Eröffnung der Ausstellung Ewig Endlich mit Werken von Hans Georg Anniès und Uta Welcker-Anniès am Sonntag, 15. November 2015, 14.

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Transkript:

Eröffnung der Ausstellung Ewig Endlich mit Werken von Hans Georg Anniès und Uta Welcker-Anniès am Sonntag, 15. November 2015, 14.00 Uhr Vorspiel (Frau Gertrud Dieterich, Stuttgart, Violoncello) Begrüßung (Frau Bärbel Hartmann) Zwischenmusik Einführung (Hofmann) Sehr verehrte Damen und Herren, Auch ich danke Ihnen vielmals, dass sie gekommen sind. Zunächst möchte ich dankbar des Mannes gedenken, der sich, damals noch im geteilten Deutschland, um die Verbreitung und Bekanntwerdung der Kunst von Hans Georg Anniès hier in Württemberg und darüber hinaus sehr verdient gemacht hat. Eberhard Dieterich, damals Württembergischer Landespfarrer für Kindergottesdienst, hat im Rahmen seines Wirkens als Kinderkirchpfarrer Werke des Moritzburger Grafikers und Bildhauers hier drucken lassen, als Postkarten verbreitet, in zahlreichen kirchlichen Zeitschriften und Publikationsreihen bekannt gemacht und auch später als Dekan in Calw und in seinem Ruhestand Ausstellungen vorbereitet und durchgeführt. Auch an dieser Ausstellung wollte er mitwirken und hatte sich darauf gefreut. An Pfingsten ist er noch in Moritzburg gewesen und hat dies mit Frau Christine Anniès und mit Ihnen, Frau Uta Welcker-Anniès, besprochen. Am 4. August ist er plötzlich gestorben. Er wäre heute mit hier gewesen und hätte sich an der Vernissage beteiligt. Das kann nun leider nicht mehr sein, und wir trauern um ihn. Ich freue mich aber, dass Sie, Frau Margarete Dieterich, heute hierher gekommen und jetzt unter uns sind. Ebenso freue ich mich, dass Sie, Frau Gertrud Dieterich, die musikalische Ausgestaltung dieser Eröffnungsfeier übernommen haben. Durch Eberhard Dieterich habe auch ich Hans Georg Anniès kennengelernt. Nachdem ich 1994 meinen Dienst in Stift Urach hier angetreten hatte, trat er zusammen mit Dekan Gottfried Dinkelaker an mich heran mit dem Wunsch, hier eine Ausstellung mit den Grafiken zu den Jahreslosungen von Hans Georg Anniès zu veranstalten. Herr Dinkelaker plante eine Ausstellung von Holztiefdrucken und Holzskulpturen in der Marienkirche in Reutlingen, und hier sollte eine Parallelausstellung der Grafiken zu den Jahreslosungen stattfinden, die Hans Georg Anniès von 1963 bis 1995 geschaffen hatte. Er hatte gelobt, bis zu seinem 65. Geburtstag Grafiken zur Jahreslosung zu schaffen. Diese jährlichen Grafiken zeigen seinen Stilwandel von der gegenständlichen Darstellung bis hin 1

zur radikalen Reduktion auf das Wesentliche: Die Schriftzeichen selbst werden durch ihre Gestaltung zu Trägern der Bildaussage. Außerdem zeigen sich in den Jahren der Bedrängnis von Seiten der Staatssicherheit, die Jahre später eine schwere gesundheitliche Krise zur Folge hatte, und auch in der Zeit der Wende und des Aufatmens deutliche Spuren der inneren Gefühlsbefindlichkeit des Künstlers. Diese Ausstellung fand Ende 1997 bis Anfang 1998 statt. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit dem Werk von Hans Georg Anniès auseinandergesetzt. Während der Ausstellung war er einmal hier in Bad Urach, und seitdem haben wir, meine Frau und ich, ihn immer wieder in seinem Atelier in Moritzburg besucht. Hans Georg Anniès wurde 1930 in Ostpreußen geboren. Sein Sinn war seit seiner Kindheit vom Bildnerischen geprägt. Dazu kamen tiefe Naturerlebnisse. Sein Wunsch war, Bildhauer zu werden. Nach dem 2. Weltkrieg, in dem er schwere traumatische Erlebnisse erlitt, die ihm bis ins Alter beeinträchtigten, schlug er sich als Landarbeiter durch. Hans Georg Anniès war ein frommer Christ. Er hat mir freimütig erzählt und seine Frau und seine Tochter haben es auch jetzt wieder bestätigt, dass er oft bei der künstlerischen Arbeit die Stimme seines Engels hörte (so drückte er es aus), der ihn anwies, dass er ein Werk, mit dem er gerade beschäftigt war, anders machen solle, als er sich es vorgestellt hatte, und immer stellte sich das dann als der richtige Weg heraus. Sein Christsein war aber auch kompromisslos. Er weigerte sich, der FDJ beizutreten, und später verweigerte er seine Unterschrift unter Grußadressen der Künstler an die DDR-Regierung und weigerte sich immer wieder bei parteiergebenen Aktionen. Aus seiner Ablehnung des Marxismus und des sozialistischen Realismus machte er keinen Hehl. Diese frontale Gegnerschaft gegen das Regime über Jahrzehnte hinweg hatte schlimme folgen für ihn. Zum Studium an der Dredner Kunsthochschule wurde er nicht zugelassen. Von der Stasi wurde er bespitzelt und unter permanenten Druck gesetzt. Aus dem DDR-Verband Bildender Künstler wurde er ausgeschlossen. Ausstellungen wurden ihm regelmäßig abgelehnt. Einladungen ins Ausland durfte er nicht annehmen. Jahrelang war er vollkommen isoliert. Als der Druck von Seiten der Stasi unerträglich wurde er wurde vor die Alternative gestellt, entweder aus der Kirche auszutreten und sich als Marxist zu bekennen (für diesen Fall hat man ihm eine Professur an der Dresdner Kunsthochschule versprochen), oder auszureisen, willigte er in die Ausreise ein. In der Nacht, bevor der Möbelwagen kommen sollte, erzählte er mir, stand er lange an seinem Atelierfenster und betrachtete den Baum, der vor seinem Fenster stand. Er habe dann, zu dem Baum gewandt, 2

gesagt: Du kannst auch nicht weggehen und musst hier bleiben. So bleibe ich auch hier. So blieb er mit Frau und Tochter bei seinem Baum und den anderen Bäumen, die auch nicht weggehen konnten, in seinem niedrigen, langgestreckten, aber gemütlichen Häuschen am Waldrand in Moritzburg, bot weiter Widerstand und erlitt weiter die Drangsale des Staates. Seiner Gesundheit war dies sehr abträglich. Da Hans Georg Anniès ein Hochschulstudium verwehrt war, ließ er sich an der Volkshochschule und durch Privatunterricht künstlerisch ausbilden. Danach arbeitete er in kirchlichem Rahmen als Kunsterzieher und Grafiker. Für den Verkündigungsdienst der Kirche schuf er Gebrauchsgrafiken. Manche dieser Bilder ähneln Ikonen. Ein Atelierbrand im Jahre 1970, entstanden durch Selbstentzündung von Materialien, der auch einen großen Teil seines bisherigen Werkes zerstörte, brachte für sein ganzes Schaffen einen starken Einschnitt. Es war, wie wenn nach einem Jesajawort er selbst durch Feuer gehen musste. Er fing ganz neu an. Es entstand man kann sagen: aus der Stille seiner Seele ein radikaler Stilwandel. Nicht mehr die Illusion einer dargestellten Welt war sein künstlerisches Ziel, sondern immer weiter getriebene Reduktion auf das Wesentliche. Nicht mehr Zeichnung strebte er an, die von der Kontur lebt, sondern er wollte die innere Struktur des Lebens sichtbar machen. Und das Lebewesen, um das sein ganzes Denken seit seiner Kindheit kreiste, war der Baum. DIA 2 Er wollte nun nicht mehr, wie beim Holzschnitt, ein Bild in das Holz hineinschnitzen, was er als eine Verletzung ansah, sondern der Baum sollte, ohne verletzt zu werden, mit seiner Geschichte, mit seiner inneren Struktur, mit den Spuren seines Lebensverlaufs sichtbar werden. DIA 3 Die innere Struktur des Holzes ist seine Maserung. In der Erscheinung des Baumes sowohl in der Gesamterscheinung als auch in einzelnen Teilen (Anniès nennt das die Baumästhetik ) zeigen sich aber auch noch andere Formen: Kreis (z. B. im Durchmesser des Baumes), Spirale (z. B. in der Rinde), Kreuz (zweimal: im Wurzelbereich und im Baumkronenbereich), Oval (Form der Baumkrone), vor allem die Form des Samenkorns (z. B. in der Maserung), für Anniès die Urform des Lebens, die ganz häufig in seinen Bildern vorkommt. 3

DIA 4 Weil alles transparent sein sollte, wollte Anniès nicht mehr ein fertiges Bild liefern, sondern der Entstehungsprozess, besonders die einzelnen Druckvorgänge, sollte im Bild sichtbar werden. Dadurch ergaben sich neue Zeichen: Hoffnung, die Stille hinter der Stille ihre kaum darstellbare Sichtbarmachung war ihm besonders wichtig! Metrik und Rhythmus, Gegensätze, Entwicklungen. Aus allen diesen künstlerischen Zielen heraus entwickelte er im Lauf der Jahre den Holztiefdruck, eine Technik, die nur ihm eigen ist. Ein Holzstück, das zwar aus einem Baum herausgeschnitten, aber in sich unverletzt ist. Die Formen und Größen können verschieden sein: Rechteck oder Quadrat. Es zeigt die innere Struktur des Holzes, die Maserung. Auf dieses Stück Holz wird Farbe aufgetragen: verschiedene Grautöne bis zum Schwarz in verschiedenen Formen: Dreieck, Rechteck, Quadrat, auch runde Formen, entweder ganz oder teilweise. Dann wird gefeuchtetes Papier auf das Holz aufgelegt und unter sehr hohem Druck mittels einer von Anniès selbst entwickelten Presse die Farbe aus den Holzrillen wieder hochgedrückt auf das Papier, das dann das Bild werden soll. Es bilden sich also die Maserung und die verschiedenen Farbzonen auf dem Papier ab. Dieser Druckvorgang wird mehrmals wiederholt, in verschiedenen Intensitäten der Farbauftragung, zwei- bis achtmal, wobei die Farben auch an verschiedenen Stellen aufgetragen werden. Der Druck des Holzstückes kann entweder an immer derselben Stelle oder an verschiedenen Stellen des Bildes erfolgen. So entstehen verschiedene Bildebenen und verschiedene Formen: eine Ineinander-Struktur oder eine Nebeneinander-Struktur, oft Überlappung der Druckfolgen; daraus entstehen dann Kreuze, auf- oder absteigende Flächen, die in Anniès symbolischer Bildsprache eine starke Aussage machen. DIA 5 4

Anfangs ließ er die Holzplatten noch nicht ganz unverletzt, DIA 6 sondern ritzte in sie Striche und Liniengebilde ein, die dann auf dem gedruckten Bild Gegenständliches, z. B. Landschaftliches erahnen ließen oder an bizarre Seelenlandschaften erinnerten. Doch bald vor allem nach einer schweren Erkrankung im Jahre 1992 verzichtete er auch darauf und gestaltete nur mit Hilfe der Maserung und der immer etwas variiert aufgetragenen Farbe seine Bilder. Durch die Zusammenfassung mehrerer Bilder zu einem Zyklus ergaben sich Entwicklungen und Bewegungen. Z. B. Abwärts- und Aufwärtsbewegungen. Oder die Entwicklung vom Chaos zum Kosmos, von der Verwirrung zur Klarheit. DIA 5 Es ergeben sich auch Formen wie Kreis, Quadrat, Rechteck, Dreieck, die in der Bildsprache Anniès meist ganz bestimmte Bedeutungen haben: So bedeutet der Kreis etwa Vollkommenheit und Ewigkeit, das Quadrat oder Rechteck steht oft für die irdische Welt (das stammt aus der mittelalterlichen Ikonographie). Das Dreieck kann die Trinität symbolisieren. Die schwarze Farbe kann manchmal als Symbol des Todes gedeutet werden. Alle diese Bedeutungen sind nicht festgelegt; auch andere Deutungen sind möglich, weil der Künstler nichts dazu angibt. Seine Holztiefdrucke haben ausnahmslos den Titel Zeichen und sind nummeriert; die Skulpturen tragen den Namen Raumzeichen, Hoffnungszeichen, Lebensraumzeichen, Terra, Refugium oder auch einfach Zeichen und sind ebenfalls nummeriert. Das Kreuz hat für Anniès eine zentrale Bedeutung, einmal für das Kreuz Christi, zum andern aber ist es für ihn auch ein universales Lebenssymbol. Ebenso zentral ist für Anniès das Samenkorn, das sich oft in der Maserung zeigt, aber bisweilen auch eigens thematisiert wird. Wenn man diese Bildsprache bei der Betrachtung zugrundelegt, kann man in vielen Fällen eine Aussage, ja oft auch ein auf dem christlichen Glauben beruhendes Bekenntis herauslesen. So z. B. sehr deutlich aus dem Bildzyklus, der gewöhnlich im Meditationsraum hängt, den wir aber in die Ausstellung eingefügt haben. 5

DIA 7 Hans Georg Anniès BILDHAUERARBEITEN beruhen auf denselben Prinzipien wie die Holztiefdrucke. Wenn er ein neues Werk begann und aus einem Holzstück eine Skulptur schaffen wollte, wusste er nicht, was da herauskommen würde. Er wollte die Seele des Baumes sichtbar machen. Ganz vorsichtig legte er Schicht um Schicht frei. Es kamen Kreuzformen in verschiedenen Variationen zum Vorschein, Rundungen, Spiralen und Kreise, sowie Maserungen als Abbilder des Lebens des Baumes und seiner Geschichte, Bilder des Samenkorns. Begrenzungslinien führen aufwärts und abwärts, meist letzlich aufwärts, sowie von außen nach innen und wieder nach außen. Anniès war es ein großes Anliegen, dass Finger und Hände der Betrachtenden das Holz abtasten, sich an den Linien entlangführen lassen und ihnen folgen, aufwärts und abwärts, von außen nach innen, die rauen oder feinen Oberflächen und die harten Schnittlinien ertastend. Dass man um die Skulpturen herumgehen muss, um immer neue und andere Perspektiven zu entdecken, versteht sich von selbst. Zeitlebens hat Hans Georg Anniès in seiner Kunst gegen den Strom gearbeitet. Mit seiner radikalen Reduktion auf das Wesentliche, dem Verzicht auf Kontur, seinem Prinzip der Sichtbarmachung der innersten Struktur des Lebens, aber auch mit seiner politischen Haltung stellte er sich manchen Tendenzen unserer Zeit, die er beobachtete, entgegen: der Orientierungslosigkeit, dem allgemeinen Werteverlust, der Intoleranz, der zunehmenden Unmenschlichkeit, der drohenden Zerstörung von Mensch, Natur und Form. Zum Schluss dieses Teils ein Zitat von Hans Georg Anniès aus einem Interview: Bäume sind die ältesten, friedlichsten, stillsten und größten Lebenwesen der Welt. Sie wachsen nach unten ihre Wurzeln gehen deshalb tief in die Erde, und nach oben ihre Äste greifen hoch in den Himmel. Sie haben eine Mitte, den Kern. Ihr Drehwuchs ist außerordentlich bemerkenswert (Spirale). Die Bäume sind meine Freunde, Partner, Lehrer und Zeugen Seit langem versuche ich, etwas von der aumanatomie, der Baumästhetik und der Baumbotschaft zu begreifen meine Arbeiten verdanken ihnen alles; sie sind ohne sie undenkbar. Ihre lapidare Botschaft vom Wunder der Schöpfung, der Kraft, der Stille und vom Mut zur Hoffnung, sowie von der immerwährenden Metamorphose ist zeitlos, bar jeder Mode und immer gültig, gleich der Sehnsucht nach der Unendlichkeit. Ich arbeite nicht mehr nach der Natur, sondern mit der Natur bzw. wie die Natur. 6

Zwischenmusik Es ist Ihnen sicher schon klar geworden, dass das Thema der Ausstellung EWIG ENDLICH auch beim Vater Anniès schon längst präsent war: Es war vom Motiv Vollkommenheit irdische Welt die Rede, von der Stille hinter der Stille, die die einfache Stille noch transzendiert. Auch vom Samenkorn als der Urform des Lebens kann der Bogen zum Thema EWIG ENDLICH gespannt werden. Bei der Tochter wird EWIG ENDLICH eigens thematisiert. So gibt es Bilder oder Bildzyklen mit dem Titel Zeit, Zeitlos oder auch Sich verändernd. Dieses Thema ist für Uta Welcker-Anniès grundlegend. Ihr Atelier in Moritzburg, das seit 2003 besteht, trägt den Namen HIER & JETZT. Der Begriff stammt aus der Gestalttherapie, in der sich die Künstlerin im HAMBURGER INSTITUT FÜR GESTALTORIENTIERTE WEITERBILDUNG (HIGW) ausbilden ließ. Da geht es darum, Bewusstheit und Achtsamkeit zu erlangen und sowohl zu einer inneren Haltung der Absichtslosigkeit als auch zu einer mehr gerichteten Aufmerksamkeit auf entgegenkommende Phänomene und dem unmittelbaren Erleben heilsamer Beziehungen zu gelangen. In der Punktualität des Hier und Jetzt begegnet Ewigkeit, von der Uta Welcker-Anniès sagt, dass sie nicht irgendwann beginnt. Das gilt für Vater und Tochter gleichermaßen. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Werke des Vaters und der Tochter vielfach: Während der Vater Farben und Formen radikal reduziert (Er hat fast nur Schwarz- und Grautöne, und die Formen sind durch das Holz, mit dem er arbeitet, begrenzt), zeigen die Bilder der Tochter eine starke Intensität der Farben; die Formen sind bei ihr meist schwungvoll. So kann man bei ihr von einer Farben- und Formenfülle reden, während die Grafiken des Vaters statisch streng und monumental eindringlich sind, die Bilder der Tochter aber pulsierend bewegt, emotional entgegenkommend, ja bisweilen von Lebensfreude überbordend, jedoch immer bewusst komponiert. Wir werden allerdings sehen, dass die Werke beider Künstler auf verborgene Weise von einer inneren Verwandtschaft zeugen. Uta Welcker-Anniès frühere Arbeiten (etwa von 2000 bis 2012) waren eher ungegenständlich; sie wollten emotionale Befindlichkeiten, innere Seelenzustände, in Gefühlen sich äußernde Beziehungsgeflechte sichtbar machen. Aus quirlender Lebendigkeit erwuchsen innere Farben- und Formenlandschaften, wobei sich flächige Partien mit plötzlichen Öffnungen räumlicher Tiefe oft überraschend abwechselten. Man muss an diese Phase ihres Werkes erinnern, will man die jetzigen Arbeiten verstehen. 7

Im Laufe der Zeit wurden ihr, wie sie bekennt, die Dinge immer wichtiger. Ihre Bilder sind seitdem gegenständlicher. Trotzdem werden die Dinge nicht einfach abgebildet, sondern mit inneren Gegebenheiten in Zusammenhang gebracht. Noch ganz abstrakt sind die beiden Hiddenseestücke aus dem Jahr 2007. DIA 8 und 9 Die Hiddenseelandschaft Wasser, Wolken, Dünen, Gräser kann zwar erahnt werden, wird jedoch in Formen und Farben so verfremdet, dass sie nun zur Darstellung einer inneren Landschaft wird. Der dreiteilige Zyklus Sich verändernd DIA 10 die Bilder sind über einen langen Zeitraum entstanden, von 2004-2014 erinnert an Pflanzen, die jeweils in Verwandlung begriffen sind. Sie sind nicht bestimmte Pflanzen (Blumen, Blüten, Gräser oder Blätter), sondern es sind innere Bilder, wie durch einen Windhauch bewegt, herbei- und wieder fortschwebend, sich entfaltend und dem Vergehen entgegentänzelnd. 8

Im Jahre 2013 erlebte sie einen schweren Einschnitt. Sie musste sich einer Notoperation unterziehen. Seitdem ist die Kostbarkeit unserer Lebenszeit mir noch deutlicher, schreibt sie. Das Thema Zeit wird virulent. DIA 11 Sie malt (signiert 2013, laut Verzeichnis 2014) ein Bild, das sie Zeit nennt, und fügt die Armbanduhren, die ihr Vater getragen hatte, als Collage ein. Das Bild ist erregend dynamisch. Außen ein aufrecht kreisendes Oval, das überbordend über den Rand des Bildes hinausschießt. Es scheint das ganze Universum auszufüllen. Man fühlt sich an das Samenkornmotiv des Vaters erinnert, hier aber nicht statisch ruhend, sondern in unaufhaltsam kreisender Bewegung. Innerhalb dieses kosmischen Samenkorns rotieren ineinander sich verschlingende, sich anziehende und wieder abstoßende Strudelbewegungen. Diese Strudel nähern sich einander und stoßen sich ab. Dadurch scheinen sich die Drehbewegungen gegenseitig immer mehr zu beschleunigen. Die gegenseitig sich antreibenden Strudel haben die runden Armbanduhren in ihre Mitte genommen und beziehen sie in ihre Drehbewegung mit ein, sodass die Chronometer mitrotieren. Manche lassen die Zifferblätter sehen, manche die Rückseite. Die Rückseite der Zeit! Aus tiefer heller blauer Klarheit blicken leuchtende Augen aus den Strudeln. Sie sind Ruhepole, wie das stille Auge im Mittelpunkt eines Wirbelsturms. Plötzlich gehen zwei Strudelkreisellinien parallel und bilden zwischen sich eine goldfarbene Leuchtschrift: Etern ( Ewig ); der letzte Buchstabe geht in ein dynamisches Linienornament über, das sowohl ein leuchtendes Auge als auch ein christliches Ichthys-Symbol (Fischsymbol) oder auch den Buchstaben M darstellen kann (dann könnte man das Wort als Etern[u]M lesen Ewiges oder Ewigkeit ). So leuchtet die Ewigkeit aus der Ruhe unendlicher Tiefe in der unruhigen Punktualität des Hier und Jetzt auf. Entscheidet man sich für die Deutung als Ichthys-Symbol, so bildet eine Flossenlinie des Fisches mit dem Aufstrich des Buchstabens N in Etern.. ein Kreuz. Aus dieser Beschreibung mag man den Eindruck haben, dass das Bild eine spannungsgeladene unauflösbare Polarität enthalte. Doch für meine Empfindung sind die Gegensätze ausgeglichen. In Form und Farbe sind die Pole ausbalanciert, sodass eine wenn auch vielgestaltige und dynamische, so doch im Ganzen 9

in Farbe und Form ausgewogene Harmonie das Bild beherrscht. DIA 12 Das Triptychon Zeitlos ist ebenfalls 2014 entstanden. Auf dem ersten, querrechteckigen Bild schweben in verschiedenen Entfernungen Heißluftballons durch einen hellgelb/grün/blau erleuchteten Himmel. Das ergibt eine großartige räumliche Tiefe. Der hohe lichtdurchflutete Himmel, von Wolken, Nebeln und Lichtspiegelungen durchsetzt und vielfach durch optische Brechungen unregelmäßig in der Sicht eingegrenzt, lässt im untersten Teil des Bildes eine Insellandschaft nur erahnen. Das Bild atmet Ruhe und Lautlosigkeit, äußerst konzentrierte Langsamkeit. Die Betrachtenden und diejenigen, die in den Ballonkörben unterwegs sind, sind mit der Schöpfung allein, aber nicht einsam. Es wird ein beseligender Augenblick erfüllter Stille sichtbar. Mir kommen die ersten Verse des 19. Psalms in den Sinn: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. 3 Ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht tut's kund der andern, 4 ohne Sprache und ohne Worte; unhörbar ist ihre Stimme. 5 Ihr Schall geht aus in alle Lande und ihr Reden bis an die Enden der Welt. DIA 13 Das zweite, hochrechteckige Bild zeigt eine langsam um sich selbst kreisende Sonne und unmittelbar daneben eine Mondsichel, bei der auf der restlichen abgedunkelten Mondscheibe der Erdschatten deutlich sichtbar ist. Die beiden Gestirne schweben im Dunkel des Himmels. Links unter der Sonne eine Art von Glaskörper durch das Glas bricht sich das Licht; zwei Zonen, eine helle Himmels- und ganz unten eine Meereszone, die von Nebeln und Lichtspiegelungen durchzogen sind, werden innerhalb und außerhalb des Glaskörpers optisch versetzt dargestellt. Von dem ovalen Glas- 10

körper, der nur teilweise zu sehen ist und von links unten bis in die Mitte in das Bild hineinragt, gehen hellgebe flammenartige Strukturen in Richtung des rechten Teils des Bildes aus, als brennte das Glas an seinen Rändern. Ist hier ein in immer wiederkehrenden langsamen Bewegungen sich vollziehender, aber sich nicht verändernder Zustand des Universums dargestellt? Die unvorstellbare Ausdehnung der kosmischen Zeit? DIA 14 Das dritte, wieder querrechteckige Bild zeigt Segelschiffe auf See, die, wie die Heißluftballone, in unterschiedlicher Entfernung auf dem Wasser unterwegs sind und dadurch dem Bild einen räumlichen Eindruck vermitteln. Nur der am weitesten entfernte Dreimaster im Hintergrund links fährt mit geschwellten Segeln nach rechts, zur Mitte des Bildes. Er durchquert gerade eine Wolkenlücke, durch die ein weißlich heller Lichtschein fällt. Der Mittelgrund mit den vier Ein- bzw. Zweimastern scheint windstill zu sein. Die Segel sind schlaff, die See ist ruhig. Doch im Vordergrund, noch vor den Sandbänken, erhebt sich eine mächtige Brandungswelle aus dem seichten Wasser, der Flosse eines riesigen Raubfisches gleich, und macht sich an dem hohen Mast des dritten Segelschiffes im Mittelgrund, die beiden ersten Schiffe flächig überbrückend, fest, als wäre sie dort angebunden. Der unvorhergesehenen Bewegung der raubfischförmigen Brandungswelle, die aus dem Nichts zu kommen scheint, korrespondiert am dräuigen Himmel eine in Gegenbewegung sich bildende Wolkenformation, in der sich ein Unwetter zusammenzubrauen droht. In grelles Gelb getauchte Wolkenteile deuten Blitze an. Das Bild scheint mir auf unversehens auftretende Bedrohungen des Lebens hinzudeuten, wie Uta Welcker-Anniès sie in der plötzlichen Krankheitsattacke und wie sie die Pariser Bevölkerung vorgestern Nacht erlebt hat. Unter ihren Lebenslauf hat Uta Welcker-Anniès als Unterschrift die Buchstabenkombination SDG angefügt. Soli Deo Gloria die Überschrift, mit der Johann Sebastian Bach seine Kompositionen versehen hat. Hören wir nun, nach einem stillen Moment, in dem Sie das Gehörte und Gesehene nachklingen lassen können, einen weiteren Satz aus der Cellosonate des Thomaskantors. Zwischenmusik Worte von Uta Welcker-Anniès Nachspiel 11