Naturfreund. Energie-Zentrale Bern. Thomas Stocker. Kraft schöpfen. Energie was ist das? Energie-Landschaft Schweiz 32 Seiten Energie-Spezial

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Transkript:

Naturfreund Magazin für Freizeit und Umwelt Winter 4 2014 www.naturfreunde.ch CHF 8.50 Energie was ist das? Energie-Landschaft Schweiz 32 Seiten Energie-Spezial Winterfreuden geniessen Unterwegs im Safiental Kraft schöpfen Klimaerwärmung und die Schweiz Auswirkungen auf die Natur Thomas Stocker Der etwas andere Kraftort beliefert Inselspital und Bahnhof Energie-Zentrale Bern

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Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Ein dampfender Kessel auf dem Titelbild des Naturfreunds geht das? Passt das? Nun, dieser Topf auf dem Foto ist nicht irgendein Topf vielmehr gehört er zur Energiezentrale Forsthaus in Bern. Und in jener Anlage wird dasjenige verbrannt und um es etwas salopp zu sagen in Energie umgewandelt, dass jede und jeder von uns tagtäglich produziert : Abfall nämlich. Es gibt diverse Wege, unserem Abfall Herr zu werden. Jener, der in der Berner Energiezentrale beschritten wird, gilt in Fachkreisen schweizweit als Paradebeispiel für ein stimmiges Verhältnis zwischen Ökologie und Wirtschaftlichkeit. Immerhin produziert diese Anlage mit ihren Teilwerken (Detail siehe Seite 27) Energie für einige Hundert Kunden unter anderem für das Bundeshaus, den Berner Hauptbahnhof und das Inselspital. Viel ökologischer jedoch wäre es, wenn wir all diese Abfallmengen gar nicht erst produzieren würden! Im Amerikanischen ist ein Ausdruck geläufig, der gut hierhin passt: You can make a difference. Oder mit anderen Worten: Was du tust, das zählt! Energie tanken wir gehen hinaus in die Natur, um uns zu erholen, um neue Kraft zu schöpfen. Das ist ein Kerngeschäft der Naturfreunde. Aber es gibt auch Menschen, die sind nicht mehr in der Lage, auf Berge zu steigen und durch Wälder zu streifen. Da stellt sich die Frage nach der Energie nochmals anders. Ich weiss von Naturfreunden, die geben darauf berührende Antworten: sie sorgen in ihren Sektionen dafür, dass jene Mitglieder, die mittlerweile in einem Altersheim leben, regelmässig Besuch erhalten. Es ist Beziehungspflege, gelebte Freundschaft, ein Ausdruck von Mitmenschlichkeit. Und, hat nicht auch dies mit Energie zu tun? Ist Energie nicht auch stets eine Frage des Gebens und Nehmens? Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Energie beschäftigt uns heute, und sie wird es mit Sicherheit auch morgen tun. Darüber nachzudenken ist lohnenswert. In diesem Sinne wünsche ich eine anregende Lektüre. Herbert Gruber Leitender Redaktor PS: und nochmals zum Foto mit dem dampfenden Kessel auf der Titelseite; es stammt, wie viele der Energie-Fotos in diesem Energie-Spezial, von Michael Buholzer. Der ausführliche Fotonachweis zu diesem Heft findet sich übrigens auf Seite 66. 4 2014 Naturfreund 3

Naturfreunde Leben aktiv Natur Weit über 1 000 Kurse und Aktivitäten. Aktiv leben Natur leben. Eine Mitgliedschaft bei den Naturfreunden lohnt sich! Jetzt anmelden! www.naturfreunde.ch info@naturfreunde.ch Tel: + 41 (0)31 306 67 67 Sie wollen Natur aktiv leben? Bitte senden Sie mir Ihre Dokumentation. Ich abonniere den Naturfreund zum Preis von CHF 30. pro Jahr (4. Ausgaben) Ich werde Mitglied der Naturfreunde Schweiz und komme in den Genuss von interessanten Kursen und Aktivitäten und erhalte den Naturfreund 4 jährlich. Kategorie: Einzelmitglied (CHF 100. ) Familienmitglied (CHF 140. ) Jugendmitglied (CHF 45. ) Alleinerziehende/r (CHF 100. ) Ich möchte Mitglied in einer der 140 Sektionen werden. Bitte leiten Sie meine Adresse an den Kantonalverband meines Wohnkantons weiter. Vorname: Name: Geburtsdatum: Adresse: PLZ/Ort: Telefon: Mail:.. Senden an: Naturfreunde Schweiz, Pavillonweg 3, Postfach 7364, 3001 Bern Fax + 41 (0)31 306 67 68 Sie können sich auf www.naturfreunde.ch anmelden. Datum, Unterschrift:

Inhaltsverzeichnis Naturfreund 4 2014 Inhalt 22 unterwegs 6 Winterfreuden im Safiental: Nicht stressen sondern Kraft schöpfen 12 Skitour von Mettmen zum Chli Chärpf: Kraftort, Kraftakt oder beides? natur erleben 11 Die Energien der Natur wahrnehmen: Kraftorte nichts als Einbildung? 17 Wandern auf den Gonzen hoch über Sargans: Die Kraft von unten ENERGIE-SPEZIAL 21 12 21 Zielkonflikte gemeinsam beseitigen: Bundesrätin Doris Leuthard 22 Energie- und Friedensforscher Daniele Ganser: Es sterben Menschen des Erdöls wegen 32 Energiestrategie des Bundes 2050: Mit weniger Verbrauch mehr erreichen 42 Energie und die Stille im Grossmünster: Der Glaube als Kraft- und Energiequelle 47 Energieverbrauch und Klimaerwärmung: Ein Gespräch mit Umweltphysiker Thomas Stocker Aus- und Weiterbildung 59 Leiten ist mehr als zuvorderst gehen naturfreunde aktiv Titelbild Der Abfall kommt als Energie zurück: Thomas Bücherer und seine Energiezentrale Forsthaus in Bern: sie liefert Fernwärme u.a. fürs Inselspital, den Bahnhof Bern und das Bundeshaus. Vom Dach der Energiezentrale Forsthaus reicht der Blick bis in die Berner Hochalpen, mit Eiger, Mönch und Jungfrau. 54 Landschaft des Jahres 2013/14: Ein Natura Trail für Velofahrende am Oberrhein 57 Impuls: der NFS-Präsident hat das Wort 61 4 Fragen an Andrea Knöri vom NF-Haus Davos 65 Sven meint 66 Impressum Foto: Michael Buholzer 4 2014 Naturfreund 5

Unterwegs graubünden WINTERFREUDEN IM BÜNDNER SAFIENTAL Nicht stressen sondern Kraft schöpfen Alle reden von Orten der Kraft. Das Safiental kann durchaus als ein solcher Ort der Kraft bezeichnet werden. Allerdings: Kraft schöpfen in oder aus der Natur, das hat auch immer etwas mit sich Zeit nehmen zu tun. Die Tugend dazu heisst Geduld. Daher also gilt: nehmen wir uns Zeit fürs Safiental. Text und Fotos: Herbert Gruber 6 Naturfreund 4 2014

graubünden Unterwegs In der Schweiz gibt es kaum mehr eine zu einem Dorf hin führende Talstrasse, die (noch) nicht durchgehend asphaltiert ist. Eine solche aber führt nach Safien! Wobei die Gegensätze auf jener Route ausgeprägt sind: so etwa umgeht ein perfekt ausgebauter, zweispuriger Tunnel (1,7 km) das Aclatobel und kurz danach geht s auf schmaler Naturstrasse weiter. Und wer von Chur her per Zug Richtung Safien-Platz anreist, steigt unterwegs bei einem Bahnhof aus, der mitten in der Wildnis zu stehen scheint. Auf dem Perron stehend schaut man den davonrollenden roten RhB-Wagen nach, und im nächsten Moment sind da nur noch die leeren Geleise, und vor einem ragen grauweisse Felswände in den Himmel, und es rauscht ein Bach, es ist der Rhein, der Vorderrhein. Dessen Wasser hat diese gewaltige Furche, diese tiefe Schlucht in die Erde gegraben. Sie nennen die Schlucht den Grand Canyon der Schweiz. Und dort also, bei diesem einsamen Bahnhof in der Ruinaulta (die Station heisst Versam) wartet das gelbe Postauto, und je nach Fahrplan-Wahl gibt s nachdem der Fahrer die engen Kurven hinauf an den Rand der Schlucht gemeistert hat im Dorf Versam bereits einen 30-minütigen Zwischenhalt. In unserem Fall verwies der Postchauffeur auf das Gasthaus Rössli; er habe dort für uns schon mal Tisch 3 reserviert! die Bündner Zeitung vor die Nase halten und erneut ins Lokale einschwenken und davon Kenntnis nehmen, dass es auch im Safiental einen Architekten und Zimmermann gibt, der (wie etwa der renommierte Gion Caminada im benachbarten Lugnez) akzentuiert auf die Kraft des Lokalen setzt. Felix Hunger heisst dieser Safier Holzbauer und von ihm, respektive von seinem Unternehmen (vor über 70 Jahren von Vater Hunger gegründet) stammen Bauten wie etwa der Forstwerkhof, die Metzgerei und Teile der Schulanlage in Safien-Platz. Einzigartige Zeitzeugen Und unten, im Hotel Rathaus, nahe dem Stauwehr, präsentiert einem die Wirtin Tamara Bühler eine gut sortierte Auswahl von Büchern über das Safiental; diese erzählen davon, wie es gestern und vorgestern hier war, und je länger man in diesen Büchern schmökert, umso mehr kommt einem die Vergangenheit vor wie ein Leicht erhöht, auf einem Felssporn,vor 500 Jahren erbaut, ebenfalls ein Ort der Kraft: die Kirche von Safien-Platz. Die Kraft des Lokalen Wir wissen nicht, was der bevorstehende Winter bringen wird: Schnee auch im Unterland? Nun, die Chancen, dass das Safiental eingeschneit wird, stehen gut. Und wenn s dort oben schneit, wird die Welt klein und still. Ein Tag im Safiental mit anhaltendem Schneefall ist ein geschenkter Tag. Man sollte an so einem Tag durchs Dorf spazieren. Man sieht keine 100 Meter weit. Aber jeder Mensch, der einem bei so einem Spaziergang begegnet, wird einen grüssen. Und man wird Zeit finden, im Dorfladen einem Schwatz zu lauschen (und vielleicht erfahren, ob die Nachfolge für die in Pension gehenden Besitzer inzwischen geregelt werden konnte), und im nahen z Cafi kann man sich 4 2014 Naturfreund 7

Unterwegs graubünden Holzhütten, Ställe, dunkelbraun bis schwarz gegerbt, Wahrzeichen des Safientals, Zeitzeugen in einer einzigartigen Landschaft. ferner, fremder Kontinent. Doch dann, nach dem Schneefall, wird man vom Dorf aus die Hänge hochsteigen, und alsbald bemerkt man rundum Zeugen jener Vergangenheit: es sind dies vorab all die dunkel-braun bis schwarz gegerbten Holzhütten. Es sind Dutzende, verstreut über die linke Talseite. Und wer genauer hinschaut wird erkennen, dass diese Hütten in einer Verbindung zueinander stehen (oder gestanden haben). Und dies, weil eben stets jeweils drei, vier dieser Hütten zueinander gehört hatten. Anders als heute lagerte der Bauer damals das Heu dezentral ein (also brauchte er mehrere Hütten), und ergo zog er im Winter mit seinen Tieren von einem Stall zum nächsten, respektive von der einen Hütte zur anderen. Und damals war ausser dem Pfarrer und dem Lehrer so ziemlich jeder Mensch in diesem Tal mit eigenen Händen in der Landwirtschaft tätig, und das war eine enorm kleinräumige (Selbstversoger-)Landwirtschaft (beispielsweise führte nahezu jede Familie ihre eigene Sennerei). Und genau davon erzählen diese von Wind und Wetter gezeichneten Holzhütten es sind die Wahrzeichen des Safientals, Zeitzeugen in einer einzigartigen Landschaft. Es ist nicht zuletzt das Verdienst des vor gut zehn Jahren gegründeten Vereins Safier Ställe (unterstützt unter anderem durch den Fonds Landschaft Schweiz), dass die Öffentlichkeit diese Safier Ställe und Scheunen heute wiederum mit erhöhter Wertschätzung beachtet. Und dank der Arbeit und Ausstrahlung dieses Vereins wird es im Safiental heute wieder möglich, eine alt bewährte Bauweise erneut ins Spiel zu bringen: das Schindeldach. Einst war dies im vorderen Safiental die weitverbreitetste Dachbedeckung. Dann machten ihm Gesetze und das Eternit den Garaus. Heute nun erlebt das Schindeldach in der Talschaft eine (bescheidene) Renaissance. In Sachen Nachhaltigkeit sei es, so der ETH-Architekt Peter Mattli (der bis 2012 bei der Bündner Denkmalpflege tätig war), nicht so leicht zu übertreffen: Mattli geht bei einem Fichten-Schindelndach von einer Lebensdauer von 50 bis 70 Jahren aus; und bei 8 Naturfreund 4 2014

graubünden Unterwegs Lärchenholz von gar bis über 100 Jahren. Zum Vergleich: bei Eternit gilt eine Materialgarantie von zehn Jahren. Und Fichten wie auch Lärchen gedeihen im Safiental bestens. Skitouren und mehr sehen Und wie wir nun auf Skiern unserem Gipfel entgegen schlurfen, sehen wir Dutzende dieser Holzhütten, einige stehen solitär, viele jedoch wie an einer unsichtbaren Kette aneinandergereiht, alle auf ungefähr gleicher Hanghöhe. Und keines dieser Gebäude stört. Keines möchte man wegdenken. Wären sie nicht da, sie würden fehlen. Weil sie den Charakter dieser Landschaft, dieser Kulturlandschaft ausmachen, weil sie ihn bestimmen. Die ältesten sind an die 400 Jahre alt. Und alle sehen sich irgendwie ähnlich: Der untere Teil der Hütten (es waren die Ställe) ist jeweils aus Kantholz gefertigt, der obere (das war die Scheune) aus Rundhölzern was eine gute Luftzirkulation ermöglichte und damit auch das Belüften des Heus. Und so ist es angemessen, nach dem Gipfeltrunk die Abfahrt runter vom Camaner Grat auf der Camaner Alp für einen Moment zu unterbrechen. Dort nämlich findet sich das Safier Heimatmuseum (siehe Kasten). Dieses Haus gewährt uns zusätzliche Blicke in die Vergangenheit; so etwa können wir hier völlig ungeniert auch in die hinterste Ecke einer traditionellen Sennerei oder eines Stupli schauen. Eine weitere diesbezügliche Adresse findet sich zudem bei Thalkirch (siehe Kasten): seit einem Jahr lädt dort der Ausstellungsstall Turra zum Besuch ein, mit einem besonderen Augenmerk auf das Handwerk des Schindeldachbaus. Und apropos mehr sehen : Einige können bei geschlossenen Augen einem Klavier Tonkaskaden entlocken, die uns zu Tränen rühren. Andere können ein Luftschiff bauen, das dich zum Mond bringt. Und dann gibt es welche, die vermögen einen Schneehang zu lesen, wie der Schriftsteller sein Buch. Sie sehen die Qualitäten eines (Ski-)Hangs auf Anhieb. Und diese Eigenschaften sind bekanntlich nicht von oben bis unten gleich. So ein Schneehang ist meist ein Patchwork: je nach Ausrichtung, Kultur im Safiental Das Safiental (ein Walsergebiet) ist mehr als ein Spielplatz für Wintertouren. So bereichern von Valendas und Versam bis hinauf nach Thalkirch diverse Gruppierungen das kulturelle Leben, so etwa der Theaterverein Safien, die Theatergruppe Valendas, der gemischte Chor von Versanm, die Musikgesellschaft Alpenrösli, die Ländlerkapelle Bergfrieden und der Verein Safier Ställe. Letzterer unterhält bei Thalkirch (Postautohalt) den Ausstellungsstall Turrahaus (täglich geöffnet, Tel. 081 630 60 10). Einen Besuch wert ist zudem das auf Camanaboden gelegene Safier Heimatmuseum (Besuch auf Vereinbarung, Tel. 081 647 11 61). Im Safiental nicht zu übersehen sind die Kirchen: jede lohnt den Besuch, jene von Tenna verfügt über mittelalterliche Fresken (Führungen für Gruppen möglich, Tel. 081 645 11 26). Literatur: Ein aufschlussreicher Blick in die Geschichte der Talschaft liefert das Buch Geschichten aus den Bergen, Erinnerungen eines Safiers des 1907 in Safien geborenen Konrad Buchli. Das Buch wurde im 2005 neu herausgegeben durch die Walservereinigung Graubünden. Es sind vor allem die nach Osten ausgerichteten, sanft abfallenden Hänge, die im Safiental zu Skitouren einladen. 4 2014 Naturfreund 9

Unterwegs graubünden je nach Steilheit, je nach Geländeform, je nach Sonneneinstrahlung, je nach den Temperaturen der letzten Nacht, der letzten Tage, je nach Wind, je nach zeitlichem Abstand zum letzten Schneefall, je nach Tageszeit all dies und noch einiges mehr bestimmt die Qualität so eines Schneehangs. Und hier nun ist so ein Mensch (er heisst Werner Stucki, siehe Kasten), der uns vom Camander Grat über die glitzernden Weiten dieser Hänge navigiert: wo andere in schwierigem Schnee rumkurven, findet er für uns Pulverschneefeld um Pulverschneefeld; wir gleiten, wir surfen, und wir jauchzen, entzückt Ausserirdische dürften uns für ergraute Kindsköpfe halten. 4 6 Tenna 5 1 Safien-Platz Thalkirch Thusis Safien-Platz, ein Tag mit Schneefall, tiefe Ruhe legt sich übers Tal, ein geschenkter Tag. Und dann stehen wir unten, mit erhöhtem Puls, die Kappen über die Ohren gezogen, und allen hängt ein Wassertropf unter der Nase, und unsere Blicke sind nach Süden gerichtet, es ist Nachmittag, und dort vorne ragt ein Bergspitz in den Himmel, es ist der Piz Tomül, dort wollen wir morgen hin. Darauf freuen wir uns! 2 3 Skitourenziele im Safiental Sei es zum Langlaufen, Schlitteln, Winterwandern oder zum Skitouren: das Safiental GR eignet sich ideal, um die Winterruhe zu geniessen. Dass die Safier indes nicht hinter dem Mond sind, beweisen sie immer mal wieder: so etwa im 2012, als sie in Tenna den weltweit ersten mit Solar-Energie betriebenen Skilift in Betrieb setzten. Anreise: per Zug bis RhB-Station Versam, dann Postauto ins Safiental, verkehrt nach Tenna, Safien-Platz und bis Thalkirch/Turrahaus. Skitourenziele: Ab Safien-Platz (1320 m) lockt der Camaner Grat mit dem 1: Plangghorn (2581 m). Zeit: 3.5 4 Std. Schwierigkeit: leicht. Ab Thalkirch (Postautohalt) heissen die Gipfelziele 2: Bärenhorn (ZS), 3: Piz Tomül (WS), und 4: Tällihorn (WS), und ab dem Dorf Tenna (1640 m) gut zu erreichen sind 5: Schlüechtli (L, 2283 m) und 6: Piz Fess (ZS, 2874 m). Geführte Skitouren: zwei einheimische Bergführer bieten auch geführte Skitouren/Wochen an. Werner Stucki (siehe Text nebenan), we.st@bergfuehrersafiental.ch, Tel. 081 921 68 38; Christian Zinsli, info@ chriszinsli.ch, Tel. 079 683 80 30. Diese beiden leiten im Safiental übrigens auch Eisklettertouren. Unterkunft: Vom B&B Nühus bis zur Pension Alpenblick in Tenna und dem Gasthaus Rathaus in Safien- Platz und den heimeligen Räumen im ehemaligen Schulhaus auf Camanaboden (Camana Hotel, die Gastgeber sind auch Älpler). Info über sämtliche Angebote bei: Safiental Tourismus, info@safiental.ch, Tel. 081 630 60 16. 10 Naturfreund 4 2014

Kraftorte Natur erleben DIE ENERGIEN DER NATUR WAHRNEHMEN Kraftorte nichts als Einbildung? Reden wir von Orten der Kraft, betreten wir einen Grenzbereich. Und dieser ist heute ein beliebtes Tummelfeld, das diesbezügliche Esoterik-Angebot ist enorm. Eine, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt, ist Andrea Fischbacher. Sie leitet die Forschungsstelle Kraftorte Schweiz, und bezieht sich dabei insbesondere auf Vorarbeiten der Westschweizer Geobiologin Blanche Merz. Es gibt die Kraft des Denkens, und entsprechend häufig reden wir von der Kraft des positiven Denkens. Daraus abgeleitet die Frage: sind Orte der Kraft ein Konstrukt unseres Denkens? Orte der Kraft sind Plätze mit erhöhter, aufbauender Erdenergie, die unabhängig von unserem Denken vorkommt. Können Gemeinschaften sich solche Orte der Kraft durch eigenes Denken erschaffen? Mit dem Denken können wir positiv oder negativ Einfluss nehmen auf die Energien eines Ortes, jedoch keinen Kraftort erschaffen. Können wir sagen wir ein Architekt und ein Bauherr im Hier und Jetzt einen Ort der Kraft konstruieren, respektive neu erbauen? Architekt und Bauherr sind in der Lage, einen natürlichen Kraftort zu verändern, zu verstärken oder zu schwächen, je nachdem, was und wie sie darauf bauen. Touristiker sprechen oft und gerne von Kraftorten. Das lässt sich gut vermarkten. Dabei unterlegen sie ihre Aussagen mit Angaben zu den sogenannten Boviseinheiten. Auf der anderen Seite aber sind jene, die sagen, diese Sache mit den Boviseinheiten sei wissenschaftlicher Unsinn. Was stimmt? Beides stimmt! Boviseinheiten sind keine naturwissenschaftliche Grösse. Sie systematisieren unsere Wahrnehmung und Beobachtung und werden geisteswissenschaftlich verwendet, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Werte nach streng wissenschaftlichen Kriterien erhoben werden. Im grenzwissenschaftlichen Gebiet der Geobiologie ist das eher in den selteneren Fällen festzustellen. Es wird immer wieder betont, dass die alten Kirchen Europas und damit auch der Schweiz nicht zufällig dort stehen wo sie eben stehen. Wie haben unsere Vorfahren die Bauplätze ausgewählt? Können Sie die Frage anhand des Grossmünsters Zürich beantworten? Das Grossmünster Zürich als Ort für einen Kultus wurde wie dies schon die Kelten und Vorkelten taten auf einem kräftigen, alt bekannten Kultplatz erbaut und exakt nach der Sonnen- und der Mondlinie ausgerichtet. Kennen Sie den Berg Gonzen oberhalb von Sargans? Würden Sie diesen Berg ebenfalls als einen Ort der Kraft bezeichnen? Ja, mit unzähligen auf- aber auch mit eben so vielen abbauenden Kräften. Das dortige Erzvorkommen macht den Gonzen ebenso lebendig wie unruhig. Andrea Fischbacher: Leiterin der Forschungsstelle Kraftorte Schweiz. Kraftvolle Orte In ihrem Buch Orte des Staunens beschreibt Andrea Fischbacher 15 Wanderungen zu 55 kraftvollen Plätzen (so der Untertitel des Buchs). Eine davon ist ein Spaziergang (2,8 km) bei Weesen am Walensee. Er führt ab Bahnhof Weesen zu den Bäumen des Stadtparks, dann zu den Dominikanerinnen des Klosters Maria, weiter zur Bühlkirche und schliesslich zur Kultstätte Hüttenböschen. Bei den besuchten Orten handelt es sich dabei gemäss der Autorin um Plätze mit unterschiedlicher Strahlungsintensität. Zudem unterscheidet sie zwischen Orten mit aufbauenden energetischen Aspekten und solchen mit neutralen oder gar abbauenden energetischen Aspekten. Und sie betont, dass ein idyllischer Ort nicht in jedem Fall auch ein aufbauender Ort sei: das Hochzytsbänkli oberhalb von Tannenboden in den Flumserbergen etwa weise zwar hohe Energien auf, aber diese enthielten abbauende energetische Aspekte. 4 2014 Naturfreund 11

unterwegs Glarus SKITOUR VON METTMEN ZUM CHLI CHÄRPF Kraftort, Kraftakt oder beides? Eine Antwort auf die Frage, warum wir in die Berge gehen, ist schon zuhauf gesucht, gefunden und geteilt worden. So mannigfaltig ihre Ausformulierungen, so sich ähnelnd ihr Kern. Wir geben Kraft, wir nehmen Kraft, wir suchen die innere Balance. Text und Fotos: Christian Possa Wir haben uns selbst in diese Scheisse reinmanövriert. Das ist widerlich, aber eigentlich voll geil weil wir diese Freiheit haben, zu machen, was wir wollen. So kommentiert Spitzenalpinist Dani Arnold im Film Berge im Kopf das Gipfelerlebnis am Gross Ruchen während einer Winterbegehung bei Föhnsturm. Trotz Kraftausdruck eines meiner Lieblingszitate jüngster Alpin-Dokumentationen, da es den Nagel voll auf den Kopf trifft. Ziele und Erwartungen Die Tour, welche wir ausgesucht haben, unterscheidet sich in einigen winzigen Details von derjenigen von Herrn Arnold. Er geht zum Gross Ruchen, wir zum Chli Chärpf. Ihm peitscht der Föhnsturm ins Gesicht, uns pinselt ein lauwarmes Lüftchen den Bauchnabel. Sein Gesicht ist eisverklebt, unsere Mägen Gerstensuppen-gewärmt. 12 Naturfreund 4 2014

Glarus unterwegs Ganz ehrlich: Ich würde leugnen wenn ich behauptete, nicht so ein knüppelharter Haudegen wie er sein zu wollen. Mit gestähltem Körper und glasklarem Geist den Naturgewalten trotzend, auf Frontalzacken balancierend dem Abgrund aufbegehrend und mit den Elementen ringend den Gipfel erklimmend. Aber unserer Telefonkonferenz vom Vortag ist nun einmal einstimmig der Wunsch entsprungen, unser Leben nicht in die Waagschale werfen zu wollen. Wir haben uns die Freiheit genommen, uns für eine einfache Snowboard- und Skitour zu entscheiden. Ist doch phantastisch, wenn es einem mit Dreissig bereits ab und an gelingt, sich für eine ganz normale und durchschnittliche Tour ohne absehbare Leistungsorientierung entscheiden zu können. Einfach um des Draussenseins und der gemeinsamen Zeit mit Freunden Willen. Spannend auch, dass solche Tage meist grosses Potenzial bergen, zu einem echten Knüller zu werden. Warum? Vermutlich weil sich die Erwartungen besser gering halten lassen und alles was kommt Supplement ist. Der Weg ist das Ziel, Konfuzius hatte wohl Recht. Gewissermassen sehe ich sogar Parallelen zu einer unserer Katzen Zuhause. Sie ist ein richtiger Stubenhocker. Aber wenn sie sich dazu entscheidet, nach Draussen zu gehen, wälzt sie sich als erstes genüsslich am Boden. Dieselbe Art, sich zu erden, erkenne ich auch in unseren Blödeleien. Man tritt mit den Elementen in direkten Kontakt, spürt sie, fühlt sie, schmeckt sie und kommt so zur Ruhe. Zumindest früher oder später. Der Rhythmus Nachdem wir den Stausee umgangen haben und über die Fläche bei Matt schreiten, kehrt Ruhe ein. Das uns umgebende winterliche Amphitheater ist eindrücklich genug, keine Kommentare bedingen zu müssen. Ich mag jene Momente sehr, wo sich die natürliche Ruhe wie ein samtener Schleier über einen legt und man im Geiste langsam aber stetig immer klarer wird. Schritt für Schritt. Man ist in sich gekehrt, atmet, schreitet, ist. Man tankt Kraft. Immer wieder aufs Neue ein angenehmes Gefühl: beim stetigen Gehen Energie tanken. Die Balz Das Thermometer zeigt minus 2 Grad, als wir auf dem Parkplatz der Luftseilbahn zur Mettmenalp einfahren. Die Umgebung ist weiss, aber nicht tiefwinterlich eingeschneit. Wie zu erwarten war oder eben auch nicht. Oben beim Stausee Garichti ist es mehr als 10 Grad wärmer. Dr Pföä bläst sein lauwarmes Lüftchen. Wenn ich mit meinen beiden Berg-Busen- Kumpeln unterwegs bin, kommt es in der Anfangsphase der Tour meist zu denselben Ritualen. Schneebälle fliegen, Bindungen springen aus mysteriösen Gründen auf und loser Schnee fällt unerwartet von Tannenästen auf Häupter. Ist es ein Balzverhalten? Wenn ja, wen will man umgarnen, bzw. wer wird umworben? Ich glaube es kann durchaus als eine Art Einleitung für das bevorstehende Liebesspiel mit der Natur interpretiert werden. 4 2014 Naturfreund 13

unterwegs Glarus Hin zum Chli Chärpf, Skitouren-Klassiker im hinteren Glarnerland. Ausser es bläst der Föhn Nach einem kurzen Aufstieg über Busch durchsetztes Gelände ist die Alp Ober Stafel in Sicht. Die drei Gebäude stehen in einer flachen Ebene, flankiert vom Chüetringen im Osten und vom Geissberg im Westen. Wir halten nur kurz für einen Schluck Tee und folgen dem Niderenbach talaufwärts. Wer weiss, wie lange der Föhn noch hält? Hier oben, ziemlich genau 300 Meter über unserem Startpunkt, hat er an Stärke bereits spürbar zugelegt. Er bläst jetzt nicht mehr, er pustet, prustet gar und spuckt die winzigen Schneekörner über die Felskette der Schwarzchöpf. Wir sind immer noch im Schatten unterwegs. Es ist aber absehbar, dass die Sonne demnächst einen Wimpernschlag tut und über die Schwarzchöpf zu unser herüber lugt. Eine freudige Vorstellung. Noch während wir Richtung Sunnebergfurggele aufsteigen ist es soweit. Wir halten sogleich inne, und geniessen die Szenerie bei einem Schluck wärmenden Tee. Begleitet wird unser Vitamin-D-Tanken von einem abrupten Anflug von Föhnsturm. Der sich aufbäumende Wind peitscht Schneekörner durch die Luft und in unsere Gesichter. Für eine Sekunde kommt mir Dani Arnold und sein Selber-in-die-Scheisse-manövriert-unddoch-irgendwie-geil-Freiheit-Zitat in den Sinn und ich lache still in mich hinein. Nach 20 Sekunden ist der Spuk vorüber. Der Föhn hat demonstriert, dass er heute der Platzhirsch ist, das Volumen jetzt aber vernünftigerweise wieder auf Unterländer tauglich gestellt. Die Lebensenergie Wenn ich für eine gewisse Zeit in meinem persönlichen Rhythmus gelaufen bin und Energie tanken konnte, macht sich meist eine wohlige Euphorie in mir breit. Den anderen scheint es nicht anders zu gehen. Bald schon finden wir uns in einer Konversation wieder, wo wir auf eine Lobeshymne auf das Leben, die Freundschaft, die Berge und die Natur im Allgemeinen anstimmen. Das ist schön. Gleichzeitig frage ich mich, wo denn auf einer Tour der Punkt kommt, wo man wieder Kraft zurückgibt? Ereignet sich dieser Moment überhaupt noch auf der Tour oder erst danach? Wenn man Kraftorte und dazu zähle ich Berge im Allgemeinen als Wechselspiel zwischen Kraft nehmen und Kraft geben versteht, so könnte der Punkt, wo Energie zurückzufliessen beginnt, durchaus mit dem Moment einhergehen, wo man Dankbarkeit verspürt und sich dessen bewusst ist. Auf Höhe der Sunnebergfurggele, also auf rund 2200 m.ü.m. sind wir dem Föhn und seinem Schneekorn-Peeling voll ausgesetzt. Wenig später kurz vor der Leglerhütte tritt unser vermeintliches Ziel ins Blickfeld. Es sieht im wilden Tanz des herumwirbeln Schnees sehr rau aus. Aber halt auch abgeblasen. Wenn ich mir vorstelle, dass mir bei der Abfahrt jedes dieser Schneekörner unter dem Brett fehlt und mir in der Summe den Fahrspass trübt, so brauche ich einen Moment, um über meine Motivation nachzudenken. 14 Naturfreund 4 2014

Glarus unterwegs Die Überraschung Wir beschliessen, diese Gedankengänge in die wohlig-warme Stube der Leglerhütte zu verlegen und bei einer Gemüsesuppe mit lokalen Würsteln zu festigen. Unsere Vermutung, dass die verbleibenden knapp 400 Höhenmeter abgeblasen sein werden, bestätigt uns das freundliche Wirtspersonal. Also nehmen wir uns die persönliche Freiheit, es heute dabei zu belassen und uns auf die bevorstehende Abfahrt zu freuen. Rund eine Stunde später stehen wir am höchsten Punkt zwischen Leglerhütte und Sunnebergfurggele. Die immer zahlreicher aufziehenden Wolken filtern das Sonnenlicht, so dass die Hügel fast im weissen Gelände zu verschwinden drohen. Die ersten Schwünge sind in Angesicht der Sicht- und Schneeverhältnisse nicht der Brüller. Zu unserem Glück hatten wir dies heute auch nicht erwartet. Es läuft und so cruisen wir via Chamm und Ratzmatt über die Fläche Richtung Wald. Hier ereignete sich dann der aus meteorologischer Sicht bestimmt sehr spannende, doch für unsere Tätigkeit wenig wohlbringende Wechsel der Schneekonsistenz. Alles klebt nur noch. Es ist als wenn man vergessen hätte, die Aufstiegsfelle von den Skiern zu nehmen. Powdern mit angezogener Handbremse. Ich muss wieder an den Spitzenalpinisten Arnold denken und an den schmalen Grat zwischen Scheisse und voll geil. Ein zweites Mal grinse ich in meine verschwitzte Jacke. Da herunter laufen mit Skiern oder Snowboard nun mal gar nicht geht, packen wir unsere Stöcke aus und stossen uns wie italienische Gondolieres den Hang hinunter. Es ist zum in die Hosen seichen. So absurd, dass es schon wieder lustig ist. Die letzten 300 Höhenmeter ab Rossgletti läuft es dann wieder besser und die Stöcke kommen nur noch sporadisch zum Einsatz. Was für eine witzige Tour?, denke ich so für mich, als wir den Parkplatz der Luftseilbahn erreichen. Da bekommt das Wort Kraftort eine ganz neue Bedeutung. Ski- und Snowboardtour Chli Chärpf Schwanden Chis 1 2 3 4 Chli Chärpf Stausee Garichti Start: Parkplatz Luftseilbahn Kies-Mettmen. Anreise mit dem PW: Die Talstation erreicht man über die 6 km lange asphaltierte Bergstrasse von Schwanden (GL) aus. Anreise mit ÖV: Via Ziegelbrücke bis Schwanden (GL), dann mit Taxi oder Kleinbus bis Talstation. Die Luftseilbahn fährt vom 26. Dez. bis 3. Jan. von 9.00 bis 16.00 Uhr alle 30 Minuten und vom 4. Jan. bis 4. Mai 8.00 bis 17.00 Uhr alle 30 Minuten. Aufstieg: Ab der Bergstation den Stausee Garichti östlich umgehen. Ab Punkt 1648 südwärts durch die Fläche, bis Punkt 1768 aufsteigen und weiter bis Ober Stafel. Dem Talverlauf südlich folgend bis Punkt 1925 und via Hübschböden die Sunnenbergfurggele südlich passierend bis zur Leglerhütte bei Punkt 2273. Südwestlich am Unter Chärpf vorbei und über die Chärpfscharte (2644) bis zum Skidepot beim Felsriegel. Zu Fuss unschwer auf den Gipfel. Es können Pickel, Steigeisen nötig sein. Abfahrt: Zurück bis zur Sunnenbergfurggele, dann via Chamm (1918) und Ratzmatt (1749) bis Änet- Halaueren. In flachem Gelände über die Rossgletti und dem Auerenbach folgend zurück zum Parkplatz der Luftseilbahn Kies-Mettmen. Dauer Aufstieg: ca. 3 ½ h Länge Aufstieg: ca. 7 km Höhenmeter Aufstieg: 1092 Länge Abfahrt: ca. 8 km Höhenmeter Abfahrt: 1671 Anforderungen: WS Kondition: mittel Karten: Skitourenkarte Nr. 247 S Sardona. 4 2014 Naturfreund 15

Der Naturfreund ist die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift der Naturfreunde Schweiz. Mit natur erleben einer kraftorte Auflage von 30 000 Exemplaren richtet sich der Naturfreund an natur-, umwelt-, kulturund gesundheitsbewusste Familien, Singles und die Generation 55+. Für die Übersetzung der redaktionellen Beiträge vom Deutschen ins Französische suchen wir eine/n kompetente/n Übersetzer/in Deutsch-Französisch Bei diesem Projekt handelt sich um Freiwilligen-Arbeit. Mit Ihrem Einsatz unterstützen Sie den kulturellen Austausch zwischen der deutschen Schweiz und der Romandie. Pro Ausgabe kann eine Entschädigung bis maximal 2000 Franken ausgerichtet werden. Haben Sie Zeit, Lust und Interesse, sich in diesem Sinne für die Naturfreunde zu engagieren? Falls ja, so freuen wir uns auf Ihr Echo. Auf dass wir die Details miteinander besprechen können! Bitte wenden Sie sich direkt an: Herbert Gruber, Tel. 031 306 67 67, herbert.gruber@naturfreunde.ch. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktnahme. Naturfreunde-Häuserkalender 2015 12 Monate 12 präzise Häuserfotos Naturfreundehäuser im besten Licht Plus sämtliche NF-Häuser im Kleinformat. Den NFS-Häuserkalender 2015 jetzt bestellen! Preise inkl. Mwst, exkl. Versandkosten: 1 Stk. zu CHF 25. 10 Stk. zu CHF 20. Ja, gerne bestelle ich: 20 Stk. zu CHF 17. Kalender (Stückzahl) Bitte beachten: Lieferungen nur solange Vorrat. Lieferadresse: Vorname: Name: Adresse: PLZ/Ort: Mail: Häuserkalender 2015 Chalet Naturfreundehaus Jägeri - Landquart - Kanton Graubünden - 1250 m ü.m. Foto: Michael Koller; Naturfreunde Schweiz des Amis de la Nature Jägeri - Landquart - Canton des Grisons - 1250m Calendrier des chalets NFS_Haueserkalender2015_doppelseitig.indd 1 14.11.2014 10:01:43 16 Naturfreund 4 2014 Senden an: Naturfreunde Schweiz, Sekretariat Pavillonweg 3, Postfach 7364, 3001 Bern

kraftorte Natur erleben WANDERN: AUF DEN GONZEN HOCH ÜBER SARGANS Die Kraft von unten Und was ist, wenn nun Wasser von unten nach oben steigt? Und was, wenn eine unsichtbare Kraft auch mich in die Höhe hebt? Nachfolgend die Geschichte von einem Wandersmann, der es wagt, genau hinzuschauen und der darob in sich eine starke Sehnsucht zum Fliegen wahrnimmt. Text: Klaus Sorgo Immer, wenn ich zwischen Alpenrhein und Unterland pendle, gerate ich für kurze Zeit in den Bann des Gonzen. Jenes Felsen, der im Norden von Sargans aufragt. 1350 Höhenmeter liegen zwischen dem Ort und dem Gipfel des Berges. Wie der Bug eines Schiffes ragt die Felsenklippe in das Land hinein. Unweigerlich frage ich mich: Welche Aussicht erwartet einen dort oben? Wie weit reicht der Blick ins Rheintal hinauf und nach Westen zum Walensee hinüber? Vor allem aber wie nimmt sich das Städtchen Sargans senkrecht unter dem Gipfel aus? Vom Talboden spüre ich, dass der Anblick des Berges mich mit ungeheurer Wucht trifft. Welches Gefühl würde mich umgekehrt haben, wenn ich von ihm herab auf die dicht besiedelte Landschaft sehe? Nachdem ich unzählige Male den Vorsatz gefasst habe, vom Tal aus aufzusteigen es geht auch von Oberschan und dem Hotel Alvier aus, und ihm immer wieder untreu wurde, starte ich im späten Herbst mit drei Freunden doch noch zu dieser Tour. Umrahmt von gepflegten Gärten beginnt nach dem Schloss Sargans der lange Aufstieg. Bald schon taucht der Weg in dichten Wald ein. Die Ruine des Knappenhauses auf Naus erinnert später an ein aufgelassenes Bergwerk. Bis vor 50 Jahren war es in Betrieb. Eisen wurde abgebaut. Der Stolleneingang ist verschlossen. So bleibt es uns verwehrt, in das Innere dieses geheimnisvollen Berges zu schnuppern. Über steile Wiesenhänge steigen wir weglos weiter auf. Die hier weidenden Kühe hinterlassen im schweren Boden tiefe Löcher. Nicht überall ist es möglich, ihnen auszuweichen. An manchen Stellen droht der Schuh im Sumpf zu versinken. Derweil wir Alten gezwungen sind, mit unseren Kräften hauszuhalten, überholt uns leichtfüssig eine sportliche Frau. Bereits liegen 1000 Höhenmeter hinter uns. Beim Berghaus Gonzen, das eben über einer Geländekante sichtbar wird, ist eine Rast vorgesehen. Wir haben geplant, uns dort zu verpflegen und deshalb auf eigenen Proviant verzichtet. Der Routenbeschrieb, den wir der Tageszeitung entnahmen, versprach die Möglichkeit zur Einkehr. Auch der eben passierte Wegweiser kennzeichnet das Haus als Gaststätte. Deshalb ist unsere Enttäuschung beträchtlich, als wir vor verschlossenen Türen stehen. Die Bank vor dem verlassenen Haus steht zwar in der Sonne, doch bei dem garstigen Wind halten wir auf ihr nicht lange an. Vom Sog der Tiefe Über einen baumlosen Hang windet der Weg sich an der Alp Rieterhütten vorbei zum Berggrat empor. Um die Gipfel kleben die Wolken hartnäckig. Alvier und Gauschla liegen im Nebel. Unsere Blicke allerdings gehen nach unten, denn hinter dem Grat fällt das Gelände steil hinunter ins breite Tal der Seez. 4 2014 Naturfreund 17

natur erleben kraftorte Markantes Wahrzeichen hoch über Sargans: der Gonzen, 1829 m. Ganz hinten grüsst der Walensee. Der Pfad taucht in niedriges Gehölz ein. Nasser Kalkstein macht das Steigen noch einmal beschwerlich. Vorsichtig sucht der Fuss hier Halt. Bald aber öffnet sich das kleine Gipfelplateau. Wir sind am Ziel beim hölzernen Kreuz angelangt und freuen uns auf den Blick hinunter zum Städtchen Sargans. Zu unserer Überraschung aber sehen wir da unten nur Mels, den Nachbarort. Nichts ist von Sargans zu sehen. Die visuelle Verbindung zum Anfang der Wanderung hat sich in dichtem Nebel aufgelöst. Da die Hoffnung angeblich zuletzt stirbt, setzen wir uns derweil noch zuversichtlich ins Gras. Der Wind, der bei der Hütte zum Spielverderber wurde, verschont uns hier oben. So sitzen wir an der Sonne und nehmen es, wie es kommt. Beine und Rücken dehnen sich. Wir sind noch nicht am Ende. Immer wieder steht einer von uns auf, um nachzusehen, ob der Nebel den Blick hinunter auf Sargans vielleicht doch noch freigibt. Vergeblich. Selbst wenn ich wage, die Nerven bis zum Äussersten zu strapazieren, gelingt es nicht, das Blickfeld zu erweitern. Das Gruseln im Bauch zwingt mich rasch, die vorgeschobene Position wieder aufzugeben und vom Rande der Wand, die unmittelbar mehrere 100 Meter tief abbricht, zurückzutreten. Ein paar Meter Abstand zur Kante brauche ich, um den Tiefblick unbesorgt geniessen zu können. Den Anderen geht es nicht besser. Gegen den Sog der Tiefe ist kein Kraut gewachsen. Ich weiss, es gibt sie, die Kühnen, die dieser Kraft sich ausliefern und gerüstet mit Flügeln oder Fallschirm in die Tiefe springen. Aber das ist eine andere Geschichte, denke ich. Aufsteigende Wasser? Während ich dastehe und den Sog nach unten in mir auszugleichen suche, pendelt der Blick zwischen dem Tal zu meinen Füssen und der Nebelwand zu meiner Linken hin und her. Ich beginne zu beobachten, was am Rande des Nebels vor sich geht und sehe etwas, das mich kurios anmutet: Durch eine senkrechte Rinne in der Wand strömt der Nebel wie ein Fluss herauf. Feine Tröpfchen steigen gegen die Schwerkraft nach oben. Hoppla, denke ich, Wasser kann aufwärts fliessen! Natürlich, Wolken machen das so. Das weiss ich. Als ich mitverfolge, was da vor meinen Augen passiert, bin ich aber trotz meines Wissens über die Gesetze der Natur beeindruckt. Dieses Schauspiel in der Wand des Gonzen macht für mich das spürbar, was für Menschen, die sich dem Fliegen verschrieben haben, den Reiz ihres Sports ausmachen dürfte. Normalerweise habe ich Mühe, mir unter der Thermik etwas vorzustellen. Jemand, der die Kräfte des Auftriebs nutzen kann, um auf Segeln in den Himmel hoch zu steigen, beherrscht eine Kunst, von der ich nicht den Schimmer einer Ahnung habe. Was ich nicht sehen kann, ist mir fremd. Bei Wildbächen und Wasserfällen erfahre ich die entfesselten Kräfte mit allen Sinnen. Ich sehe das stürzende Wasser, höre es tosen und spüre, wenn ich nahe genug dran bin, ein Beben unter der Haut. Das alles entspricht dem Gesetz der Schwerkraft. Wo aber Wasser, wie hier am Gipfel von unten her auf mich zu fliesst, wird es mysteriös. Was ich so noch nie wahrgenommen habe, begeistert mich. Plötzlich hätte ich Lust, mich in diese Strömung hineinzubegeben. In mir erwacht die Lust zu fliegen. Die Vorstellung, auf den hier sichtbaren Kräften zu schweben, ist nicht mehr unwirklich. So gesehen, erscheint mir die Luft als ein einziger grenzenloser Kraftort. Schade, dass ich dieses Erlebnis erst jetzt habe. Es ist für mich zu spät zum Abheben. Ich werde mich vielleicht mit denen, die noch nicht zu alt sind zum Fliegen, öfters in Gedanken auf den Weg machen. 18 Naturfreund 4 2014

kraftorte Naturfreunde Natur erleben leben aktiv Natur Unser neuer Taschenführer erscheint im Januar 2015! Natura Trail Chasseral Freizeit im Naturpark Die Natura Trails der Naturfreunde Schweiz laden Sie ein, Schweizer Naturparks sowie deren Besonderheiten, Tiere und Pflanzen auf naturbelassenen, abwechslungsreichen Wegen zu entdecken. Hinweise auf Aktivitäten, Spiel-, Verweil- und Übernachtungsmöglichkeiten machen bereits die Ausflugsplanung spannend! Sichern Sie sich Ihr Exemplar Natura Trail Chasseral kostenlos (solange Vorrat). Ja, ich bestelle den Taschenführer Natura Trail Chasseral kostenlos (Wert CHF 10.--) ein Geschenkabonnement des Magazins Naturfreund (erscheint 4 Mal jährlich, Wert CHF 30.--) Vorname, Name: Adresse: PLZ/Ort: E-Mail: Datum/Unterschrift: Coupon ausschneiden und zusammen mit frankiertem, an Sie adressiertem B5 Rückantwort-Couvert an: Naturfreunde Schweiz, Freizeit und Tourismus, Pavillonweg 3, Postfach 7364, 3001 Bern senden. www.naturfreunde.ch 4 2014 Naturfreund 19

Energie-spezial DIE AKTUELLE DISKUSSION: NATURFREUND -SPEZIAL ZUM THEMA ENERGIE Energie was ist das? Auf den nachfolgenden Seiten lädt der Naturfreund ein zu einer etwas besonderen Sofa-Wanderung. Es ist eine virtuelle Reise durch die Energie-Landschaft Schweiz. Um den Überblick zu wahren, unterteilen wir unsere Reise mit ihren 12 Stationen in 4 Etappen. Seiten 22-28 Seiten 30-36 Etappe Gelb: hier geht es um Ressourcen, um Rohstoffe, auch aus weiter Ferne. Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser spricht von Erdöl, Krieg und innerer Energie. Und wir erfahren, wie unser Abfall das Raumklima im Bundeshaus beeinflusst. Etappe Rot: zu den grossen Brocken beim Energie-Verbrauch zählen die Mobilität und das Wohnen. Wir erfahren, wie und wo Einsparungen möglich sind. Und Walter Steinmann, Direktor des Bundesamts für Energie, streicht die Trümpfe der Schweizer Wirtschaft heraus. Seiten 37-44 Etappe Blau: Energie und Mensch, Timeout statt Burnout was sagt die praktizierende Ärztin Danielle Lemann dazu? Wie verhält es sich mit der Energie im Grossmünster Zürich? Und wie wir über unseren Nahrungsmittel-Konsum die Energie-Debatte mitbestimmen! Seiten 45-51 Etappe Grün: Energie und Nachhaltigkeit, auch im Wirtschafts-Austausch zwischen Nord und Süd. Und der Klimaforscher Thomas Stocker appelliert an die Verantwortung des Einzelnen und der Gemeinschaft. Und unmittelbar zu spüren: Energie tanken auf dem Naturfreunde-Waldpfad. 20 Naturfreund 4 2014

energie-spezial Liebe Leserin, lieber Leser Die Natur ist unter Druck. Die Bevölkerung wächst, die Mobilität nimmt zu. Boden, Wasser und Luft werden stark beansprucht. Auch unsere künftige Energieversorgung, die der Bundesrat mit der Energiestrategie 2050 anstrebt, ist für den Natur- und Landschaftsschutz eine Herausforderung. Denn der Zubau erneuerbarer und somit umweltfreundlicher Energien führt paradoxerweise nicht selten zu Zielkonflikten. Zielkonflikte müssen wir gemeinsam beseitigen. Nur so können wir den Menschen eine lebenswerte Schweiz erhalten. Ich danke den Naturfreunden, dass sie diese Entwicklung kritisch, aber wohlwollend verfolgen. Mit ihrem Engagement tragen sie dazu bei, dass Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander ausgespielt, sondern Lösungen für einen Ausgleich zwischen Schutz und Nutzen erarbeitet werden. Denn eines liegt klar auf der Hand. Weniger fossile und mehr erneuerbare Energien sind für alle von Vorteil: Für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Natur. Denken wir etwa an die bestechenden Eigenschaften der einheimischen Wasserkraft: Ihre Nutzung verursacht weder gefährliche Abfälle noch klimaschädigende CO2-Emissionen. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass sich Wind- und Wasserkraftanlagen und unser Stromnetz so ausbauen lassen, dass es der Natur dabei gut geht und das Landschaftsbild intakt bleiben wird. Die Balance zwischen den Interessen wird uns nicht zuletzt auch deshalb gelingen, weil wir Schweizerinnen und Schweizer es gewohnt sind, tragfähige Kompromisse zu schmieden. Der Weg in eine Energiezukunft mit mehr Effizienz und mehr erneuerbaren Energien wird ein langer Prozess sein. Aber wir kommen ans Ziel, wenn wir ihn konstruktiv begleiten, statt ihn zu blockieren. Die Naturfreunde gehen auf dieser anspruchsvollen Wanderung mit gutem Beispiel voran. Doris Leuthard, Bundesrätin Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation 4 2014 Naturfreund 21

ENERGIE + RESSOURCEN 22 Naturfreund 4 2014

ENERGIE + RESSOURCEN Energie-Gewinnung: Am Anfang sind die Rohstoffe Es sterben Menschen des Erdöls wegen Wie viele Liter Milch trinken wir in der Schweiz pro Person und Tag? Und wie viele Liter Erdöl verbrennen wir hierzulande pro Person und Tag? Erdöl ist eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen für die Schweiz. Und es ist Segen und Fluch zugleich. Wir profitieren und bezahlen hoch auch mit Kriegstoten. Ein Gespräch mit dem Historiker, Energie- und Friedensforscher Daniele Ganser. Herr Ganser, wie kommt man als Historiker zum Thema Energie und Rohstoffe? Energie ist ein zentraler Faktor des Lebens. Lange Zeit aber wurde das Thema Energie lediglich über eine eher technische und politische Diskussion abgehandelt, z.b. über die Frage um neue Kraftwerke. Die Verknüpfung zu den natürlichen Ressourcen kommt dabei indes zu kurz. Ich habe mich als Historiker an die Aufarbeitung von kriegerischen Auseinandersetzungen herangewagt. Bald fanden Themen in meine Arbeit Eingang, die mich emotional sehr bewegten: Es sterben auf dieser Welt des Erdöls wegen Menschen! Und dies, weil wir das Erdöl für unseren Wohlstand benötigen. Das war eine Hauptmotivation, mich in dieses Thema zu vertiefen. Es stellt sich nun die Frage, ob wir deshalb auf Wohlstand verzichten wollen. Oder ob wir nach anderen Lösungen suchen sollten! So bin ich vom Historiker zum Energie- und Friedensforscher geworden, der sich auf den Weg machte, nach neuen Möglichkeiten zu suchen. «Wir wollen stets mehr und sind zu einer hochgradig süchtigen Gesellschaft nach noch mehr Energie geworden.» Gefahr ist bei erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und Wasser geringer oder gar nicht vorhanden. Wer auf erneuerbare Energien setzt, erhält also eine Friedensdividende. Wie wichtig ist Erdöl für unseren Wohlstand? Erdöl ist eine günstige Energiequelle. In den Nachkriegsjahren erlebte die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Erdöl einen Aufschwung und war die Grundlage für das Wirtschaftswachstum und damit für das Wohlstandsund Bevölkerungswachstum. Doch das reichte uns nicht. Wir wollten stets mehr und sind zu einer hochgradig süchtigen Gesellschaft nach noch mehr Energie geworden. In der Schweiz braucht jeder Mensch im Durchschnitt fünf Liter Erdöl pro Tag, z.b. zum Autofahren oder zum Heizen. Im Vergleich dazu konsumieren wir durchschnittlich einen viertel Liter Milch pro Einwohner und Tag. Der Unterschied: Milch produzieren unsere Bauern im Inland, Erdöl hingegen müssen wir aus Kasachstan, Libyen und Nigeria importieren. Im Schnitt brauchen wir fünf Liter Erdöl pro Tag, aber bloss ¼ Liter Milch, Daniele Ganser. Sie haben das Thema zu Ihrer Berufung gemacht? Ja, für mich ist mein Beruf zur Berufung geworden. Deshalb habe ich auch das Schweizer Institut für Energie- und Friedensforschung SIPER in Basel gegründet. Die Daten, die ich gesammelt habe, zeigen klar: Erdöl führt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Diese Was ist daran negativ? In diesen Ländern haben sich Krieg, Korruption und Umweltzerstörung ausgebreitet, man spricht in der Forschung vom Ressourcenfluch. Zunehmend sieht man Schäden, die durch unsere Lebensweise und dem Wunsch nach noch mehr Energie entstehen. 4 2014 Naturfreund 23

ENERGIE + RESSOURCEN Daniele Ganser (42) leitet seit 2011 das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER). Er studierte Zeitgeschichte in Basel, Amsterdam und London. Welche stehen im Vordergrund? Jede Energienutzung hat ihre Schattenseiten. Im Falle des Erdöls sind es die Umweltbelastungen des Bodens, der Gewässer und Luft bei der Gewinnung der Rohstoffe «Wir sollten, statt um Rohstoffe und fossile Energieträger zu kriegen, gemeinsam die Energiewende einleiten.» (wie z.b. im Golf von Mexiko) oder beim Abbau von Ölsand (wie z.b. in Kanada). Und natürlich die Umweltprobleme durch die Klimaerwärmung, die zu grossen Teilen auf die Freisetzung von Kohlendioxid CO2 als Folge des Verbrennens der fossilen Brennstoffe zurückzuführen sind. Aber wir dürfen auch die Zerstörungen nicht vergessen, die durch Kriege im Irak oder Libyen entstanden sind, ermöglicht durch und geführt für die Erdölnutzung. Weil Erdöl Macht bedeutet. Ohne Erdöl fährt kein Panzer und fliegt kein Bomber. Welches sind Ihre Hauptbotschaften? In der Vergangenheit bedeutete die Erdölnutzung die Möglichkeit, schnell an Energie zu kommen und in der Wirtschaft zu wachsen. In Zukunft werden wir mit einem Rückgang der Fördermengen und damit mit Verknappungen rechnen müssen. Das betrifft auch die Schweiz, denn die fossilen Brennstoffe decken 70 Prozent unseres Gesamtenergieverbrauchs; sie sind nicht erneuerbar und werden eines Tages aufgebraucht sein. Die Verknappung wird die Preise in die Höhe treiben. Bereits jetzt bezahlen wir in der Schweiz jeden Monat eine Milliarde Franken für Erdölprodukte. Dieses Geld sollte in die erneuerbaren Energien umgeleitet werden. Wir sollten, statt um Rohstoffe und fossile Energieträger zu kriegen, gemeinsam die Energiewende einleiten. Ihr Schlusswort? Es gibt nicht nur äussere Energie wie Windkraft und Kohle. Wir haben alle viel Energie in uns. Eine innere Balance und Energie, die wir in der Familie und mit Freunden finden, zeigt keine Verknappung. Auch das Entspannen in der Natur führt zu innerer Energie. Jeder Mensch ist ein wunderbares Energiekraftwerk. 24 Naturfreund 4 2014

ENERGIE + RESSOURCEN Von den Rohstoffen zum Endenergieverbrauch Und wie funktioniert das? Den Stecker in die Steckdose und los geht s! Daran haben wir uns gewohnt. Und immer und überall steht uns in der Schweiz genügend Energie zur Verfügung, ob in Form von elektrischem Strom oder von Benzin. Nichts desto trotz vorab ein Überblick, wie aus x-welchen Rohstoffen Energie gewonnen wird. Und die Erinnerung daran, dass jede Form von Energiegewinnung ihren Preis hat, insbesondere auch für Natur und Umwelt. Text: Markus Braun, Naturfreunde Schweiz Das Grundprinzip der Energieproduktion ist stets dasselbe: Primärenergieträger ( Rohstoffe ) wie z.b. Erdöl, Erdgas, Kernbrennstoffe, Rohwasserkraft, Solarenergie, Windkraft, Biomasse oder Abfall werden durch technische Anlagen in Energieträger umgewandelt, die dann z.b. als Heizstoffe, Treibstoffe, Elektrizität oder Fernwärme zu den Endverbrauchern transportiert werden. Dort werden diese Energieträger durch Geräte oder Maschinen weiter verarbeitet, um aus der Endenergie einen gewünschten Nutzen zu generieren: So entstehen z.b. durch Heizungen aus Heizstoffen Wärme für Gebäude, durch Motoren aus Treibstoffen die Antriebskraft für Fahrzeuge, durch Leuchtkörper aus Elektrizität Licht oder Betriebsenergie für Kaffeemaschinen, Kühlschränke, usw. Für die meisten Nutzer der Endenergie ist es selbstverständlich, dass wir in der Schweiz genug davon zur Verfügung haben. Die Frage, woher die Energie stammt, stellt sich kaum mehr jemand. Doch etwa 78% der Primärenergieträger stammen nicht aus der Schweiz und sind nicht erneuerbar, etwa 54% sind fossilen Ursprungs und tragen zur weltweiten Klimaerwärmung bei. Und grundsätzlich gilt: sämtliche 4 2014 Naturfreund 25