NDR Info Sendereihe Freiheit und Verantwortung 17. Mai 2009, 07:15 Uhr Humanisten machen Schule! Über die Entwicklung des praktischen Humanismus in Niedersachsen und Bremen Die Humanistischen Verbände in Niedersachsen und Bremen sind als anerkannte Interessenvertretung für konfessionsfreie Menschen tätig. Traditionell kümmerte man sich um Feiern und Rituale im Leben eines Menschen. Die Freireligiöse Gemeinschaft hat sich Ende der achtziger Jahre in Freie Humanisten und im Jahr 2007 nochmals in den Humanistischen Verband umbenannt. Seitdem gehören sowohl der Humanistische Verband Bremen (HVD Bremen) als auch der Humanistische Verband Niedersachsen (HVN) dem Bundesverband Humanistischer Verband Deutschlands (HVD) an. Die bundesweit organisierte Interessenvertretung konfessionsfreier Menschen will durch ihre Landesverbände einerseits geistige Heimat ihrer Mitglieder sein und andererseits sozialer Dienstleistungsverband für alle Menschen. Dazu gehören: Beratung und praktische Hilfsangebote durch die Zentralstelle für Patientenverfügung Lebens- und Partnerberatung Trauerbegleitung, Trauersprecher Weltliche Trauungen Jugendfeiern Betrieb von sozialen Einrichtungen Und das mit Erfolg! In Bayern hat der humanistische Verband in der vergangenen Woche die sechste Kindertagesstätte eröffnet. Das besondere an dem letzten Projekt ist, dass sich die Tagesstätte innerhalb einer Seniorenresidenz befindet und somit die Generationen zusammen geführt werden. Seit Oktober 2008 betreibt der bayerische Verband darüber hinaus die erste humanistische Schule in Deutschland. In Berlin unterhält der Humanistische Verband erfolgreich über zwanzig Kindertagestätten, diverse Jugendtreffs, ein Kinderhospiz, eine Schwangerschaftsberatung und bietet Anlaufstellen für psychosoziale Probleme an. Darüber hinaus wird es auch in Berlin demnächst eine humanistische Schule geben. In Nordrhein- Westfalen betreut der Verband Menschen in sozialen Notlagen und in Niedersachsen betreibt der Humanistische Verband in Hannover ein Studentenwohnheim und eröffnet am 1. Juli 2009 eine Kinderkrippe. Besonderes tut sich in Bremen: Hier möchte der Humanistische Verband ebenfalls eine
Humanistischer Verband Niedersachsen NDR-Beitrag vom 17.05.2009 Humanisten machen Schule 2/5 weltanschauliche Schule errichten und die Chancen stehen gut. Seitdem sich in den Medien herumgesprochen hat, dass dem Bremer Verband vom Senat eine Genehmigung in Aussicht gestellt wurde, stehen die Telefone der Bremer Humanisten nicht mehr still. Viele hunderte Anfragen von Eltern, aber auch interessierte Lehrer und Lehrerinnen melden sich. Warum? Für immer mehr Eltern ist eine werteorientierende Bildung mit humanistischer Weltanschauung von Bedeutung. Sie wünschen sich eine Schule mit einem pädagogischen Konzept, das Wissensvermittlung und eine ganzheitliche, individuelle Förderung ihres Kindes mit den Grundsätzen des weltlichen Humanismus verbindet und so eine Alternative zu der Vielzahl konfessioneller Privatschulen bietet. Deshalb ist es für uns Humanisten an der Zeit, auch in Norddeutschland eigene Schulen zu gründen. In einer für Kinder und Jugendliche immer enger werdenden Welt erhält Schule über die reine Wissensvermittlung hinaus eine immer größere Bedeutung. Die Humanistische Schule greift diesen Bedeutungswandel auf und will Kinder und Jugendliche im Sinne einer humanistischen Lebensauffassung allseitig bilden. Auf diesem Hintergrund wird die Humanistische Schule einen Rahmen für das Lernen und eine Orientierung für das Leben anbieten. Das Recht und die Verantwortung der Menschen, ihr Leben selbst zu bestimmen, ihre Persönlichkeit frei und in sozialer Verantwortung zu entfalten, bedeutet für das Kind, seine Lebenserfahrung mit Kindern und Erwachsenen in einem sozialen Umfeld zu erproben, zu erweitern, zu verändern und zu erkennen. Das Kind ist tätig und erfährt über den Sinnzusammenhang seiner Aktionen Werte, Normen, gesellschaftliche Zusammenhänge und damit ethische Gesinnung in einem nicht-religiösen Rahmen. Als weltliche Schule steht sie allen Kindern offen, die, unabhängig von ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft, eine nichtreligiöse, humanistische und wissenschaftlich fundierte Bildung und Erziehung erhalten sollen. Sie versteht sich als Ergänzung und modellhafte Anregung für das im Wandel begriffene staatliche Schulsystem. Warum eine humanistische Schule? Teils trotz, teils wegen der Umgestaltung der allgemeinen Bildungslandschaft (die letztlich gar nicht so viel ändert) ist die Unzufriedenheit vieler Eltern mit den Schulen groß. Ganz zu schweigen, von der Unzufriedenheit der Schüler und Schülerinnen Das zeigt sich u. a. in dem steigenden Bedarf an Plätzen für Privatschulen. Auch konfessionelle Schulen werden von vielen angewählt, obwohl sie sonst nichts mit Religion im Sinn haben, weil sie sich dort bessere Bedingungen für ihre Kinder erhoffen. Ähnliches gilt für Waldorfschulen. Die Bremer Modellschule Kinderschule zum Beispiel, eine staatliche, reformpädagogisch geprägte Modellschule, weist in den letzten Jahren jährlich 80 bis 100 Kinder ab, weil sie nicht genügend Plätze haben. Eine Freie Alternativschule oder eine Weltanschauungsschule gibt es in Bremen und Niedersachsen bisher nicht. Bundesweit werden zur Zeit viele Alternativschulen gegründet, allein rund um Bremen sind uns die Neue Schule in Hamburg, die Freie Schule in Verden, die Freie Demokratische Schule in
Humanistischer Verband Niedersachsen NDR-Beitrag vom 17.05.2009 Humanisten machen Schule 3/5 Oldenburg (in Gründung) sowie eine Initiative in Worpswede bekannt. Was aber macht Humanistische Pädagogik aus? Zunächst einmal legt sie keinen Wert auf einen missionarischen Charakter, sondern auf Bildung und Aufklärung. Die Humanistische Schule versteht unter Bildung einen Prozess, der Körper, Intellekt, Gefühl und alle Sinne einschließt und der durch geeignete Rahmenbedingungen unterstützt werden muss. Bildung ist dabei im Wesentlichen ein eigenaktiver Prozess, der nicht isoliert, sondern in Auseinandersetzung mit der Welt um uns herum stattfindet. So ist Bildung deutlich mehr als nur Wissenserwerb. Bildung ist für uns eng verknüpft mit Persönlichkeitsentwicklung und beinhaltet, sich ein Bild von der Welt zu machen, Haltungen und Einstellungen, Lebensauffassung und Strategien zu entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass nur das Erleben persönlich bedeutsamen Lernens umfassende Bildung garantiert, nur so ist Bildung des ganzen Menschen möglich. Humanismus als grundlegendes Prinzip verbindet die Rechte des Individuums mit der Verantwortung jedes Einzelnen für die Gemeinschaft, wobei ausdrücklich die Vielfältigkeit der vielen Einzelnen begrüßt und wertgeschätzt wird. Solches miteinander zu leben und erlebbar zu machen, dieses Grundprinzip weiterzugeben als höchste Achtung vor dem Menschen und seiner Umwelt ist Ziel der Humanistischen Schule. Das bedeutet im Einzelnen: Weltlichen Humanismus kennen lernen Anstelle von Religionen setzen wir bei den Fragen des Lebens auf Erfahrung, Vernunft und Aufklärung, achten jedoch die Glaubens- und Gewissensfreiheit aller Menschen. Das Verständnis von Kulturen und Religionen halten wir für ein wichtiges Lernfeld. Das Individuum fördern Der humanistischen Pädagogik geht es um das Individuum, den einzelnen Menschen in seiner konkreten Lebenswelt mit all seinen Bedürfnissen, Hoffnungen und Wünschen. Humanistische Erziehung' ist Selbsterziehung des Subjekts, die sich nicht in dem erschöpft, was der Einzelne an wissenschaftlichen Kenntnissen, sozialen oder technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben hat, schreibt Prof. Dr. phil. Heinrich Dauber von der Universität Kassel. Dazu gehöre: sich vom Andern 'kein Bild zu machen', ihn nicht zu verobjektivieren oder für welche ideologischen, gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Zwecke auch immer zu erziehen. Die Würde ist unantastbar, auch in der Schule Menschliche Würde ist etwas, das allen Menschen ohne Unterschied zukommt: Ihre Grundlagen liegen in der Anerkennung der Unantastbarkeit der persönlichen Identität und dem Recht auf volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Gleichzeitig beinhaltet menschliche Würde für Humanisten eine zentrale Herausforderung, so verantwortungsvoll und selbstbestimmt wie möglich zu leben.
Humanistischer Verband Niedersachsen NDR-Beitrag vom 17.05.2009 Humanisten machen Schule 4/5 Selbstbestimmung lernen, Verantwortung übernehmen Die Kinder lernen, Verantwortung für sich, für ihr Handeln und Unterlassen und für ihren Lernweg zu übernehmen. Indem sie erfahren, dass ihr Handeln etwas bewirkt, erkennen sie ihre Verantwortlichkeit. Die Aufgabe der Erwachsenen besteht darin, sie auf diesem Weg behutsam und vorsichtig zu unterstützen. Demokratisch handeln Die Kinder nehmen an den demokratischen Entscheidungsprozessen der Schule teil. Dadurch erfahren sie Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Wirksamkeit und erlernen Strategien zur Kompromissfindung. Vielfalt ist mehr, Toleranz entwickeln Eine Atmosphäre der Vielfalt und Offenheit, in der die Verschiedenheit der Menschen, ihrer Lebenswelten und Lebensziele anerkannt und respektiert wird, ist die Grundlage für Toleranz. Humanisten begreifen gerade die Andersartigkeit der anderen als Bereicherung. Wissen und Erkenntnis reflektieren Bedeutsam ist nicht nur der Erwerb, sondern vor allem der Umgang mit Wissen. Es kommt uns darauf an, dass Kinder lernen, die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ethisch zu reflektieren. Die Bedeutung des Gelernten für das eigene Leben und für die Entwicklung einer globalen Verantwortlichkeit steht für uns im Vordergrund. Dem Leben Sinn geben Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten, ihm einen Sinn zu geben. Wir unterstützen die Kinder bei der Suche nach Sinn und Orientierung im Leben auf der Grundlage humanistischer Weltanschauung. Menschenrechte anerkennen, solidarisch handeln Menschenrechte kennen zu lernen ist Wissens- und Wertevermittlung zugleich. Die Kinder lernen gleichgeltende Rechte für sich und andere kennen. Sie lernen, dass hinter diesen Rechten Werte stehen wie Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Solidarität. In Kenntnis und Auseinandersetzung mit den Menschenrechten können sie sich selbst und jeden anderen Menschen in seiner Autonomie und Unantastbarkeit anerkennen und würdigen. Das Philosophieren ist uns dabei besonders wichtig. Das Philosophieren stellt in der Humanistischen Schule ein Alleinstellungsmerkmal dar. Es heißt diskutieren und argumentieren lernen. Es bedeutet auch, zu lernen, wie Wissen produziert wird. Dazu gehören Methoden bzw. Praktiken des Philosophierens wie: Wahrnehmung eines Phänomens klären Deutungen verstehen und vergleichen
Humanistischer Verband Niedersachsen NDR-Beitrag vom 17.05.2009 Humanisten machen Schule 5/5 Begriffe analysieren Argumente im Dialog austauschen Zusammenfassen Neue Fragen aufwerfen Philosophieren ist kein Selbstzweck, sondern erleichtert kritisches und systematisches Nachdenken über eigene und andere Bedürfnisse, über Interessen, Normen, Werte und Ziele und ermöglicht so reflektiertes moralisches und verantwortliches Handeln, persönliche Sinngebung sowie eine humanistische Lebensgestaltung. Das Philosophieren ist eingebettet in den gesamten Tagesablauf, wird aber besonders gefördert durch den hohen Wert, den die Schule auf Gespräche und Debatten, sei es in den Sofaecken, sei es bei den Besprechungen, legt. Humanistische Werte werden in der Humanistischen Schule durch das Vorbild der Erwachsenen, durch viele Gesprächsangebote und -möglichkeiten vermittelt. Die Kinder werden ermuntert, über sich selbst und die Welt nachzudenken und Standpunkte aus nicht-religiöser, humanistischer Sicht kennen zu lernen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, frei und verantwortlich eigene Antworten auf fundamentale Fragen ihres Lebens zu finden und dabei ihre eigene Lebensauffassung zu entwickeln. Sie befassen sich mit Erfahrungen von menschlichen Lebenszuständen wie Gesundheit, Angst, Krankheit, Trennung, Tod, aber auch mit Werten wie Freundschaft, Solidarität, Treue, Hilfe. Die Schülerinnen und Schüler lernen, selbstbestimmt und kritisch auf Dogmatismus und Indoktrination zu reagieren, ohne das Recht anderer auf Selbstbestimmung zu verletzen und lernen ihre eigenen Rechte kennen. Sie beschäftigen sich mit den Themen Menschenwürde, Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit, mit Fragen zur moralischen Legitimität unserer Gesellschaft angesichts des herrschenden Elends in armen Ländern der Erde, Kriegen und drohender ökologischer Katastrophen. Sie werden vielleicht auch erkennen, dass es auf viele Fragen keine endgültigen Antworten gibt und werden in ihrem ethischen Bewusstsein und ihrer moralischen Kompetenz gestärkt. Es entspricht den Grundsätzen des Humanismus, dass auf jedes Kind einzeln eingegangen wird. Das ist nur möglich, wenn die Gruppen nicht zu groß sind und die Schule insgesamt überschaubar bleibt. Nur so kann jeder jeden kennen, kann jeder gehört werden und sich tatsächlich einbringen. Wo Nähe, Vertrautheit und gegenseitige Achtung herrschen, wo die Möglichkeit besteht, Einfluss auf das Ganze zu nehmen, da wachsen Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und eine hohe soziale Kompetenz. Dies zu fördern aber eben auch zu fordern wird Anspruch und Ziel einer humanistischen Schule sein. Falls wir Sie neugierig gemacht haben sollten: Unser Konzept über die humanistische Schule erhalten Sie beim Humanistischen Verband Bremen oder Humanistischen Verband Niedersachsen unter der Telefonnummer: Telefon: 0511 167 691 60, per Fax: 0511 16769178 oder E-Mail: zentrale@humanisten.de