Die Erwerbung beschlagnahmter Bücher an der Universitätsbibliothek Leipzig in der NS Zeit und ihre Aufarbeitung Auch die Universitätsbibliothek Leipzig hat wie viele andere Universitäts und Landesbibliotheken in Deutschland in ihren Beständen unrechtmäßig in der Zeit des Nationalsozialismus erworbene Literatur. Sehr viele Jahre mussten vergehen, bis Bibliothekare sich dieser Sache bewusst wurden und nun seit ca. 20 Jahren auf die Suche gehen, nach diesen Beständen. Den Anlass gab erst die so genannte Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998. Die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden 1 so der eigentliche Titel der Erklärung ist eine die Unterzeichnerstaaten rechtlich nicht bindende Übereinkunft, um die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine gerechte und faire Lösung zu finden. Dieser Selbstverpflichtung folgte Deutschland mit einer Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NSverfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz vom 14. Dezember 1999 sowie einer Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung. 2 Darauf hin, begann bereits 2001/2002 die Universitätsbibliothek Leipzig durch den Einsatz von Grit Nitzsche über zwei Werkverträge mit der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg eine stichprobenartige Durchsicht von Archivalien und Beständen nach NS verfolgungsbedingten Büchern. Sie prüfte exemplarisch 500 Bände, konnte 12 frühere Eigentümer ermitteln und stellte Recherchen für eine mögliche Restitution an. 3 Grundlage für das nun seit September 2009 laufende Projekt zur Ermittlung von NS Raubgut in den Beständen der Universitätsbibliothek Leipzig, dass aus dem Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien / Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/ forschung gefördert wird, ist die Sichtung des hauseigenen Archivs (UBL Archiv) u.a. durch die Autorin dieses Beitrages, dass 1
wichtige Erkenntnisse und Quellen zur Erwerbungsgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zu tage förderte und auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Bereits im Frühjahr 1933 fanden in Leipzig im Zusammenhang mit der Reichstagsbrandverordnung zahlreiche Verhaftungen politisch missliebiger Bürger und umfangreiche Beschlagnahmeaktionen zur Sicherstellung sogenanntem schädlichen und unerwünschten Schrifttums durch die Polizei und die SA statt. Betroffen waren neben Bücherbeständen verhafteter und verurteilter politischer Gegner der NSDAP auch Verlage, Buchhandlungen, Antiquariate und Werksbibliotheken sowie die Bibliotheken verfolgter Organisationen (Gewerkschaften, Parteien, Arbeiterbildungsvereine, religiöse Gemeinschaften, Freimaurerlogen). Die Universitätsbibliothek Leipzig war neben der Sächsischen Landesbibliothek Dresden berechtigt dieses Schrifttum zu erwerben und zu archivieren, die Benutzung im Land Sachsen jedoch geschah nur zu wissenschaftlichen Zwecken. Bereits am 26.Juni 1933 erließ der damalige Direktor der UBL, Otto Glauning (1876 1941) Richtlinien für die Behandlung verbotenen Schrifttums 4. Zudem wurde der Universitätsbibliothekar der UBL,. Dr. Reinhard Fink (1896 1968), Mitglied der NSDAP und der SA von der Polizei als Sachverständiger bei Beschlagnahmungen hinzugezogen. 5 Auf diese Weise kamen nach bisherigen Recherchen ca. 6000 Bücher über die Polizei später die GESTAPO an die UBL. Diese nahm sie gern zur Ergänzung ihrer Bestände entgegen. 1935 beschwerte sich Otto Glauning sogar beim Sächsischen Ministerium für Volksbildung darüber, nicht genug bei der Verteilung innerhalb Sachsen berücksichtigt zu werden. 6 Mit Fritz Prinzhorn (1893 1967) übernahm am 1.3.1939 ein mit dem NS System stark verbundener Bibliothekar die Leitung der UBL. Unter dessen Ägide und durch seine Kontakte zur SS wurden deshalb neben den von der GESTAPO Leipzig überwiesenen beschlagnahmten Büchern Erwerbungen von besonderer Provenienz unrechtmäßig erworben, so z.b. Thorarollen aus Krosniewice/Polen, die bei den Judenpogromen erbeutet und Prinzhorn angeboten wurden, 7 oder der Teilnachlass von Stefan George aus dem Besitz der Brüder Claus Graf Schenk von Stauffenberg und 2
Berthold von Stauffenberg, die nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler an 20. Juli 1944 auf Schloss Lautlingen beschlagnahmt wurden. 8 Interessanterweise wurden in der Universitätsbibliothek Leipzig die von der Polizei erworbenen Bücher in einem gesonderten Zugangsbuch erfasst und mit Zugangsnummern versehen, die als Kennzeichnung ein P oder Pol als Bestandteil dieser Nummer haben. Oft jedoch sind nicht die einzelnen Titel dort verzeichnet, sondern bei einer Lieferung von mehreren Büchern wurde ein Sammeleintrag gemacht der unter einer Zugangsnummer, z.b. 34 P 014 301 verbotene Bücher anzeigt. Auch über die Preußische Staatsbibliothek Berlin kamen über Angebotslisten beschlagnahmte Bücher in die Universitätsbibliothek. Der Abgleich dieser Listen ergab, dass nicht alle auf den Listen verzeichneten und mit einer Zugangsnummer (häufig Sammelnummer) versehenen Titel eingearbeitet wurden. Nach Dublettenprüfung wurden dieser Bücher offenbar entweder an Institute oder andere Bibliotheken weitergegeben oder getauscht. Nicht immer sind diese Titel Bestandteil der Polizeilisten, sie tauchen auch als Geschenke mit dem Lieferanten Preußische Staatsbibliothek im Zugangsbuch für Geschenke aus dieser Zeit auf und haben dann eine Zugangsnummer mit einem D für Geschenk in der Mitte. Diese Zugangsbücher sind eine wichtige Quelle, die mit den Katalogen der UBL abgeglichen werden und die Bearbeiter des Projekts zu den heutigen Standorten der unter Verdacht des unrechtmäßigen Erwerbs stehenden Bücher führt. Zudem wurden in Listen all jene Bücher erfasst, die in der zeit ab 1933 als verboten galten und deshalb aus den normalen Magazinbereichen separiert und dafür umsigniert wurden. Sie wurden unter der sogenannten Libri prohibiti Signatur nun zusammengeführt und geschlossen aufgestellt. Alle erwähnten Quellen haben gemeinsam, dass die Titelangaben höchst spärlich, manchmal nur als Sammeleinträge (z.b: 123 beschlagnahmte Bücher) ohne weitere Angaben verzeichnet werden und dass sie keine Angaben über den heutigen Standort enthalten. Hinzu kommt, dass die Universitätsbibliothek bis 1939 eine sachliche Aufstellung nach Fachsignaturen hatte und erst ab 1940 eine Aufstellung nach Numerus currens langsam aufgebaut. Eine Durchsicht ganzer Magazinbereiche 3
ist also relativ aufwendig ist. So hat sich herausgestellt, dass sich die Auflösung des Libri prohibiti Magazins bis in die 1960er Jahre hinzog und so erworbene Titel aus den 30er und 40er Jahren auf sehr viele Magazinstandorte verteilt sind. Das gegenwärtige Projekt geht von den geschilderten Quellen und damit also von ca. 5000 6000 Titeln aus. Wobei sich herausstellt, dass eine doch recht große Menge noch mit Zugangsnummern ausgestattet wurde, die Titel dann jedoch, weil häufig dublett oder aus damaliger Sicht ephemer, nicht eingestellt wurden. Auch zeigt die Prüfung an den Katalogen und im Magazin, dass ein weiterer Teil nach 1945 ausgesondert wurde, so z.b. esoterische Literatur, Kleinschrifttum, aber auch Titel die inhaltlich, besonders ideologisch unerwünscht waren. Dubletten wurden häufig an damals noch existierende Institutsbibliotheken abgegeben und können sich heute noch in Zweigbibliotheken befinden, der größte Teil jedoch der relevanten Institutsbibliotheken wurde ab Ende der 1960er Jahre (3. Hochschulreform in der DDR) und später aufgelöst, Bestände kamen so bis in die Gegenwart wieder in die Bibliotheca Albertina zurück, wurden entweder als Dubletten dann ausgeschieden, oder aber als ehemaliger Institutsbestand in die Numerus currens Bereiche bis heute neu eingearbeitet. Dieses Projekt konzentriert sich auf die vorhandenen Quellen, die eindeutiges Raubgut vermuten lassen. Natürlich müssen, wie in anderen Bibliotheken in einem zweiten Schritt auch weitere nicht klar im Archiv als von der Gestapo überwiesenen Bestände einer Prüfung unterzogen werden. Dazu kann die Durchsicht der leider bisher nicht vollständig vorhandenen Zugangsbücher sowohl für Geschenke als auch für Käufe dienen, um dahin gehend Titel verdächtiger Lieferanten wie weiterer Behörden oder auch mit der Versteigerung beschlagnahmter Güter von verfolgten Personen beauftragten Auktionshäusern zu prüfen. Ein Überblick, in welchen Größenordnungen hier auch mit unrechtmäßigen Erwerbungen zu rechnen ist, kann gegenwärtig noch nicht gegeben werden. Cordula Reuß 4
1 http://www.lostart.de/nn_6044/sid_56b02077ac5003e0604c172b289ec66d/nsc_true/webs/de/koordini erungsstelle/washingtonerprinzipien.html? nnn=true 4.6.2010 2 http://www.lostart.de/nn_6044/sid_56b02077ac5003e0604c172b289ec66d/nsc_true/webs/de/koordinie rungsstelle/gemeinsameerklaerung.html? nnn=true 4.6.2010 3 Nitzsche, Grit: Die Suche nach unrechtmäßig entzogenen Büchern, insbesondere aus jüdischem Besitz, in der Universitätsbibliothek Leipzig. In: Arisierung in Leipzig : Annäherung an ein lange verdrängtes Kapitel der Stadtgeschichte der Jahre 1933 bis 1945. Leipzig, Leipziger Univ. Verl., 2007. S. 152 161 4 UBL Archiv 629/2 5 UBL Archiv 714/5 6 UBL Archiv 709 7 Reuß, Cordula: Die Universitätsbibliothek Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus : ein Werkstattbericht. In: Alker, Stefan: Bibliotheken in der NS Zeit : Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte. Göttingen: V&R unipress, 2008. S. 133 143 8 ebenda