Transurane. Atomarer Müll

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diese Beziehung nicht eingehalten wird, ist der Kern instabil. Ein Uran-235-Kern hat ein Neutronen-Protonen-Verhältnis (N/Z) von 1,55. Ein durch Spaltung entstandener Kern des Barium-143 enthält 87 Neutronen und hat von dem Urankern ein N/Z-Verhältnis von 1,55 geerbt. Dies ist aber für seine Protonenanzahl von 56 zu hoch. In einem stabilen Bariumisotop ist das N/Z-Verhältnis nur 1,45. So versucht nun das Bariumisotop einen stabilen Zustand zu erreichen, in dem es sein N/Z-Verhältnis verändert. Dies geschieht über eine Umwandlung eines Neutrons in ein Proton unter Abstrahlung eines Elektrons (Betastrahlung). Dabei entsteht ein anderes Element, nämlich Lanthan, das aber auch nicht stabil ist, und so wird dieser Schritt so häufig wiederholt bis ein stabiles Element erreicht ist. In unserem Beispiel ist dies Neodym-143 mit einem N/Z-Verhältnis von 1,38 (s. Abb. 2.9 und 2.10 aus Stierstadt 2010). So entsteht eine Reihe von Spaltprodukten, die sich in den abgebrannten Brennstäben anreichern. Transurane Nicht alle frei umherfliegende Neutronen treffen auf einen Uran-235-Kern und spalten diesen. Es kann auch vorkommen, dass ein Neutron in einen Kern eindringt und von diesem aufgenommen wird. Dadurch entsteht ein Atomkern, der ein Neutron mehr besitzt als notwendig und es ereignet sich der gleiche Vorgang wie bei den Spaltprodukten: Ein Neutron wird umgewandelt in ein Proton und ein Elektron emittiert. So entsteht ein neues Element mit einer höheren Protonenzahl als Uran. Deshalb heißen diese Elemente Transurane. Als bedeutendstes Element wird dabei Plutonium-239 produziert. Es ist ein Alphastrahler mit einer Halbwertszeit von 24000 Jahren und ist selbst wieder spaltbar. Plutonium ist darüber hinaus hochgiftig und wird deshalb auch zur Atomwaffenherstellung benutzt. Atomarer Müll Ein Uranbrennstab besteht zu 3,3% aus Uran-235 und zu 96,7% aus Uran-238. In der Natur kommt Uran-235 nur zu etwa 1% vor, es muss also in den Brennstäben angereichert werden. Ein abgebrannter Brennstab enthält folgende Elemente (nach Stierstadt 2010): 1. Uranreste 0,86% Uran-235 (-2,44%) 94,48 % Uran-238 (-2,22%) 2. Neu gebildet 3,25 % Spaltprodukte 0,42 % Uran-236 (nicht aufgespalten!) 0,93% Plutonium 0,06% andere Transurane Die abgebrannten Brennstäbe bilden den größten Teil des hochradioaktiven Atommülls (englisch: high active waste, HAW). Im neuen Sprachgebrauch werden sie Physikalische Grundlagen 23

Abfälle mit hoher Wärmeentwicklung genannt. Der restliche weitere Atommüll wurde als niedrigaktiver Müll klassifiziert (englisch: low active waste, LAW), im jetzigen Sprachgebrauch sagt man Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung. Dieser Müll entsteht in dem Baumaterial und in den Kühlmitteln durch den Kontakt und die Nähe zu den strahlenden Brennstoffen. Durch die Neutronen-Gammastrahlen aus den Brennstäben werden die Kontaktstoffe selber zu strahlendem Material (induzierte Radioaktivität). Dieser Abfall muss ebenfalls entsorgt werden. Der innere Teil eines Kernkraftwerks strahlt noch so intensiv, dass man mindestens 30 Jahre warten muss, um es abbauen zu können (Stierstadt 2010). Neben den Abfällen aus Kernkraftwerken wird in der Nuklearmedizin und in nuklearen Forschungseinrichtungen radioaktiver Müll produziert, der ebenfalls in einem Atommüllendlager entsorgt werden muss. Zwischenlagerung, Abfallbehandlung und Transport Die abgebrannten Brennstäbe strahlen noch so stark und produzieren so viel Wärme, dass sie zunächst in einem Abkling- oder Abkühlbecken mit Wasser zwischengelagert werden müssen. Das Wasser dient dabei sowohl als Kühlmittel als auch als Abschirmung gegen die radioaktive Strahlung. In diesem Wasserbecken muss das radioaktive Material etwa fünf bis zehn Jahre zwischengelagert werden. Die radioaktiven Elemente sind zum größten Teil wasserlöslich und werden zum Endlagern in Glaskokillen eingeschmolzen. Sie werden dann in bruchsichere und gasdichte Behälter eingefüllt, die aus Stahl und Keramik bestehen. In diesen Behältern müssen sie dann nochmals bis zu 30 Jahre gelagert und in der Anfangsphase mit Luft gekühlt werden. Erst danach können sie in das Gesteinsendlager eingebracht werden. Die für den Transport und Endlagerung vorgesehenen Behälter werden Castor genannt, wobei die nur für Endlagerung bestimmten Behälter Pollux heißen. Sie sind etwa sechs Meter lang und haben einen Durchmesser von 2,50 Metern. Details zum Aufbau und Größe dieser Behälter findet man in Stierstadt (2010) und Bollingfehr et al. (2011). 24 Atommüll wohin?

III. Geologische Grundlagen und Konzepte der Endlagerung Wir haben in dem vorgehenden Kapitel gesehen, dass es eigentlich kein großes Problem darstellt, die radioaktive Strahlung durch eine entsprechend dicke Betonwand aufzuhalten oder so gering zu halten, dass sie keinen Schaden mehr anrichten kann. In den Forschungslaboren, die sich mit Radioaktivität beschäftigen, geschieht dies auch, indem die Forscher durch dicke Wände und Glasplatten von den strahlenden Stoffen abgeschirmt werden und mithilfe von ferngesteuerten Apparaten ihre Untersuchungen an Materialien mit hoher Radioaktivität durchführen. Warum brauchen wir dann überhaupt ein Endlager in geologischen Gesteinsformationen? Der»Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte«(AkEnd 2002) hat mehrere Gründe angegeben, warum eine Endlagerung in tief liegenden geologischen Gesteinsformationen sinnvoll und im Prinzip sogar notwendig ist. Die wichtigsten sind: 1. Der Zeitraum der Endlagerung Einige der radioaktiven und gefährlichen Isotope sind sehr langlebig mit einer langen Halbwertszeit. Der Arbeitskreis fordert deshalb eine Langzeitsicherheit für den Zeitraum von einer Million Jahren. Wir wissen nicht, ob unsere künstlichen Bauten eine so lange Lebensdauer haben. Bei geologischen Formationen können wir das auch nicht wissen, aber wir kennen ihre Millionen Jahre dauernde Geschichte und können annehmen, dass sie sich auch in abschätzbarer Zukunft so ähnlich verhalten werden. 2. Die natürliche Isolierung Die größte Gefahr geht nicht direkt von der Strahlung aus. Die Hauptgefahr entsteht, wenn radioaktive Isotope in den Wasserkreislauf geraten und darüber mit der Nahrung direkt in Organismen eindringen oder wenn, wie es die Unfälle von Tschernobyl und Fukushima gezeigt haben, radioaktive Elemente als Staub und Gas in der Atmosphäre verteilt werden. Dadurch können sie direkt über die Atmung in die Organismen gelangen oder als Niederschlag auf die Erde zurückfallen, große Gebiete radioaktiv verseuchen und diese für Generationen unbewohnbar machen. Das heißt, man muss geologische Formationen haben, die von Natur aus so dicht sind, dass dies langfristig verhindert wird, ohne dass der Mensch ständig überwachen und gegebenenfalls eingreifen muss. Natürlich ist es notwendig, anfangs das Endlager zu kontrollieren. Aber nachdem das Endlager endgültig verschlossen worden ist, muss man es nach einer gewissen Zeit, etwa ein paar hundert Jahre, sich selbst überlassen können. Geologische Grundlagen und Konzepte der Endlagerung 25

Geologische Grundlagen Kommen wir zunächst zu dem Zeitraum von einer Million Jahren. Die meisten Leser können sich wahrscheinlich unter einem solch langen Zeitraum kaum etwas vorstellen. Selbst wenn man sagt, dass dies der viertausendsechshunderste Teil des Alters der Erde ist. Auch mit der Aussage, dass es sich dabei um das zehn- bis zwanzigtausendfache eines Menschenlebens handelt, oder dass es ein etwa fünfmal so langer Zeitraum ist wie es den modernen Menschen gibt, werden die meisten nicht viel damit anfangen können. Vielleicht wird es für einen Nichtgeologen anschaulicher, wenn man das Alter der Erde fiktiv auf einen Tag reduziert. Damit es mit der Rechnerei nicht zu kompliziert wird, wenden wir einen kleinen Trick an und machen die Erde etwas älter als sie tatsächlich ist. Das wahre Alter der Erde beträgt etwa 4600 Millionen Jahre. Wenn man sie 4800 Millionen Jahre alt macht, kann man das leicht durch 24 teilen, die Stundenanzahl eines Tages. Die Rechnung mit diesen Zahlen ergibt, dass eine Stunde 200 Millionen Jahren entspricht. 30 Minuten entsprechen dann 100 Millionen Jahre und drei Minuten 10 Millionen. Drei Minuten sind 180 Sekunden, also sind 18 Sekunden das Äquivalent für eine Million Jahre, wenn man für das Alter der Erde einen Tag annimmt. Wenn man sich dies vor Augen hält, wird man verstehen, dass Geologen zehn Millionen Jahre alte Gesteine als»jung«bezeichnen und ich hoffe, dass der Leser mit dieser Vorstellung einschätzen kann, was ein Zeitraum von einer Million Jahren geologisch bedeutet. Die nächste Frage, die sich ergibt, ist, warum können es Geologen wagen, für einen Zeitraum von einer Million Jahre Vorhersagen zu machen? Der Grund liegt in der wesentlichen Grundlage der geologischen Wissenschaften überhaupt, dem sogenannten Aktualitätsprinzip. Was bedeutet das? Es setzt voraus, dass seit dem Bestehen der Erde, also seit 4600 Millionen Jahren, die naturwissenschaftlichen Gesetze wie wir sie z.b. aus der Physik und Chemie kennen, bis heute unverändert gelten. Das bedeutet, dass die Prozesse, die Gesteine formen, heute genauso ablaufen, wie sie in den letzten 4600 Millionen Jahren abgelaufen sind. Ein Granit, der vor 300 Millionen Jahren entstanden ist, ist vergleichbar geformt worden, wie ein Granit vor 2000 Millionen Jahren. Man kann also aus der Beobachtung von heute ablaufenden Prozessen und deren Ergebnisse Rückschlüsse auf Prozesse ziehen, die in der Vergangenheit abgelaufen sind und die sich in den Gesteinen rekonstruieren lassen. Man kann zum Beispiel heute beobachten wie Meerwasser eingedampft wird und wie dabei Salzablagerungen entstehen. So kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass 250 Millionen Jahre alte Salzablagerungen ebenfalls auf diese Art und Weise entstanden sind. Wenn man also weiß, welche geologischen Prozesse in der Vergangenheit zu welchem Ergebnis führten, das man heute in Ablagerungen und Gesteinen rekonstruieren kann, dann kann man auch Prognosen erstellen, zu welchen Ergebnissen heute ablaufende Prozesse führen werden. Das bedeutet, dass man mit einiger Sicherheit sagen kann, was man in Zukunft zu erwarten hat, wenn die derzeit herrschenden Rahmenbedingungen gleich bleiben oder wenn man abschätzen kann, wie sich die Rahmenbedingungen ändern werden. 26 Atommüll wohin?

Eine sehr große Unsicherheit bei diesen Prognosen ergibt sich durch den Menschen. Aufgrund unserer großen Anzahl von 7 Milliarden, die in Zukunft noch wachsen wird, und durch unsere in den letzten Jahrhunderten entwickelten Technologien sind wir in der Lage Einfluss auf Prozesse an der Erdoberfläche und in der Atmosphäre zu nehmen. Die im Augenblick stattfindende Erwärmung der Erdatmosphäre und die Diskussion um den Anteil des Menschen daran durch Verbrennen von Erdöl, Erdgas und Kohle sind den meisten Lesern sicherlich geläufig. Aber auch durch Flussbegradigungen und Deichbau an den Küsten sowie durch intensive Land- und Forstwirtschaft nehmen wir Einfluss auf geologische Prozesse. Da die Entscheidungen und Handlungen der Menschheit nicht nach naturwissenschaftlichen Gesetzen ablaufen, sondern häufig mit irrationalem Verhalten verknüpft sind, hat man Schwierigkeiten, verlässliche Prognosen für Prozesse zu stellen, an denen Menschen beteiligt sind oder sein könnten. Prinzipien der geologischen Zeitmessung Wenn wir Prognosen für die zukünftigen 1 Million Jahre in Mitteleuropa stellen wollen, so müssen wir uns zunächst mit der Erdgeschichte der letzten 1 2 Millionen Jahre befassen. Es gibt sogar die Meinung, dass man den Zeitraum der letzten 10 Millionen Jahre berücksichtigen müsste, um zu verlässlichen Vorhersagen zu kommen. Dazu muss man wissen, wie Geologen zu ihrer Zeiteinteilung kommen, wie sie die Zeit messen. Die Wissenschaft von den Zeitabläufen in der Geologie nennt man Stratigraphie. Ausführliche Beschreibungen und weiterführende Literatur entnehme man dem Buch von Rothe (2000). Einen guten Überblick über die Methoden der Quartärstratigraphie bekommt man in dem Sammelband über die Fundstelle der Schöninger Speere in Niedersachsen (Behre 2012). Es gibt im Wesentlichen zwei Zeitmessmethoden in der Geologie. Die eine ist die relative Zeitmessung, die nur sagt, dass eine Schicht jünger oder älter ist als eine andere. Die zweite ist die absolute Zeitmessung, die Jahreszahlen angibt. Die relative Zeitmessung beruht auf folgenden Prinzipien: 1. Der Hauptlehrsatz der Stratigraphie besagt, dass in einer ungestörten Folge von Ablagerungen die oberen Schichten jünger sind als die unteren. Dies mag uns heute banal vorkommen, war aber im siebzehnten Jahrhundert, als dieser Satz von dem Dänen Nils Stensen (Nicolaus Steno) formuliert wurde, eine Revolution, da man bis dahin im christlichen Abendland davon ausging, dass alles einmalig durch die Sintflut entstanden sei. 2. Basierend auf dieser Erkenntnis lassen sich Abfolgen von Gesteinsschichten aufstellen, die man mit weiter entfernt vorkommenden Abfolgen korrelieren kann. Diese Art von Stratigraphie nennt man Lithostratigraphie. 3. Eine weiter entwickelte Form der Lithostratigraphie ist die Eventstratigraphie. Diese beruht auf den Auswirkungen eines kurzfristigen Ereignisses, das eine charakteristische, andernorts leicht auffindbare Schicht in der Schichtenfolge hinterlassen hat. Ein berühmtes Beispiel ist die Aschenlage des Ausbruchs des Laacher Geologische Grundlagen und Konzepte der Endlagerung 27