I Zwischen Ruinen ein Feuer. Kinder darum. Buden. Links im Hintergrund eine weiße, regungslose Gestalt mit einem brennenden Licht und einem goldenen Stern in den Händen. Rechts eine dunkle Gestalt mit einem Stundenglas auf seinem Tisch. Kinder und Erwachsene. Schnee. Christbäume, Drehorgeln. Drei Kinder in Lumpen, eins mit einer Ziehharmonika. Singen im Dreivierteltakt. DIE DREI KINDER (singen): Wir haben kein Haus, und wir haben kein Brot, Gott hat uns verstreut in die Welt, sind Vater und Mutter schon lange tot, wir sind wie die Lilien im Feld. Vom Schnee bedeckt, vom Vogel geweckt, von Hunden angebellt. Nun kommt uns die süße Weihnachtszeit, mit Krippe und Stern und Kind, aber wir haben kein Feuer und haben kein Kleid, wir stehen in Hagel und Wind. Unsre Hand ist leer, unser Herz ist schwer, die bittere Träne rinnt. O gebt uns Brot und Rock und Schuh, der Engel steht still dabei! Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten 3
O schließt doch nicht eure Herzen zu vor unsres Elends Schrei! Maria im Hag, wo das Kindlein lag, erbarme dich doch unsrer drei! EINE FRAU IM SCHWARZEN KLEID: Auch ich habe drei Kinder am Herzen gewiegt, in fremder Erde nun jedes liegt. Klopfet nicht an der Menschen Tor, sind tausend harte Riegel davor. DIE SCHWARZE GESTALT: Kommt her zu mir, die ihr müde seid, gebe euch das allerwärmste Kleid. Brauche nur einen Tropfen Blut von euch, führe euch gerade ins Himmelreich. (Die Kinder schrecken von seinem Tisch zurück.) Der Wald ist weiß und still verschneit, sitzt eine Mutter im Tann, heißt Herzeleid. Gibt nicht Rock, nicht Schuh, nicht Dach, nicht Brot, aber ist mächtiger als der mächtige Tod. (Drehorgeln.) 4 Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten
ERSTER AUSRUFER: Bringt Gold, bringt Gold, dann öffne ich die Tür, kommt ein duftendes, warmes Brot herfür! ZWEITER AUSRUFER: Bringt Silber, bringt Silber, dann tausche ich ein das schönste Brot, den süßesten Wein! DIE SCHWARZE GESTALT: Bringt Blut, bringt Blut, dann führe ich gleich den Geber ins warme Himmelreich! DIE SCHWESTER: Fürchte mich hier in diesem Jahr, ist seltsam, wie es noch niemals war. DER BRUDER: Mußt dich nicht fürchten, sieh den weißen Mann, sehen uns immer seine traurigen Augen an. DIE SCHWESTER: Sehe nur die drei Kinder im Lumpenkleid, kann mir nicht helfen vor lauter Herzeleid. Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten 5
EIN WÄCHTER (zur weißen Gestalt): Was tust du hier mit deinem Dreierlicht? Wo sind deine Waren? Ich sehe sie nicht? Ich stehe hier im Namen eines milden Herrn, seine Zeichen sind das Licht und der goldne Stern. EINE FRAU: Unsre Kinder tanzen den Totentanz, wir brauchen Brot und keinen Firlefanz. Gibt Brot und Wein, die niemand erkannt, gibt ein Licht, das über die ganze Erde brennt. DER MANN: Siehst mir wie ein Rattenfänger aus, ist besser, du packst dich nach deinem Haus. Liegt eine Hütte im tiefsten Wald, liegt ein Kind darin, heißt Friedebald. 6 Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten
DER WÄCHTER: Mach dich davon mit deinem Elendsgesicht, wir brauchen Brot und kein Narrenlicht. DIE DREI KINDER: Wir haben kein Haus, wir haben kein Brot, Gott hat uns verstreut in die Welt, sind Vater und Mutter schon lange tot, wir sind wie die Lilien im Feld. Vom Schnee bedeckt, vom Vogel geweckt, von Hunden angebellt. DER BRUDER: Weshalb bist du so traurig, fremder Mann? Und weshalb sehen deine Augen mich immer an? Bin traurig von diesem Weihnachtslied, ist wie Nebel, der über eine öde Heide zieht. Und ist die Hütte doch schon aufgestellt für alle Kinder auf dieser Welt. Brauchst nur zu folgen durch Schnee und Eis, führe dich grade ins Paradeis. Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten 7
MÄNNER UND FRAUEN: Die Kinder lockt er von uns fort, wohnt sicher an einem verrufenen Ort. Zerbrecht seinen Stern, löscht aus sein Licht, wir brauchen seinen Zauber nicht! EIN MANN: Je mehr du schlägst, j e heller es brennt... verfluchtes Höllenelement! STIMMEN: Bald ist es nah, bald ist es fern... und immer heller leuchtet sein Stern... (Die Drehorgeln verstummen. Tiefes Schweigen.) EINE FRAU: Kam doch vielleicht von Gottes Hand, geht wie ein Engel durch das dunkle Land... leuchtet in unsre Herzen hinein. mit seines Lichtes warmem Schein... o süße, ferne Kinderzeit, wo bist du doch nach allem Herzeleid? 8 Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten
DIE DREI KINDER (singen in der Ferne): Maria im Hag, wo das Kindlein lag, erbarme dich doch unsrer Not! Vorhang Ernst Wiechert - Der armen Kinder Weihnachten 9
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