Wissenschaft. "Max hat kein Problem damit", sagt i. Karl-Eugen Siegel, sein Vater.

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Transkript:

Wissenschaft MEZNETHK Aus einer Leiche geboren Max Siegel ist das Kind einer hirntoten Mutter. Seine Existenz verdankt er der Entschlossenheit von Ärzten, die vor 20 Jahren noch nicht ahnten, dass sie ein ethisches Minenfeld betreten. Wie sehen die Akteure von damals ihr Handeln heute? ax fragt nie nach seiner Mutter. i Er hat sie nicht kennengelernt - i als er geboren wurde, war sie seit elf Wochen tot. Hat er Angst? Angst, mehr zu erfahren über die Frau, deren Herz so lange noch schlagen musste, damit er in ihr wachsen durfte? Eine "beatmete Gebärmutter", so i hieß es damals in den Zeitungen. "Max hat kein Problem damit", sagt i Karl-Eugen Siegel, sein Vater. 1 "Hoffe ich", fügt er hinzu. Gaby Siegel lächelt von einem Wandfoto im wohn- zimmer herab: blonde halblange Locken, blaugraue Augen, erste Lachfalten. 33 Jahre ist sie da alt, das Lebensjahr, in dem es passierte. i Auf einem anderen Bild umarmt Karl- i Eugen Siegel lächelnd, die Augen innig ' geschlossen, den kleinen Max. er Vater trägt darauf einen schwarzen Vollbart, die Brille mit dem dicken Rand wirkt streng.. Heute ist der Bart grau gesprenkelt; die Brauen sind noch genauso buschig. War es in Gabys Sinn, als er damals entschied, dass das Baby leben sollte? Was tun, wenn der Patient seinen Willen nicht mehr äußern kann? st Max nicht der beste Beweis, dass alles richtig war? Gaby war eben nicht "tot", nur weil die Arzte keine Hirnaktivität mehr nach- i weisen konnten - so zumindest sieht es Karl-Eugen Siegel. enn wie sollte ein toter Körper das Wunder einer Schwan- gerschaft vollenden können?, M iese Geschichte hat mein Leben so auf den Kopf gestellt, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist", sagt Paolo Bavastro. Er ist nternist, 62 Jahre alt, ein i.: hochgewachsener Mann mit dichtem wei- ßem Haar, der das R tief rollt, ein Über- bleibsei seiner italienischen Herkunft. a- mals, 1991, erlebte e als Arzt die letzten Wochen von Gaby Siegel vor der Geburt. Seitdem beherrscht ein Satz sein Leben: Foto von Gaby Siegel 1991: Bewusstlos im Park "Hirntot ist nicht gleich tot." i ie wichtigsten Stationen seines Wer- nen ausgefallen sind. Bavastro kämpft bis praxis an einer vielbefahrenen Straße in degangs haben mit diesem Satz zu tun. heute gegen diese efinition, schreibt Ar- Stuttgart, viel zu große Räume, altrosa Li1996 trug er ihn als Experte dem eut- tikel, hält bundesweit Vorträge, streitet noleumboden, schlichte Kiefernholzmöbel, sehen Bundestag vor. Er fand kein Gehör, sich auf Podiumsdiskussionen mit Organ- kahle Wände. "ch musste schnell etwas ein Jahr später trat das Transplantations- transplanteuren. finden, mit 54 kann man nicht lange warm Jahr 2003 wurde er aus der Klinik ten." Bitterkeit schwingt in seiner Stimme. gesetz in Kraft, und damit das Hirntod-! Konzept. Seither gilt ein Mensch als tot, geworfen, in der er als Chefarzt alt werden Aber jetzt hofft er, dass die Hirntodwenn alle seine messbaren Himfunktio-, wollte. Heute führt Bavastro eine Privat- ebatte auflebt und er wieder in die Talk-! - 112 SPiEGEL

shows eingeladen wird. amit er allen zeigen kann, dass er damals recht hatte. Er beruft sich auf amerika nische Wissenschaftler, die erhebliche Zweifel am Hirntod-Konzept angemeldet haben. "er Fall Gaby Siegel"; sagt Bavastro, "ist immer noch so aktuell wie damals." Gaby will sich beim Hausarzt Blut ab- Kind: "Bitte, tun Sie alles Erdenkliche für beide!" n den folgenden Tagen scheint nehmen lassen. Um 16 Uhr 45 telefonieren sie ein letztes Mal. es aufwärtszugehen. Gaby beginnt wieeine Stunde später bricht sie in einem der selbst zu atmen, die Ärzte wollen sie Park bewusstlos zusammen. ie Ursache sogar von der Beatmungsmaschine entist bis heute ungeklärt. Als ein Spazier- wöhnen. Sie öffnet die Augen, manchmal gänger sie findet, atmet sie nicht mehr. glaubt Karl-Eugen, sie lächle - doch ihre Er reanimiert sie, Gabys Herz beginnt i Augen blicken ins Leere. ie unglaubliche Geschichte, wie Max wieder zu schlagen. ie Ärzte sagen, dass sie wegen der Siegel im Leib einer hirntoten MutUm 21 Uhr kommt Karl-Eugen Siegel Schwangerschaft wichtige Medikamente ter am Leben bleibt, beginnt am 4. Juli von der Arbeit. An der Tür erwarten ihn nicht geben könnten, und wollen das 1991. Gaby Siegel arbeitet als Betriebszwei Polizisten. Später notiert er über Kind abtreiben. Karl-Eugen ist empört wirtin bei Porsche in Stuttgart. Erst seit diesen Moment in seinem Tagebuch: "ch Gaby und er sind aktive Mitglieder in der neuapostolischen Kirche. "Schon der Gedanke an Abtreibung - nie hätte Gaby dem zugestimmt", sagt er. Am Morgen des 14. Juli, zehn Tage nach Gabys Zusammenbruch, reagieren ihre Pupillen nicht mehr auf Licht. Ein Anzeichen für ein Koma des Stadiums vier, die tiefste Form der Bewusstlosigkeit. er Sauerstoffmangel hat die Membranen der hochempfindlichen Nervenzellen geschädigt. Gewebswasser strömt ein, Gabys Gehirn saugt sich voll wie ein trockener Schwamm. Aber es kann sich nicht weit ausdehnen, stößt an die starren Schädelknochen. Schließlich tritt der SuperGAU der ntensivmedizin ein: Gabys Hirnstamm wird eingeklemmt und dauerhaft geschädigt. Jetzt sind lebenswichtige Funktionen betroffen. rei unendlich erscheinende Tage Hoffen und Bangen, dann schickt ein Neurologe Karl-Eugen vor die Tür und prüft, - ob Gabys Hirnstamm noch intakt ist. Mit einem Spatel fährt er in ihren Mund, bestreicht ihren Gaumen und die Luftröhre - sogar Menschen im tiefen Koma reagie ren darauf mit dem Würge- und Husten reflex, Gaby nicht. Er klebt Elektroden, auf ihren Kopf und misst die elektrische Aktivität des Gehirns - doch das EEG zeigt nur eine Nulllinie. Vorgeschrieben wäre jetzt noch, die Beatmungsmaschine abzustellen und zu kontrollieren, ob die Patientin spontan zu atmen beginnt - aber diesen letzten Test, das haben die Ärzte vorher abgesprochen, soll er nicht durchführen, weil der Sauerstoffmangel den Fötus gefährden könnte. ie Ärzte einigen sich auf Hirntod. Soll die Schwangerschaft jetzt noch fortgeführt werden? "Gaby ist ja jetzt wohl ein menschlicher Brutkasten, sagte ein Arzt zu mir", erzählt Karl-Eugen Siegel. "amals war ich entsetzt, heute kann ich sei' J..1 ne Sicht verstehen. Aber mir ging es ja damals gar nicht nur um die SchwangerSohn Max Siegel: "Keine Ahnung, wo sie jetzt ist, irgendzoo in der Galaxie" schaft, ich habe wirklich geglaubt, ich kurzem wissen sie und ihr Mann, der stürme in die Wohnung, raffe Gabys Sa- kriege meine Gaby zurück." Gabys Mutter aber gerät ins Wanken, Kaufmann Karl-Eugen, von der Schwan- chen zusammen und schreie um Hilfe zu gerschaft. Sie ist in der 17. Woche, beide dem, der allwissend, allmächtig und all- "Was machst du da mit unserer Tochter?" sind voller Freude und Erwartung; nach gegenwärtig ist." Er findet Gaby auf der Sie drängt ihn, Rat bei der neuapostolizehn Jahren Ehe wünschen sie sich un- ntensivstation, intubiert, verkabelt, be- schen Kirche zu suchen. as Gespräch mit seinem Bezirksaposbedingt ein Kind. Sie frühstücken mor- wusstlos. er Arzt sagt, der Sauerstoffmangel habe ihr Gehirn schwer geschä- tel hat er bis heute in schlimmer Erinnegens um neun, sprechen über Alltägliches. digt. Sofort denkt Karl-Eugen an das rung. Nach langem Schweigen empfiehlt (... SPEGEL 25(2011 113

Wissenschaft ihm der Geistliche, den ingen ihren Lauf zu lassen: "Ach, Karl-Eugen, wenn es im siebten oder achten Monat wäre - aber das hier ist ein zweischneidiges Schwert, da kann ich dir nicht weiterhelfen." Es ist der Moment, in dem Karl-Eugen Siegel innerlich mit seiner Kirche bricht. während dieser Phasen per Hand mit einem Beutel beatmet. Erklären kann diese Reaktionen niemand - manche Ärzte und Wissenschaftler meinen später, vielleicht sei Gaby Siegel noch gar nicht hirntot gewesen, schließlich habe niemand den Atemtest durchgeführt. ie Harmonie in der Filderklinik nimmt ein jähes Ende, als Gaby Siegel innerhalb des Hauses auf die zweite ntensivstation verlegt wird, die der nternist Bavastro leier Himmel ist einem nätet. Sie ist damals in der 25. Schwangerher in der Filderklinik bei schaftswoche und seit 47 Tagen hirntot. Stuttgart, Sonnenlicht fällt Plötzlich will der Körper nicht mehr, nachdurch die verglaste ecke in einander drohen die inneren Organe zu die Empfangshalle, in der ein versagen. Bavastro erinnert sich an einen kleiner nnengarten mit Bäutäglichen Kampf: "Wir wussten nie, ob wir men und Brunnen angelegt ist. sie durch die nächste Krise bringen würhier war ein anthroposophi den." en ntensivpfleger Jörg Bitterle scher Architekt am Werk, hier schaudert es noch heute, wenn er daran wird anthroposophische Medidenkt, wie Gaby Siegels Körper daliegt, zin praktiziert. en Hirntod von Krämpfen geschüttelt, ein Aufbäumen gibt es nicht in der Lehre Ruder Natur gegen die moderne Medizin. dolf Steiners. "ie Frage war für mich nicht, was machvielleicht ist das der Grund, bar, sondern was der Patientin zumutbar warum Gaby Siegel hier Auf-.1-.2.. ist - und was uns als Pflegekräften. " Geranahme findet, als sie schon seit Vater Karl-Eugen Siegel: "ch konnte nicht loslassen" de die Vorstellung, Gaby Siegel sei nicht 22 Tagen hirntot ist. Uni-Klini tot, belastet jetzt das Klinikpersonal. Vor ken hatten sich zuvor strikt geweigert, sie Alle behandeln Gaby Siegel, als wäre allem Frauen wollen das Zimmer nicht zu übernehmen. sie geistig da. Meyer warnt sie, wenn er mehr betreten, zu stark identifizieren sie er Anästhesist Johannes Meyer, ein eine Nadel in die Haut sticht. er Frauen- sich mit ihrer Patientin. Eine Krankenstämmiger Mann mit Glatze und durch- arzt kündigt ihr an, wenn er das kalte schwester, die selbst schwanger ist, erzählt dringendem Blick, erinnert sich: "amals Gel für die Ultraschalluntersuchung auf- in der Frühbesprechung, dass ihr nachts in hat niemand den klaren Auftrag in Frage trägt, erzählt ihr, wenn der Fötus wieder Alpträumen ihre Patientin erschienen sei. gestellt, mit dem Herr Siegel zu uns kam", schön an Gewicht zugelegt hat. en Ehemann, der immer da ist und so der heute 63-Jährige. "ass wir damit Und der Fötus in ihrem Leib wächst der alle Handgriffe des Personals verfolgt ein ethisches Pulverfass aufmachen, war und strampelt. Sein Herz schlägt kräftig und kritisiert, empfindet Bitterle als kaum uns nicht bewusst." Meyer hat in seinem und rhythmisch, alles scheint so, als han- erträglich, bald geraten die beiden aneinberufsleben auf der ntensivmedizin oft delte es sich um eine ganz normale ander. "n den iskussionen mit ihm mit Hirntoten zu tun gehabt. "Aber einen Schwangerschaft. habe ich gemerkt, wie sehr er sich an die Fall wie Gaby Siegel habe ich noch nie ie Krankenschwester Ursula iete- Hoffnung auf ein Wunder klammerte", erlebt", sagt er. rich-pedersen hat anfangs große Angst 1 erinnert sich Bitterle. "ass seine Frau Als der Krankenwagen sie bringt, ist davor, eine Hirntote zu pflegen. och 1 sterben würde, ging völlig an ihm vorbei!" Meyer überrascht: Wie gesund diese Frau bald ändert sie ihre Einstellung. Sie sieht Karl-Eugen Siegel versteht den Pfleger aussieht! ie Haut rosig, das Gesicht Karl-Eugen Siegel tagaus, tagein von mor- heute: "ch konnte nicht loslassen, das nicht aufgeschwemmt durch die Wirkung gens bis abends bei Gaby sitzen. Er legt 1 war mein Problem. Aber vielleicht ist gevon Medikamenten - nicht der Anblick, ihre Lieblings-C auf, mit irischen Folk- nau das der Grund dafür, dass auch Gaby den er gewohnt ist von Patienten, die lan- Liedern, er liest ihr aus Märchenbüchern ' nicht losgelassen hat." ge auf ntensivstationen therapiert wur- vor, seine Hand liegt dabei auf ihrem Fast einen Monat dauert diese letzte den. "Sie sah aus, als schliefe sie nur." Bauch, damit das Kind die Vibrationen, Phase von Gaby Siegels Sterben - bis zur Normalerweise erfordert es großen in- seiner Stimme spürt. 28. "Schwangerschaftswoche. Während tensivmedizinischen Aufwand, die Kör"ieser Mann hat mit a11seiner Liebe dieser Zeit verliert der nternist Bavastro perfunktionen hirn toter Menschen auch dafür gekämpft, Frau und Kind nicht zu seinen Glauben an das Konzept des Hirnnur einige Tage lang aufrechtzuerhalten. verlieren", erzählt ieterich-pedersen. tods: "Ein toter Körper kann unmöglich enn ihr Körper strebt dem Tod entge- "Um das Bett herum war eine schützende a11diese Steuerungsprozesse in Gang halgen. Oft stellt das Gehirn seine HormonGlocke von Vertrautheit und Wärme ten, die nötig sind, damit der Fötus am Leben bleibt." produktion ein und koordiniert lebens- unberührt von all der Krankenhaustechas bisherige Hirntod-Konzept besagt, wichtige Körperfunktionen nicht mehr: nik. ch habe mich nie wieder gefragt, ob Blutdruck, Wasserhaushalt und Körperdas richtig oder falsch war, was wir taten." i dass der Körper nach dem endgültigen temperatur können gefährlich entgleisen, Unheimlich wird denjenigen, die Zeu- 1 Absterben des Gehirns unweigerlich und manche Patienten bekommen Fieber, das gen der täglichen Musiktherapie sind. rasch in seine Einzelteile zerfällt, weil das auf kein Medikament anspricht, andere enn Gaby zeigt Reaktionen: Wenn ihr 1 zentrale Steuerungsorgan, das Gehirn, scheiden bis zu zehn Liter Urin am Tag Puls rast und der Blutdruck gefährliche fehlt, iese Vorstellung ist schwer zu veraus. "Gaby Siegels Körper aber hat sich Spitzen erreicht, legt die Musiktherapeueinbaren mit den mittlerweile 30 Fällen über lange Zeit weitgehend selbst regu- tin Monica ihre Hände auf die Brust ihrer von himtoten Schwangeren, die zum Teil liert", sagt Meyer. Patientin und summt - der Kreislauf be- monatelang am Leben gehalten wurden. Keiner an der Klinik hat je das Gefühl, ruhigt sich. Täglich, wiederholbar, erzählt er Bioethikrat der USA erklärte desmit einer Toten umzugehen. der Anästhesist, der damals die Patientin halb bereits 2008 das traditionelle Hirn- - -" 114 SPEGEL

Max überragt seinen Vater um einen halben Kopf. 20 Jahre alt, dichtes zerzaustes Haar, aschblond, blasser Teint, die flache Brille sitzt zu tief auf der Stupsnase und verkleinert f die Augen. ie graublauen Augen huschen zwischen Boden und Wand hin und her. ie buschigen Brauen hat er vom Vater geerbt. n der Waldorfschule tat sich Max schwer mit dem Schreiben und Rechnen. Fußball spielte er nicht, am meisten lag ihm das Fach Handarbeit - Nähen und Stricken. Er schaffte m 26. September 1991,84 Tage nach den Hauptschulabschluss. jetzt Gaby Siegels Zusammenbruch, setlernt er Holzfacharbeiter. Eine zen morgens vorzeitige Wehen ein. hr Freundin hatte er nie. Freunde Blutdruck sinkt bedrohlich ab. ie Geaus der Schulzeit sind ihm. 1 nicht geblieben, aber mit zwei bärmutter kann nicht ausreichend durchblutet werden. seiner Kollegen versteht er sich Medikamente versagen, mittags entgut. "Wir zocken viel am Comscheiden sich die Ärzte für einen Kaiserputer, weggehen tun wir eigentlich nie." schnitt. Karl-Eugen Siegel streichelt Gaby am Was erzählt Max den anderen, wenn sie nach der MutKopf, während der Gynäkologe Ernst Rei- Mediziner Meyer: "Einen solchen Fall noch nie erlebt" chelt, der sie durch die Schwangerschaft ter fragen? "Früher habe ich begleitet hat, das Baby holt. Als der Jun- Lange hat er mit sich gerungen, bis er immer gesagt, ich... " - er kichert, seine den Ärzten erlaubte, sie nicht mehr zu Augen huschen zum Vater - "... soll ich ge zum ersten Mal die Augen aufreißt und schreit, drückt Karl-Eugen den Kopf reanimieren. das jetzt sagen?... ch bin aus einer Leiche geboren. ann haben die anderen geder hirntoten Mutter, küsst sie auf die ax sitzt jetzt neben ihm auf dem fragt:,wirklich, geht das?' ch habe es erstirn: "Hast du es gehört, Gaby, das ist Sofa und schweigt. Schon so oft hat klärt, dann haben sie nie mehr gefragt. " unser Kind!" ie ersten zwei Tage seines Wann hat der Vater es ihm zum ersten Lebens muss das "Kind Siegel" allein in er zugehört, wenn der Vater anderen seimal erzählt? Wieder ein flüchtiger Blick einem nkubator verbringen, viele Kilo- ne Geschichte erzählte. Täglich spricht meter entfernt in einer anderen Klinik, der Vater über Koma und Hirntod, er wid- zum Vater: "Haben wir denn schon mal in der es eine Frühgeborenenstation gibt. met einen Großteil seiner Zeit dem Ver- richtig darüber gesprochen?" Max hat er Vater hat keine Zeit für das Kind. band für Hirngeschädigte, den er vor 17 eben noch ausgiebig mit den Händen "Meine Gaby lag im Sterben, was interes- Jahren gegründet hat. "Wir hatten zu we- gestikuliert, jetzt schlingt er die Arme eng um die Brust. er Vater: "Als du in nig Zeit füreinander", sagt der Vater über sierte mich da das Baby, zu dem ich noch die Schule kamst. ie anderen Kinder haseinen Sohn. m ezember waren beide wenig Beziehung hatte." Am übernächsben gefragt, und du hast mich gebeten, ten Morgen um 5.30 Uhr ist er bei ihr, als auf Gran Canaria, der erste gemeinsame ich soll es den Eltern erklären. Und du sie Herzrhythmusstörungen bekommt. Urlaub seit Jahren. hast mich gefragt, ob du schuld am Tod von Mama bist, weißt du nicht mehr?" Ausfall von Bewusstsein, Sinneswahrnehmung Max: "Ehrlich? Weiß ich nicht mehr." er und zentralen Steuerungsfunktionen wie TemperaturVater: "Und natürlich bist du nicht Erhaltene Organfunktionen und Blutdruckregelung. keine Hirnsträme mehr messbar schuld!" bei künstlich beatmeten Hat Max sich nie gefragt, wie die Mutill mnmfill ' Atemantneb und Reflexe Hirntod-Patienten ter war? "Eigentlich nie... " - längeres wie Husten- und Würge reflex eroschen,., Schweigen - "... na ja, ich weiß, dass sie.-----.. sportlich und ziemlich groß war. Papa ----.,musste extra hohe Absätze bei der Hoch. //.!, zeit tragen... Und Oma sagt, ich hätte,: -: ihre Augen und Haare."..,.o;::;..../.. _,. / ; Und wo ist die Mutter jetzt? "Keine Ahnung... rgendwie schon hier, im Her"-;' zen halt, oder irgendwo in der Galaxie." "-co' Was ist denn der Tod für Max, hat er sich je damit beschäftigt? "Eigentlich glaube ich, dass dann alles zu Ende ist!" er Vatel' runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf. "Na, das ist jetzt aber eine dürftige AntGeschlechtsorgane wort, da musst du, glaube ich, noch mehr bei der Frau: Schwangerschaft drüber nachdenken." kann aufrechterhalten werden n der Glaubensfrage müsse Max seibeim Mann: SpermaQ.toduktiOn hält an nen Weg allein finden, erklärt der Vater tod-konzept für widerlegt. Trotzdem bekannte sich damals die Mehrheit der beteiligten US-Wissenschaftler dazu, dass es so etwas wie den Hirntod zumindest gibt. Sie versuchten diesen aber nicht mehr streng naturwissenschaftlich, sondern eher philosophisch zu begründen. emnach fehlen einem Hirntoten drei fundamentale Fähigkeiten des lebenden Menschen: die Empfänglichkeit für Reize aus der Umgebung, die Fähigkeit, auf die Welt einzuwirken, sowie der rang des Organismus, seine Bedürfnisse zu befriedigen - zum Beispiel Hunger durch Essen zu stillen. ieses neue Hirntod-Konzept ist jedoch unter Medizinethikern sehr umstritten. A M Letzte Lebenszeichen 1 -;::::: '- 0". SPEGEL 115

' später. hn schmerze es, dass er, dessen eigenes Leben so sehr von der Religion geprägt ist, nicht viel weitergeben konnte an seinen Sohn. Aber der Tod von Gaby hat auch seine eigenen Vorstellungen erschüttert. Himmel, Hölle, Jüngstes Gericht - das sind Begriffe, mit denen auch Karl-Eugen Siegel heute nicht mehr viel anfangen kann. Es ist anders gekommen mit Max, als es sich Karl-Eugen Siegel vielleicht einmal vorgestellt hatte. Mit einer Videokamera hat er im Krankenhaus viel gefilmt, damit der Junge später einmal versteht, dass alles gar nicht so schlimm war, damit er sieht, wie schön seine Mutter war und wie liebevoll die Menschen sie umsorgt haben. ie Kassetten lagern in einer Kiste, er hat sie ihm noch nie gezeigt. Ein Jahr nach Max' Geburt verunglückt die 18-jährige Marion P. bei einem Verkehrsunfall. iagnose: Hirntod. Sie ist in der 14. Woche schwanger. ie Ärzte der Erlanger Uni-Klinik überreden die Eltern, die Tochter am Leben zu erhalten, bis der Fötus entbunden werden kann. Fünf Wochen später stirbt das Ungeborene durch eine nfektion der Mutter. Erstaunt verfolgt der Arzt Bavastro damals in den Zeitungen, wie binnen weniger Wochen eine deutschlandweite ebatte über das "Erlanger Baby" ausbricht. Feministinnen, Philosophen, aber auch viele Ärzte mischen sich ein. n den Monaten danach stellte Bavastro die Weichen für sein künftiges Wirken, ' arbeitete sich tief in die Literatur ein, hielt Vorträge, knüpfte Kontakte zu Medizinethikern. Für die Verfechter der Transplantationsmedizin gelte er bis heute als ntimfeind, sagt der Arzt, denn seine Forderung ist knallhart: "Erst muss ein schlüssiges Konzept her. Solange das nicht auf dem Weg ist, haben wir eben weniger Organe. " er Anästhesist Johannes Meyer hat einen anderen Weg beschritten - heute ist er Transplantationsbeauftragter der Filderklinik und trägt selbst einen Organspendeausweis. "ch halte,hirntod' für ein unglückliches Wort, für mich sind Menschen wie Gaby Siegel irreversibel Sterbende. Aber mit dem Ablauf einer Organtransplantation habe ich kein Problem. " enn unbestritten ist für alle Wissenschaftler, Kritiker wie Befürworter, dass es für einen hirntoten Menschen keinen Weg zurück ins Leben gibt. ie Frage, ob das Hirntod-Konzept haltbar sei, hat mittlerweile auch die Bundesärztekammer erreicht. Gerade hat sich ihre Zentrale Ethikkommission mit ihr befasst. Sie kommt zum Schluss, dass es unabdingbar sei, "sich einer öffentlichen ebatte über das Hirntod-Konzept zu stellen". BERNHAR ALBRECN.T 116