KKW-Unfall Inland. Definition

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KKW-Unfall Inland Definition Jeder vom Normalbetrieb abweichende Anlagenzustand in einem Kernkraftwerk, der das Eingreifen eines Sicherheitssystems erfordert, gilt als Störfall. (Kernenergieverordnung). Von einem KKW-Unfall wird gemäss Internationaler Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) dann gesprochen, wenn die zusätzliche Strahlenexposition der Bevölkerung etwa der Höhe der natürlichen Strahlenexposition entspricht oder diese übersteigt. Die Bewertungsskala umfasst sieben Stufen und ist logarithmisch aufgebaut: Ein Übergang auf die nächste Stufe bedeutet einen zehnfach höheren Schweregrad. Stufen 1 bis 3 beschreiben Störfälle, Stufen 4 bis 7 Unfälle mit Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung. Der Ablauf eines KKW-Unfalls kann in drei Phasen gegliedert werden: Die Vorphase vom Beginn eines Ereignisses bis zum Austritt von Radioaktivität, die Wolkenphase vom Austritt von Radioaktivität bis die Partikelwolke vorüber gezogen ist, und die Bodenphase, in welcher vom kontaminierten Boden weiterhin radioaktive Strahlung ausgeht. 30. Juni 2015

Ereignisbeispiele März 2011 Fukushima (Japan) Unfall nach Naturkatastrophe Am 11. März 2011 ereignete sich ein Erdbeben der Magnitude 9.0 vor der Küste Japans und löste einen zerstörenden Tsunami aus, der u. a. auch das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi stark beschädigte. Vier von sechs Reaktorblöcken wurden zerstört, in Block 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen. Grosse Mengen an radioaktivem Material wurden freigesetzt und kontaminierten Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel in der land- und meerseitigen Umgebung. Ungefähr 100 000 bis 150 000 Einwohner mussten das Gebiet rund um das Kernkraftwerk vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Aufgrund einer Abschätzung der Gesamtradioaktivität der freigesetzten Stoffe ordnete die japanische Atomaufsichtsbehörde die Ereignisse auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse einige Tage nach der Katastrophe mit der Höchststufe 7 ( katastrophaler Unfall ) ein. April 1986 Tschernobyl (Ukraine) Reaktorkatastrophe bei Tests Als Folge grundlegender Mängel in der Konstruktion des Reaktors sowie Planungs- und Bedienungsfehlern bei einem Test ereignete sich am 26. April 1986 eine Kernschmelze und eine Explosion im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Der KKW-Unfall wird mit INES 7 eingestuft: Grosse Mengen verschiedener radioaktiver Stoffe entwichen durch die Explosionen und den anschliessenden Brand im Reaktor in die Umwelt, wobei die hohen Temperaturen des Graphitbrandes für eine Freisetzung in grosse Höhen sorgten. Insbesondere leicht flüchtige Isotope bildeten gefährliche Aerosole, die in einer ionisierenden Wolke hunderte bis tausende Kilometer weit getragen wurden, bevor sie der Regen aus der Atmosphäre wusch. Erst am 6. Mai 1986 war die Freisetzung der radioaktiven Stoffe weitgehend unterbunden. Schätzungen gehen davon aus, dass die Katastrophe 30 direkte Todesopfer und etwa 200 akut Strahlenerkrankte forderte. Dazu kommen hunderttausende leicht verstrahlte Personen sowie hunderttausende Evakuierte. Januar 1969 Am 21. Januar 1969 ereignete sich im ein Jahr zuvor in Betrieb genommenen Lucens (Schweiz) Versuchs-Kernkraftwerk Lucens ein Unfall der Intensität INES 5. Bei der Wiederinbetriebnahme nach einer Revision kam es durch Probleme mit dem Kühlsys- Kernschmelze im Versuchsreaktor tem zur Überhitzung mehrerer Brennelemente und einer partiellen Kernschmelze. Trotz einer automatischen Schnellabschaltung kam es zum Bersten eines Druckrohrs, wodurch u. a. auch radioaktive Gase in die Reaktorkaverne (Containment) entwichen. Das Containment konnte nur zum Teil versiegelt werden, ionisierende Gase gelangten durch undichte Stellen in die Umwelt. Die Gefahr für Mensch und Umwelt war begrenzt, da sich der Reaktor in einem Bergstollen befand. Messungen ergaben keine unzulässigen Strahlendosen im Umfeld des Reaktors. Die Aufräumarbeiten konnten im Mai 1973 abgeschlossen werden. Bei der nachfolgenden Dekontamination und Zerlegung des Reaktors fielen 250 Fässer mit radioaktivem Abfall an. 2/10

Einflussfaktoren Diese Faktoren können Einfluss auf die Entstehung, Entwicklung und die Auswirkungen der Gefährdung haben. Gefahrenquelle Zeitpunkt Ort / Ausdehnung Ereignisablauf Menge und Art der vorhandenen und entstehenden radioaktiven Stoffe Reaktortyp / Bauart, insbesondere Kühlsystem Einwirkungen von aussen (Naturgefahren, Terroranschläge) Tageszeit, Wochentag, Jahreszeit (Personenexposition insbesondere auch im Freien) Wettersituation: Windrichtung und -stärke sowie Niederschlag während der Freisetzung Räumliche Ausdehnung von Wolkenphase und Bodenphase Merkmale des betroffenen Gebiets (Bevölkerungsdichte, Landwirtschaftsanteil) Verfügbare Vorwarnzeit Freisetzungsart: - gefiltert - ungefiltert (unterschiedliche Formen: Leck in Containment, Explosion, Hitze entweichender Gase) Verhalten der Einsatzkräfte und verantwortliche Behörden Reaktion der Bevölkerung und Politik 3/10

Abhängigkeiten Dargestellt sind Ereignisse und Entwicklungen aus dem «Katalog möglicher Gefährdungen» des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS), die Auslöser oder Folge eines KK-Unfalls Inland sein können. Mögliche Auslöser Gravitative Naturgefahren Tsunami Seismische Naturgefahren Erdbeben Störfälle / Unfälle in Produktions- und Speicheranlagen Versagen Stauanlage Kriminalität / Terrorismus Cyber-Angriff Bewaffnete Konflikte Militärischer Angriff Andere Naturbedingte Gefährdungen Meteoriteneinschlag Störfälle / Unfälle in Produktions- und Speicheranlagen KKW-Unfall Inland Mögliche Folgen Ausfälle von Versorgungs-, Verkehrsund Informationsinfrastrukturen Ausfall von Informations- und Kommunikationsinfrastruktur Ausfall Bahninfrastruktur Ausfall Strasseninfrastruktur Krankheiten von Mensch und Tier Verunreinigung von Lebensmitteln Verunreinigung von Trinkwasser Politische Ereignisse oder Entwicklungen Flüchtlingswelle Innere Unruhen Versorgungsengpässe Versorgungsengpass Lebensmittel Entsorgungsengpässe Entsorgungsengpass Sondermüll (radioaktiv, Gifte, Altlasten) Kriminalität / Terrorismus Organisierte Kriminalität Andere gesellschaftlich bedingte Gefährdungen Massenpanik 4/10

Szenario Intensität In Abhängigkeit der Einflussfaktoren können sich verschiedene Ereignisse mit verschiedenen Intensitäten entwickeln. Die unten aufgeführten Szenarien stellen eine Auswahl von vielen möglichen Abläufen dar und sind keine Vorhersage. Mit diesen Szenarien werden mögliche Auswirkungen antizipiert, um sich auf die Gefährdung vorzubereiten. 1 erheblich Störfall mit Kernschaden (partielle Kernschmelze) Versagen des Containments und ungefilterte Freisetzung von Radioaktivität Freisetzungszeitpunkt nach Unfallbeginn: 6 Stunden Quellterme: Iod: 10 15 Bq, Cäsium (Rb-Cs Klasse): 10 14 Bq, Edelgase: 3.10 18 Bq Wetterlage: stabil, ohne Regen 2 gross Störfall mit schwerem Kernschaden Versagen des Containments und ungefilterte Freisetzung von Radioaktivität lod- und Cäsium-Quellterme sind gegenüber dem erheblichen Szenario um Faktor 10 erhöht. 100% Freisetzung von Edelgasen Freisetzungszeitpunkt nach Unfallbeginn: 6 Stunden Mittlere Wetterlage 3 extrem Störfall mit schwerem Kernschaden Versagen des Containments und ungefilterte Freisetzung von Radioaktivität lod- und Cäsium-Quellterme sind gegenüber dem Szenario erheblich um einen Faktor 100 bis 1000 erhöht 100% Freisetzung von Edelgasen Freisetzungszeitpunkt nach Unfallbeginn: 2-4 Stunden. Wetterlage: stabil, ohne Regen Wahl des Szenarios Für dieses Beispiel ist das Szenario mit der Intensität «gross» gewählt worden. Dieses Szenario ist in der Schweiz grundsätzlich vorstellbar, aber doch selten zu erwarten. 5/10

Ereignis Ausgangslage / Vorphase In einem Schweizer Kernkraftwerk kommt es um ca. 4 Uhr zum Bruch einer Kühlmittelleitung innerhalb der Sicherheitshülle. In der Folge wird sofort eine Schnellabschaltung des Reaktors ausgelöst. Die zuständigen Behörden (ENSI, NAZ) werden umgehend über das Ereignis informiert. Nachdem im Werk auch die Notkühlung versagt und die Brennelemente nicht mehr vollständig in Wasser eintaucht, warnt die NAZ die kantonalen Behörden. Währenddessen erhöht sich die Temperatur im Reaktorkern so stark, dass ein Teil des Kerns schmilzt. Ereignisphase Gegen 6.30 Uhr tritt durch die Überhitzung ein Teil der Radioaktivität aus dem Reaktordruckgefäss in die Sicherheitshülle (Containment) aus, wo sie aber nach wie vor zurückgehalten werden kann. Die NAZ ordnet in dieser Phase des Ereignisses Schutzmassnahmen an: Im gefährdeten Gebiet wird die Bevölkerung evakuiert. Wo dies nicht möglich ist, wird die Bevölkerung aufgefordert, sich in ihre Schutzräume zu begeben. Trotz frühzeitiger Alarmierung können Teile der Bevölkerung nicht rechtzeitig erreicht werden, so dass sich diese nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Im weiteren Verlauf des Störfalls kommt es zum Versagen des Containments, sodass ab 10 Uhr während etwa 2 Stunden unkontrolliert und ungefiltert Radioaktivität freigesetzt wird. Die wenigen Personen, welche sich im näheren Bereich der Anlage im Freien aufhalten, werden dabei einer erheblichen Strahlendosis ausgesetzt. Die Strahlungsgrenzwerte werden bis zu einer Distanz von rund 100 km überschritten, wobei die grösste Belastung in einer Distanz bis etwa 10 km auftritt. Im Durchzugsgebiet der radioaktiven Wolke wird der Boden langfristig kontaminiert. Nachdem der Wolkendurchzug nach etwa 2 Tagen abgeschlossen ist, werden die zurückgebliebenen Personen aus dem am stärksten betroffenen Gebiet evakuiert. Viele weiter entfernt lebende Personen verlassen das kontaminierte Gebiet ebenfalls. Dazu werden alle verfügbaren Verkehrsmittel eingesetzt. An verschiedenen Stellen kommt es dadurch zu einem Verkehrschaos. Regenerationsphase Aus den am stärksten betroffenen Gebieten müssen die Bewohner permanent umgesiedelt werden. In weniger stark betroffenen Gebieten werden den Einwohnern Verhaltensanweisungen gegeben, wie sie die radioaktive Belastung minimieren können: Insbesondere soll der Aufenthalt im Freien auf ein Minimum beschränkt werden und landwirtschaftliche Produkte müssen vor dem Verkauf auf ihre Belastung hin geprüft werden. Für die Betroffenen wird zudem eine Beratungsstelle eingerichtet. Wo möglich wird aber das verstrahlte Gebiet dekontaminiert, indem Oberflächen gewaschen und Böden abgetragen werden. Aufgrund der grossen betroffenen Fläche ziehen sich diese Arbeiten über mehrere Jahre hin. Dabei fallen grosse Mengen an radioaktivem Abfall an, welche wiederum über Jahrzehnte fachgerecht gelagert werden müssen. Gebiete, welche nicht dekontaminiert werden können, werden deshalb für lange Zeit zu Sperrzonen erklärt. Der Ver- 6/10

kehr bleibt über einige Zeit stark eingeschränkt, bis die Hauptverkehrsachsen dekontaminiert sind und wieder genutzt werden können. Verglichen mit nicht betroffenen Gebieten weisen auch die dekontaminierten Areale weiterhin erhöhte Strahlungswerte auf. In der Folge ist die Wirtschaft in diesen Gebieten stark eingeschränkt. Zeitlicher Verlauf Nach einer Vorwarnzeit von wenigen Stunden erfolgt die Ausbreitung der radioaktiven Wolke während etwa 2 Tagen. Mit Dekontaminationsmassnahmen in den ersten Jahren können die Auswirkungen stark reduziert werden. Die vollständige Regeneration benötigt dennoch Jahrzehnte. Auswirkungen Vorphase: 6 Stunden Ereignisphase: 2 Tage Regenerationsphase: Jahrzehnte Dauer Räumliche Ausdehnung Am stärksten betroffen ist das Gebiet in Windrichtung bis zu einer Distanz von etwa 10 km. Sowohl die kurzzeitige als auch die langfristige radioaktive Belastung überschreitet den Grenzwert bis zu einer Distanz von rund 100 km. Auswirkungen Personen Infolge von Arbeitsunfällen bei den Notfallmassnahmen im betroffenen Kraftwerk sowie durch Verkehrsunfälle flüchtender Personen wird mit etwa 20 Todesopfern gerechnet. Die Anzahl durch Strahlung geschädigter Personen bleibt allerdings gering, da sich die Bevölkerung aufgrund der frühzeitigen Warnung grösstenteils rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Nur wenige Personen, welche sich dennoch im Freien aufhalten, werden durch die Strahlung geschädigt. Etwa 60 Personen erleiden schwere, etwas 250 Personen mittelschwere und rund 1400 Personen leichte Gesundheitsschäden. Rund 300 000 Personen flüchten aus dem betroffenen Gebiet. Die Mehrheit davon kommt provisorisch bei Verwandten und Bekannten unter. Dennoch verbleiben Tausende von Personen, welche vorübergehend in Notunterkünften untergebracht und verpflegt werden müssen. Zudem müssen hunderttausende 7/10

beim Verlassen des betroffenen Gebietes auf radioaktive Belastung untersucht werden. Umwelt Ein Gebiet von mehreren 1000 km 2 wird radioaktiv kontaminiert, wobei die Belastung mit zunehmender Distanz stark abnimmt. Durch Wiederaufwirbelung wurde die radioaktive Kontamination teilweise in angrenzende Gebiete verschleppt. Auch die Oberflächengewässer, insbesondere die Aare, sind davon betroffen. Das zur Dekontamination benötigte Wasser gelangt teilweise in die Kanalisationen, von dort in Kläranlagen und schliesslich in die Gewässer, wodurch die Radioaktivität immer wieder neu eingetragen wird. Die Radioaktivität lässt je nach freigesetztem Stoff unterschiedlich rasch nach. Entsprechend nimmt auch die Bodenkontamination bereits wenige Tage nach dem Wolkendurchzug stark ab. In den betroffenen Gebieten wird vorsorglich von der NAZ ein ausgedehntes Ernte- und Weideverbot ausgesprochen. Wirtschaft Im betroffenen Gebiet kommt die Wirtschaft vorübergehend zum Erliegen. Insbesondere der Tourismus, die Lebensmittelherstellung und andere produzierende Unternehmen haben auch mittel- bis langfristig Mühe, wieder Fuss zu fassen. Wo immer möglich werden Standorte in nicht betroffene Gebiete ausgelagert. Die Wirtschaft im betroffenen Gebiet erleidet dadurch langfristig Schaden. Das betroffene Land und die Immobilien verlieren massiv an Wert und die Dekontamination des Gebietes ist mit hohen Kosten verbunden. In der näheren Umgebung des Ereignisortes ist die Dekontamination nur durch Abtragen der obersten Schicht Erde machbar, was zu einer Ansammlung grösserer Volumina von radioaktiv kontaminierten Materialien führen wird, die fachgerecht entsorgt werden müssen. Insgesamt belaufen sich die wirtschaftlichen Schäden auf Dutzende Milliarden CHF. Gesellschaft Das am stärksten betroffene Gebiet wird vorübergehend evakuiert. Insbesondere am Rand des evakuierten Gebietes, wo eine geringere Strahlenbelastung herrscht, besteht die Gefahr von Plünderungen. Diesen muss mit vermehrten Kontrollen durch Sicherheitskräfte begegnet werden. Personen aus den am stärksten betroffenen Gebieten werden permanent umgesiedelt. Auch in weniger stark betroffenen Gebieten ziehen viele Personen weg, wenn sie es sich leisten können. 8/10

Auswirkungsdiagramm Dargestellt ist das erwartete Ausmass pro Schadensindikator im beschriebenen Szenario. Pro Ausmassklasse nimmt der Schaden um den Faktor 3 zu. Risikodiagramm Dargestellt ist das Risiko des beschriebenen Szenarios zusammen mit den anderen Gefährdungsszenarien, die analysiert wurden. Je weiter rechts und oben ein Szenario liegt, desto grösser ist dessen Risiko. Mutwillig herbeigeführte Ereignisse sind den Plausibilitätsklassen zugeordnet, die anderen den Häufigkeitsklassen. Die Schäden sind aggregiert und monetarisiert dargestellt. 9/10

Grundlagen und Referenzen Verfassung Artikel 90 (Kernernergie) Artikel 196 Ziff. 4 (Übergangsbestimmung) Gesetz Strahlenschutzgesetz (StSG) vom 22. März 1991; SR 814.50 Kernenergiegesetz (KEG) vom 21. März 2003; SR 732.1 Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz (BZG) vom 4. Oktober 2002; SR 520.1 Verordnung Notfallschutzverordnung (NFSV) vom 20. Oktober 2010; SR 732.33 ABCN-Einsatzverordnung vom 20. Oktober 2010; SR 520.17 Fremd- und Inhaltsstoffverordnung (FIV) vom 26. Juni 1995; SR 817.021.23 weitere Grundlagen und Quellen Labor Spiez, 2009: Technisches ABC-Schutzkonzept. Referenzszenarien. Labor Spiez, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Spiez. BABS, 2003: KATARISK Katastrophen und Notlagen in der Schweiz. Eine Risikobeurteilung aus der Sicht des Bevölkerungsschutzes. Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Bern. BAG, 2007: Radioaktivität und Strahlenschutz. Bundesamt für Gesundheit BAG, Bern. ENSI, 2011: Auswirkungen Fukushima 11032011. Radiologische Auswirkungen aus den kerntechnischen Unfällen in Fukushima vom 11.03.2011. Eidgenössisches Nuklearinspektorat ENSI, Brugg. HSK, 2006: Referenzszenarien für den Notfallschutz in der Umgebung der schweizerischen Kernkraftwerke. Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK, Würenlingen. KomABC, 2006: Konzept für den Notfallschutz in der Umgebung der Kernanlagen. KomABC 2006-03-D. Eidgenössische Kommission für ABC- Schutz, Spiez. KomABC, 2003: Umsetzung DMK. Massnahmen im Bereich Aufenthaltsbeschränkung, Transit und Kontaminationskontrolle im Falle eines KKW-Unfalls. Arbeitsgruppe Auswertung und Massnahmen, Eidgenössische Kommission für ABC-Schutz KomABC, Spiez. Bildquelle KKW Leibstadt 10/10