Titelgeschichte Auf ein Bier mit Garry Jones Durch «Die grössten Schweizer Talente» war er bekannt geworden, jetzt will er an den Eurovision Song Contest. Ein Gespräch über Musik, Boulevard und die Sprache als Versteck. Vanessa Buff
Der Song handelt vom Durchhalten. Von Träumen, die zerplatzen und an denen man trotzdem festhält. Von Zielen, die man erreicht, wenn man nur noch etwas mehr darum kämpft. Denn eigentlich sind sie ja gar nicht so weit entfernt «Not far away», wie auch der Name des Stückes lautet, das Garry Jones für die Schweizer Ausscheidung zum Eurovision Song Contest (ESC) eingereicht hat. Jones, der eigentlich Müller heisst, singt das popige Dance-Stück auf Englisch, obwohl seine Muttersprache eigentlich Deutsch ist. «Das passt eben besser zum Eurovision», sagt Jones, während er in einem Café in der Schaffhauser Altstadt sitzt und das Bierglas vor sich auf dem Tisch betrachtet. Es ist früher Abend, und draussen wird es langsam einsam auf den Gassen. Drinnen jedoch stehen Kaffeebecher auf den Tischen, leere Gläser und Teller mit Krümeln von Brezeln und Kuchen. Es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen. Ihn reize die «competition», der Wettbewerb, erklärt Jones die Gründe für seine Teilnahme an der Ausscheidung. Und diese ist hart: Insgesamt haben 158 Acts ihren Beitrag eingereicht, das Publikum kann per Internetvoting die besten neun für einen sogenannten Expertencheck auswählen. Dort wiederum werden dann nochmals drei Künstler aussortiert, die besten sechs dürfen im Februar in einer live im Fernsehen übertragenen Show darum kämpfen, wer die Schweiz am ESC vertreten soll (siehe auch Kasten auf der nächsten Seite). Zur Person Garry Müller (Künstlername Jones) ist in Näfels im Kanton Glarus geboren. Aufgewachsen bei einer Pflegefamilie und in einem Heim, lebte er später längere Zeit in England und in Zürich, wo er unter anderem als Barman arbeitete. Seit 14 Jahren wohnt er in der Region Schaffhausen.
Als Underdog zur Castingshow Für Jones ist es nicht die erste Teilnahme an einem solchen Musikwettbewerb: Jahrelang als Sänger und Interpret von Coversongs unterwegs, war er 2011 einem grösseren Publikum bekannt geworden, als er es bei der Castingshow «Die grössten Schweizer Talente» ins Halbfinale schaffte. Mit seiner an Elvis erinnernden Stimme sang er damals das Lied «Hallelujah» von Leonard Cohen und begleitete sich dazu selbst auf dem Klavier nicht ganz fehlerfrei, denn mit dem Klavierspielen hatte er gerade mal drei Monate zuvor begonnen. Entsprechend gemischt fiel denn auch die Reaktion der prominent besetzten Jury DJ Bobo, Moderator Roman Kilchsperger und Ex-Miss Schweiz Christa Rigozzi aus. «Völlig gebannt», zeigte sich Kilchsperger, ESC-Ausscheidung: Alles zu den Daten, Regeln und Teilnehmern Garry Jones ist nicht der einzige Schaffhauser Act, der sich für die Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC) bewirbt: Ebenfalls ein entsprechendes Video eingereicht hat die Wilchinger Alphornistin Lisa Stoll. Für den Song «Mountains» hat sie sich mit den Appenzeller Sängerfreunden zusammengetan, die sie bereits von einem früheren gemeinsamen Auftritt her kennt (siehe dazu SN vom 29. Oktober). überhaupt erst in die Liveshow zu kommen: Über die Besetzung der sechs Plätze Wer die Schweiz am ESC 2014 vertritt, entscheidet sich während einer TV-Show entscheidet ein Internetvoting, das vom 4. am 1. Februar 2014, wobei das Publikum bis zum 18. November auf der Seite von und eine Expertenjury zu je 50 Prozent gemeinsam entscheiden. Davor gilt es aber, stattfindet. Weitere Infos dazu gibt es hier. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) während Bobo in Jones eher einen Das Publikum allerdings, das «Freak» sah, der die ganze Sache etwas zu sehr auf die leichte Schulter ner Seite. Dass dem so war, dürfte hatte Jones von Anfang an auf sei- nahm. neben Stimme und lockerem Auf-
treten auch an der Art und Weise gelegen haben, wie der Schaffhauser vom Schweizer Fernsehen und im Nachgang von anderen Medien präsentiert worden war: aufgewachsen in Heimen und in frühen Jahren bereits hoch verschuldet; der Kämpfer, der für die Musik alles gab, aber auf der Bühne nicht so richtig aus sich herauskam; der Underdog, der gezwungenermassen in bescheidenen Verhältnissen lebte. Der «Blick» kreierte daraus sogar den Übernamen «Ravioli-Garry», da Jones sich aus finanziellen Gründen angeblich nur von Pasta aus der Dose habe ernähren können. «Digging in the dirt», im Dreck wühlen, im Sumpf der intimen Details, das sei eben das Geschäft der Boulevardmedien, sagt Garry Jones heute dazu und zuckt etwas resigniert mit den Schultern. Denn einerseits weiss er, dass persönliche Berichterstattung von Vorteil sein kann, wenn man sich in der Musikbranche einen Namen machen will. Andererseits würde er heute keine solch privaten Dinge mehr über sich preisgeben, da die Gefahr, falsch verstanden zu werden, viel zu gross sei. «Es ist schon sehr komisch, wenn ein Blick -Reporter dir eine Dose in die Hand drückt, und dann bist du plötzlich der Ravioli-Garry. Ohne dass du etwas dazu zu sagen hättest.» CD auf Berndeutsch Trotz dieser Erfahrungen will Garry Jones nun an den ESC, eine der musikalischen Veranstaltungen, über die in der Schweiz wohl am meisten und nicht nur Gutes geschrieben wird. Ganz wie der Song «Not far away» es beschreibe, sei aufgeben eben nie sein Ding gewesen, sagt Jones. Er wolle beweisen, dass er es besser könne als damals im Halbfinale der «Grössten Schweizer Talente», als im vorgeworfen worden war, er sei kein Showman und müsse an seinem Selbstvertrauen arbeiten. «Damals bin ich einfach zum Casting gegangen, ohne grosse Erwartungen», sagt er. «Heute ist das definitiv anders. Ich will beim Voting gut abschneiden und habe mittlerweile auch die Erfahrung, um das zu schaffen.» Dabei geholfen hat auch Jones erste CD, welche nächstes Jahr erscheinen soll. Die Songs sind zu einem Grossteil bereits fertig und wurden von Jones auf Deutsch verfasst. Auf Berndeutsch, genauer gesagt, obwohl der Sänger Zürcher Dialekt mit Schaffhauser Einschlag spricht und keinen persönlichen Be-
zug zum Kanton Bern hat. Warum dieser Umweg über eine «fremde» Sprache? Jones lächelt und nimmt einen Schluck Bier. «Ein Freund hat mir diese Frage kürzlich gestellt; warum ich mich hinter etwas verstecke, das ich gar nicht sei. Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Spiele ich eine Rolle? Verstelle ich mich?» Jones denkt einen Augenblick nach und antwortet dann gleich selbst: «Ich denke nicht. In dem Moment, in dem ich auf Berndeutsch singe, fühle ich das auch so.» Dann nimmt er nochmals einen Schluck, es ist der letzte, und fügt an: «Vielleicht kokettiere ich aber auch einfach etwas mehr damit als andere. Auf der Suche nach Identität sind wir doch schliesslich alle, oder nicht?» Garry Jones mit Band: Der Clip zum Song «Not far away». Quelle YouTube