Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht

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Transkript:

Gottesdienst am 4. Dezember 2011 28.11.11 2. Advent Heilig-Geist-Kirche Wolfsburg Detlef Schmitz, Lektor Predigt Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Wochenspruch Lukas 21,28 ) Liebe Advents-Gemeinde! I. Haben Sie schon die ersten Weihnachtskarten gekauft, schon welche geschrieben? Vielleicht sogar schon welche verschickt? Es gibt ja wirklich schöne Motive wie hier von Unicef oder Kloster Beuron: meist Krippendarstellungen, aber auch weihnachtliche Landschaften, Sterne und Engel in allen Variationen, geschmücktes Tannengrün mit Kerzen und, nicht zu vergessen: Weihnachtsmann und Christkind mit Gefolge. Dazu, bereits aufgedruckt, gute Wünsche - 1 -

zu Weihnachten und zum bevorstehenden neuen Jahr. Na ja, die nehme ich dann nicht, ich schreibe meine Grüße noch selbst. Mit jeder Weihnachtskarte schicken wir gute Wünsche an Menschen, die uns nahestehen, die uns etwas bedeuten. Bei diesen guten Wünschen steht an erster Stelle oft die Gesundheit. Vielleicht auch der Wunsch nach glücklichen Momenten und gutem Gelingen im Alltag oder im Beruf. Manchmal wünschen wir auch jemandem Kraft in der Krankheit oder in schwierigen Zeiten. Oder wir wünschen einfach ein paar schöne und entspannte Tage im Kreise der Familie. Das alles sind gute Wünsche, darin sind wir Christen uns wohl mit Menschen anderer Religionen und Kulturen oder sogar mit Atheisten einig. Was aber könnte ein Wunsch sein, der mit unserem christlichen Glauben zu tun hat? Heute, am zweiten Sonntag im Advent, was könnte so ein Wunsch vor Weihnachten und zu Weihnachten sein? - 2 -

Ein adventlicher Wunsch, der unserem Glauben entspringt? II. Hören wir dazu auf den heutigen Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja: (Lesung des Predigttextes Jes 63,15 16 [17 19a] 19b; 64,1 3) 15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater;»Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. 17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du - 3 -

niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. 1 Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, 1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten - und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! - 3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren. Na das sind ja ungewöhnliche Wünsche vor Weihnachten, die wir da zu hören bekommen. Während wir es uns in der Adventszeit gern schon mal so richtig nett machen, mit Kerzen oder Kamin, Glühwein, Lichterketten und Gebäck, hören wir heute aus dem Mund des Propheten Jesaja Worte, die so gar nicht - 4 -

in unsere vorweihnachtliche Gemütlichkeit passen. Im Gegenteil von zerfließenden Bergen ist die Rede, von kochendem Wasser und brennendem Reisig. Bilder, die einen ganz schnell nüchtern werden lassen, wenn süßlicher Vorweihnachtskitsch überhand nehmen sollte. Und damit nicht genug. Die Worte des heutigen Predigttextes sind eine einzige Herausforderung nicht nur für uns, die wir ihnen zuhören, sondern vor allem für den, an den sie gerichtet sind. Sie sind eine Herausforderung an Gott. Gott wird herausgefordert, angerufen, flehentlich gebeten und angeklagt. Vom Himmel herunterschauen soll er, den Himmel zerreißen und hinabfahren auf die Erde. Diese Worte des Propheten Jesaja sind Herausforderung, Klage, Bitte und Anklage in einem. Wenn wir das so machen würden, eine Klage als vorweihnachtlicher Wunsch an diesem zweiten Advent des Jahres 2011: was würden wir uns wünschen? - 5 -

Was fällt uns ein, worauf Gott doch endlich herabschauen möge, was er in den Blick nehmen soll? Woran soll Gott heute seine Macht zeigen? Wofür wünschen wir uns, dass Gott direkt vom Himmel auf die Erde kommt?»ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!«wenn der Prophet Jesaja heute leben würde, was würde er heute Gott ans Herz legen oder ihm heute ins Stammbuch schreiben? Vielleicht die Kriege und Bürgerkriege in aller Welt, wie jetzt gerade in Syrien, in der ganzen arabischen Welt, in Afghanistan? Die Hungernden in den Armutsregionen unserer Erde wie in Somalia oder in Argentinien, an die wir dieses Jahr mit Brot für die Welt denken? Das Leid der Flüchtlinge in Kenia, Sudan, in Pakistan nach der Flut, Das Elend der Kinder, die in Asien für Touristen zur Prostitution gezwungen werden? Die von Klimawandel und Ausbeutung ihrer Schätze bedrohte Erde und all die - 6 -

Geschöpfe, die auf ihr wohnen? Die Perspektivlosigkeit so vieler Menschen auch hier bei uns, in den relativ wohlhabenden Staaten Westeuropas? Und wenn wir Gott alles geklagt und gesagt haben und ihm unsere Wünsche ans Herz legen das, was fern von uns vor sich geht ebenso wie das, was vor unserer Haustür geschieht Wenn wir Gott angefleht und gebeten haben, dann folgt so oft die bittere Erfahrung, dass sich anscheinend nichts ändert. Mord, Krieg, Hunger, Elend, Zerstörung, Verzweiflung, Einsamkeit. Wo ist denn Gott? Jesaja kleidet das in die herausfordernden Worte: So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen,herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Eine Herausforderung ist das, die ihren Ursprung in tiefer Enttäuschung hat. In der Enttäuschung darüber, dass Gott, der doch seine Nähe und Hilfe verheißt, sich - 7 -

anscheinend so fern hält und seine Macht so wenig zeigt. Und wer wollte Jesajas Enttäuschung nicht verstehen, wer wollte sie nicht manchmal teilen? Wer wollte nicht mitfühlen mit einem Menschen, für den sich Enttäuschung an Enttäuschung reiht? Solange, bis vielleicht sogar das Gefühl entsteht: Gott ist abwesend. Er ist gar nicht da und der Himmel ist und bleibt verschlossen. III. Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Wenn einer so spricht, dann ist dem Einschneidendes vorausgegangen. Dann sind alte Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten, auch alte Glaubensgewissheiten angegriffen, instabil geworden. Dann ist auch die Beziehung zu Gott angefragt, angegriffen, gefährdet und vielleicht sogar gänzlich zerstört. - 8 -

Nach einschneidenden Erfahrungen kann das geschehen. Haben wir das auch schon erlebt? Wenn von einem Moment auf den anderen alles anders wird: Ein schrecklicher Unfall- und ein geliebter Mensch wird aus dem Leben gerissen. Eine niederschmetternde Diagnose- und das eigene Leben scheint aus den Angeln gehoben. Eine Naturkatastrophe und ganze Städte und Landstriche sind dem Erdboden gleichgemacht. Die Erfahrung körperlicher oder psychischer Gewalt bei Verbrechen oder im Krieg und die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie vorher. Zur Zeit des Propheten Jesaja war es die Erfahrung, dass Gottes geliebtes Volk in einem schrecklichen Krieg eine furchtbare Niederlage erlitten hatte und zur Beute der Sieger wurde, die alles zerstörten, dabei nicht einmal vor Gottes Heiligtum Halt machten und viele Bewohner in ein sehr lange währendes Exil fortführten. Diese traumatische Erfahrung ist es, die der - 9 -

Prophet in die Worte kleidet: Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Warum schreiten die Gottlosen durch deinen Tempel? Warum zertreten die Widersacher dein Heiligtum? Menschen, die wie Jesaja eine solch drastische Erfahrung machen, empfinden das als einen tiefen Einschnitt in ihre bisherige Lebensgewissheit und Lebenssicherheit. Ein Verlust des Grundvertrauens mit einem Gefühl der Unerträglichkeit, der vollkommenen Hilflosigkeit und Ohnmacht. So, als ob ein Riss durch die Welt und das Leben ginge, eine tiefe Kluft, die uns von anderen Menschen und von Gott trennt. Nichts scheint dann mehr sicher und verlässlich zu sein. Und das Vertrauen in gute, tragende, Leben spendende Beziehungen ist von Grund auf gestört oder gar zerstört. Wer so etwas empfindet, der bleibt oft über lange Zeit stumm vor Schreck über das Erlebte, das so fassungslos machen kann, dass es schwer fällt, oder sogar unmöglich - 10 -

ist, darüber zu sprechen, Worte zu finden. IV. Der Prophet Jesaja allerdings findet seine Fassung wieder. Er vermag in Worte zu kleiden, was er und was andere erlebt haben und welche Gefühle und Gedanken ihn dabei bewegen. Das gelingt ihm, weil er trotz allem in Gott ein Gegenüber, einen Ansprechpartner sieht, vor den er vertrauensvoll alles bringen und vor dem er alles aussprechen kann, was ihm widerfahren ist. Denn Gott selbst befindet sich außerhalb der zerstörerischen Zusammenhänge. Er ist selbst kein Teil davon. Und als dieser kann er angeredet, bestürmt, angeklagt und inständig befragt werden aus der Hoffnung heraus, dass er diesem Ansturm standhält und sich eben darin als tröstend und machtvoll erweist. In Gott findet Jesaja einen Vertrauten. Einen väterlichen Freund, der ihm und seinen Fragen, seinen Zweifeln und Anklagen, auch seiner Verzweiflung und seinen Bitten standhält. Nach ihm haben durch die Jahrtausende hindurch immer wieder Männer und Frauen - 11 -

in verzweifelten Lebenssituationen Gott als einen solchen Ansprechpartner gesucht und gefunden. Unserem Himmlischen Vater dürfen wir unser Herz ausschütten und alles aussprechen, was unser Herz bekümmert und bewegt. Auch das, was man anderen Menschen vielleicht nicht zumuten mag. Wir dürfen Gott aber auch auf seine Verantwortung, seine früheren Versprechen, seine Zusagen aus der Vergangenheit ansprechen. Du bist doch unser Vater; unser Erlöser, das ist von alters her dein Name. Von alters her hat man nicht gehört, kein Ohr hat je gehört, keine Auge hat gesehen, einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren. Durch Jesajas Anfragen und Anklagen hindurch lebt die Hoffnung, ja die Gewissheit, dass Gott sich letztlich als mächtiger erweist als menschliche Gewalt und Zerstörung, mächtiger auch als selbst - 12 -

der Tod. Für den Propheten wie für alle, die Gott einmal so angeklagt und mit ihm gerungen haben, ist dabei bei allem Zweifel und aller Verzweiflung doch immer wieder die Hoffnung lebendig, dass Gott nicht abwesend oder gar null und nichtig, sondern wirksam und anwesend ist, dass er uns auch in schwerster Not zur Seite steht, dass wir immer in ihm geborgen sind und bleiben. Eine Hoffnung ist das zuweilen auch gegen allen Augenschein. Eine Hoffnung, die erlittenes Leid nicht ungeschehen oder gar bedeutungslos macht, die ihm aber eine Fassung zu geben und trotz auch schwer aufliegender Vergangenheit eine Zukunft zu eröffnen vermag. V. Im Advent erwarten wir das Kommen dieses Gottes. Des Gottes, der angefleht und angeklagt werden kann. Des Gottes, der Mensch geworden ist, und menschliche Zerstörung, Verzweiflung, menschliche Gewalt und Hass am eigenen - 13 -

Leibe erfahren, ertragen und durchlebt hat. Des Gottes, der am Kreuz gestorben ist und von dem wir dennoch bekennen, dass er auferstanden ist von den Toten. Im Advent erwarten wir das Kommen dieses Gottes in Jesus Christus. Und vielleicht wartet ja auch Gott im Advent auf uns. Wartet, dass er, der Gekreuzigte, zu unserer Hoffnung auch gegen allen Augenschein wird. Wartet, dass auch wir mit ihm rechnen. Der aufgerissene Himmel, wie wir ihn zuweilen ersehnen, der ist nicht zu haben ohne den in zwei Stücke zerrissenen Vorhang im Tempel am Karfreitag, nicht ohne das leere Grab am Ostermorgen und nicht ohne das Kind, dessen Ankunft wir in knapp drei Wochen erwarten. Was wünschen wir uns jetzt im Advent, vor Weihnachten und zu Weihnachten? Bei Jesaja war es die Sehnsucht des Gottesvolkes auf das Eingreifen Gottes, nachdem viel Volk im Unglauben und im Götzendienst verharrte. Sehnsucht nach Erlösung in der Endzeit, von - 14 -

der wir in unserem Evangelium gehört haben. Es ist auch unsere Sehnsucht. da wohnt ein Sehnen tief in uns Sehnsucht nach Erlösung wegen der Gottesferne unserer Zeit, trotz unseres Glaubens. Advent ist Vorbereitung, Vorbereitung auf Weihnachten, auf die Geburt Gottes als Mensch, und gleichzeitig Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi und das ewige Reich Gottes. Advent ist Geduld haben, ist warten, ist sich selbst vorbereiten. Es ist die Gewissheit, dass der große, herzliche, barmherzige Gott, unser Erlöser, unser Vater ist und uns wohltut, die wir auf ihn harren. Und der Friede des Herrn, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, (Phil 4,4-7) Amen. Quellen: Die Lesepredigt 2011 hier: Pfarrerin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Braunschweig SEB 2. Auflage - 15 -