Gesunde Luft in Schulen Aktionskreis Energie 1.November 2016 Dipl. Ing. Detlef Kadler 22.11.2016 Seite 1
Gliederung Innenraumluft - ein unterschätztes Lebensmittel Kohlendioxid als Indikator Leitwert, Richtwert, Grenzwert Rechtslage Bausteine für eine der Gesundheit zuträglichen Innenraumluft Lüftungsanforderungen im Wandel Lüftungskonzepte Sensibilisierung der Nutzer Wie machen es die Anderen? Ausblick 22.11.2016 Seite 2
Innenraumluft - ein unterschätztes Lebensmittel Pro Tag atmet der Mensch 10 bis 20 m³ Luft ein, je nach Alter Aktivität entspricht in etwa 12 bis 24 kg Luft mehr als Trinkwasser und Lebensmittel zusammen pro Tag hohe Kontrolldichte für Trinkwasser und Lebensmittel ist EU weit festgelegt, interne Qualitätssicherung Innenraumluftüberwachung, im Gegensatz zur Außenluft nicht geregelt! 22.11.2016 Seite 3
Innenraumluft - ein unterschätztes Lebensmittel Der Mensch hält sich privat wie auch beruflich zu ca. 90 % im Durchschnitt in Innenräumen incl. Verkehrsmitteln auf. Kinder sind bis zu 40 % der Tageszeit in Schulen, Kitas u.ä. Einrichtungen. Kinder atmen schneller als Erwachsene, wodurch sie in Relation auf ihr Körpergewicht mehr Luft einatmen. 22.11.2016 Seite 4
Kinder reagieren empfindlicher auf Luftverschmutzung als Erwachsene, weil sich die Lunge, das Gehirn und das Immunsystem noch im Wachstum befinden und die Atemwege durchdringlicher sind. Somit ist eine hohe Qualität der Innenraumluft essenziell, aber die Außenluft wird viel besser überwacht! aus UNICEF Report: Clear the air of children 10/2016 22.11.2016 Seite 5
Kohlendioxid als Leitparameter Einflussgrößen auf die Innenraumluft in Klassenräumen Atemluft (Kohlendioxid, Wasserdampf) Emissionen aus Baustoffen, Einrichtungsgegenständen, Reinigungsmitteln, Arbeitsmaterialien Kosmetika usw. Partikel (Feinstaub) Eintrag durch Personen, Außenluft, Verbrennungsprozesse usw. 22.11.2016 Seite 6
Kohlendioxid als Leitparameter Zusammensetzung der Luft vor dem Einatmen und beim Ausatmen 22.11.2016 Seite 7
Kohlendioxid als Leitparameter Emissionen durch die Atemluft Wasserdampfabgabe 30-60g /h und Person, das sind bei 26 Personen im Raum bis zu 1,6 kg/h Kohlendioxidabgabe pro Person: Sechsjähriges Kind ca. 10l/h Erwachsener ca. 22l/h www.co2-modell.nlga.niedersachsen.de 22.11.2016 Seite 8
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Kohlendioxid als Leitparameter Warum Kohlendioxid als Leitparameter? Toxikologisch in der üblicherweise vorgefundenen Konzentration von untergeordneter Bedeutung, aber: ist einfach zu messen, korreliert mit allen leicht flüchtigen organischen Verbindungen (TVOC, VOC) und Feinstaub als Steuerungsgröße einsetzbar für die Luftwechselrate Luftwechselrate korreliert mit Infektanfälligkeit, Anstieg von 100 ppm entsprach 0,2% igen Anstieg der Abwesenheitsrate (schottische Studie) Konzentrations- und damit Leistungsfähigkeit (Studie Dänemark: Verdoppelung der LW- Rate bedingt Steigerung der Leistungsfähigkeit um 8-14 %) 22.11.2016 Seite 10
Leitwert, Richtwert, Grenzwert Leitwerte für die Innenraumluft Unter einem Leitwert versteht die Ad-hoc-Arbeitsgruppe einen hygienisch begründeten Beurteilungswert eines Stoffes oder einer Stoffgruppe. Leitwerte werden festgelegt, wenn systematische praktische Erfahrungen vorliegen, dass mit steigender Konzentration die Wahrscheinlichkeit für Beschwerden oder nachteilige gesundheitliche Auswirkungen zunimmt, der Kenntnisstand aber nicht ausreicht, um toxikologisch begründete Richtwerte abzuleiten. Bisher festgelegt für Kohlendioxid in der Innenraumluft, für die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (Total Volatile Organic Compounds - TVOC) und für Feinstaub (Particulate Matter - PM 2,5). 22.11.2016 Seite 11
Leitwert, Richtwert, Grenzwert Richtwert Toxikologisch abgeleiteter Wert basierend auf geeigneten Erkenntnissen zu toxischen Wirkungen und Dosis-Wirkungs- Beziehungen des jeweiligen Stoffes 22.11.2016 Seite 12
Leitwert, Richtwert, Grenzwert Richtwert II (RW II) ist ein wirkungsbezogener, begründeter Wert, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes unter Einführung von Unsicherheitsfaktoren stützt. Er stellt die Konzentration eines Stoffes dar, bei deren Erreichen bzw. Überschreiten unverzüglich Handlungsbedarf besteht, da diese Konzentration geeignet ist, insbesondere für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen eine gesundheitliche Gefährdung darzustellen. Gefahrenwert! 22.11.2016 Seite 13
Leitwert, Richtwert, Grenzwert Richtwert I (RW I) ist die Konzentration eines Stoffes in der Raumluft, bei der im Rahmen einer Einzelstoffbetrachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Eine Überschreitung ist mit einer über das übliche Maß hinausgehenden, hygienisch unerwünschten Belastung verbunden. Aus Vorsorgegründen besteht auch im Konzentrationsbereich zwischen RW I und RW II Handlungsbedarf. Der RW I wird vom RW II durch Einführen eines zusätzlichen Faktors (in der Regel 10) abgeleitet. Dieser Faktor ist eine Konvention. Der RW I kann als Sanierungszielwert dienen. Er soll nicht ausgeschöpft, sondern nach Möglichkeit unterschritten werden. Vorsorgerichtwert! 22.11.2016 Seite 14
Leitwert, Richtwert, Grenzwert Grenzwert Grenzwerte sind rechtlich verbindlich. Es werden legislative Grenzwerte (auf dem Ergebnis parlamentarischer Prozesse beruhend) und administrative Grenzwerte (bindend für Verwaltung und betroffene Kreise) unterschieden. 22.11.2016 Seite 15
Rechtliche Regelungen Bauordnungsrecht 13 der Berliner Bauordnung Bauliche Anlagen müssen so angeordnet und beschaffen und gebrauchstauglich sein, dass durch Wasser, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. 22.11.2016 Seite 16
Rechtliche Regelungen Arbeitsschutzrecht Arbeitsschutzgesetz Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen Arbeitsstättenverordnung Konkretisiert die Maßnahmen durch Arbeitsstättenrichtlinien (hier: ASR 3.6 Lüftung 2012 ) 22.11.2016 Seite 17
Rechtliche Regelungen Wortlaut ASR 3.6 In umschlossenen Arbeitsräumen muss gesundheitlich zuträgliche Atemluft in ausreichender Menge vorhanden sein. In der Regel entspricht dies der Außenluftqualität 22.11.2016 Seite 18
Technische Regeln im Umbruch z.b. VDI 6040 Blatt 1 und 2 Schulen Raumlufttechnik Blatt 2 Ausführungshinweise für RLT aber auch für die freie Lüftung wird festgelegt: Kohlendioxidkonzentration von 1000 ppm durchschnittlich auf der Grundlage einer zeitlich gewichteten Konzentration über die Dauer einer Unterrichtseinheit 22.11.2016 Seite 19
Rechtliche Regelungen Harmonisierung der Regelungen seit 2012 Arbeitsschutzrichtlinie ASR 3.6 und Leitwert des Ausschuss für Innenraumrichtwerte 22.11.2016 Seite 20
Internationale Leitwerte für Kohlendioxid in ppm: Finnland 1200 Norwegen, Schweden 1000 Dänemark 1000 Österreich Außenkonzentration plus 600 Großbritannien in Sitzhöhe max. 1500, zu jedem Zeitpunkt müssen die Nutzer in der Lage sein, die Kohlendioxidkonzentration auf 1000 herabzusetzen, Ausstattung mit Lüftungsampeln wird empfohlen USA Richtwert 1000 22.11.2016 Seite 21
Lüftungsanforderungen im Wandel Untersuchungen in Bremen, Hamburg, Niedersachsen, NRW, Hessen Rheinland-Pfalz, Bayern, Sachsen und Berlin in den letzten 15 Jahren wiesen durchweg erhebliche Hygienemängel der Innenraumluftqualität in Schulen u.ä. Einrichtungen insbesondere hinsichtlich der Kohlendioxid und Feinstaubbelastung auf. In den meisten Fällen waren Lüftungsdefizite die maßgebliche Ursache für gemessene Schadstoffanreicherungen Mit diesen Erfahrungen aus der Vergangenheit gehen wir in eine Epoche der komplett abgedichteten Baukonstruktionen!!(energetische Forderungen führen zu einer natürlichen Luftwechselzahl von < 0,1) 22.11.2016 Seite 22
Lüftungsanforderungen im Wandel Ohne entsprechendes Reagieren der Bauherren/Nutzer werden sich die lufthygienischen Probleme verschärfen, wenn die vorgegebenen energiepolitischen Ziele einseitig realisiert werden Was bedeutet die lüftungstechnische Umsetzung des Leitwertes 1000 ppm Kohlendioxid? 22.11.2016 Seite 23
Lüftungsanforderungen im Wandel Beispiel Bei einem (Standard)raumvolumen von 6 m³/schüler wird benötigt: Luftwechselzahl von 5/h, optimaler Außenluftvolumenstrom 30m³ /Schüler und Stunde Lässt sich diese rechtliche Forderung (Arbeitsschutz), die gesundheitlich begründete Empfehlung (Leitwert des AIR) und die pädagogisch motivierte (leistungsfördernde) Bedingung ohne technische Unterstützung umsetzen? 22.11.2016 Seite 24
Lüftungskonzepte Lüftungssysteme Freie Lüftung Hybridlüftung Maschinelle Lüftung Fensterlüftung Lüftungsplan Lüftungsampel Mot.Fensteröffnung Dezentrale Systeme Zentrale Systeme Schachtlüftung Dachaufsatzlüftung 22.11.2016 Seite 25
Lüftungskonzepte Freie Lüftung ist abhängig von Temperaturdifferenz innen und außen sowie von Windverhältnissen korrektem Verhältnis von Raumabmessungen, Schülerzahl und Lüftungsöffnung Organisation und Umsetzung eines strengen Lüftungsregimes Akzeptanz (Behaglichkeit) während des Unterrichtes 22.11.2016 Seite 26
Lüftungskonzepte Maschinelle Lüftung nutzerunabhängig, notwendige Luftwechselzahl und bei korrekter Auslegung und Einstellung wird eingehalten, Nutzung der Nachtkühle möglich, Wärmerückgewinnung Nachteil: höhere Investitions- und Wartungskosten 22.11.2016 Seite 27
Lüftungskonzepte Hybride Lüftung Geringere Investitionskosten, weil geringer dimensioniert, Wartungskosten sind in etwa gleich Gute Akzeptanz, weil freie Lüftung integriert Sicherung einer Grundlüftung, wenn die zusätzliche freie Lüftung einmal vergessen wird Wärmerückgewinnung möglich 22.11.2016 Seite 28
Lüftungskonzepte Alle Lüftungsarten setzen das Wissen um den notwendigen Luftaustausch und das Mitwirken aller Beteiligten mehr oder weniger voraus! 22.11.2016 Seite 29
Wie machen es die Anderen? Beispiel Aachen: Planungsanweisung für städtische Liegenschaften: In Neubauten und umfassenden Sanierungen von Schulen sind grundsätzlich Lüftungsanlagen einzuplanen. Auslegung dezentrale Anlage für 30 Schüler je Klassenraum Lüftungsgerät mit 800m³/h im Unterrichtsmodus 600m³ entspricht 75% des Nennvolumens, 30 db(a) im Pausenmodus 800 m³/h 35dB(A) Kohlendioxidgehalt gesteuerter Sensor schaltet bereits bei 600 ppm an Halbjährlicher Filterwechsel Lebensdauer geschätzt 10 Jahre 22.11.2016 Seite 30
Wie machen es die Anderen Nutzerhandbuch Hannover 22.11.2016 Seite 31
Flächendeckende Lüftung mit Wärmerückgewinnung für alle Neubauten! Bei der Abnahme muss u.a. ein Nachweis über die Schulung des Personals und der Nutzer vorgelegt werden Nach zwei Jahren soll eine uabhängige Stelle die Zufriedenheit der Nutzer und des Personals erfragen, Monitoring der Raumluftqualität (max. Abweichung der Vorgaben um 10 %) Diesen Text hier löschen/ersetzen über das Menü Ansicht -> Kopf- und Fußzeile 22.11.2016 Seite 32
Ausblick Planen, Bauen, Abnahme/ Übergabe, Wartung ein zusammenhängender Vorgang!! Lüftungssimulation unter realistischen Bedingungen ist Planungsbestandteil Durchführung eines Monitorings der lufthygienischen Bedingungen innerhalb der Gewährleistung Wartungsvertrag als Teil der Ausschreibung Nutzereinbeziehung von Anfang an, um die Akzeptanz zu sichern 22.11.2016 Seite 33
Ausblick Der Leitfaden zeigt eine technische Möglichkeit auf, wie eine gesundheitlichhygienische Raumluftqualität in Schulen in hochbelegten Räumen unter Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben (Arbeitsschutz, ENEV) und dem Stand der Technik erreicht werden kann Zitat aus einer Antwort des StS Prof. Lütke- Daldrup auf eine schriftl. Anfrage des AHB http://www.stadtentwicklung.berlin.de/se rvice/rundschreiben/de/download/rs/201 4/RSZF_2014_01_leitfaden.pdf 22.11.2016 Seite 34
Ausblick Berlin benötigt eine zukunftsweisende Schulbaurichtlinie, die mit allen Verwaltungen - einschließlich der Finanzverwaltung- einmal grundsätzlich abgestimmt und als Standard für alle Schulneubauten verbindlich anzuwenden ist. Die Vielfalt einer standortbezogenen Gebäudegestaltung ist damit trotzdem möglich. Die Planungs- und Finanzierungssicherheit für den Bauherrn sichert kurze Genehmigungs- und Bauzeiten. 22.11.2016 Seite 35
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Pettenkofer Foto: Wolfram Müller Tel. 90229 2424 detlef.kadler@lageso.berlin.de 22.11.2016 Seite 37