das Problem eines Jüngers ein, der etwas noch nicht begreifen kann. Das Verbum zeigen erinnert an die Bitte, die Mose in Ex 33,18 an Gott richtet: Zeige mir doch deine Herrlichkeit. Der Beginn der Antwort Jesu in Joh 14,9 schafft eine Verbindung zu Joh 14,7 ( Und schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. ) und erinnert zugleich an Joh 12,45 ( Der mich Sehende sieht den, der mich gesandt hat. ). Ein besonderer Akzent wird gesetzt durch die Worte so lange Zeit. Die Spitzenaussage von Joh 14,9 lautet: Wer mich gesehen hat, hat gesehen den Vater (ὁράω im Perfekt). Diese Aussage können wir gegenüberstellen den Worten von Joh 1,18: Gott hat niemand jemals gesehen. (Der) Einzige, (der) Gott (ist), der Seiende zur Brust des Vaters hin, jener hat Kunde gebracht. Diese Gegenüberstellung bestärkt uns in einer besonderen Gewissheit. Den Gott, den niemand jemals gesehen hat, erfahren und sehen wir in Jesus Christus (Joh 12,45; 14,7.9). Wir erkennen Gottes Herrlichkeit im Antlitz Christi (2 Kor 4,6). In Joh 14,10-11 wird die singuläre Einheit zwischen Jesus und dem Vater hervorgehoben, die reziproke Immanenz (Jesus ist im Vater und der Vater ist in Jesus), ein Thema, das den Lesern bereits von Joh 10,38 (vgl. auch 10,30) her vertraut ist. Die singuläre Einheit zeigt sich auch in einer Handlungseinheit betreffend die Worte und Werke. Verknüpfen wir die Aussagen von Joh 14,9 und 14,10-11, so können wir sagen: In Jesus den Vater sehen (ὁράω) hängt innerlich zusammen mit glauben (πιστεύω), daß eine einzigartige Verbundenheit zwischen Jesus und dem Vater besteht. Das Sehen geschieht gleichsam mit den Augen des Glaubens. Die durch das zweifache Amen bekräftigte Verheißung in Joh 14,12 enthält die Bezeichnung größere Werke. Im Blick auf Joh 14,13-14 (vgl. auch Joh 15,5) kann man sagen, daß der eigentlich Wirkende Jesus selbst ist. Die Jünger setzen sein Wirken fort. Die Werke können als Zeichen verstanden werden, die auf Christus hinweisen und die zum Glauben motivieren (Joh 14,11). Daß sie größer sind, hängt damit zusammen, daß Jesus zum Vater geht und aufgrund der Auferweckung von den Toten für immer bei ihm ist und in neuer Weise auch bei seinen Jüngern / Jüngerinnen. Perikopen.de 5

Abschließende Überlegung Was die drei Abschnitte des Sonntagsevangeliums in besonderer Weise verbindet, ist die Rede vom Vater. Eine Steigerung ist erkennbar. Zuerst (Joh 14,1-4) spricht Jesus vom Haus meines Vaters. Das nicht ausdrücklich genannte Leidensgeschick Jesu, sein Weg in den Tod ist zugleich das Hingehen zum Vater. Dies geschieht auch in der Intention, uns Wohnung und Heimat in diesem Haus zu bereiten. Wir werden für immer dort sein, wo Jesus ist. Bei seinem (endzeitlichen) Kommen wird dies volle Wirklichkeit werden. Der zweite Abschnitt (Joh 14,5-7) handelt vom Weg, der zum Vater führt. Jesus zeigt nicht nur diesen Weg, sondern er verkörpert ihn in seiner Person. Dieser Weg zu Gott ist nicht ein Weg neben anderen, sondern einer, der erstmals durch Jesus erschlossen wird und den es ohne ihn nicht geben würde. Nicht nur die Hoffnungsbilder vom Haus des Vaters und vom Weg dorthin ermutigen das erschütterte Herz und stärken den Glauben, sondern wie der dritte Abschnitt (Joh 14,8-12) zeigt darüber hinaus die Verheißung, dem Vater persönlich zu begegnen, den man jetzt schon in Jesus erkennen und sehen kann. Martin Hasitschka SJ Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium (HThK 4/3), Freiburg i. Br. 6 1992; Francis J. Moloney, The Gospel of John (Sacra Pagina 4), Collegeville MN 1998; Udo Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig 1998; Hartwig Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005. Perikopen.de 6