Skript zum Vertiefungsblock Klima in urbanen Räumen (Block Nr. 96a)

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Transkript:

Skript zum Vertiefungsblock Klima in urbanen Räumen (Block Nr. 96a) im Rahmen des reformierten Studienganges Forstwissenschaft an der Universität Freiburg von Helmut Mayer Freiburg, im Juni 2004

2 Autor: Prof. Dr. Helmut Mayer Meteorologisches Institut der Universität Freiburg Werderring 10, D-79085 Freiburg Tel.: 0761/203-3591; Fax: 0761/203-3586 e-mail: meteo@meteo.uni-freiburg.de URL: http://www.mif.uni-freiburg.de Alle Rechte sind dem Autor vorbehalten.

3 Inhaltsverzeichnis Seite 1 Einleitung 7 2 Stadtklimatologie 8 3 Zentrale Schwerpunkte in der gegenwärtigen Stadtklimaforschung 14 4 Unterteilung des Stadtklimas 16 5 Planungsrelevantes Stadtklima 20 6 Stadtklimatische Fragen von Regional- und Stadtplanung 21 7 Ideales Stadtklima 23 8 Untersuchungsmethoden in der planungsrelevanten Stadtklimatologie 24 8.1 Zusammenstellung 24 8.2 Statistische Bearbeitung vorhandener meteorologischer und lufthygienischer Daten 25 8.3 Temporäre Messungen im Freiland 31 8.4 Fernerkundungsverfahren aus größeren Höhen 47 8.5 Untersuchungen im Windkanal 51 8.6 Numerische Simulationsberechnungen 52 8.7 Anwendung von human-biometeorologischen Bewertungsverfahren 59 8.7.1 Allgemeine Grundlagen der Human-Biometeorologie 59 8.7.2 Human-biometeorologische Wirkungskomplexe 65 8.7.3 Thermischer Wirkungskomplex 66 8.7.4 Methoden zur human-biometeorologischen Bewertung des thermischen Wirkungskomplexes 71 8.7.5 Lufthygienischer Wirkungskomplex 78 8.7.6 Methoden zur human-biometeorologischen Bewertung des lufthygienischen Wirkungskomplexes 89 8.8 Critical Levels 97 8.9 Anwendung von Verfahren der Geographischen Informationssysteme 100 9 Klimatische Unterschiede zwischen einer Stadt und dem Umland 102 10 Urbane Wärmeinsel in der Urban Canopy Layer (UCL) 104 10.1 Grundlagen 104 10.2 Energetische Ursachen 105 10.3 Intensität der urbanen Wärmeinsel 108 10.4 Einfluss der Stadtgröße auf die urbane Wärmeinsel 111 10.5 Trends der Intensität der urbanen Wärmeinsel 116 10.6 Einfluss ausgewählter meteorologischer Parameter 118

4 10.7 Abschätzung der stündlichen urbanen Wärmeinselintensität 124 10.8 Vertikale Erstreckung der urbanen Wärmeinsel 126 11 Urbanes Wärmearchipel in der Urban Canopy Layer 135 11.1 Räumliche und zeitliche Variabilität 135 11.2 Einfluss der Versiegelung auf die Strahlungsäquivalenttemperatur 143 11.3 Einfluss der Versiegelung auf die bodennahe Lufttemperatur 156 11.4 Einflüsse des sky view factors auf die bodennahe Lufttemperatur und Energieflüsse 161 11.5 Auswirkungen auf statistische Kenngrößen der Lufttemperatur 167 11.6 Oberflächentemperaturen von urbanen Flächen 171 11.7 Phänologische Beobachtungen zur Analyse des urbanen Wärmearchipels 175 11.8 Kleinräumige Variabilität der Lufttemperatur in der UCL 176 11.9 Ergebnisse zur urbanen Wärmeinsel und zum urbanen Wärmearchipel in der UCL aus thermischen Profilfahrten 187 12 Lokale Kaltluft 194 13 Dach- und Fassadenbegrünung 198 13.1 Dachbegrünung 198 13.2 Fassadenbegrünung 200 14 Luftfeuchtigkeit in der Urban Canopy Layer 202 15 Wind 212 16 Energiebilanzen in Strassenschluchten 219 17 Human-biometeorologische Bewertung der thermischen Komponente des Stadtklimas 223 17.1 Allgemeines 223 17.2 Bioklimakarten 224 17.3 Ergebnisse aus experimentellen Fallstudien 226 17.3.1 Vorbemerkungen 226 17.3.2 Fallstudie München, 13. August 1985 227 17.3.3 Fallstudie München, 22. August 1989 235 17.3.4 Fallstudie Freiburg, 19. Juli 1999 244 18 Zeitliche und räumliche Variabilität von Immissionskomponenten 257 18.1 Zyklen 257 18.1.1 Tages- und Wochengänge 257 18.1.2 Jahresgänge 264 18.2 Trends 268 18.3 Kleinräumige Variabilität 273

5 18.4 Immissionssituation innerhalb und außerhalb von Strassentunnels 276 18.5 Immissionssituation im Lee von Ballungsgebieten 280 19 Bewertung der lufthygienischen Komponente des Stadtklimas 283 20 Literatur 294

6

7 1 Einleitung Urbane Räume erlangen eine immer größere Bedeutung, weil die Anzahl der Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen in urbane Räume drängen und sie zu Ballungsräumen anwachsen lassen, rasch zunimmt (Tab. 1.1). Dadurch entstehen vielschichtige Probleme. Sie beziehen sich auch auf die klimatischen Bedingungen in den expandierenden urbanen Räumen, die sich unter dem Begriff Stadtklima zusammenfassen lassen. Tab. 1.1 Einwohner (in Millionen) in Mega-Cities im Jahr 2002 und geschätzt im Jahr 2015 (nach UN-Angaben) Stadt 2002 2015 Zuwachs von 2002 bis 2015 Dhaka 7.8 21.1 13.3 Lagos 13.4 23.2 9.8 Bombay 16.4 26.1 9.7 Karachi 11.8 19.2 7.4 Jakarta 11.4 17.3 5.9 Manila 10.1 14.8 4.7 Shanghai 9.9 14.6 4.7 Beijing 7.6 12.3 4.7 Cairo 9.6 13.8 4.2 Kalkutta 13.2 17.3 4.1 Dehli 12.9 16.8 3.9 Istanbul 9.5 12.5 3.0 Sao Paulo 18.4 20.4 2.0 Buenos Aires 12.1 14.1 2.0 New York 16.6 17.9 1.3 Los Angeles 13.1 14.4 1.3 Rio de Janeiro 10.7 11.9 1.2 Mexico City 18.3 19.2 0.9 Tokyo 25.8 28.9 3.1 Das Stadtklima wird der Umweltmeteorologie zugeordnet, die sich mit ** Prozessen und Phänomenen, die durch anthropogene (d.h. von Menschen induzierte), physikalische und chemische Eingriffe in die atmosphärische Umwelt bedingt sind, und ** daraus resultierenden Auswirkungen auf Organismen, Materialien und Stoffe beschäftigt.

8 2 Stadtklimatologie Die Stadtklimatologie ist die Lehre des Stadtklimas (Landsberg, 1981) bzw. die Lehre über die klimatischen Bedingungen in urbanen Räumen. Aufgrund der ** zeitlichen Skala des Klimas einerseits, ** zeitlichen Skala von Stadtklimauntersuchungen und -aussagen andererseits wäre es zweckmäßiger, von Stadtmeteorologie zu sprechen, doch dieser Begriff hat sich, insbesondere auch in der internationalen Literatur, nicht eingebürgert. Nach der Definition der Weltmeteorologischen Organisation (WMO) aus dem Jahr 1981 ist das Klima einer Stadt, d.h. das Stadtklima, das ** durch die Wechselwirkung mit der Bebauung ** und deren Auswirkungen (einschliesslich Abwärme und Emissionen von luftverunreinigenden Stoffen) modifizierte, großräumig vorgegebene Klima (siehe Helbig et al., 1999). Daraus folgt, dass das Stadtklima prinzipiell kein Schönwetterphänomen ist, auch wenn das bekannteste Phänomen des Stadtklimas, die urbane Wärmeinsel, bei schönem Wetter, d.h. bei windschwachem Strahlungswetter, am markantesten ausgeprägt ist. Detaillierter lässt sich das Stadtklima wie folgt kennzeichnen: Das Stadtklima ist allgemein ein Mesoklima (Klima eines Raumes mit einem charakteristischen Durchmesser zwischen 10 und 50 km), das sich dadurch ausbildet, dass eine Stadt aufgrund ihrer ganz spezifischen meteorologischen Eigenschaften insgesamt eine Störung im physikalischen und chemischen Zustand der atmosphärischen Grenzschicht (ca. unterste 1000 m der Atmosphäre) bewirkt. Die spezifischen meteorologischen Eigenschaften einer Stadt sind (VDI, 1988; Fezer, 1995): ** Strömungshindernis (Abb. 2.1 bis 2.4), ** Gebiet mit unregelmäßig erhöhter aerodynamischer Oberflächenrauhigkeit (Abb. 2.5), ** Wärmeinsel bzw. Wärmearchipel (Abb. 2.6), ** erhebliche Emissionsquelle (Abb. 2.7). Emittiert werden Schadgase, Aerosole und Wasserdampf aus den Schadstoffquellengruppen Verkehr, Industrie, Kraftwerke, Gewerbe und Hausbrand.

9 Abb. 2.1: Beispiel für Stadt als Strömungshindernis (Hongkong) Abb. 2.2: Beispiel für Stadt als Strömungshindernis (New York)

10 Abb. 2.3: Beispiel für Stadt als Strömungshindernis (Singapore) Abb. 2.4: Beispiel für Stadt als Strömungshindernis (Sydney)

11 Abb. 2.5: Beispiel für Stadt als Gebiet mit unregelmäßig erhöhter aerodynamischer Oberflächenrauhigkeit (New York) Abb. 2.6: Beispiel für Stadt als Wärmeinsel bzw. Wärmearchipel (Thermalbild von München, 7.9.1982, mittags, T 0 : Strahlungstemperatur; aus Baumgartner et al., 1985)

12 Abb. 2.7: Beispiel für Stadt als Emissionsquelle Nach Lowry (1977) lässt sich das komplexe meteorologische und lufthygienische Wirkungsgefüge Stadt wie folgt beschreiben: M = C + L + U (2.1) itx,, itx,, itx,, itx,, M i,t,x : Messwert oder berechneter Wert einer meteorologischen oder lufthygienischen Größe bei der Wetterlage i zur Zeit t am Ort x in der Stadt, C i,t,x : Regionalklima-Anteil großräumiges Wetter, großräumige Witterung, großräumiges Klima lufthygienische Hintergrundbelastung bei der Wetterlage i zur Zeit t am Ort x in der Stadt, L i,t,x : Lokalklima-Anteil Einflüsse durch die natürliche, d.h. nicht urbane, Bodenbedeckung und durch die topographischen Verhältnisse bei der Wetterlage i zur Zeit t am Ort x in der Stadt,

13 U i,t,x : Stadtklima-Anteil Einflüsse durch die eigentliche Urbanisierung bei der Wetterlage i zur Zeit t am Ort x in der Stadt. Daraus wird deutlich, dass alle Stadtklimaphänomene und -prozesse von ** Wetterlage, ** Zeit, ** Ort in der Stadt abhängen. Infolge der verschiedenen Oberflächenbedeckungstypen und Baukörperstrukturen bilden sich innerhalb des Mesoklimaraumes Stadt verschiedene differenzierte urbane Mikroklimate aus (z.b. das Mikroklima in Strassenschluchten, das Hofklima, das Parkklima, das Klima in Blockbaubereichen oder das Klima in Einfamilienhaus-Siedlungen).

14 3 Zentrale Schwerpunkte in der gegenwärtigen Stadtklimaforschung Viele Fragestellungen in der Stadtklimatologie bestehen schon seit einiger Zeit, was sich u.a. in den zentralen Schwerpunkten der gegenwärtigen Stadtklimaforschung widerspiegelt: ** Quantifizierung der verschiedenen urbanen Mikroklimate, ** Quantifizierung der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen urbanen Mikroklimaten (horizontale Übergangszonen bzw. Reichweiten), ** Koppelung der verschiedenen urbanen Mikroklimate an das übergeordnete Mesoklima, ** Quantifizierung des Einflusses der unterschiedlichen urbanen Mikroklimate auf die Immissionsbedingungen (Kennwort: Immissionsklima), ** quantifizierte human-biometeorologische Bewertung der urbanen Mikroklimate, ** Quantifizierung der Auswirkungen von regionalen Klimaänderungen auf urbane Mikroklimate. Daraus wird deutlich, dass vieles in der Stadtklimatologie qualitativ schon bekannt ist. Was fehlt, sind Angaben in Zahl und Maß, also Quantifizierungen bzw. funktionelle Beziehungen zwischen Kenngrößen des Stadtklimas und unabhängigen Stadtklimavariablen, wie z.b. dem Anteil der versiegelten Fläche (mit Strassen und Gebäuden bedeckte Fläche). In der Angewandten Stadtklimatologie, die Ergebnisse für den Planungsfaktor Stadtklima bereitstellt, sind zukünftig folgende Fragen zu beantworten (Matzarakis et al., 1998): a) Bis zu welchem Ausmaß kann eine bauliche Verdichtung in stark besiedelten Räumen erfolgen, ohne dass es zu erhöhten Beeinträchtigungen der Menschen, z.b. durch verstärkte Wärmebelastung im Sommer, kommt? b) Gibt es - bezogen auf die Bedingungen für Menschen in den verschiedenen urbanen Mikroklimaten - eine optimale Dichte bzw. optimale Gestaltung urbaner Räume? c) Wie lässt sich der Energieverbrauch in urbanen Räumen, z.b. infolge von Raumklimatisierung, durch stadtklimarelevante PlanungsMaßnahmen reduzieren? d) In welcher Weise wirkt sich der zusätzliche Treibhauseffekt auf das Stadtklima aus? Dabei ist allerdings festzuhalten, dass das bekannteste Phänomen des Stadtklimas, die Wärmeinsel bzw. das Wärmearchipel, bereits selbst einen Wärmeeffekt darstellt. e) In welcher Weise wirken sich die Folgen der temporär reduzierten Ozonschicht in der Stratosphäre auf das Stadtklima aus? f) Lassen sich Auswirkungen von zusätzlichem Treibhauseffekt und reduzierter Ozonschicht, falls sie die Bedingungen des Stadtklimas für Menschen negativ beeinflussen, durch planerische Vorgaben minimieren? g) Welche Schadstoffkomponenten und chemischen Prozesse spielen bei der Luftreinhaltung, insbesondere in Ballungsräumen, in Zukunft eine stärkere Rolle?

15 h) Welche Wirkungen besitzen kleinräumige Klimamanipulationen im urbanen Raum (z.b. Anpflanzung von breitkronigen Laubbäumen), und bis zu welchem Grad lassen sich damit die klimatischen Bedingungen für Menschen in der Stadt verbessern? i) Wie lässt sich das Stadtklima integral so bewerten, dass für den Anwender (Planer) eine abgestufte Beurteilungsmöglichkeit von urbanen Strukturen bzw. Nutzungen gegeben ist? j) Wie lassen sich komplexe energetische, lufthygienische und human-biometeorologische (auf den Menschen bezogene) Bedingungen in ihrer funktionellen Abhängigkeit von Stadtstrukturparametern so darstellen, dass grundlegende Zusammenhänge in möglichst einfacher Form deutlich werden? Welche Rolle können dabei zukünftige Kommunikationstechnik bzw. Geoinformationssysteme übernehmen? k) Welche Entwicklung zeigen die planungsrelevanten stadtklimatischen Bedingungen in den tropischen und subtropischen Ländern (Zentrum der Super- und Megastädte)? Wie lässt sich dort eine Stadtplanung in Hinblick auf eine umweltrelevante Vorsorgeplanung erreichen? l) Lassen sich physiologisch relevante Verfahren zur Bewertung des Stadtklimas für Menschen und die daraus resultierenden abgestuften Bewertungsskalen generell weltweit anwenden oder erfordert eine unterschiedliche Perzeption des Stadtklimas Bewertungsskalen, die mehr an die jeweilige Klimaregion angepasst sind? m) Wie lassen sich Informationen zum Stadtklima sinnvoll zentral zusammenstellen (z.b. in der internationalen Stadtklima homepage www.stadtklima.de), damit nicht identische Untersuchungen zur gleichen Thematik durchgeführt werden?

16 4 Unterteilung des Stadtklimas Für viele Zwecke, so auch in der angewandten Stadtklimatologie ( Relevanz für Stadtplanung und -sanierung), ist es sinnvoll, das Stadtklima in seine zwei bedeutendsten Komponenten zu unterteilen (Mayer, 1992): ** thermische Komponente umfasst die gesamte Energetik der Stadtluft, d.h. Strahlung, fühlbare und latente Wärme, Gebäudewärme, anthropogene Wärme, ** lufthygienische Komponente umfasst die chemisch und physikalisch bedingte Qualität der Stadtluft in der Kausalkette von (Abb. 4.1) ** Emission (Freisetzung von Luftschadstoffen) ** über Transmission (Ausbreitung und Verdünnung von Luftschadstoffen sowie ihre eventuelle Umwandlung, d.h. Bildung von Sekundärsubstanzen) ** und Immission (Schadstoffkonzentrationen am Einwirkungsort in der Stadtatmosphäre) ** zur Deposition (Ablagerung - gasförmig, nass, feucht). Zwischen beiden Komponenten bestehen jedoch Verbindungen, so z.b. Maßgeblich über den turbulenten LuftMaßenaustausch. Deshalb ist es nicht sinnvoll, getrennt von Klima (thermische Komponente) und Luft (lufthygienische Komponente), wie z.b. in Gesetzeswerken (u.a. Baugesetzbuch, Naturschutzgesetz), zu sprechen. In den gemäßigten Breiten (z.b. Mitteleuropa) hat die lufthygienische Komponente des Stadtklimas eine größere Bedeutung als die thermische Komponente; die Gründe dafür lauten: a) Lufthygienische Belastungen treten während des ganzen Jahres auf, wenn auch substanzspezifisch unterschiedlich (z.b. Photooxidantien mit Ozon im Sommer, im Winter Stickstoffoxide). Thermische Belastungen gibt es in Städten in gemäßigten Breiten nur im Sommer. b) In der Regel sind keine individuellen SchutzMaßnahmen vor Luftverunreinigungen möglich, weil Luftschadstoffe überall vorhanden sind. Thermischer Stress lässt sich dagegen durch den Wechsel von der besonnten auf die abgeschattete Strassenseite o- der durch die Verringerung des Wärmedurchgangswiderstandes der Bekleidung (z.b. Jacke oder Pullover ausziehen) reduzieren. c) Lufthygienische Belastungen gefährden Wohlbefinden und Gesundheit der Menschen. Das gilt im übrigen auch für extreme thermische Belastungen. d) Aus a) bis c) ergibt sich der hohe politische Stellenwert der lufthygienischen Komponente des Stadtklimas, der sich u.a. in Gesetzen (z.b. Bundes-Immissionsschutzgesetz BImSchG), Verwaltungsvorschriften (z.b. Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft TA Luft, 22. BImSchV (Bundes-Immissionsschutzverordnung)), EU-Richtlinien, VDI-Richtlinien (VDI: Verein Deutscher Ingenieure) sowie darin enthaltenen

17 Emission Schadstoffquellengruppen z.b. Kfz-Verkehr - Verkehrsdichte - Fahrmodi - Verhältnis Pkw/Lkw Ausbreitung Verdünnung meteorologische Einflussfaktoren Windgeschwindigkeit Windrichtung Turbulenzzustand thermische Schichtung Transmission chemische Umwandlungen (Entstehung von Sekundärprodukten) meteorologische Einflussfaktoren kurzwellige Strahlung Lufttemperatur Luftfeuchtigkeit Immission Konzentrationen verschiedener Luftschadstoffe am Mess- bzw. Wirkungsort Deposition trocken, nass, feucht Abb. 4.1: Kausalkette für Luftschadstoffe mit besonderer Berücksichtigung von meteorologischen Einflussfaktoren (nach Mayer, 1999, 2000) - Grenzwerten,

18 - Richtwerten, - Leitwerten, - Schwellenwerten für Luftschadstoffe äussert. Neben der thematischen Unterteilung des Stadtklimas ist auch folgende stadtklimatisch relevante vertikale Gliederung des unteren Bereiches der atmosphärischen Grenzschicht sinnvoll (Abb. 4.2, Oke, 1984): a) Urban Canopy Layer (UCL): Schicht von der Bodenoberfläche bis zur mittleren Hausdachhöhe (Aufgrund der unterschiedlichen Oberflächenbedeckungstypen in der Stadt mit ihren variierenden vertikalen Erstreckungen bilden sich in dieser Schicht differenzierte, fast eigenständige urbane Mikroklimate aus), b) Urban Boundary Layer (UBL): Schicht oberhalb der UCL Für die Urban Canopy Layer und die Urban Boundary Layer haben sich bis jetzt keine deutschen Begriffe eingebürgert. Abb. 4.2: Idealisierte Verteilung der verschiedenen Grenzschichten in einer Stadt (nach Oke, 1984) Bei mikrometeorologischen Analysen, z.b. zur Turbulenz, in der atmosphärischen Grenzschicht über urbanen Oberflächen wird die Urban Boundary Layer aus strukturellen Gründen noch in weitere Schichten unterteilt (Abb. 4.3).

19 Abb. 4.3: Idealisierte Unterteilung der Urban Boundary Layer (nach Feigenwinter, 2000); z 0 : Rauhigkeitsparameter

20 5 Planungsrelevantes Stadtklima Untersuchungen zum Stadtklima lassen sich unter zwei Aspekten durchführen: a) Eine Stadt stellt eine Störung im physikalischen und chemischen Zustand der atmosphärischen Grenzschicht dar, dessen Ausmaß mit den dafür verantwortlichen Prozessen zu beschreiben, modellieren und prognostizieren ist (physikalisch/chemische Stadtklimatologie). b) Das Stadtklima stellt einen Faktor in der Stadtplanung und -sanierung dar (planungsrelevantes Stadtklima). Der Schwerpunkt dieses Skripts liegt beim planungsrelevanten Stadtklima. Planungsrelevant sind diejenigen thermischen und lufthygienischen Phänomene des Stadtklimas, die als teil- oder kleinräumige Besonderheiten bzw. Ausprägungen ** von den allgemeinen Klimaverhältnissen (Mesoklima) ** der großräumigen lufthygienischen Situation (Hintergrundbelastung) signifikant abweichen und ** Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen, auf die Lebensbedingungen von Pflanzen und Tieren sowie auf Gebäude oder andere Anlagen technisch-baulicher Art und deren Benutzung haben. Daraus folgt, dass die Planungsfaktoren thermische Komponente des Stadtklimas (Klima) und lufthygienische Komponente des Stadtklimas (Luft) in einer für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen relevanten Weise zu berücksichtigen sind. Die dabei anzuwendende Methodik stammt aus dem Fachgebiet Human-Biometeorologie, das sich mit den Wirkungen von Wetter, Witterung, Klima und Luftqualität auf den menschlichen Organismus beschäftigt. Damit bei Planungsprozessen die Faktoren thermische Komponente und lufthygienische Komponente geeignet miteinbezogen werden können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: ** Die vorhandenen Ergebnisse sind in einer für Raum- und Stadtplaner - als interessierte Nicht-Fachleute - verständlichen und anwendbaren Form darzustellen. ** Es ist quantitativ oder funktionell anzugeben, was qualitativ oft schon längst bekannt ist. ** Räume, für die aufgrund der thermischen und lufthygienischen Komponente des Stadtklimas einzelne Nutzungsfestlegungen getroffen werden, müssen einen Detaillierungsgrad haben, der den Maßstäben der in der Planung verwendeten Karten entspricht.

21 6 Stadtklimatische Fragen von Regional- und Stadtplanung Die Fragen der Planer, die das Stadtklima betreffen, lassen sich im wesentlichen in drei Gruppen zusammenfassen: a) Situationen mit geringem LuftMaßenaustausch Planungsziel: Erhaltung und sogar Stärkung der positiven Effekte des LuftMaßenaustausches bei stagnierenden Wetterlagen (austauscharme Wetterlagen, meistens austauscharme Hochdruckwetterlagen) durch gezielte Auswahl der Raumnutzungen Fragen: ** Welche Form hat die Schwachwindrose für verschiedene Stadtgebiete? ** In welchen Gebieten bilden sich Luftaustauschsysteme (Berg-Tal-Windsysteme, Hangwindsysteme) aus, die auf Stadtgebiete wirken? ** In welchen Stadtgebieten sind die Be- und Entlüftungseffekte besonders wichtig? ** Wo sind die entscheidenden Entstehungsgebiete lokaler Windsysteme und stadtklimarelevanter Luftleitbahnen in der UCL (Ventilationsbahnen, Frischluftbahnen, Kaltluftbahnen)? b) Luftqualität Planungsziel: Erfassung der planerischen Bedeutung der Ausbreitungs- und Verdünnungswege sowie der Wirkungsräume der durch menschliche Aktivitäten (anthropogen) verursachten Emissionen bzw. Immissionen (detaillierte Informationen über den Zustand vor und nach Durchführung von Stadtplanungs- bzw. -sanierungsmaßnahmen als Vorgaben für planerische Argumentationen) Fragen: ** Lassen sich vorhandene und potentielle Quellgebiete von Luftverunreinigungen (Emissionen), z.b. von Strassen oder Industrieanlagen, angeben, deren Folgen (Immissionen) für Menschen besonders schwerwiegend sind? ** Lässt sich ein physikalisches/chemisches/human-biometeorologisches Modell für die Ausbreitung und Verdünnung sowie die Wirkung der Luftverunreinigungen aufstellen, das für Planungszwecke geeignet ist? ** Welche Verknüpfungen lassen sich zwischen den Schadstoffquellengebieten, den Transport- und Verdünnungsräumen sowie den Wirkungsräumen der Luftverunreinigungen einerseits und den dort vorhandenen oder anzustrebenden Nutzungen andererseits herstellen?

22 ** In welchen Gebieten sollten aufgrund der Schwachwindrose und der vorhandenen Nutzung möglichst keine Schadstoffquellen (Emittenten) angesiedelt werden? c) Wärmebelastung Planungsziel: Reduzierung (wo und wie) der Wärmebelastung für Menschen durch Anordnung von verschiedenen Nutzungen und gegebenenfalls Spezifizierung der einzelnen Nutzungen Fragen: ** Wie lässt sich die abgestufte Wärmebelastung für Menschen physiologisch relevant quantifizieren? ** Welche Flächen weisen verschiedene Stufen der Wärmebelastung auf? Auf welchen Flächen treten insbesondere extreme Wärmebelastung auf? ** Welche Flächen können durch eine Änderung ihrer Nutzungsart einen Beitrag zur Reduzierung von höheren Wärmebelastungen leisten? ** Welche Maßnahmen innerhalb vorhandener und geplanter Siedlungsflächen können zur Reduzierung der Wärmebelastung ergriffen werden? ** In welchen Teilräumen sollen diese Maßnahmen vor allem durchgeführt werden? ** Welchen Einfluss hat die Bodenversiegelung auf die verschiedenen Stufen der Wärmebelastung in Siedlungs- und Stadtgebieten?

23 7 Ideales Stadtklima Ziel der Berücksichtigung der thermischen und lufthygienischen Komponente bei Stadtplanungs- und -sanierungsmaßnahmen ist es, ein ideales Stadtklima zu erreichen. Auf einem interdisziplinär besetzten Workshop des Fachausschusses Biometeorologie der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft im Jahr 1988 wurde das ideale Stadtklima wie folgt definiert (Mayer, 1989): Das ideale Stadtklima ** ist ein räumlich und zeitlich variabler Zustand der Atmosphäre in urbanen Bereichen, ** bei dem sich möglichst keine anthropogen erzeugten Schadstoffe in der Luft befinden, ** und den Stadtbewohnern in Gehnähe (charakteristische Länge: ca. 150 m, charakteristische Zeit: ca. 5 Minuten) eine möglichst große Vielfalt an Atmosphärenzuständen (Vielfalt der urbanen Mikroklimate) unter Vermeidung von Extremen (z.b. extreme Wärmebelastung) geboten wird. Da ein solches ideales Stadtklima realistisch nicht erreicht werden kann, besteht die Aufgabe der angewandten oder planungsrelevanten Stadtklimatologie darin, diesem Ideal durch die Empfehlung von Maßnahmen zur Minimierung der thermischen und lufthygienischen Belastungen sowie zu stadtklimatisch wirksamen Umfeldverbesserungen möglichst nahezukommen bzw. mindestens ein tolerables Stadtklima zu erreichen.

24 8 Untersuchungsmethoden in der planungsrelevanten Stadtklimatologie 8.1 Zusammenstellung Folgende Methoden haben sich für Stadtklimauntersuchungen als zweckmäßig herausgestellt: a) problemorientierte statistische Bearbeitung vorhandener, möglichst langfristiger meteorologischer und lufthygienischer Daten von Stadtstationen (z.b. Erstellung einer Schwachwindrose), b) temporäre Messungen im Freiland (Messnetze im Boden- und Dachniveau, thermische und lufthygienische Profilfahrten, Messtürme, Vertikalsondierungen über Fesselballone, frei fliegende Ballone oder bodengebundene Fernerkundungssysteme, Tracer- Versuche, phänologische Beobachtungen,...), c) Fernerkundungsverfahren aus größeren Höhen, d) Untersuchungen im Windkanal (physikalische Modellierung), e) Numerische Simulationsberechnungen mit mikro- und mesoskaligen Modellen, f) Anwendung von human-biometeorologischen Bewertungsverfahren, g) Anwendung von Verfahren der Geographischen Informationssysteme (GIS) zur flächenmäßigen Darstellung stadtklimatischer Zustände und Prozesse (unter Berücksichtigung der in der Stadtplanung relevanten Maßstäbe). Abb. 8.1: Amtliche Luftmessstation in München

25 Abb. 8.2: Amtliche Luftmessstation in Albuquerque (Bundesstaat New Mexico, USA) 8.2 Statistische Bearbeitung vorhandener meteorologischer und lufthygienischer Daten In größeren Städten befinden sich häufig mindestens eine amtliche Klimastation und eine amtliche Luftmessstation (Abb. 8.1 und 8.2), deren langfristige Daten statistisch bearbeitet werden können, um Angaben über die klimatische und lufthygienische Hintergrundsituation zu erhalten. Als exemplarische Resultate sind in den Abb. 8.3 bis 8.5 Windrosen für ausgewählte Windgeschwindigkeitsbereiche in verschiedenen Zeiträumen (ganztags, tagsüber und nachts) dargestellt. Die Grundlage der Abb. 8.3 bis 8.5 bilden Stundenmittelwerte von Windrichtung und Windgeschwindigkeit, die in Nordwürttemberg am Untersuchungsstandort AGROMET GKN - Messstelle 5 in 10 m Höhe über Grund (Standardmesshöhe für Windmessungen in Deutschland) im Zeitraum von 1986 bis 1993 erhoben worden sind (Mayer und Ahrens, 1998).

26 AGROMET GKN - Meßstelle 5 (1986-1993) 330 360 (N) 8% 6% 30 300 4% 60 (W) 270 2% 0% 90 (O) < 1.5 m/s 1.5-3.0 m/s 3.0-6.0 m/s >= 6.0 m/s 240 120 210 150 180 (S) Abb. 8.3: Windrosen (ganztags) für verschiedene Windgeschwindigkeitsbereiche an der AGROMET GKN - Messstelle 5 im Zeitraum von 1986 bis 1993 AGROMET GKN - Meßstelle 5, 6.00-18.00 Uhr MEZ (1986-1993) 330 360 (N) 6% 30 4% 300 60 2% (W) 270 0% 90 (O) < 1.5 m/s 1.5-3.0 m/s 3.0-6.0 m/s >= 6.0 m/s 240 120 210 150 180 (S) Abb. 8.4: Windrosen von 6 bis 18 Uhr MEZ (tagsüber) für verschiedene Windgeschwindigkeitsbereiche an der AGROMET GKN - Messstelle 5 im Zeitraum von 1986 bis 1993

27 AGROMET GKN - Meßstelle 5, 18.00-6.00 Uhr MEZ (1986-1993) 330 360 (N) 10% 8% 30 300 6% 4% 60 (W) 270 2% 0% 90 (O) < 1.5 m/s 1.5-3.0 m/s 3.0-6.0 m/s >= 6.0 m/s 240 120 210 150 180 (S) Abb. 8.5: Windrosen von 18 bis 6 Uhr MEZ (nachts) für verschiedene Windgeschwindigkeitsbereiche an der AGROMET GKN - Messstelle 5 im Zeitraum von 1986 bis 1993 Die verschiedenen Windrosen in den Abb. 8.3 bis 8.5 zeigen ihre planungserhebliche Abhängigkeit ** vom Windgeschwindigkeitsbereich (Schwachwinde: Windgeschwindigkeiten unter 1.5 m/s; manchmal auch unter 2.0 m/s), ** von der Tageszeit (hier grob nach tagsüber und nachts unterteilt) auf. Als Beispiele für die statistische Bearbeitung von langfristigen Daten von amtlichen Luftmessstationen sind in ** der Abb. 8.6 mittlere Tages- und Wochengänge von Stickstoffmonoxid (NO), ** der Abb. 8.7 mittlere Tages- und Wochengänge von Stickstoffdioxid (NO 2 ), ** der Abb. 8.8 mittlere Tages- und Wochengänge von Ozon (O 3 ), ** der Abb. 8.9 mittlere Tages- und Wochengänge von ausgewählten Perzentilwerten, des Jahresmittels und des Juli/August-Mittels von Ozon (O 3 ), ** der Abb. 8.10 der mittlere Jahresgang von Stickstoffmonoxid (NO), ** der Abb. 8.11 der mittlere Jahresgang von Stickstoffdioxid (NO 2 ), ** der Abb. 8.12 der mittlere Jahresgang von Ozon (O 3 )

28 Tages- und Wochenzyklen "Stuttgart-Bad Cannstatt" NO [mg/m 3 ] 0.150 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 So Mo Di Mi Do Fr Sa MEZ MIF/GfU 95 Abb. 8.6: Mittlere Tages- und Wochengänge von Stickstoffmonoxid (NO) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994 Tages- und Wochenzyklen "Stuttgart-Bad Cannstatt" NO 2 [mg/m 3 ] 0.150 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 So Mo Di Mi Do Fr Sa MEZ MIF/GfU 95 Abb. 8.7: Mittlere Tages- und Wochengänge von Stickstoffdioxid (NO 2 ) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994

29 Tages- und Wochenzyklen "Stuttgart-Bad Cannstatt" O 3 [mg/m 3 ] 0.150 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 So Mo Di Mi Do Fr Sa MEZ MIF/GfU 95 Abb. 8.8: Mittlere Tages- und Wochengänge von Ozon (O 3 ) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994 0.250 0.240 0.230 0.220 0.210 0.200 0.190 0.180 0.170 0.160 0.150 0.140 0.130 0.120 0.110 0.100 0.090 0.080 0.070 0.060 0.050 0.040 0.030 0.020 0.010 Tages- und Wochenzyklus "Stuttgart-Bad Cannstatt" O 3 [mg/m 3 ] Jul./Aug.-Mittel Jahresmittel 33 50 66 75 90 95 98 Perzentile: 0.000 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 6 12 18 0 So Mo Di Mi Do Fr Sa MEZ MIF/GfU 93 Abb. 8.9: Mittlere Tages- und Wochengänge von ausgewählten Perzentilwerten, des Jahresmittels und des Juli/August-Mittels von Ozon (O 3 ) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum März 1989 bis September 1993

30 Jahreszyklus "Stuttgart-Bad Cannstatt" NO [mg/m 3 ] 0.150 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez MIF/GfU 95 Abb. 8.10: Mittlerer Jahresgang von Stickstoffmonoxid (NO) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994 NO 2 [mg/m 3 ] 0.150 Jahreszyklus "Stuttgart-Bad Cannstatt" 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez MIF/GfU 95 Abb. 8.11: Mittlerer Jahresgang von Stickstoffdioxid (NO 2 ) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994

31 Jahreszyklus "Stuttgart-Bad Cannstatt" O 3 [mg/m 3 ] 0.150 0.135 0.120 0.105 0.090 0.075 0.060 0.045 0.030 0.015 0.000 Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez MIF/GfU 95 Abb. 8.12: Mittlerer Jahresgang von Ozon (O 3 ) an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart- Bad Cannstatt im Zeitraum 1980 bis 1994 an der amtlichen Luftmessstation Stuttgart-Bad Cannstatt dargestellt. Sie befindet sich in einer stark verkehrsbelasteten Umgebung. Grundlage für die Abb. 8.6 bis 8.12 sind Halbstundenmittelwerte aus dem Zeitraum 1980 bis 1994 (Mayer et al., 1995) bzw. 1989 bis 1993 (Mayer und Schmidt, 1993). 8.3 Temporäre Messungen im Freiland Obwohl es schon zahlreiche experimentelle Untersuchungen zum Stadtklima gibt, finden immer wieder zeitlich beschränkte (temporäre) Messungen statt, um den jeweiligen lokalen Zustand des Klimas in verschiedenen Stadtstrukturen erfassen zu können. Folgende Methoden kommen dabei hauptsächlich zum Einsatz: a) temporäre Messnetze: Temporäre Messnetze dienen der Verdichtung von Informationen zum Stadtklima, die sich aus amtlichen Klima- und Luftqualitätsmessstationen erzielen lassen. Diese Messnetze werden häufig über einen Zeitraum von ein bis drei Jahren kontinuierlich betrieben. Aufgrund der vertikalen Unterteilung der Stadtatmosphäre in UCL und UBL ist es zweckmäßig, temporäre Messnetze im Boden- und im Dachniveau einzurichten (Abb. 8.13).

32 Abb. 8.13: Beispiel für temporäre Messnetze im Boden- und Dachniveau im Rahmen des Forschungsvorhabens STADTKLIMA BAYERN (nach Bründl et al., 1987) Abb. 8.14: Beispiel für eine temporäre Messstelle im Messnetz Bodenniveau in München im Rahmen des Forschungsvorhabens STADTKLIMA BAYERN (nach Bründl et al., 1987)

33 Abb. 8.15: Charakterisierung der Horizontüberhöhung (Hofgarten, München) über eine Fisheye Aufnahme Abb. 8.16: Charakterisierung der Horizontüberhöhung (Amalienstrasse, München) über eine Fish-eye Aufnahme

34 Abb. 8.17: Charakterisierung der Horizontüberhöhung in einer engen Gasse in München über eine Fish-eye Aufnahme Abb. 8.18: Charakterisierung der Horizontüberhöhung in einer Strassenkreuzung in Manhattan (New York) über eine Fish-eye Aufnahme

35 Bei temporären Messnetzen im Bodenniveau werden meistens Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit in der Standardmesshöhe von 2 m über Grund in verschiedenen, stadtklimatisch interessanten Bereichen erfasst (Abb. 8.14). Die Messung von Windgeschwindigkeit und -richtung sowie aller Strahlungsströme macht in der UCL, wie z.b. in Strassenschluchten oder Innenhöfen, bei allgemeinen stadtklimatischen Fragestellungen wenig Sinn, da dort durch variable Horizontüberhöhungen (Abb. 8.15 bis 8.18) unterschiedliche Kanalisierungs- und Abschattungseffekte auftreten. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist darauf zu achten, dass sie von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden: - großräumige meteorologische Bedingungen, - Baukörperform, - Strassenschluchtgeometrie, - Horizontüberhöhung, - Oberflächenbedeckungstyp, - Grünflächenanteil. Temporäre Messnetze im Bodenniveau für lufthygienische Komponenten sind, u.a. aus Kostengründen, wesentlich seltener als solche für Parameter zur Charakterisierung der thermischen Komponente des Stadtklimas. Eine Ausnahme bilden temporäre lufthygienische Messnetze über 6 oder 12 Monate in Zusammenhang mit lufthygienischen Messungen nach Vorschriften wie in der TA Luft (für die Errichtung von genehmigungspflichtigen Anlagen wie z.b. Müllkraftwerke) oder anderen Durchführungsbestimmungen. Erhoben werden meistens die bodengebundenen Immissionen aus dem Kfz-Verkehr (NO, NO 2, CO, O 3, C n H m, Schwebstaubfraktionen) sowie bei speziellen PlanungsMaßnahmen weitere Substanzen (z.b. Russ, Blei und andere kanzerogene Stoffe). Diese Messungen können durch temporäre Kurzzeitmessungen an speziellen Standorten (Abb. 8.19 und 8.20) ergänzt werden Abb. 8.19: Lufthygienischer Messwagen zum Einsatz für Sondermessungen in München im Rahmen des Forschungsvorhabens IMKRAL (aus Mayer und Haustein, 1993)

36 Abb. 8.20: Lufthygienischer Messwagen zum Einsatz für Sondermessungen in Richmond (England) Über temporäre Messnetze im Dachniveau lassen sich in Ergänzung zu temporären Messnetzen im Bodenniveau zusätzliche Informationen über die stadtklimatischen Bedingungen an der Grenze zwischen UCL und UBL erzielen. Sie üben eine komponentenspezifisch unterschiedliche Steuerungsfunktion auf die klimatischen Bedingungen in der UCL aus. Temporäre lufthygienische Messnetze im Dachniveau sind allerdings noch seltener als temporäre lufthygienische Messnetze im Bodenniveau, was u.a. daran liegt, dass die bedeutendste Schadstoffquellengruppe, der Verkehr, bodennah emittiert. Um Ergebnisse von verschiedenen Messstellen in einem temporären Messnetz im Dachniveau (auf Hausdächern) vergleichen zu können, sind möglichst einheitliche äussere Verhältnisse erforderlich. So eignen sich Flachdächer (möglichst gleiche Höhe über Grund) mit 10 m hohen Masten als Messplattformen für Windmessungen (Abb. 8.21 und 8.22). Neben Windgeschwindigkeit und -richtung werden noch Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit sowie unterschiedliche breitbandige Strahlungsströme (z.b. Globalstrahlung, UV-A Strahlung, UV-B Strahlung, atmosphärische Gegenstrahlung) kontinuierlich gemessen. Da im Dachniveau die meteorologischen Bedingungen aufgrund stärkerer LuftMaßendurchmischung weitaus geringer als im Bodenniveau differieren, reichen im Dachniveau weniger Messstellen aus.

37 Abb. 8.21: Beispiel für eine temporäre Messstelle im Messnetz Dachniveau in München im Rahmen des Forschungsvorhabens STADTKLIMA BAYERN (nach Bründl et al., 1987) Abb. 8.22: Beispiel für eine temporäre stadtklimatische Messstelle im Dachniveau in Freiburg

38 Abb. 8.23: Beispiel für einen Messwagen für thermische Profilfahrten, eingesetzt im Rahmen des Forschungsvorhabens STADTKLIMA BAYERN (aus Bründl et al., 1987) Abb. 8.24: Anordnung von Messwertgebern für thermische Profilfahrten vor der Front des Messwagens (zu Abb. 8.23)

39 b) thermische und lufthygienische Profilfahrten: Thermische und lufthygienische Profilfahrten werden durchgeführt, um die Ergebnisse aus den ortsfesten Messstellen im Bodenniveau räumlich zu verdichten. Für thermische Profilfahrten wird ein Kfz (Abb. 8.23) eingesetzt, das seinen Motor wegen der Wärmeentwicklung im Heck hat; ca. 30 bis 50 cm vor der Front sind (Abb. 8.24) - Messwertgeber für Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit (häufig nach dem Psychrometerprinzip) - meistens in mehreren Höhen über Grund (z.b. 50 cm, 100 cm und 200 cm) am Kfz angebracht. Zusätzlich kann über ein Infrarotthermometer die Oberflächentemperatur erhoben werden. Profilfahrten erfolgen auf vorher festgelegten Routen, die meistens die Form einer 8 haben, um zeitliche Trends bei den Messgrößen eliminieren zu können. Aus diesem Grund sollten in der Regel thermische Profilfahrten nicht länger als ca. 60 Minuten dauern. Die Messwerte werden während der Fahrt auf einer geeigneten Datenregistriereinheit im Kfz aufgezeichnet. Bei besonderen Punkten auf der Route können die Messwerte über eine spezielle Signatur markiert werden. Die Energieversorgung von Messwertgebern und Datenerfassungseinheit kann über Akkus im Kfz erfolgen. Die Fahrgeschwindigkeit des Kfz richtet sich einerseits nach der Trägheit der Messwertgeber; andererseits darf der Messwagen auch kein Hindernis für den fahrenden Verkehr darstellen. In Städten haben sich Fahrgeschwindigkeiten zwischen 30 und 40 km/h als sinnvoll herausgestellt. Für lufthygienische Profilfahrten ist ebenfalls der Einsatz eines geeigneten Kfz mit Motor im Heck sinnvoll (Abb. 8.25). Da die Methodik die gleiche wie bei thermischen Profilfahrten ist (Messwerterhebung während der Fahrt), können nur die Immissionskomponenten gemessen werden, für die eine on-line - Registrierung möglich ist. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die klassischen luftverunreinigenden Substanzen Schwefeldioxid (SO 2 ), Kohlenmonoxid (CO), Stickstoffmonoxid (NO), Stickstoffdioxid (NO 2 ), Gesamtkohlenwasserstoffe ohne Methan (HC) und Ozon (O 3 ). Die Gasanalysatoren für diese Immissionskomponenten befinden sich einschliesslich der Datenregistriereinheit im Kfz. Es ist zweckmäßig, an jeden Gasanalysator einen eigenen Teflonschlauch anzuschliessen. Das andere Ende der Teflonschläuche (Probenahmeöffnung) befindet sich meistens an einer Halterungsstange ca. 50 cm vor dem Kfz in einer Höhe von ca. 2 m über Grund. Für spezielle Aufgaben kann die Messhöhe auch erniedrigt werden. Der Strombedarf ist bei lufthygienischen Profilfahrten (u.a. wegen der Pumpen in den Gasanalysatoren) wesentlich höher als bei thermischen Profilfahrten. Deshalb müssen mehrere Akkus mit einer größeren Leistung mitgeführt werden. Bei einem kleineren Kfz wie einem VW-Transporter ist dafür ein Anhänger geeignet (Abb. 8.26). Da die Gasanalysatoren empfindlich auf Stöße reagieren, müssen sie im Kfz möglichst stoßgedämpft eingebaut werden. Bei der Analyse der Messwerte ist zu beachten, dass die einzelnen Gasanalysatoren eine unterschiedliche Ansprechzeit aufweisen, die zum Teil bis zu 2 Minuten betragen kann.

40 Abb. 8.25: Beispiel für einen Messwagen für lufthygienische Profilfahrten, eingesetzt im Rahmen des Forschungsvorhabens IMKRAL (aus Mayer und Haustein, 1993) Abb. 8.26: Anhänger mit Akkus eines Messwagens für lufthygienische Profilfahrten, eingesetzt im Rahmen des Forschungsvorhabens IMKRAL (aus Mayer und Haustein, 1993)

41 c) Messtürme: Die Energiebilanz der einzelnen urbanen Oberflächenbedeckungstypen ist für die Ausprägung der thermischen und hygrischen Zustände in der UCL verantwortlich. Bei größeren homogenen Oberflächen mit geringen Reibungseffekten, wie z.b. Flächen aus Sand, Wiese, Granitpflaster oder Asphalt, lassen sich die Komponenten der Energiebilanzgleichung einer Oberfläche Rn + B + L + V = 0 (8.1) R n : Strahlungsbilanz B: Bodenwärmestrom L: turbulenter Strom fühlbarer Wärme V: turbulenter Strom latenter Wärme über das BREB-Verfahren (Bowen-Ratio Energy Balance, siehe u.a. Stull, 1991) oder die aerodynamische Methode (Oke, 1987) bestimmen. Für beide Prozeduren sind vertikale Profilmessungen von Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und horizontaler Windgeschwindigkeit erforderlich. Dafür werden meistens Messtürme mit einer Höhe von 10 m eingesetzt (Abb. 8.27). Abb. 8.27: Beispiel für einen meteorologischen Messturm mit Strahlungsgalgen zur Bestimmung der Energiebilanz von urbanen Oberflächenbedeckungstypen über das BREB-Verfahren oder die aerodynamische Methode, eingesetzt in München im Rahmen des Forschungsvorhabens STADTKLIMA BAYERN (aus Bründl et al., 1987)

42 Abb. 8.28: Beispiel für ein Ultraschallanemometer Werden L und V über die Eddy-Kovarianz-Methode (u.a. Foken, 1990) bestimmt, erübrigen sich Messtürme und R n, L und V werden oft in einer Höhe von 2 m über Grund ermittelt. Für die direkte Bestimmung der turbulenten Ströme L und V ist der Einsatz eines geeigneten Ultraschallanemometers (Abb. 8.28), gekoppelt mit schneller Messwertgebern für Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit, erforderlich. Generell lassen sich verschiedene Landnutzungen bzw. Oberflächenbedeckungstypen über die Beträge der Komponenten der Energiebilanz sowie das Verhältnis L/V (Bowen-Verhältnis) energetisch klassifizieren und in ihren thermischen sowie hygrischen Auswirkungen beurteilen. So liegt L/V bei Wäldern außer in Trockenperioden immer unter 1, während für Städte in mittleren geographischen Breiten ein Mittelwert von L/V = 2 typisch ist. d) Vertikalsondierungen: Das Stadtklima ist kein zweidimensionales, sondern ein dreidimensionales Phänomen. Das wird auch durch die Vertikalgliederung der Stadtatmosphäre in UCL und UBL dokumentiert. Vertikalsondierungen in der Stadtatmosphäre haben den Zweck, die zeitliche Entwicklung der ** Windverhältnisse in Abhängigkeit von der Höhe (Auswirkungen von Stadteinflüssen, tagesperiodischen Windsystemen,...), ** thermischen Schichtung (Stärke, Andauer und Vertikalerstreckung von Inversionen und Mischungsschichthöhe),

43 ** Schadstoffkonzentrationen in Abhängigkeit von der Höhe in der UCL und UBL zu analysieren. Dazu werden eingesetzt: ** Fesselballone: Hier handelt es sich um zeppelinförmige Ballone (gefüllt mit Helium), die über ein Seil mit einer Winde am Boden verbunden sind. Unter dem Ballon hängen die Messwertgeber, deren Daten geeignet (meistens über Funk) an eine Bodenstation übermittelt werden. Anzahl und Art der Messwertgeber sind durch die Ballongröße vorgegeben (bei reinen meteorologischen Messwertgebern - eine Ballonsonde für Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Windrichtung - reichen Ballone mit einem Füllungsvermögen bis zu 8 m 3 aus (Abb. 8.29); werden zusätzlich flugtaugliche Gasanalysatoren mit Stromversorgung eingesetzt, müssen weitaus größere Ballone mit einem Füllungsvermögen bis über 30 m 3 verwendet werden (Abb. 8.30)). Die maximale Aufstiegshöhe von Fesselballonen beträgt ca. 1000 m über Grund, die tatsächliche Aufstiegshöhe liegt infolge von Auflagen durch die Flugsicherung immer unter 1000 m. Abb. 8.29: Beispiel für einen Fesselballon mit einer Sonde für meteorologische Größen ** frei fliegende Ballone: Unter diesen kugelförmigen Ballonen (mit Helium gefüllt, außerhalb von Siedlungsgebieten auch mit dem billigeren, aber reaktionsfreudigen Wasserstoff) hängen ein Reflektor und eine Ballonsonde für Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck; die Daten der Ballonsonde werden über Funk an eine Empfangsstation am Boden übermittelt; der frei fliegende Ballon wird über ein Radargerät (Reflektor) verfolgt, daraus erhält man Informationen über Windgeschwindigkeit und -richtung.

44 Abb. 8.30: Beispiel für einen Fesselballon zur Vertikalsondierung von meteorologischen Größen und Immissionskomponenten Frei fliegende Ballone erreichen eine weitaus größere Aufstiegshöhe (bis zu 20 km); nach dem Zerplatzen der Ballonhülle fällt die Ballonsonde an einem Mini-Fallschirm zu Boden und ist im allgemeinen verloren bzw. nicht mehr einsetzbar. Bei den Ergebnissen aus Aufstiegen mit frei fliegenden Ballonen ist zu beachten, dass sie zwar als Vertikalprofile interpretiert werden, in Wirklichkeit ist dieses Profil jedoch nicht so exakt vertikal wie bei Fesselballonaufstiegen, sondern in Abhängigkeit von Windgeschwindigkeit und -richtung mehr oder weniger stark seitlich versetzt. ** bodengebundene Fernerkundungssysteme: Zu diesen aktiven Fernerkundungsverfahren zählen u.a. Sodar, Lidar und Radar. Bei Sodar-Systemen (Sodar: Sonic detecting and ranging) werden in kurzen zeitlichen Abständen Schallimpulse emittiert, die an Dichtesprüngen in der Atmosphäre zu einem oder mehreren Empfängern am Boden reflektiert werden. Daraus lassen sich Informationen über Strukturen und Prozesse (z.b. vertikale Schichtungs- und Windverhältnisse) in der urbanen Grenzschicht ableiten. Häufig sind Sender und Empfänger identisch (Abb. 8.31). Um den Einfluss von störenden Umgebungsgeräuschen zu reduzieren, wird häufig um das Sodar-System ein Schallschutz gestellt (Abb. 8.32). Sodar-Systeme haben den Vorteil einer kontinuierlichen Datenregistrierung, während Ballonaufstiege (Fesselballone und frei fliegende Ballone) höchstens alle Stunde, oft aber im zeitlichen Abstand von 2 bis 3 Stunden erfolgen; nachteilig bei Sodar-Systemen ist die Geräuschentwicklung (hohe Frequenz des ausgesandten Impulses in einer zeitlichen Abfolge von meistens 1 Minute), so dass sie in bewohnten Siedlungsgebieten kaum eingesetzt werden können. Sodar-Systeme lassen sich für Untersuchungen in vertikalen Schichten zwischen 30 und 700 m Höhe über Grund einsetzen.

45 Abb. 8.30: Beispiel für Sodar Abb. 8.31: Beispiel für einen Schallschutz um ein Sodar

46 Neben dem Sodar gibt es mit Lidar (Light detecting and ranging) und Radar (Radio detecting and ranging) weitere aktive Fernerkundungsverfahren, bei denen Energie in Form von Licht bzw. Radiowellen vom Boden in die Atmosphäre emittiert und die zurückgestreute Energie wieder aufgefangen wird. Daraus lassen sich u.a. Informationen über die räumliche Verteilung der Konzentrationen von luftverunreinigenden Stoffen bzw. hydrometeorologischen Größen erzielen. Spektrometrie-Methoden, wie z.b. DOAS (Differential Optical Absorption Spectrometry), werden ebenfalls zu lufthygienischen Fernerkundungsverfahren gerechnet. Der Einsatz dieser Methoden bei Stadtklimauntersuchungen ist derzeit allerdings noch sehr selten. e) Tracer-Versuche: Schwachwinde spielen in der planungsrelevanten Stadtklimatologie eine große Rolle, weil sie bei großräumigen, stadtklimatisch ungünstigen Bedingungen (austauscharme Wetterlagen) für die - wenn auch nur schwache, aber sehr wichtige - Be- und Entlüftung der Stadt verantwortlich sind (Frisch- und Kaltluftversorgung, thermisch bedingter Kaltluftabfluss). Mit herkömmlichen meteorologischen Messwertgebern können solche schwachen Windgeschwindigkeiten flächendeckend nicht mehr erfasst werden. Deshalb wird auf eine indirekte Windmessung zurückgegriffen (u.a. Kuttler et al., 1998). Im Luv des Untersuchungsgebietes wird ein chemisch inertes Leitgas in einem konkreten Zeitraum freigesetzt, das in der Atmosphäre nicht oder nur in wesentlich geringeren Konzentrationen vorkommt (meistens Schwefelhexafluorid SF 6 ). Im Lee der Quelle befinden sich mehrere Auffangbehälter, die ab einem genauen Zeitpunkt für eine ganz konkrete Zeitspanne mit Luft gefüllt werden. Die Analyse des Inhaltes der Auffangbehälter erfolgt später im Labor. Aus den Zeiten und den Leitgaskonzentrationen in den Auffangbehältern lassen sich Angaben über Wege und Intensität der Schwachwinde ableiten. Diese Untersuchungen beschränken sich meistens auf das bodennahe Schwachwindfeld. Zur optischen Erkennung von schwachen bodennahen Windströmungen wurden früher in der Geländeklimatologie (Topoklimatologie) Rauchpatronen verwendet. Ihr Einsatz ist jedoch in Städten aufgrund der Rauchentwicklung nicht möglich. f) Phänologische Beobachtungen: Phänologische Beobachtungen, d.h. das zeitliche Erfassen des Eintretens von bestimm-ten phänologischen Phasen von Bäumen und Sträuchern in der Stadt (z.b. Austrieb, Blattentfaltung oder Blattverfärbung), sind eine indirekte Methode zur räumlich differenzierten Analyse der thermischen Bedingungen in der bodennahen Stadtatmosphäre. Bei Stadtbäumen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie daneben auch von den lokalen Standortbedingungen mit der spezifischen lufthygienischen Umgebung beeinflusst werden. Phänologische Beobachtungen wurden in Städten vor allem in den 40-er und 50-er Jahren durchgeführt, finden derzeit aber wieder eine stärkere Resonanz. Phänologische Beobachtungen allein ergeben nur qualitative Hinweise auf das räumlich unterschiedliche thermische Milieu in Städten (z.b. Expositionsabhängigkeit). Ihr Vorteil ist jedoch, dass in ihnen die integrale biologische Wirkung der thermischen Umgebungsbedingungen deutlich wird.

47 8.4 Fernerkundungsverfahren aus größeren Höhen Bei Fernerkundungsverfahren werden prinzipiell Eigenschaften von Flächen oder Räumen aus der Ferne über geeignete Sensoren erkundet. Die dafür eingesetzten Messplattformen befinden sich an der Erdoberfläche (z.b. bei Sodar und Lidar), in Flugzeugen oder Satelliten. Aus Stadtklimauntersuchungen mit temporären Messnetzen ergeben sich ohne den zusätzlichen Einsatz von statistischen Verfahren keine flächendeckenden Aussagen. Diesen Nachteil weisen Ergebnisse aus der Anwendung von Fernerkundungsverfahren nicht auf, die auf Messplattformen in größeren Höhen beruhen. Die Erdoberfläche sendet Strahlung in die Atmosphäre aus: ** kurzwellige Reflexstrahlung, ** langwellige Ausstrahlung. Diese Strahlung lässt sich mit geeigneten Sensoren in Satelliten oder Messflugzeugen erfassen und registrieren. Diese Sensoren weisen im allgemeinen eine Sensibilität für bestimmte Wellenlängen oder Wellenlängenbereiche auf. Ist ein Sensor für mehrere Wellenlängen bzw. Wellenlängenbereiche sensibel, wird er als Multispektralscanner bezeichnet. Scannen bedeutet, dass die Erdoberfläche während des Fluges quer zur Flugrichtung durch eine geeignete Eingangsoptik abgetastet wird. Werden Daten in verschiedenen kurzwelligen Wellenlängen bzw. -bereichen aufgezeichnet, kann man bei einer geeigneten Datenanalyse Hinweise auf die aktuelle flächendeckende Verteilung von verschiedenen Oberflächenbedeckungstypen (u.a. Vegetationsflächen) erhalten. Erfasst man Daten der langwelligen Ausstrahlung E (in W/m 2 ), ergeben sich hier vereinfacht durch das Stefan-Boltzmann-Gesetz und nicht das Planck sche Gesetz ausgedrückt - Informationen über die flächendeckende Verteilung der Oberflächentemperatur T o (in K): E = ε σ 4 T o (8.2) mit: ε: Emissionsvermögen (Stoffkonstante) σ: Stefan-Boltzmann-Konstante (5,67 10-8 W/(m 2 K 4 )) Aus (8.2) folgt: T o = E 4 (8.3) ε σ