Bildungsplan 2004 Grundschule Umsetzungsbeispiel für Deutsch GEDICHT DES MONATS Friedrich W. Mielke Donau-Lauchert-Schule Sigmaringendorf 3. Januar 2004 Baden-Württemberg MINISTERIUM FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT
Umsetzungsbeispiel: Friedrich-W. Mielke 2004 ist das Mörike-Jahr und 2004 ist das Jahr der Bildungsplan-Reform. Wie reimt sich das zusammen? Gleich am Eingang der Sektion Kompetenzen und Inhalte steht das Gebotsschild Das. Von der Lehrkraft wird erwartet, erhofft, dass sie ein Mal im Monat ein Gedicht in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Bei Gedichten handelt es sich nach H. M. Enzensberger um das einzige Medium, bei dem die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übersteigt. Darum kommt der angemessenen Auswahl besondere Bedeutung zu. Natürlich könnte die Lehrkraft unbesehen das Angebot der Lesebücher übernehmen und sich damit auf der sicheren Seite wähnen, wenn da nicht zuweilen leise Zweifel an der Qualität des Angebotes die schöne Harmonie störten. Die Halbwertzeit von Gedichten ist sehr verschieden. Die meisten verwelken rasch wie ein Veilchenbukett. (H. M. E.) Andererseits ist das Lesebuch-Angebot benutzerfreundlich vorsortiert nach thematischen Einheiten. Eine Synthese aus beiden Aspekten ist der folgende Vorschlag: Medienprofis wissen seit langem, dass die Realisierung eines Vorhabens besser gelingt und gefördert wird, wenn dieses Vorhaben auf ein (Denkmals)-Podest gestellt wird. Die Podeste können heißen Tag des... (Baumes, z.b.), Woche der Brüderlichkeit, Vogel des Jahres u.s.w. Für das ist das Podest Geburtstage im Monat... gut zu brauchen. Dazu wird ermittelt, welche Autorin, welcher Autor im Januar, Februar... geboren wurde. Das ist leichter gesagt als getan. Die meisten Sammlungen (auch der Klassiker Überall und neben dir von H.-J. Gelberg) verzeichnen, wenn überhaupt, lediglich Jahreszahlen. Ein persönliches Recherchen-Ergebnis ist die folgende Liste. Sie enthält die Namen von Autor(inn)en, die in vielen Lesebüchern und Sammlungen zu finden sind. Liste der Geburtstage, sortiert nach Monaten: Januar: Kurt Tucholsky (9./1890); Annette von Droste-Hülshoff (10/1797); Martin Auer (14./1951); Friedl Hofbauer (19./1924); Gotthold Ephraim Lessing (22./1729); Erwin Moser (23./1954); Kurt Marti (31./1921) Februar: Bertolt Brecht (10./1898); Gerhard Rühm (12./1930); Hans-Georg Noack (12./1926); Georg Britting (17./1891); Thomas Brasch (19./1945); Elisabeth Borchers (27./1926) März: Franz Hohler (1./1943); Günter Kunert (6./1929); Bruno Horst Bull (17./1933); Peter Hacks (21./1928); Albrecht Goes (22./1908); Wolfgang Bächler (22./1908); Rudolf Otto Wiemer (24./1905) April: Peter Huchel (3./1903); Günter Herburger (6.1932); Stefan Heym (10./1913); Sarah Kirsch (16./1935); Max Bolliger (23./1929); Ludwig Uhland (26./1787); Luise Rinser (30./1911) Mai: Gottfried Benn (2./1886); Christian Morgenstern (6./1871); Johann Peter Hebel (10./1760); Rose Ausländer (11./1901); Alfons Schweiggert (11./1947); Manfred Mai (15./1949); Georg Bydlinsky (30./1956); James Krüss (31./1926) Juni: Jürgen Spohn (10./1934); Christoph Meckel (12./1935); Frederik Vahle (24./1942) Umsetzungsbeispiel für Deutsch Seite 2
Juli: Josef Guggenmos (2/ 1922); Hermann Hesse (2./1877); Wilhelm Topsch (8./1941); Hans Manz (16./1931); Hilde Domin (27./1912) August: Ernst Jandl (1./1925); Christa Reinig (6./1926); Erwin Strittmatter (14./1912); Matthias Claudius (15./ 1740); Reiner Kunze (16./1933); Johann Wolfgang von Goethe (28./1749) September: Eduard Mörike (8./1804); Wilhelm Raabe (8./1831); Eckard Henscheid (14./1941); Werner Bergengrün (16./1892); Ursula Wölfel (16./1922); Eva Rechlin (17./1928); Klaus Kordon (21./1943) Oktober: Benno Pludra (1./1925); Lisa-Marie Blum (3./ 1911); Christine Nöstlinger (13./1936); Gina Ruck-Pauquet (17./1931); Peter Rühmkorf (25./1929) November: Martin Luther (10./1483); Friedrich Schiller (10./1759); Hans Magnus Enzensberger (11./1929); Peter Härtling (13./1933); Astrid Lindgren (14./1907); Paul Celan (23./1920) Dezember: Alfred Könner (2./1921); Rainer Maria Rilke (4./1875); Heinz Kahlau (6./1931); Robert Gernhardt (13./1937); Heinrich Heine (13./1797); Paul Maar (13./1937); Jo Pastum (21./1936); Theodor Fontane (30./1819) Im Januar könnte zum Beispiel Martin Auers (geb. 14.1.) Tischrede zum werden oder Erwin Mosers (23.1.) Zwerg. Im September aber, s.o., wird zumindest im Jahr 2004 Eduard Mörike geehrt und gefeiert mit dem. Mörike lebte vom 8.9.1804 bis zum 4.6.1875. Wir können im September also seinen 200. Geburtstag feiern. Die KulturRegion Stuttgart feiert sogar das ganze Jahr hindurch: www.kulturregion-stuttgart.de www.moerike-gesellschaft.de www.literatursommer.de www.literatursommer.de www.moerike-gesellschaft.de Am Beispiel September-Morgen (siehe unten) sollen einige wenige Annäherungsversuche an ein Gedicht e- xemplifiziert werden. Auch für dieses Gedicht wie für alle anderen Gedichte des Monats - soll Hilde Domins aufmunterndes Diktum gelten: Es gibt keine falschen Interpretationen. Es gibt nur intensive und weniger intensive Vollzüge. Damit ist auch die Frage der Zuordnung des Gedichtes zu einer bestimmten Klassenstufe relativiert und entschärft. Germanisten haben herausgefunden, dass es doppelt so viele Herbstgedichte gibt wie Frühlings-, Sommer,- Wintergedichte. Das sollte Lehrerinnen und Lehrer aber nicht dazu verführen, bei Kindern ein ähnlich intimes Verhältnis zu Herbststimmungen zu vermuten wie bei Erwachsenen. Kindern, Viertklässlern, gelingt die Annäherung an das Gedicht September-Morgen am ehesten durch entspanntes Lesen,- erst still, dann laut. Durch lautes Lesen erfahren, erleben sie die raffinierte Atemfalle, hervorgerufen durch den überzähligen fünften Vers. Das Gedicht lebt, wie alle große Dichtung, von der Opposition: Spannung und Lösung; Nebel und blauer Himmel; Noch und bald. Grundschulkinder kommen gern der Bitte nach, das Gedicht zu malen. Die Ergebnisse sind meist verblüffend, überraschend. Einige Kinder malen Sonne, Himmel fertig. Andere bringen noch Wald und Wiesen unter. Manche versuchen sich und scheitern am Nebel. Ganz Raffinierte malen zwei Bilder: vorher und nachher; noch und bald. Das du des dritten Verses, der Adressat, taucht nie auf. Diese Tatsache bietet den Anknüpfungspunkt für eine vertiefende Gesprächsrunde zum. Umsetzungsbeispiel für Deutsch Seite 3
... Gedichte auswendig lernen... heißt es im Bildungsplan, aber meistens vergessen wir, die dazugehörigen Memoriertechniken zu vermitteln und zu üben. Ein hoch-effektives Verfahren, Texte auswendig zu lernen, ist die so genannte Cloze-Technik (von Cloze-Test: Ergänzungstest). Das geht so: September-Morgen Im Nebel ruhet noch die Welt, Noch träumen Wald und Wiesen: Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, Den blauen Himmel unverstellt, Herbstkräftig die gedämpfte Welt In warmem Golde fließen. Eduard Mörike Nebel ruhet noch die, Noch träumen Wald und : Bald siehst du, wenn Schleier fällt, Den blauen unverstellt, Herbstkräftig die gedämpfte In warmem Golde fließen. Im ruhet noch die Welt, träumen Wald und Wiesen: siehst du, wenn der fällt, Den blauen Himmel, Herbstkräftig die gedämpfte Welt warmem Golde fließen. Im Nebel noch die Welt, Noch Wald und Wiesen: Bald du, wenn der Schleier, Den blauen Himmel unverstellt, die gedämpfte Welt In Golde fließen. Im Nebel ruhet die Welt, Noch träumen und Wiesen: Bald siehst, wenn der Schleier fällt, blauen Himmel unverstellt, Herbstkräftig gedämpfte Welt In warmem fließen. Im Nebel ruhet noch Welt, Noch träumen Wald Wiesen: Bald siehst du, der Schleier fällt, Den Himmel unverstellt, Herbstkräftig die Welt In warmem Golde. Umsetzungsbeispiel für Deutsch Seite 4
Ein Text, hier: unser Gedicht, wird fünfmal reproduziert. Dann wird in Kopie 1 jedes fünfte Wort gelöscht, also: das erste, das sechste, das elfte u.s.w. In Kopie 2 wird wieder jedes fünfte Wort gelöscht, diesmal beginnend mit dem zweiten Wort. Analog wird mit der dritten, vierten fünften Kopie verfahren. Am Ende wurde jedes Wort einmal entfernt und durch einen Strich ersetzt, oder umgekehrt: Das reproduzierende Kind muss jedes Wort einmal (und immer wieder) vorlagengetreu ergänzen. Wenn die Kinder auf diese Weise Mörikes September-Morgen lernen, dann haben sie viel mehr gelernt als nur eine Methode. Umsetzungsbeispiel für Deutsch Seite 5